In dieser Seminararbeit werden der Higgsmechanismus, sowie Wechselwirkungen des Higgs-Bosons und die Theorie des Vacuumdecays behandelt und anschaulich dargestellt.
Ein Einstieg wird durch einen Vergleich mit der altgriechischer Philosophie geboten, die bereits Grundideen der später entwickelten Theorie beinhaltet. Schließlich wird ein geschichtlicher Abriss über die Entwicklungsgeschichte des Standardmodells und Vorgängertheorien gegeben, sowie deren Schwächen und Widersprüche aufgezeigt. Der Higgsmechanismus wird anhand einer Analogie veranschaulicht und beschrieben.
Anschließend werden Zerfallskanäle des Higgs-Bosons angegeben und seine Entdeckung erläutert. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die Zukunft des Universums aus Sicht der Theorie des Vakuumzerfalls, die veranschaulicht wird und deren mögliche Auswirkungen aufgezeigt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Rückblick auf altgriechische Philosophie
2. Geschichte der Feldtheorien bis hin zum Standardmodell
2.1. Maxwell
2.2. Vereinigung von QED, QCD und schwacher Wechselwirkung
2.3. Problemvorhersagen des Standardmodells
2.3.1. Chiralität
2.3.2. Masse der Vektorbosonen W+, W- und Z
2.3.3. Masse der Fermionen
3. Der Higgsmechanismus
3.1. Eine Analogie
3.2. Beschreibung der Idee
4. Anregung des Higgsfeldes – Das Higgs-Boson
4.1. Zerfälle des Higgs-Bosons undNachweis am LHC
4.2. Wissenschaftliche Ehrungen der Pioniere
5. Higgspotential und Vacuumdecay – Ein Ausblick auf die Zukunft des Universums?
6. Literaturverzeichnis
7. Abbildungsverzeichnis
8. Seminararbeit und verwendete Quellen auf CD
9. Erklärung
1. Rückblick auf altgriechische Philosophie
Schon im antiken Griechenland suchte man seit jeher nach dem „Urstoff“ der Welt; die Substanz, auf die alles, ob nun Wasser, Natur, Erde, Tiere und auch Menschen, gründet. Aufgrund fehlenden technischen Fortschritts waren die Naturphilosophen gezwungen, sich allein auf ihre Beobachtungen und ihre Geisteskraft zu verlassen. Einige von ihnen kamen dem heutigen Stand der Wissenschaft erstaunlich nahe: So ersann sich Demokrit das Konzept der átomos, Teilchen, die unfassbar klein und selbst nicht mehr teilbar sind. Von diesen leitet sich das Wort Atom ab1, welches den meisten Menschen ein Begriff sein sollte.
Doch mit der sokratischen Wende gingen die Philosophen dazu über, sich nicht mehr die Natur, sondern die Beschaffenheit des menschlichen Geistes, die Moral und auch die Wahrheit zu ergründen. Einer der Schüler Sokrates‘, Platon, entwickelte mit seinem berühmten Höhlengleichnis ein Konzept von Scheinwahrheiten und tatsächlicher Wahrheit; die Welt wird nur durch unsere beschränkten Sinne und Geisteskräfte wahrgenommen, doch die eigentliche Welt liegt hinter alldem, hinter dem Schleier unserer Wahrnehmung2. Paradoxerweise ist genau diese Ansicht, es gäbe noch etwas hinter dem, was wir sehen, einer der wichtigsten Ideen, der man der Suche nach den Teilchen auf den Weg mitgeben konnte, und sie entspricht stark einem heutigen Konzept: Felder.
2. Geschichte der Feldtheorien bis hin zum Standardmodell
Um bis auf den heutigen Stand der Entwicklung zu kommen, hatte die moderne Elementarteilchenphysik einen langen Werdegang zu beschreiten. Als einen der bedeutendsten Schritte werden die Ideen des schottischen Physikers J.C. Maxwell im 19. Jahrhundert gewertet3.
