Wie lassen sich die unfassbaren Taten Jesu deuten? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Theologiegeschichte und offenbart dabei ein faszinierendes Spektrum an Interpretationen. Von rationalistischen Erklärungsversuchen, die das Wunderbare auf natürliche Phänomene reduzierten, bis hin zu mythischen Deutungen, die in den Wundern poetische Metaphern messianischer Hoffnungen erblickten, entfaltet sich ein vielschichtiges Bild. Die form- und religionsgeschichtliche Analyse verortet die Wundererzählungen im Kontext antiker Vorstellungen und enthüllt überraschende Parallelen zu hellenistischen Novellen. Doch wie viel Wahrheit steckt in diesen Erzählungen? Waren die Evangelisten lediglich Chronisten übernatürlicher Ereignisse, oder formten sie die Wundergeschichten bewusst, um ihre theologische Botschaft zu unterstreichen? Die redaktionsgeschichtliche Perspektive beleuchtet die individuellen Akzente der Evangelien und zeigt, wie Markus, Matthäus, Lukas und Johannes die Wunder Jesu unterschiedlich interpretierten und in ihren jeweiligen theologischen Rahmen einbetteten. Die Einordnung Jesu in die Typologie antiker Wundertäter wirft ein neues Licht auf seine Rolle: War er ein Charismatiker, ein Magier oder eine Mischform aus beidem? Die sozialgeschichtliche Analyse schließlich rückt den Wunderglauben in den Fokus und fragt nach seiner Funktion und Entstehung in einer von sozialen Spannungen geprägten Zeit. Dieses Buch nimmt Sie mit auf eine spannende Reise durch die Welt der Wunder Jesu und bietet Ihnen einen fundierten Überblick über die wichtigsten theologischen und historischen Deutungen. Entdecken Sie die Vielfalt der Perspektiven und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung über die Bedeutung der Wunder im Leben und Wirken Jesu. Ein Muss für alle, die sich mit der Bibel, der Theologie und der Geschichte des Christentums auseinandersetzen wollen, und die bereit sind, sich den großen Fragen des Glaubens zu stellen. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der das Unerklärliche auf rationale Analyse trifft und der Glaube auf historische Kritik. Dieses Buch bietet Ihnen die Werkzeuge, um die Wunder Jesu neu zu verstehen und ihre Bedeutung für die Gegenwart zu erkennen.
Sechs Phasen der Diskussion über die Wunder Jesu
- Vor der Neuzeit sah man Wunder nach kirchlicher Tradition
„supranaturalistisch“ = Eingriffe Gottes in den Naturverlauf
- Wunder (wie auch Weissagungen) waren Argumente mit denen man den christlichen Glauben untermauerte
- In der Neuzeit wurden sie dann aus der Apologetik verdrängt und zu deren Gegenstand, d.h. „Die Wunder wurden zum Problem“
1. Phase: Die rationalistische Wunderinterpretation
- 2 Theologen, die diese Theorie vertreten: C.F. Bahrdt (1741-1792); H.E.G. Paulus (1761- 1851)
- es steckt im Wort, man versucht Wunder vernunftmäßig zu erklären, indem man das eigentlich wunderbare herausinterpretiert
Bahrdt:
- die Berichte sind geschichtlich
- die wunderhafte Deutung ist zeitbedingt, muss ersetzt werden
- Wunder werden erklärt, d.h. nicht wunderbar, sondern erklärbar (Beispiele: 1.grün)
- B. gleitet oft ins Abstruse (2.grün) Paulus:
- ausgereifte Form der rationalistischen Wundererklärung
- P versucht zwischen den Zeilen zu lesen (nach Paulus: Zwischenursachen), deren Kenntnis ein Wunder mit der Vernunft in Einklang bringen
- allg.: Bessere, nicht utopische, Erklärung (Beispiel: 3.grün)
2. Phase: Die mythische Wunderinterpretation
- 1 Theologe, der diese Theorie vertritt: D.F. Strauß (1808-1874)
- Wunder seien mythisch aufzufassen, d.h. als Dichtungen, die die messianische Idee zum Ausdruck bringen wollen (aus dem Zentrum des christlichen Glaubens heraus erklärt)
- der Messias muss als Messias die Wunder anderer Propheten überbieten
- (Jesus selbst hat den Wundern eher ablehnend gegenüber gestanden)
- zur Zeit Jesu galt: Prophet = Wunderkräfte
- Die Erwartung des wundergläubigen Volkes brachte die Wunder hervor: auf psychosomatischem Weg und durch Dichtung von Wundern, die nie geschehen sind
- Dadurch konnte die Geschichtlichkeit der Wunder bestritten werden und trotzdem konnte man sie im religiösen Sinn dennoch würdigen
3. Phase: Die form- und religionsgeschichtliche Deutung der Wunder
- 3 Theologen, die diese Theorie vertreten: R. Bultmann (1921); M. Dibelius (1919); L. Bieler (1935/36)
- Entstehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
- Im Gegensatz zu 2., bei dem Wunder aus dem alttestamentlichen heraus erklärt werden, werden hierbei gemeinsame Motive zwischen antiken und neutestamentlichen Wundern herausgestellt
Bultmann:
- nicht nur einzelne Motive, sondern ganze Wundergeschichten wurden aus der hellinistischen Welt übernommen (Beispiel: 4. grün)
- Dieser hellinistische Ursprung gilt als sehr wahrscheinlich Dibelius:
- Wundergeschichten = Novellen (profane Erzählungen)
- Wunder = Anpassungserscheinungen an die nicht-christliche Welt Bieler:
- „Das Bild des göttlichen Menschen“ = fester Typus eines Wundertäters
- Auch Jesus wurde nach dem Bild eines göttlichen Menschen gestaltet
- Im Gegensatz zu Strauß rückten die Wunder nun an den Rand der neutestamentlichen Gedankenwelt
- Konsens: die christliche Botschaft habe sich der Wunder nur bedient, um den Glauben zum Ausdruck zu bringen
- „Die Wundergeschichten wurden kerygmatisch von oben interpretiert.“
4. Phase: Die redaktionsgeschichtliche Relativierung der Wundergeschichten
- Bestätigung von 3.
