Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Themen Mumien, Zerfall und Leichenkonservierung auf wissenschaftlicher Ebene.
„Die Mumie, ist sie tot oder lebendig, menschlich oder unmenschlich?“ Diese Frage stellt sich eine namenlose Stimme aus dem Off im Trailer zum Horrorfilm The Mummy.
Mumien haben und hatten schon immer eine faszinierende Wirkung auf den Menschen. Die schaurigen Wesen aus Film und Fernsehen bewegen sich zwischen Leben und Tod, Vergangenheit und Gegenwart. Sie lassen das Unmögliche möglich werden und brechen auf übernatürliche Weise die Gesetze der Natur. Die Tatsache, dass Mumien im Gegensatz zu fiktiven Wesen wie Werwölfen und Vampiren, in der Realität existieren, nährt zusätzlich die Fantasie der Menschen. Bis heute sind sie Sinnbild für Furcht, Schrecken und üben eine ungeahnte Anziehungskraft auf den Menschen aus. Gedanken an die eigene Vergänglichkeit und den Tod, in Kombination mit Unwissenheit dessen, was nach dem Sterben folgt, sind die perfekte Grundlage für dieses mysteriöse Phänomen. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ließ schon die alten Ägypter ruhelos an Techniken feilen, um gewappnet für das ersehnte Leben im Jenseits zu sein. Sie waren es, die die Konservierung der Verstorbenen perfektionierten und den Mumienmythos mitbegründeten.
Aus Sicht der modernen Forschung sind Mumien einzigartige Archive, die uns wertvolle Informationen liefern und so einen wichtigen Beitrag zum Verständnis über das Leben unserer Vorfahren in vergangenen Zeiten leisten.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Zersetzungsprozesse
1. Autolyse
2. Fäulnis
a) Chemische Vorgänge
b) Spaltung einer Peptidbindung durch Serinproteasen
3. Verwesung
4. Schätzungen zur Liegezeit
5. Zusammenfassung
III... Abhängigkeit der Leichenkonservierung von verschiedenen Faktoren
1. Abhängigkeit der Konservierung von der Temperatur
a) Diagramminterpretation
b) Einfluss der Temperatur am Beispiel von Wüstenmumien
c) Einfluss der Jahreszeit
2. Abhängigkeit der Konservierung von der Luftfeuchtigkeit
3. Abhängigkeit der Konservierung vom Luftzug
4. Abhängigkeit der Konservierung von der Unterlage
5. Abhängigkeit der Konservierung von der Bedeckung
6. Abhängigkeit der Konservierung vom Körpervolumen
7. Abhängigkeit der Konservierung von der Sauerstoffverfügbarkeit
8. Abhängigkeit der Konservierung von der Toxizität
a) Formaldehyd
b) Alkohole
c) Schwermetalle
9. Abhängigkeit der Konservierung vom pH-Wert
10. Abhängigkeit der Konservierung von der Sonneneinstrahlung
11. Zusammenfassung
IV. Natürliche und künstliche Konservierung
V. Vergleich verschiedener Konservierungsverfahren auf der ganzen Welt
1. Mumifizierung im alten Ägypten
a) Religiöser Hintergrund der Mumifizierung
b) Erste Mumifizierungsversuche
c) Ablauf der Mumifizierung
2. Wüstenmumien
3. Salzmumien
4. Moorleichen
a) Gerbprozesse
b) Probleme bei der Bergung einer Leiche
5. Permafrostleichen
a) Der Mann aus dem Eis
b) Fressfeinde
VI. Mumienuntersuchung
1. Denaturierung
2. Primerhybridisierung
3. Polymerisierung
4. Wissenschaftliche Fortschritte
VII. Der aktuellste Stand der Wissenschaft
1. Thanatopraxie
2. Modern Embalming
a) Ablauf
b) Wissenschaftliche Fortschritte
3. Kryonik
a) Probleme bei der Kryokonservierung
b) Der Fall von Anna Bågenholm
c) Kryokonservierung in der Medizin
VIII. Schluss
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