2.1. Maxwell
Bis James Clerk Maxwell die Bühne der Physik betrat, waren die bekannten Phänomene der Natur namens Elektrizität und Magnetismus zumindest in der theoretischen Physik noch vollkommen voneinander getrennt. Als jedoch nach Experimenten immer deutlicher wurde, dass eines der beiden Phänomene auch das jeweils andere hervorrufen konnte (Induktion von Strom durch Magnetfelder, Erzeugung von Magnetfeldern um stromdurchflossene Leiter), wurde mit der Zeit immer deutlicher, dass die beiden Phänomene in Verbindung stehen müssen. In seinen 1855 und 1856 erschienenen Arbeiten beschreibt Maxwell den sogenannten Elektromagnetismus. In ihm stellen sich Magnetismus und Elektrizität als zwei Seiten derselben Medaille dar. Der Elektromagnetismus ist eine Wechselwirkung, die zwischen elektrisch geladenen Objekten besteht und über ein elektromagnetisches Feld vermittelt wird. Information und Energie werden in dieser Feldtheorie von Wellen übermittelt, von da an auch als elektromagnetische Wellen bekannt. Berechnungen über die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen ergaben, dass sie sich mit Lichtgeschwindigkeit im Raum bewegen. Damit konnte das zuvor bereits bekannte masselose Photon als „Austauschteilchen“ jener neuartigen Wechselwirkung identifiziert werden4.
Die von der Theorie ausgehenden mathematischen Beschreibungen, die Maxwell-Gleichungen, konnten über die Jahre hinweg immer weiter komprimiert5 und an neue Entdeckungen angepasst, jedoch nie widerlegt werden: Maxwells Feldtheorie wurde im Zuge der zweiten Quantisierung in der Physik zu einer quantisierten Feldtheorie weiterentwickelt. Ebenso überstand die Theorie die Miteinbeziehung der Speziellen Relativitätstheorie; sie brachte eine relativistische Quantenfeldtheorie6, die sogenannte Quantenelektrodynamik (QED), hervor, welche sich bis heute bewährt hat7.
2.2. Vereinigung von QED, QCD und schwacher Wechselwirkung
Die Weiterentwicklung der Maxwellschen Theorie hatte jedoch noch nicht sein Ende gefunden. Die auf den von Wolfgang Pauli im Jahre 1930 beschriebenen Neutronenzerfall in Proton, Elektron und Anti-Neutrino8 folgende Entwicklung des Konzepts der schwachen Wechselwirkung stellte einen erneuten Anreiz für eine Vereinheitlichung bisher getrennter Theorien dar, da bei beiden Theorien, Quantenelektrodynamik und schwacher Wechselwirkung, Austauschteilchen auftreten, die formal ähnlich behandelt werden können. Sheldon Glashow, Steven Weinberg und Abdus Salam postulierten daraufhin in den 1960er Jahren die elektroschwache Wechselwirkung, 1979 erhielten sie dafür den Nobelpreis in Physik9. Diese vereinheitlichte Theorie ergab jedoch zuerst noch einige Probleme (vgl. 2.3.). Zusammen mit der kompatiblen Quantenchromodynamik (QCD), welche die starke Wechselwirkung beschreibt, bildet sie das heute gängige Standardmodell der Elementarteilchenphysik 10. Die Vorhersagen dieser Theorie waren hochpräzise und wurden experimentell bestätigt11.
2.3. Problemvorhersagen des Standardmodells
Trotz all der Erfolge, die die neue Theorie vorzuweisen hat, ergeben sich bei der Betrachtung realer Messergebnisse neue Unstimmigkeiten:
2.3.1. Chiralität
Teilchen besitzen eine Eigenschaft, die als Chiralität bezeichnet wird. Sie beschreibt in etwa, wie Teilchen mit einer bestimmten Drehrichtung wechselwirken12. So zeigt sich nach Versuchen, dass betastrahlende Cobaltkerne Elektronen bevorzugt nur in eine Achsrichtung emittieren, sie sind „linkshändig“, wohingegen die dazugehörigen Anti-Neutrinos in die Gegenrichtung ausgesandt werden, jene sind „rechtshändig“13. Wie sich später herausstellte, wechselwirken tatsächlich ausschließlich die rechtshändigen Anti-Neutrinos und die linkshändigen Neutrinos schwach, für die jeweils anderen Arten von Teilchen sind keine Wechselwirkungen bekannt. Diese Ungleichbehandlung unterschiedlicher Drehrichtungen wird als Verletzung der Paritätsinvarianz bezeichnet14.