- Wundergeschichten waren als Tradition vorgegeben, die von den Evangelisten kritisch im Sinne ihrer Botschaft bearbeitet und relativiert wurden:
Bei Markus wird das spannungsreiche Verhältnis von kritischer und positiver Sicht der Wunder wie folgt erklärt:
- fügte Schweigegebote und Jüngerunverständnis ein
- Die glorreichen Wunder werden durch die Kreuzigung und die Auferstehung korrigiert
- Vermutung: Evangelium sollte „göttlichen Mensch“-Glauben bekämpfen Matthäus:
- Mt = Interpret der Wundergeschichten
- stark gekürzt/witzige Sinnsprüche
- auf eine theologische Pointe ausgerichtet (dagegen: mirakulöse Züge zurückgedrängt)
- Jesus ist barmherziger „Messias der Tat“, der die Krankheiten aller auf sich nimmt, indem er sie heilt
Lukas:
- illustrieren das in Jesu Wirken gegenwärtige Heil
- Jesus erfüllt „die biblische Verheißungen“
- Die Wunder sind „Erfolgsgeschichten des Heilswillens Gottes“ Johannes
- (nach R. Bultmann) eigentliche Wundergeschichten tiefgreifend umgestaltet, um den darin enthaltenen naiven, massiven Wunderglauben zu korrigieren
- Wunder sollen nur auf das eigentliche wahre Wunder hinweisen: Die Person Jesu als Bringer wahren Lebens
- Wunderglaube nur vorläufig
5. Phase: Die Einordnung Jesu in eine Typologie antiker Wundertäter
- Entstehung in den 70er Jahren
- gegen die einseitige Deutung der Wunder
- bettet die Wundertätigkeit Jesu in den historischen Kontext ein
- Jesus erscheint entweder als Charismatiker oder als Magier Charismatiker (G. Vermes):
- Jesus gehört zu jüdisch charismatischem Milieu
- Unmittelbarkeit der Beziehung zu Gott
- Unabhängig vom Gesetz Zugang zu Gott Magier (M.Smith):
- aus Perspektive der Gegner gesehen
- Ausbildung zum Magier
- Von Dämon besessen
- unter Zuhilfenahme von magischen Praktiken seine Wunder bewirkt
- Andere Züge des Verhaltens und Redens Jesu beweisen sein Magiertum: (grün 5.) Das Nebeneinander von charismatischen und rituellen Wundertätern (G.H: Twelftree):
- Jesus sowohl charismatisch, als auch magisch
- Jesus ist ein üblicher Exorzist
- heilt auf Grund seiner hervorgehobenen Persönlichkeit (nicht auf Grund mächtiger Beschwörungsformeln und magischer Ritualen)
- durch Jesus handle Gott selbst und die Gottesherrschaft bricht an
D. Trunk:
- reine Form des Charismatikers liegt nur in den Evangelien vor, d.h. ein Wundertäter der aus eigener Autorität , mit Hilfe einer in ihm innewohnenden nicht ableitbaren Kraft handelt
- häufiger hingegen waren Mischformen anzutreffen, selten eine reine Form, wie bei Jesus
6. Phase: Sozialgeschichtliche Aspekte des Wunderglaubens und des Auftretens
von Wundertätern
- Funktion und Entstehung des Wunderglaubens Sozialgeschichtliche Forschung (G.H. Theißen):
- gegen die Vorstellung eines zeitlosen Wunderglaubens
- Wunderglaube ist historisch bedingt: in manchen Zeiten geht er zurück und in anderen nimmt er zu
- Urchristentum war die Spitze des wachsenden Wunderglaubens in der Antike (Im neuen Testament werden die meisten Wundergeschichten über eine Person beschrieben)
- Gründe dafür sind die wachsende Spannung zwischen:
- Land- und Stadtbevölkerung;
- Juden und Heiden
- traditionellen und neuen kulturellen Lebensformen
- Wundercharisma und Magie lassen sich durch ihre soziale Funktion unterscheiden
- Protest- und Erneuerungsbewegungen legitimieren sich durch charismatische Wunder
- Das einfache Volk erzählt sich Wundergeschichten, um sich Mut in Notlagen zu machen
- Wunder sind also, kerygmatisch von oben und als Ausdruck menschlichen Protests von unten zu sehen
Sozialanthropologische Überlegungen:
- zeitlos gültiger Sachverhalt
- was als normal ist und nicht definiert die Gesellschaft, d.h. die Gesellschaft bestimmt, was als Magie verrufen wird und was als Wunder gesehen wird
- Nicht nur die Bewertung der Wunder ist sozial bedingt, sondern auch ihre Existenz (werden Dämonen geglaubt oder nicht?)