„Die Mumie, ist sie tot oder lebendig, menschlich oder unmenschlich?“ Diese Frage stellt sich eine namenlose Stimme aus dem Off im Trailer zum Horrorfilm The Mummy. Mumien haben und hatten schon immer eine faszinierende Wirkung auf den Menschen. Die schaurigen Wesen aus Film und Fernsehen bewegen sich zwischen Leben und Tod, Vergangenheit und Gegenwart. Sie lassen das Unmögliche möglich werden und brechen auf übernatürliche Weise die Gesetze der Natur. Eines der besten Beispiele in diesem Zusammenhang ist sicherlich die Darstellung der Untoten in Michael Jacksons Werk Thriller. Die Tatsache, dass Mumien im Gegensatz zu fiktiven Wesen wie Werwölfen und Vampiren, in der Realität existieren, nährt zusätzlich die Fantasie der Menschen. Bis heute sind sie Sinnbild für Furcht, Schrecken und üben eine ungeahnte Anziehungskraft auf den Menschen aus. Gedanken an die eigene Vergänglichkeit und den Tod, in Kombination mit Unwissenheit dessen, was nach dem Sterben folgt, sind die perfekte Grundlage für dieses mysteriöse Phänomen. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ließ schon die alten Ägypter ruhelos an Techniken feilen, um gewappnet für das ersehnte Leben im Jenseits zu sein. Sie waren es, die die Konservierung der Verstorbenen perfektionierten und den Mumienmythos mitbegründeten. 1 2
Aus Sicht der modernen Forschung sind Mumien einzigartige Archive, die uns wertvolle Informationen liefern und so einen wichtigen Beitrag zum Verständnis über das Leben unserer Vorfahren in vergangenen Zeiten leisten. 1 2
Denselben Standpunkt vertritt die vorliegende Arbeit, die sich mit den Themen Mumien, Zerfall und Leichenkonservierung auf wissenschaftlicher Ebene befasst.
II. Zersetzungsprozesse
Grundlage aller Zersetzungsprozesse ist die Spaltung komplexer organischer Verbindungen in kleinere Moleküle. Die grobe Unterscheidung erfolgt in Autolyse, Fäulnis und Verwesung. 3
1. Autolyse
Unter Autolyse versteht man die Zersetzung organischen Materials durch körpereigene Enzyme. Verdauungsenzyme, die beim Menschen zu Lebzeiten wichtige Funktionen erfüllt haben, beginnen jetzt, eigene Zellstrukturen anzugreifen. Der Abfall des pH – Wertes im Cytosol aktiviert die Lysosomen, die Enzyme auszuschütten, welche bei der Selbstzersetzung des körpereigenen Gewebes eine wichtige Rolle übernehmen. Besonders bei Organen, die schon zu Lebzeiten sehr viele Enzyme enthalten, wie beispielsweise der Bauchspeicheldrüse, schreitet die Selbstverdauung schnell voran. Mit der Zeit kommen alle energieliefernden Prozesse zum Stillstand. Durch den Zusammenbruch der Funktion von Membranen können Konzentrationsgefälle zu beiden Seiten der Membran nicht länger aufrechterhalten werden. Dies führt im extrazellulären Bereich zu einem Anstieg der Kaliumionen – Konzentration, während der Natrium – und Chloridgehalt sinkt. Die autolytischen Prozesse werden hauptsächlich durch die Ausgangsbedingungen im Körper wie die Enzym – und Substratkonzentration und die Temperatur beeinflusst. Sie kommen zum Erliegen, wenn die Substratkonzentration zu gering ist oder die Enzyme selbst durch Alterung oder Autoproteolyse inaktiviert werden. Mit der Zeit kommt es zu einem Zusammenbruch aller Schutzfunktionen der Haut wie beispielsweise des „Säureschutzmantels“. Dies begünstigt das Eintreten von Bakterien in das Gewebe und führt dazu, dass die autolytischen Vorgänge nach und nach von Fäulnis – und Verwesungsprozessen „verdrängt“ werden. 4
Neben der Autolyse lässt sich der Leichenabbau in die zwei Phasen der Fäulnis und der Verwesung einteilen.
