„1906 in einem Café Unter den Linden betrachtete ich die gedrängte Menge bürgerlichen Publikums. Ich fand sie laut, ohne Würde, ihre herausfordernden Manieren verrieten mir ihre geheime Feigheit. Sie stürzten massig an die breiten Fensterscheiben, als draußen der Kaiser ritt. Er hatte die Haltung eines bequemen Triumphators. Wenn er gegrüßt wurde, lächelte er – weniger streng als mit leichtsinniger Nichtachtung. Mit diesen Worten beschreibt Heinrich Mann in seinen Memoiren „Ein Zeitalter wird besichtigt“ rückblickend jenes Erlebnis, das ihn zum Beginn seiner Arbeiten am „Untertan“ veranlasste. Neben dieser Menschenmenge, die dem Kaiser euphorisch zujubelte, spielte wohl ein weiteres Geschehen an jenem Tage eine herausragende Rolle: „Ein Arbeiter wurde aus dem Lokal verwiesen. Ihm war der absonderliche Einfall gekommen, als könnte auch er, für dasselbe billige Geld wie die anders Gekleideten, hier seinen Kaffee genießen Obwohl der Mann keine Gegenwehr leistete, fanden der Geschäftsführer und die Kellner lange ihr Genüge nicht, bis der peinliche Zwischenfall aus der Welt war. Nach den gesammelten Eindrücken bedurfte es aber noch sechs Jahre bis Heinrich Mann „reif für den ‚Untertan’ war. Gerade aber das Bürgertum würde im Mittelpunkt des entstehenden Romans in Form einer Untertanenkarriere stehen. In seinen Memoiren charakterisierte der Schriftsteller sein Werk als „Roman des Bürgertums im Zeitalter Wilhelms des Zweiten. Ursprünglich war sogar der provozierende Romantitel „Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.“ in Betracht gezogen worden, ob er aus Gründen der Zensur verändert wurde, ist bis heute unklar.
Vom Charakter des Romanhelden scheint Heinrich Mann schon sehr bald eine genaue Vorstellung gehabt zu haben, denn er beschrieb ihn 1906/07 bereits recht umfassend in seinem Notizbuch: „[D]ieser widerwärtig interessante Typus des imperialistischen Untertanen, Chauvinisten ohne Mitverantwortung, des in der Masse verschwindenden Machtanbeters, des Autoritätsgläubigen wider besseren Wissens und politischen Selbstkasteiers.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Sozialisierung des autoritären Charakters
- Diederich Heßlings Erziehung durch den Vater
- Die Sozialisierung durch die Schule
- Kooperation und Militärdienst
- Ideologie des Untertanen
- Diederich Heßling - Untertan und Tyrann
- Diederich Heßling und Wilhelm II.
- Diederich Heßling und die politische Macht
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ und untersucht die Kritik des Autors an der wilhelminischen Gesellschaft am Beispiel des Protagonisten Diederich Heßling.
- Die Sozialisation des autoritären Charakters von Diederich Heßling
- Die Darstellung der Untertanenmentalität und deren Folgen für das Individuum
- Die Kritik an den Institutionen der wilhelminischen Gesellschaft (Familie, Schule, Militär)
- Das Verhältnis von Macht und Untertan im wilhelminischen Deutschland
- Die satirische Darstellung des Bürgertums in der Zeit Wilhelms II.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung skizziert den Entstehungshintergrund des Romans und beleuchtet Heinrich Manns persönliche Motivation für die satirische Auseinandersetzung mit dem wilhelminischen Bürgertum. Der Fokus liegt dabei auf dem Erlebnis Manns mit einer euphorischen Menge, die dem Kaiser zujubelt, und der erniedrigenden Behandlung eines Arbeiters im selben Café.
Das zweite Kapitel analysiert die Sozialisierung von Diederich Heßling als Resultat der autoritären Strukturen der wilhelminischen Gesellschaft. Dabei werden die prägenden Einflüsse des Vaters, der Schule, der Burschenschaft und des Militärs auf die Entwicklung des Protagonisten beleuchtet.
Im dritten Kapitel wird Diederich Heßling als erwachsener Untertan und Tyrann vorgestellt. Seine Unterwürfigkeit gegenüber Wilhelm II. und sein Streben nach Macht werden in ihrer negativen Auswirkung auf die Gesellschaft analysiert.
Schlüsselwörter
Heinrich Mann, Der Untertan, Wilhelminismus, Bürgertum, Untertanenmentalität, Autorität, Macht, Sozialisation, Satire, Kritik, Wilhelm II.
- Quote paper
- Philipp Gaier (Author), 2006, Heinrich Manns Kritik an der wilhelminischen Gesellschaft am Beispiel Diederich Heßling, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/65059