Häufig gestellte Fragen
Was sind die sechs Phasen der Diskussion über die Wunder Jesu, die in diesem Text behandelt werden?
Der Text behandelt sechs Phasen der Diskussion über die Wunder Jesu:
- Die rationalistische Wunderinterpretation
- Die mythische Wunderinterpretation
- Die form- und religionsgeschichtliche Deutung der Wunder
- Die redaktionsgeschichtliche Relativierung der Wundergeschichten
- Die Einordnung Jesu in eine Typologie antiker Wundertäter
- Sozialgeschichtliche Aspekte des Wunderglaubens und des Auftretens von Wundertätern
Was ist die rationalistische Wunderinterpretation und wer waren ihre Hauptvertreter?
Die rationalistische Wunderinterpretation versucht, Wunder vernunftmäßig zu erklären, indem sie das eigentlich Wunderbare herausinterpretiert. Hauptvertreter waren C.F. Bahrdt (1741-1792) und H.E.G. Paulus (1761-1851).
Wie interpretiert D.F. Strauß die Wunder Jesu?
D.F. Strauß interpretiert die Wunder Jesu mythisch, d.h. als Dichtungen, die die messianische Idee zum Ausdruck bringen wollen.
Was besagt die form- und religionsgeschichtliche Deutung der Wunder und wer waren ihre Vertreter?
Die form- und religionsgeschichtliche Deutung der Wunder stellt gemeinsame Motive zwischen antiken und neutestamentlichen Wundern heraus. Vertreter waren R. Bultmann, M. Dibelius und L. Bieler.
Wie relativieren die Evangelisten (Markus, Matthäus, Lukas, Johannes) die Wundergeschichten gemäß der redaktionsgeschichtlichen Analyse?
Die Evangelisten bearbeiten und relativieren die Wundergeschichten kritisch im Sinne ihrer Botschaft. Markus fügt Schweigegebote und Jüngerunverständnis ein. Matthäus kürzt und spitzt zu, um theologische Punkte zu betonen. Lukas illustriert das in Jesu Wirken gegenwärtige Heil. Johannes gestaltet Wundergeschichten um, um den naiven Wunderglauben zu korrigieren und auf die Person Jesu als Bringer wahren Lebens hinzuweisen.
Wie wird Jesus in die Typologie antiker Wundertäter eingeordnet und welche zwei Hauptrollen werden ihm zugeschrieben?
Jesus wird entweder als Charismatiker oder als Magier in die Typologie antiker Wundertäter eingeordnet. Charismatiker betonen die unmittelbare Beziehung zu Gott, während Magier magische Praktiken anwenden.
Welche sozialgeschichtlichen Aspekte des Wunderglaubens werden betrachtet?
Die sozialgeschichtliche Forschung untersucht die Funktion und Entstehung des Wunderglaubens im historischen Kontext und berücksichtigt die soziale Funktion von Wundercharisma und Magie. Wundergeschichten können Ausdruck menschlichen Protests und der Suche nach Mut in Notlagen sein.
Welche Rolle spielt die Gesellschaft bei der Definition von Wundern und Magie gemäß sozialanthropologischen Überlegungen?
Die Gesellschaft definiert, was als normal gilt und was als Magie verrufen wird, und bestimmt somit, was als Wunder gesehen wird. Die Bewertung und sogar die Existenz von Wundern sind sozial bedingt.
- Quote paper
- Philipp Muchalla (Author), 2000, Die sechs Phasen der Diskussion über die Wunder Jesu., Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/99763