Diese Verletzung der Symmetrie zweier sonst identischer Teilchen führt zu der Annahme, dass rechtshändige Teilchen im Gegensatz zu den linkshändigen keinen Isospin, d.h. keine „schwache Ladung“ tragen. Um jenes Problem zu beheben, wurde eine Art „Notlösung“ in die Theorie eingebaut: Linkshändige Fermionen und rechtshändige Anti-Fermionen werden in sogenannte Dupletts (zwei in einer Gruppe), rechtshändige Fermionen und linkshändige Anti-Fermionen dagegen in Singuletts (jedes in einer eigenen Gruppe) eingewiesen. Letztere können nicht über Eichtransformationen in andere Teilchen umgewandelt werden, was praktisch bedeutet, dass sie nicht schwach wechselwirken15.
2.3.2. Masse der Vektorbosonen W+, W- und Z[0]
Die Terme, die die Eigenschaften der Vektorbosonen beschreiben, sollten eichinvariant sein, d.h. nach Eichtransformationen (= Wechselwirkungen) noch dieselben Werte liefern, da sonst Erhaltungssätze, wie etwa die Erhaltung der Farb-, Hyper- oder elektrischen Ladung, gebrochen würden16. Jedoch leitet sich aus der Theorie her, dass Massenterme in jenen Termen eingebaut sein müssen und die Eichinvarianz für Teilchen mit Massen größer Null nicht mehr gegeben ist. Dies lässt sich damit erklären, dass der Ursprung der Quantenfeldtheorien bis auf Maxwells recht einfaches Modell mit elektrischer Ladung und masselosen Photonen als Austauschteilchen zurückgeht. Davon hat man auf theoretischer Basis das Standardmodell mit zusätzlichen Ladungen und Austauschteilchen abgeleitet. Wie sich jedoch herausstellte, haben die Vektorbosonen der schwachen Wechselwirkung eine nicht insignifikante Masse. Diese Tatsache zusammen mit der gebrochenen Eichinvarianz lässt schließen, dass jene Vektorbosonen selbst nicht als Austauschteilchen fungieren, beziehungsweise selbst grundsätzlich nicht schwach wechselwirken könnten. Somit widerspricht die Theorie den Wechselwirkungen der massiven Vektorbosonen W+, W- und Z[0]17.
2.3.3. Masse der Fermionen
Die linkshändigen Fermionen des Standardmodells sind in sogenannte Dupletts eingeteilt. Nach einer Eichtransformation werden diese mathematischen Platzhalter in manchen Eigenschaften verändert und somit in das komplementäre Teilchen umgewandelt (z. B. e- → νe) (eigentlich wird das Feld des Teilchens in das Feld des Komplementärteilchens umgewandelt, doch der Verständlichkeit wegen, wird dies hier vereinfacht)18. Diese Transformationen betreffen aber nicht die in den zugrundeliegenden Theorien außer Acht gelassene Masse, sodass nach einer Wechselwirkung das komplementäre Teilchen mit der Masse des Ausgangsteilchens vorliegen würde. Betrachten wir hierzu den sogenannten Elektroneneinfang von [18]F – Kernen: Ein [18]F – Kern tritt mit einem Elektron in Wechselwirkung; der resultierende [18]O – Kern emittiert ein Neutrino. Im Detail wird ein Up-Quark eines Protons des Flourkerns durch Aufnahme eines W- – Bosons in ein Down-Quark eines Neutrons des Sauerstoffkerns, ein Elektron hingegen durch Abgabe eines W- – Bosons in ein Neutrino überführt19. Nach den Vorhersagen des Standardmodells müssten die komplementären Paare Up-Quark/Down-Quark und Elektron/Neutrino nach der Wechselwirkung zwar mit veränderten Ladungen, nicht aber mit veränderter Masse vorliegen. Da nun aber bekanntermaßen Elektron und Neutrino (bzw. Positron und Anti-Neutrino) nicht dieselben Massen besitzen, müssten die Teilchen in Singuletts eingeteilt werden, sodass sie als getrennt betrachtet werden können. Teilchen in Singuletts können jedoch durch Eichtransformationen nicht ineinander überführt werden. Jene Problematik führt zu einem Entscheidungsparadoxon zwischen beobachtetem wechselwirkendem Verhalten und theoretischer Miteinbeziehung von Massen. Daraus folgt, dass die Massendifferenz zwischen Neutrino und Elektron grundsätzlich dem jungen Standardmodell widerspricht20.
Jene Kernprobleme des Standardmodells widersprechen der Natur und sich selbst auf derartig fundamentale Weise, dass das neue Modell für die Wissenschaft nicht haltbar gewesen wäre. Der grundlegende Widerspruch der Vorhersagen gegen die Massen von Teilchen hätte somit das Ende des Standardmodells bedeutet.
