Ende September 2001 fand in Frankfurt am Main eine internationale Konferenz zu Michel Foucaults Werk statt, die sich um eine „Zwischenbilanz einer Rezeption“ bemühte. An der vom Institut für Sozialforschung organisierten Veranstaltung nahm auch die US-amerikanische Theoretikerin Nancy Fraser teil und sprach über eine Analytik der Politik in Foucaults Schriften. Dabei vertrat sie die These, dass man das Werk des französischen Genealogen aus einer gegenwärtigen Situation heraus selbst historisieren und als Ausdruck einer Zeit begreifen müsse, die der jetzigen politischen Situation als vergangen angehöre. Neue Techniken der sozialen Integration, so Fraser, hätten sich entwickelt, die mit dem theoretischen Instrumentarium der Foucaultschen Reflexion der 70er Jahre nicht mehr zu fassen seien.
Muss man also den theoretischen und methodischen Rahmen des Foucaultschen Werkes verlassen und sich anderen Ansätzen zuwenden, um Aussagen über eine gegenwärtige Politik und ihre Spezifika zu gewinnen? Oder müssen vielmehr gängige Interpretationen des Faucaultschen Werkes überdacht werden, weil sie den Blick auf das innovative Potential der Schriften verdecken, das durchaus auf aktuelle politische Fragen Bezug nimmt?
Letztere Möglichkeit wird in dieser Arbeit aufgezeigt und dazu Michel Foucaults Werk aus einer veränderten Perspektive beleuchtet. Der Begriff der Gouvernementalité, den Foucault während seiner weitgehend unveröffentlichten Vorlesungen am Collège de France 1978 und 1979 im Ansatz entwickelte, soll dazu in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt werden. Denn dieser eröffnet die Möglichkeit, so die These der vorliegenden Arbeit, die theoretischen und methodischen Implikationen des Werkes für eine Analyse gegenwärtiger politischer Prozesse nutzbar zu machen. Der Begriff der Gouvernementalité stellt, so wird gezeigt, einen Kristallisationspunkt der heterogenen Forschungen und methodischen Anläufe Foucaults dar und integriert sie in einem analytischen Konzept. Dadurch werden die wichtigsten Grundkategorien der Foucaultschen Schriften wie Wissen, Macht und Subjekt, in einem Komplex zusammengeführt und auf eine aktuelle Analyse des Politischen angewendet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Teil I Foucaults theoretisches und methodisches Instrumentarium
- Das Problem der Problematisierung - von der Archäologie zur Genealogie
- Die Methode der Archäologie
- Die Archäologie des Schweigens
- Die Produktivität des Wissens
- Diskursive Regelhaftigkeit als produktive Kraft
- Die Methode der Genealogie
- Diskurs und negative Macht
- Genealogie und Nietzsche
- Die Produktivität der Macht
- Die Mikrophysik der Macht und Disziplinierung des individuellen Körpers
- Biomacht und Normierung der Gesellschaft
- Macht, Wissen und Dispositiv
- Probleme der Analytik der Macht
- Problematisierung des Subjekts und Integration der Freiheit
- Problematisierung der äußeren Subjektkonstitution
- Nicht-diskursive Praktiken der Subjektivierung
- Diskursive Praktiken der Subjektivierung
- Das Subjekt als Produkt des Selbst
- Ethische Selbstkonstitution und Politik
- Trennung von Ethik und Politik
- Die Pastoralmacht
- Subjektivierung zwischen Selbstkonstitution und Macht
- Von der Macht zur Gouvernementalité
- Der Begriff der Führung
- Perspektivenwechsel zur Gouvernementalité
- Teil II - Der Begriff der Gouvernementalité
- Gouvernementalité – Problematisierung des Politischen
- Genealogie der Gouvernementalité
- Staatsräson und Polizei
- Der Liberalismus
- Die Problematisierung des Sozialen
- Methodologisch theoretische Implikationen der Gouvernementalité.
- Singularisierung und anonyme Netzwerke
- Politische Rationalität
- Produktivität der politischen Rationalität.
- Abgrenzung und Anwendung der Methode der Gouvernementalité.
- Teil III -Anwendung der gouvernementalen Analytik auf die Gegenwart
- Problematisierung der politischen Gegenwart
- Anonyme Netzwerke gegenwärtiger Problematisierung
- Der ökonomische Diskurs
- Der Diskurs sozialer Bewegungen
- Politische Rationalität der Gegenwart
- Das gouvernementale Subjekt
- Konstituierung der Freiheit
- Erkenntnisgewinn der Analyse der gouvernementalen Gegenwart
- Das Konzept der Gouvernementalité als kritische Analytik?
- Genealogie der Gouvernementalité: Die Entwicklung des Begriffs von Staatsräson und Polizei bis hin zur Problematisierung des Sozialen.
- Methodologisch-theoretische Implikationen: Singularisierung und anonyme Netzwerke, politische Rationalität und die Produktivität des Wissens.
- Anonyme Netzwerke gegenwärtiger Problematisierung: Der ökonomische Diskurs, der Diskurs sozialer Bewegungen und die Herausforderungen der Globalisierung.
- Politische Rationalität der Gegenwart: Die Konstituierung der Freiheit, das gouvernementale Subjekt und die kritische Analyse der gegenwärtigen politischen Prozesse.
- Das Konzept der Gouvernementalité als kritische Analytik: Eine Auseinandersetzung mit den Grenzen und Möglichkeiten der Foucaultschen Analyse für die Gegenwart.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Michel Foucaults Begriff der Gouvernementalité, der als Instrument zur kritischen Analyse gegenwärtiger politischer Prozesse dienen soll. Ziel ist es, die theoretischen und methodischen Implikationen von Foucaults Werk für eine Analyse der heutigen politischen Situation nutzbar zu machen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil beleuchtet Foucaults theoretisches und methodisches Instrumentarium, wobei insbesondere die Konzepte der Archäologie, Genealogie und der Produktivität der Macht im Fokus stehen. Der zweite Teil behandelt den Begriff der Gouvernementalité und zeigt dessen Entstehung und Relevanz für eine Analyse des Politischen auf. Im dritten Teil werden die Erkenntnisse aus den vorhergehenden Teilen auf die Gegenwart angewendet, um aktuelle politische Prozesse und Herausforderungen aus einer gouvernementalen Perspektive zu betrachten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Foucaultschen Forschung wie Wissen, Macht, Subjekt und Dispositiv. Besonderer Fokus liegt auf der Entwicklung und Anwendung des Begriffs der Gouvernementalité als Analyseinstrument für gegenwärtige politische Prozesse. Weitere wichtige Stichworte sind: Genealogie, Archäologie, Biomacht, Disziplinierung, Normierung, politische Rationalität, anonyme Netzwerke, Globalisierung und kritische Theorie.
- Quote paper
- Daniel Poli (Author), 2002, Michel Foucaults Begriff der Gouvernementalité, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/8662