Um 1900 tauchte in der Kinderliteratur ein bis dahin vollkommen außer Acht gelassenes Motiv auf. Die moderne Großstadt, die neuerdings den Alltag vieler Kinder prägte, fand sich nun auch in vielen zeitgenössischen Erzählungen für Kinder wieder. Bis zum Jahre 1933 erschienen zahlreiche solcher Werke. Viele wurden lediglich in geringer Auflage publiziert, nicht öffentlich rezensiert oder erschienen als Fortsetzungsgeschichten in Zeitschriften. Sie wurden in solch beträchtlicher Anzahl auf den Markt gebracht, dass sie heute als Gesamtheit kaum zu erfassen sind. Sie spielten jedoch in der damaligen Kinderliteratur, vor allem zur Zeit der Weimarer Republik, eine Hauptrolle.
Diese Arbeit wird sich also mit den Großstadterzählungen der Weimarer Republik beschäftigen und dabei folgende Fragen aufwerfen:
Wieso entwickelte sich ausgerechnet der Schauplatz Großstadt als so prägnantes Motiv in der Kinderliteratur?
Wie kam es, dass diese Großstadterzählungen, im Gegensatz zu anderer Kinderliteratur früherer Zeit, heute kaum mehr - mit Ausnahme von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ - in den kindlichen Bücherregalen zu finden sind?
Und wieso verschwand eben jenes Motiv mit dem Ende der Weimarer Republik ebenso schnell wieder aus den Kinderbüchern?
Aufgabe wird es hier also sein, die Großstadterzählung in der Kinderliteratur als ein Phänomen ihrer Zeit zu erklären. Dafür wird in einem ersten Schritt die Neue Sachlichkeit als diesbezüglich bedeutende zeitgenössische Strömung näher betrachtet und beschrieben werden. Die Entwicklung der Kinderliteratur hin zur modernen Großstadterzählung soll anschließend thematisiert werden. Besondere Beachtung wird dabei die Jugendschriftenbewegung um Heinrich Wolgast finden, da sie als die einflussreichste Bewegung hinsichtlich einer sich neu herauskristallisierenden Kinderliteratur gesehen werden muss. Darüber hinaus werden zeitgenössiche politische, (reform-)pädagogische und soziale Aspekte herangezogen. Abschließend werden drei solcher Bücher (Carl Dantz: Peter Stoll; Wolf Durian: Kai aus der Kiste; Erich Kästner: Emil und die Detektive) detailiert untersucht und verglichen.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1. Einleitung
- 2. Die „Neue Sachlichkeit“
- 3. Die Entwicklung von der Kinderliteratur des Kaiserreiches zur Großstadterzählung der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung der Jugendschriftenbewegung
- 3.1 Die Jugendschriftenbewegung
- 3.2 Schmutz- und Schundliteratur
- 3.3 Kinderliterarische Großstadtromane der Weimarer Republik unter Einfluss der Neuen Sachlichkeit im Diskurs der Zeit
- 4. Kindheit im Spiegel der Zeit
- 4.1 Lebensumstände und Alltag von Kindern in der Weimarer Republik
- 4.2 Reformpädagogische Einflüsse der Zeit
- 4.2.1 verschiedene Bewegungen
- 4.2.2 Die Pädagogik vom Kinde aus
- 5. Drei kinderliterarische Großstadterzählungen der Neuen Sachlichkeit
- 5.1 Carl Dantz: „Peter Stoll. Ein Kinderleben“
- 5.1.1 Inhalt und Allgemeines „Peter Stoll“
- 5.1.2 Der Autor Carl Dantz
- 5.1.3 Bezug zur Neuen Sachlichkeit
- 5.1.4 „Peter Stoll“ im Echo der Zeit
- 5.2 Wolf Durian: „Kai aus der Kiste“
- 5.2.1 Inhalt und Allgemeines zu „Kai aus der Kiste“
- 5.2.2 Der Autor Wolf Durian
- 5.2.3 Bezug zur Neuen Sachlichkeit
- 5.2.4 „Kai aus der Kiste“ im Echo der Zeit
- 5.3 Erich Kästner: „Emil und die Detektive“
- 5.3.1 Inhalt und Allgemeines zu „Emil und die Detektive“
- 5.3.2 Der Autor Erich Kästner
- 5.3.3 Bezug zur Neuen Sachlichkeit
- 5.3.4 „Emil und die Detektive“ im Echo der Zeit
- 5.4 Kurzer Vergleich der drei Bücher
- 5.1 Carl Dantz: „Peter Stoll. Ein Kinderleben“
- 6. Kinderliteratur nach 1933
- 7. Die Großstadterzählungen der Neuen Sachlichkeit aus heutiger Sicht
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit Kinderbüchern der „Neuen Sachlichkeit“ und untersucht ihre Relevanz im Kontext der heutigen Kindheit. Sie untersucht, warum die Großstadt als Schauplatz in der Kinderliteratur der Weimarer Republik so bedeutend war und warum diese Werke heute größtenteils in Vergessenheit geraten sind, mit Ausnahme von Erich Kästners „Emil und die Detektive“. Die Arbeit beleuchtet die Entstehungsgeschichte dieser Literatur und ihre Verbindung zu gesellschaftlichen, pädagogischen, politischen und literarischen Bedingungen der Zeit.
