Als Great Expectations im Dezember 1860 in Charles Dickens’ Zeitschrift All the Year Round zu erscheinen begann, befand sich Dickens in seinem achtundvierzigsten Lebensjahr und hatte bereits zwölf Romane veröffentlicht. Für viele seiner Biographen ist der Umstand, dass in Great Expectations ein abgeklärter Mann in den mittleren Jahren als Ich-Erzähler die Erlebnisse seiner Kindheit und Jugendjahre rekapituliert, ein Hinweis darauf, dass Dickens mit dem Roman versuchte, seine eigene Kindheit zu verarbeiten. Die ungefähre Übereinstimmung der Lebensdaten Pips und der von Dickens sowie der Umstand, dass der Roman zum Teil offenbar in den Städten Chatham und Rochester in Kent spielt, wo Dickens aufgewachsen war, lässt viele Kritiker davon ausgehen, dass Great Expectations zumindest bis zu einem gewissen Grad autobiographisch angelegt ist.1
Im Roman wird eine Zeitspanne von etwa siebzehn Jahren abgedeckt; die Haupthandlung lässt sich zwischen 1812 und 1829 einordnen. Zwischen den Jahren, die im Roman behandelt werden und den Veröffentlichungsjahren 1860/61 fanden in Großbritannien Zeiten der politischen Unruhen, Sozial- und Legislativreformen, finanzielle und landwirtschaftliche Krisen, eine sich verstärkende Industrialisierung, eine nie zuvor gekannte Bevölkerungsexplosion und eine rapide Urbanisierung statt. All diese Ereignisse verwandelten die stagecoach world des Jungen Pip in das technologisch fortgeschrittene, kapitalistische und imperialistische England der 1860er. Es bleibt festzuhalten, dass die Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Zeit relativen Wohlstands, politischer Ruhe und des Fortschrittsglaubens wurde. Die Mitglieder der Mittelschicht erkannten ihren wachsenden Einfluss auf die Gesellschaft, ihre Moralkonzeptionen weiteten sich auf andere Klassen aus und sie waren sicher, dass die schlimmste Zeit hinter ihnen lag.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Erste Etappe: Pips Suche nach dem Ich
- 2.1. Kindheit: Unschuldig schuldig
- 2.2. Die Ambitionen erwachen
- 3. Zweite Etappe: Aufstieg zum Gentleman und Sinnkrise
- 3.1. Entfernung vom Ich: Pip, der Snob?
- 3.2. Fremdbestimmung und Liebe
- 4. Dritte Etappe: Neuorientierung und Rückkehr
- 5. Die zwei Romanenden
- 6. Schlussbetrachtung: Great Expectations, ein moralisches Märchen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entwicklung des Protagonisten Pip in Charles Dickens' Roman Great Expectations. Sie verfolgt den moralischen und gesellschaftlichen Aufstieg des jungen Mannes, der durch seine erwachenden „Erwartungen“ von seiner ursprünglichen Umgebung entfernt wird, später jedoch wieder zu seinen Wurzeln zurückfindet. Die Arbeit analysiert die Schuldfrage, die mit Pips Entscheidungen verbunden ist, und beleuchtet das von Dickens vertretene Ideal eines Gentleman.
- Sozialer Aufstieg und Absturz
- Moralische Entwicklung des Protagonisten
- Das Konzept des „Gentleman“ bei Dickens
- Die Bedeutung von Kindheit und Herkunft
- Die Rolle von „Erwartungen“ und Illusionen
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 führt den Leser in Pips Kindheit ein und präsentiert seine ersten Erfahrungen mit der Welt. Durch die Darstellung der isolierten Umgebung und der Begegnung mit dem Sträfling Magwitch wird der Grundstein für Pips spätere moralische Entwicklung gelegt.
Kapitel 2 behandelt Pips Begegnung mit Miss Havisham und Estella, die seine Sehnsucht nach einer höheren gesellschaftlichen Stellung weckt. Die Begegnung mit Miss Havisham prägt Pips Wunsch nach Reichtum und sozialen Aufstieg. Estella verkörpert für ihn das Idealbild einer Dame, das er zu erreichen versucht.
Kapitel 3 beschreibt die Entwicklung von Pips „Erwartungen“ und die Veränderung seiner Persönlichkeit. Durch den Erhalt eines unbekannten Erbes wird Pip in die Welt der Oberschicht eingeführt. Er beginnt, seinen bisherigen Lebensweg und seine Beziehungen zu seinen Freunden zu verachten. Der Abschnitt beleuchtet die Folgen der „Erwartungen“ auf Pips moralische Werte und zeigt die Herausforderungen der Integration in eine neue soziale Schicht.
Kapitel 4 analysiert die Auswirkungen von Pips „Erwartungen“ auf seine Beziehungen zu seinen Freunden und Familie. Der Fokus liegt auf seiner Distanzierung von Joe und Mrs. Gargery, die durch seine gesellschaftliche Promotion ausgelöst wird. Das Kapitel beleuchtet die Folgen von Pips falschem Selbstbild und die tragischen Konsequenzen seines Strebens nach Status und Reichtum.
Kapitel 5 befasst sich mit der entscheidenden Begegnung zwischen Pip und Magwitch. Das Kapitel führt zu einer wichtigen Erkenntnis über die wahre Identität seines Gönners und den Ursprung seiner „Erwartungen“. Der Abschnitt zeigt Pips innere Zerrissenheit zwischen seiner Verpflichtung gegenüber Magwitch und seinen neuen gesellschaftlichen Ansprüchen.
Schlüsselwörter
Great Expectations, Charles Dickens, Bildungsroman, Sozialer Aufstieg, Moral, Schuld, Gentleman-Ideal, Kindheit, Herkunft, Erwartungen, Illusionen, Klasse, Gesellschaft, soziale Mobilität, Liebe, Beziehungen, Freundschaft, Familie.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2006, Gesellschaftlicher Aufstieg und Sinnkrise in Charles Dickens’ "Great Expectations", Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/80752