2. Fäulnis
Unter anaeroben Bedingungen überwiegen Fäulnisprozesse. Bei diesen bakteriellen und reduktiven Vorgängen kommt es zur Bildung der Gase Schwefel – und Kohlenwasserstoff und zur Abspaltung von Ammoniak, was die typischen optischen und olfaktorischen Leichenerscheinungen hervorruft. Diese unangenehm riechenden Gase blähen den Körper auf, dringen in die Haut ein und bedingen den Leichengeruch. 5
a) Chemische Vorgänge
Betrachtet man die ablaufenden Reaktionen genauer, erscheint eine Differenzierung der Fäulnisprozesse hinsichtlich der Substrate Eiweiß, Kohlenhydrate und Fette sinnvoll. Während Kohlenhydrate durch anaerobe Glykolyse in Milchsäure und andere Endprodukte wie Kohlenstoffdoixid, Ethanol und Essigsäure abgebaut werden, werden Fette und Lipoide durch Hydrolasen, Esterasen und Katalasen in ihre Komponente zerlegt. Bei Proteinen erfolgt der Abbau durch den Mechanismus der Proteolyse1. Verantwortlich für die Zersetzung der Proteine sind Enzyme, die Peptidbindungen spalten können, sogenannte Proteasen. Um die ablaufenden Prozesse genauer beschreiben zu können, wird im Folgenden ein spezielles Beispiel herangezogen. 5 6 7 8 9
b) Spaltung einer Peptidbindung durch Serinproteasen
Serinproteasen sind eine Unterklasse der Proteasen, die eine spezielle Struktur im aktiven Zentrum aufweisen, die sogenannte katalytische Tirade. Darunter versteht man die spezielle Anordnung von drei Aminosäuren im aktiven Zentrum des Enzyms. Dabei ist die Substratspezifität abhängig von den Eigenschaften der Aminosäure – Reste und der Molekülstruktur des Peptids im aktiven Zentrum. In diesem Fall handelt es sich um einen Aspartat –, einen Histidin – und einen Serin – Rest, die über Wasserstoffbrücken miteinander verbunden sind. Bei Serinproteasen befindet sich die namensgebende Aminosäure Serin im aktiven Zentrum (vgl. Abbildung 1).
Auch wenn der Aspartat – Rest nicht an der eigentlichen Reaktion beteiligt ist, spielt er eine wichtige Rolle bei der Einleitung des ersten Schrittes der Peptidspaltung. Aufgrund der Wasserstoffbrücke zwischen dem Aspartat – Rest und der N-H-Gruppe des Histidin - Restes, kommt es zur Polarisierung des Histidins, was zur Ausbildung einer weiteren Wasserstoffbrücke zwischen dem anderen ringgebundenen Stickstoffatom und der Hydroxygruppe des Serin - Restes führt. Dies hat zur Folge, dass die Polarisierung der O-H-Bindung und damit die Nukleophilie des Sauerstoffatoms der Seringruppe verstärkt werden. Nach der Bildung eines Enzym – Substrat – Komplexes, greift der Serin – Rest das Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe der Peptidbindung nukleophil an. Dabei wird das Stickstoffatom des Histidin – Restes protoniert und es bildet sich ein kovalenter Übergangszustand. Die Abspaltung und Übertragung desselben Protons auf das Stickstoffatom des Peptids im nächsten Schritt führt zur Spaltung der Peptid – Bindung. Es entsteht ein N – Terminus, der wegdiffundiert, während ein Wassermolekül des Lösemittels hinzukommt. Durch die Wasserstoffbrücke zum Histidin – Rest, wird das H2O – Molekül polarisiert und kann das Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe des Serin – Restes nukleophil angreifen. Gleichzeitig wird ein Proton des Wassermoleküls auf das Stickstoffatom des Histidin – Restes übertragen und die anfängliche Wasserstoffbrücke zwischen Serin – und Histidin – Rest wieder ausgebildet. Dies hat eine Spaltung der kovalenten Bindung des Serins zum Substrat und die Entstehung des C – Terminus des ehemaligen Proteins zur Folge. 5 6 7 8 9