- Die Entwicklung der Kinderliteratur von der Zeit des Kaiserreichs zur Großstadterzählung der Weimarer Republik
- Die „Neue Sachlichkeit“ als literarische Strömung und ihre Bedeutung für die Kinderliteratur
- Kindheit in der Weimarer Republik: Lebensumstände, Alltagsrealitäten und reformenpädagogische Einflüsse
- Analyse von drei kinderliterarischen Großstadterzählungen der „Neuen Sachlichkeit“: „Peter Stoll. Ein Kinderleben“ von Carl Dantz, „Kai aus der Kiste“ von Wolf Durian und „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner
- Die Relevanz der Großstadterzählungen der „Neuen Sachlichkeit“ für die heutige Zeit
Zusammenfassung der Kapitel
Das Vorwort erläutert die Bedeutung des Titels und die Notwendigkeit, die Entstehungsgeschichte der „Neuen Sachlichkeit“ im Kontext der Weimarer Republik zu betrachten.
Kapitel 1 führt in die Thematik ein und stellt die Forschungsfragen vor: Warum wurde die Großstadt zum prägnanten Motiv in der Kinderliteratur der Weimarer Republik, warum sind diese Werke heute kaum noch bekannt, und wieso verschwand das Motiv mit dem Ende der Weimarer Republik?
Kapitel 2 beschäftigt sich mit der „Neuen Sachlichkeit“ als literarischer Strömung.
Kapitel 3 betrachtet die Entwicklung der Kinderliteratur von der Zeit des Kaiserreichs zur Großstadterzählung der Weimarer Republik unter Berücksichtigung der Jugendschriftenbewegung, der Schmutz- und Schundliteratur und der Einflüsse der „Neuen Sachlichkeit“.
Kapitel 4 befasst sich mit den Lebensumständen und dem Alltag von Kindern in der Weimarer Republik sowie den reformenpädagogischen Einflüssen der Zeit.
Kapitel 5 analysiert drei kinderliterarische Großstadterzählungen der „Neuen Sachlichkeit“: „Peter Stoll. Ein Kinderleben“ von Carl Dantz, „Kai aus der Kiste“ von Wolf Durian und „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner.
Kapitel 6 befasst sich mit der Kinderliteratur nach 1933.
Kapitel 7 untersucht die Relevanz der Großstadterzählungen der „Neuen Sachlichkeit“ für die heutige Zeit.
Schlüsselwörter
Kinderliteratur, Neue Sachlichkeit, Großstadterzählung, Weimarer Republik, Kindheit, Jugendschriftenbewegung, Schmutz- und Schundliteratur, Reformpädagogik, Carl Dantz, Wolf Durian, Erich Kästner, Peter Stoll, Kai aus der Kiste, Emil und die Detektive.
- Quote paper
- Ingo Schultz (Author), 2005, Kinderbücher der Neuen Sachlichkeit im Horizont von Kindheit heute, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/67527