Die ›Anmerkungen übers Theater‹ von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) zählen zu den eigenwilligsten und zugleich auch wichtigsten Schriften, die sich in der deutschen Literatur mit der Theorie der Dichtung und mit der ästhetischen Reflexion einer Gattung, des Dramas, beschäftigt haben. Die erste, kürzere Fassung der ›Anmerkungen‹, beginnend wohl im Winter 1771/72, schrieb Lenz für die "Société de Philosophie et Belles Lettres" in Straßburg und wurde seitdem von ihm mehrfach überarbeitet und ergänzt. Unterstützt durch Goethe veröffentlichte er sie schließlich 1774, zusammen mit einer Übertragung von Shakespeares Komödie "Love´s Labour´s Lost" im Anhang unter dem Titel "Amor vincit omnia".
Allerdings fallen die als eine der wichtigsten dramentheoretischen Schriften anzusehenden ›Anmerkungen übers Theater‹ bereits bei der Art der Darbietung ganz aus dem Rahmen des Gewohnten. Inhalt, das methodische und gedankliche Verfahren, der Stil und die Sprechweise der ›Anmerkungen‹ werfen Fragen auf. Nicht in logisch-systematisch gegliederte Sinnabschnitte oder Paragraphen, die einen übersichtlichen Aufbau und klare Grundthesen erkennen ließen, teilt Lenz seinen Text auf, sondern "rhapsodienweis" , scheinbar nur assoziativ miteinander verknüpft trägt er seinen Thesen vor. Diese scheinen mehr affektiv hingeworfen als systematisch entwickelt. Jedoch bieten die >Anmerkungen< eine Vielzahl dramentheoretischer Überlegungen, die trotz der kühnen Bilder, oftmals elliptischen Sätze und sprunghaften Gedankenführung ein zusammenhängendes Ganzes ergeben.
Auf der inhaltlichen Ebene belegen die schweren Angriffe gegen Positionen aufgeklärter Dichtungstheorie die Entschlossenheit von Lenz, zeitgemäßere Darstellungsformen der Dramatik zu finden. Mit Sarkasmus und Selbstironie greift er entschieden die Grundfesten der Dramentradition an. Diesen offensiven Anspruch unterstreicht die Konzeption der ›Anmerkungen‹. Denn entschieden unterläuft Lenz die bis dahin gängigen und erwarteten Regeln der aufgeklärten-theoretischen Programmschrift.
Beeindruckt von Goethe und Herder bedient er sich auch in seiner dramentheoretischen Schrift deren Sprache und Gedanken, ist sich dessen aber bewusst und weist auch darauf hin. Auf verwirrende Weise stellt sich seine Theorie des neuen Dramas an die Seite von Goethe und Herder, wendet sich zugleich aber von ihnen ab.
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Inhaltsverzeichnis
- I. Vorbemerkung
- II. Inhalt
- 1. Erster Abschnitt: Historischer Überblick
- 2. Zweiter Abschnitt: Das Wesen des Dramas
- 3. Dritter Abschnitt: Die Theorie der drei Einheiten im Drama
- 4. Vierter Abschnitt: Die poetische Praxis der Gegenwart
- 5. Fünfter Abschnitt: Nachträge und Schlussbemerkung
- III. Das Lenz-Bild in „Dichtung und Wahrheit“ und die nachfolgende Lenz-Forschung
- IV. Shakespeare als Ideal
- V. Die Anmerkungen übers Theater - ein Dokument der Shakespearomanie?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht Jakob Michael Reinhold Lenz’ „Anmerkungen übers Theater“ (1774) als ein zentrales Werk des Sturm und Drang und analysiert seine dramentheoretischen Aussagen im Kontext der Zeit.
- Kritik an der aufgeklärten Dramentheorie
- Das Wesen des Dramas und die Rolle der drei Einheiten
- Shakespeare als Idealbild
- Der Einfluss von Goethe und Herder
- Die „Anmerkungen übers Theater“ als Ausdruck der Shakespearomanie
Zusammenfassung der Kapitel
I. Vorbemerkung
Die „Anmerkungen übers Theater“ von Jakob Michael Reinhold Lenz werden als eigenwillige und wichtige Schrift zur Dramentheorie in der deutschen Literatur vorgestellt. Die Entstehung und Entwicklung der „Anmerkungen“ werden skizziert, wobei die Rolle Goethes bei der Veröffentlichung betont wird. Lenz’ Stil und Schreibweise, die vom Gewohnten abweichen, werden als „rhapsodienweise“ und assoziativ beschrieben. Trotz des scheinbar sprunghaften Charakters der „Anmerkungen“ wird die Einheitlichkeit der dramentheoretischen Überlegungen hervorgehoben.
II. Inhalt
Die „Anmerkungen übers Theater“ werden in fünf Abschnitte gegliedert, wobei sich die Zusammenfassung auf die wichtigsten inhaltlichen Aspekte konzentriert. Der historische Überblick beginnt mit der Feststellung des Wertes des Theaters und führt den Leser durch eine Schnellreise durch die Theatergeschichte von den Griechen bis zur Gegenwart. Die „Anmerkungen“ selbst werden als eine zusammengefügte Form von drei mündlichen Vorträgen interpretiert, die Lenz vor der Straßburger Gesellschaft gehalten hat.
1. Erster Abschnitt: Historischer Überblick
Lenz betont den Wert des Theaters und liefert ein umfassendes Panorama der Theatergeschichte. Dieser Überblick erstreckt sich von den Griechen bis zur Gegenwart und beleuchtet die Entwicklung der Bühnen, Autoren, Schauspieler und des Publikums.
- Quote paper
- Stephanie-Lioba Bauer (Author), 2002, Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater (1774), Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/8073