Ist der "Brexit" das Ende der EU? Warum kann ein Mitgliedstaat aus der EU austreten, war ein solcher Schritt bereits seit Gründung der Gemeinschaften zulässig und ist sogar ein EU-Ausschluss gegen den Willen des betroffenen Mitgliedstaates möglich? Der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen rund um die Beendigung einer Mitgliedschaft in der EU und die Austrittsklausel des Art. 50 EUV ist der folgende Beitrag gewidmet.
Gelegentlich hört oder liest man, das Vereinigte Königreich habe dem Wunsch, dass die europäische Integration unaufhaltsam voranschreiten würde, am 23.06.2016 eine historische Absage erteilt. Der Glaube, dass diese nur eine Richtung kenne, gepaart mit der weitgehenden Ignoranz eines bestenfalls in der Theorie für möglich gehaltenen Austritts eines Mitgliedstaates, sei auf die Probe gestellt worden.
Derartigen Stimmen ist zuzugeben, dass der "Brexit" in der Tat mit einer mancherorts zunehmend kritischen Hinterfragung der EU einhergeht. Dabei ist zu beobachten, dass sich euroskeptische und populistische Akteure wachsender Beliebtheit erfreuen, welche sich etwa anhand der jüngeren Wahlen in Frankreich oder Österreich nachzeichnen lässt und mit einer Ablehnung der EU als rechtsetzende, supranationale Organisation und Konzeption einer engen Zusammenarbeit der europäischen Völker korrespondiert.
Aber auch wenn das mediale Echo im Anschluss an das "Brexit"-Referendum den Anfang vom Ende der EU suggeriert haben mag, so ist dies doch primär dem Schock über das aus der Sicht vieler enttäuschende Abstimmungsergebnis zuzuschreiben. Die Bedeutung des "Brexit" für die Zukunft der EU ist im Moment nur sehr vage zu prognostizieren, sodass allzu pessimistische Lagebilder nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die EU gestärkt aus dem "Brexit" hervorgeht und am Ende sogar wieder an Popularität gewinnt.
Dennoch lohnt sich in jedem Fall eine Untersuchung der Thematik, wirft diese doch interessante dogmatische Probleme aus dem Europa und Völkerrecht auf. Bevor in diesem Zusammenhang auf Hintergründe und Entstehungsgeschichte des Art. 50 EUV eingegangen wird, soll die zuvor geführte Debatte über die Zulässigkeit eines einseitigen Austritts aus den Gemeinschaften beziehungsweise der EU erörtert werden. Danach wird untersucht, ob neben Art. 50 EUV alternative Verfahren eines EU-Austritts existieren.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Hauptteil
- I. Zulässigkeit eines einseitigen Austritts vor Art. 50 EUV
- 1. "Völkerrechtlicher" Ansatz
- 2. "Autonomer" Ansatz
- 3. Sichtweise des BVerfG im Maastricht- und Lissabon-Urteil
- 4. Bewertung und Stellungnahme
- II. Entstehungsgeschichte und Hintergründe zur Einführung des Art. 50 EUV durch den Vertrag von Lissabon
- 1. Entstehungsgeschichte des Art. 50 EUV
- 2. Hintergründe zur Einführung des Art. 50 EUV
- a) Beweggründe für die Einführung des Art. 50 EUV
- b) Reaktionen auf die Einführung des Art. 50 EUV
- aa) Befürworter des Art. 50 EUV
- bb) Kritiker des Art. 50 EUV
- cc) Bewertung und Stellungnahme
- III. Alternative Verfahren eines EU-Austritts neben Art. 50 EUV
- 1. Anwendbarkeit des Art. 62 WVK neben Art. 50 EUV
- a) Anwendbarkeit des allgemeinen Völkerrechts
- b) Art. 50 EUV als "lex specialis" zu Art. 62 WVK
- aa) Argumente gegen eine Spezialität des Art. 50 EUV
- bb) Argumente für eine Spezialität des Art. 50 EUV
- cc) Bewertung und Stellungnahme
- c) Ergebnis
- 2. Auflösung der EU durch multilateralen Aufhebungsvertrag
- a) Gegner eines Aufhebungsvertrages
- b) Befürworter eines Aufhebungsvertrages
- c) Bewertung und Stellungnahme
- 3. Zulässigkeit eines "Teilaustritts" und einer "Teilmitgliedschaft"
- 4. Austritt durch multilateralen Entlassungsvertrag