3. Der Higgs-Mechanismus
Um die Errungenschaften des jungen Standardmodells zu erhalten, mussten die auftretenden Probleme „ausgelagert“ werden. Dies geschah mit der Entwicklung des Higgs-Mechanismus‘, der 1964 parallel von drei Forschergruppen erarbeitet wurde: Namentlich von Peter Higgs, von François Englert und Robert Brout und von T. W. B. Kibble, Carl R. Hagen und Gerald Guralnik21.
3.1. Eine Analogie
Das Higgs-Feld kann sich als ein Raum voller Menschen vorgestellt werden: Dicht gedrängt sind sie in ihre Gespräche verwickelt und bewegen sich nicht vom Fleck. Betritt nun aber eine berühmte Persönlichkeit die Örtlichkeit, drängt sich in kürzester Zeit eine Traube von Leuten um die Person. Möchte diese nun zu einem Bekannten am anderen Ende des Raumes, muss sie sich zuerst gegen den Ring aus Menschen drücken, um das Gebilde langsam in Gang zu setzen; dies benötigt Zeit und Energie. Ist sie jedoch in Bewegung, braucht es wiederum Energie, um sie von innen heraus zu bremsen (um Impulserhaltung zu beachten, müsste man dieses Gedankenexperiment ohne einen Boden, von dem man sich abstoßen könnte, durchführen. Dies wird jedoch, der Übersichtlichkeit geschuldet, ignoriert). Die Menschenmenge symbolisiert hierbei das Higgs-Feld, die berühmte Person ein massebehaftetes Teilchen und dessen Berühmtheit die Wechselwirkung mit dem Feld. Der Grad der Berühmtheit kann hierbei als Stärke der Wechselwirkung aufgefasst werden. Jedes Mal, wenn das Teilchen seine Richtung oder Geschwindigkeit verändern will, muss es erst einer Kraft entgegenwirken, der Trägheit. Das allseits bekannte Higgs-Boson stellt in dieser Analogie ein Gerücht dar; jemand flüstert beispielsweise die Vermutung in den Raum, dass gleich eine berühmte Person den Raum betreten wird, doch zum Schutze dieser will derjenige dies nicht zu laut aussprechen. Das Gerücht macht die Runde und wird von Person zu Person weitergegeben. Die Leute drängen sich um die jeweiligen Erzähler doch nur einer in Ausbreitungsrichtung versteht jeweils dessen Inhalt. So pflanzt sich die Traube mit eigener Trägheit um das Gerücht herum fort, ohne dass sich eine berühmte Person dort aufhält. Das Higgs-Boson ist also eine Anregung des Higgs-Feldes und verhält sich analog zu einem normalen Teilchen22.
[...]
1 Vgl. Rudolph 2017
2 vgl. o.V. (a) ohne Erscheinungsdatum
3 vgl. Gaßner 2014, 00:02:06-00:03:04
4 vgl. Freistetter 2015
5 vgl. Gaßner 2014, 00:04:49-00:05:00
6 vgl. Gaßner 2014, 00:03:35-00:05:33
7 vgl. Berger 2014, S. 181
8 vgl. Greiner, Müller 1995, S. 6
9 vgl. o.V. (b) 1979
10 vgl. Berger 2014, S. 411
11 vgl. Gaßner 2014, 00:18:02-00:19:02
12 vgl. Berger 2014, S. 193
13 vgl. Berger 2014, S. 141 i.V.m. Berger 2014, S. 192f
14 vgl. Berger 2014, S. 141
15 vgl. Geiser 2009, Foliensatz 08; Folien 10-19 u. Ebert 1989, S. 116f
16 vgl. Geiser 2009, Foliensatz 04; Folien 6-8
17 vgl. Geiser 2009, Foliensatz 08; Folie 9
18 vgl. Geiser 2009, Foliensatz 10; Folie 21 i.V.m. Geiser 2009, Foliensatz 04; Folien 6-8
19 vgl. o.V. (c) ohne Erscheinungsdatum
20 vgl. Geiser 2009, Foliensatz 08; Folien 18-19
21 Krämer, Plehn 2013, S. 24-25
22 vgl. o.V. (d)
- Quote paper
- Robin Barth (Author), 2018, Higgsmechanismus, Higgsboson und Vucuumdecay, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/469376