- 1. Anwendbarkeit des Art. 62 WVK neben Art. 50 EUV
- IV. Reaktionsmöglichkeiten der EU und der Mitgliedstaaten auf die Errichtung einer Militärdiktatur in einem Mitgliedstaat
- 1. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258-260 AEUV
- a) Anwendbarkeit des Vertragsverletzungsverfahrens
- b) Anwendung auf den Fall
- c) Ergebnis
- 2. Verfahren nach Art. 7 EUV
- 3. Ausschluss aus der EU
- a) Ausschlussmöglichkeit nach dem Unionsrecht
- b) Ausschlussmöglichkeit nach dem allgemeinen Völkerrecht
- aa) Anwendbarkeit des allgemeinen Völkerrechts
- bb) Abschließende Spezialregelung im Unionsrecht
- (1) Spezialität des Unionsrechts (Art. 7 EUV, Art. 258-260 AEUV)
- (2) Keine Spezialität des Unionsrechts (Art. 7 EUV, Art. 258-260 AEUV)
- (3) Zwischenergebnis
- cc) Zwischenergebnis
- c) Anwendung auf den Fall
- 4. Ergebnis
- C. Abschlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union und beleuchtet dabei die unterschiedlichen rechtlichen Verfahren und Möglichkeiten, die ein Mitgliedstaat im Fall eines Austritts hat.
- Die Zulässigkeit eines einseitigen Austritts vor Einführung des Art. 50 EUV
- Die Hintergründe und Entstehungsgeschichte des Art. 50 EUV
- Alternative Verfahren eines EU-Austritts neben dem in Art. 50 EUV geregelten Verfahren
- Reaktionsmöglichkeiten der EU und der Mitgliedstaaten auf einen Austritt oder die Errichtung einer Militärdiktatur in einem Mitgliedstaat
- Die rechtliche Einordnung und Analyse von "Teilaustritt" und "Teilmitgliedschaft"
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel I befasst sich mit der Frage, ob ein einseitiger Austritt aus der Europäischen Union vor Einführung des Art. 50 EUV zulässig war. Dabei werden verschiedene Ansätze, insbesondere der "völkerrechtliche" und der "autonome" Ansatz, sowie die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts in seinen Urteilen zum Maastricht- und Lissabon-Vertrag beleuchtet.
- Kapitel II analysiert die Entstehungsgeschichte des Art. 50 EUV und die Hintergründe seiner Einführung durch den Vertrag von Lissabon. Hier werden die Beweggründe für die Einführung des Artikels sowie die Reaktionen von Befürwortern und Kritikern beleuchtet.
- Kapitel III widmet sich der Frage, ob es neben dem in Art. 50 EUV geregelten Verfahren alternative Möglichkeiten eines EU-Austritts gibt. Dazu wird die Anwendbarkeit des Art. 62 WVK neben Art. 50 EUV geprüft, die Auflösung der EU durch einen multilateralen Aufhebungsvertrag diskutiert und die Zulässigkeit eines "Teilaustritts" sowie einer "Teilmitgliedschaft" beleuchtet.
- Kapitel IV untersucht die Reaktionsmöglichkeiten der EU und der Mitgliedstaaten auf die Errichtung einer Militärdiktatur in einem Mitgliedstaat. Dazu werden das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258-260 AEUV, das Verfahren nach Art. 7 EUV und die Möglichkeit eines Ausschlusses aus der EU beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit thematisiert das Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedstaaten und der Europäischen Union im Falle eines Austritts. Schwerpunkte sind die rechtlichen Grundlagen und Verfahren des Austritts, insbesondere die Anwendung des Art. 50 EUV, die Anwendbarkeit des allgemeinen Völkerrechts, die Möglichkeit eines Teilaustritts sowie die Reaktion der EU auf den Austritt eines Mitgliedstaates.
- 1. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258-260 AEUV
- I. Zulässigkeit eines einseitigen Austritts vor Art. 50 EUV
- Arbeit zitieren
- Matthias Weigmann (Autor:in), 2017, Die Europäische Union. Vorstufen der Mitgliedschaft, Beitritt, Formen der Mitgliedschaft und Austritt, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/899799