3. Verwesung
„Verwesen“ bedeutete früher so viel wie verfallen oder vergehen. Heutzutage versteht man unter Verwesungsprozessen aerobe mikrobiologische Vorgänge auf oxidativer Grundlage. Es kommt zur Abspaltung von Kohlensäure, Phosphorsäure und Schwefelsäure und damit zur Entstehung des unverkennbaren „Verwesungsgeruches“. Im Rahmen der Verwesung werden die Fäulnisprodukte unter Anwesenheit von Sauerstoff vollständig oxidiert. Vergleicht man den Verwesungsvorgang mit den anaeroben Fäulnisprozessen, fällt auf, dass bei dieser Art des Abbaus auch „höhere“ Organismen, wie Pilze, Würmer, Maden und Insektenlarven, beteiligt sind, indem sie die abgestorbenen Überreste fressen und zerkleinern, was letztendlich zur Skelettierung führt. Bei der Verwesung größerer Organismen ermöglicht dies, je nach Umgebungsbeschaffenheit, die Etablierung einer sogenannten „Aasfauna“. Die beteiligten Mikroorganismen sorgen für den Abbau der komplexen organischen Verbindungen zu Wasser, Kohlenstoffdioxid, Phosphat und Harnstoff. Finden also ausschließlich Verwesungsprozesse statt, entstehen keine unangenehm riechenden oder giftigen Stoffwechselprodukte. 10 11 12
Verwesung findet im Gegensatz zu Fäulnis nur in Anwesenheit von Sauerstoff statt. Daraus lässt sich schließen, dass im Inneren des Organismus der Zerfall durch Fäulnis, im Äußeren der Verwesungsprozess vorherrschen muss. Nach und nach werden die oberen Gewebeschichten durchlässiger für Sauerstoff, sodass dieser auch in tiefere Hautschichten gelangen kann. Herrscht auch hier ein zunehmend aerobes Milieu, wird die Fäulnis nach und nach von Verwesungsprozessen abgelöst. 10 11 12
4. Schätzungen zur Liegezeit
Frühe Leichenerscheinungen wie Aufblähung und Verfärbungen lassen eine Schätzung der Liegezeit der Leiche zu. Schreitet der Leichenabbau jedoch immer weiter voran, sind nur noch näherungsweise Aussagen möglich, da die Prozesse abhängig von Temperaturschwankungen, Organerkrankungen und der Keimbesiedlung sind. Da das Ausmaß der Fäulnis von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, sind Aussagen über das Alter der Mumie, die nur auf diesen Informationen basieren, nicht sehr verlässlich. 13
5. Zusammenfassung
Im Laufe dieser Abbauprozesse wird nach und nach das gesamte organische Material zersetzt. Es handelt sich also um bakteriologische Stoffwechselaktivitäten, die – mit oder ohne Freisetzung von geruchsintensiven Stoffwechselprodukten – schließlich zum vollständigen Abbau des toten Organismus führen. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass im Laufe der Verwesung abgestorbenes Material in die Grundbausteine zerlegt wird, aus denen es einst aufgebaut war. Diese Veränderung des physikalischen und chemischen Zustandes und der Eigenschaften des Stoffes wie beispielsweise Farbe, Volumen und Form bezeichnen wir als Altern. 14
III. Abhängigkeit der Leichenkonservierung von verschiedenen Faktoren
Wie oben ausführlich beschrieben, ist der Zerfall von abgestorbenem organischem Material eine Folge von Mikroorganismen wie Schimmel – und Hefepilzen, Fäulnisbakterien und Autolyse (vgl. Kapitel Zersetzungsprozesse). Für eine erfolgreiche Konservierung ist es daher unabdingbar, dass alle Abbauprozesse, die nach dem Ableben des menschlichen oder tierischen Organismus natürlicherweise eintreten, rechtzeitig gestoppt und langfristig wirkungsvoll verhindert werden. Infolgedessen sollten die Lebensbedingungen für die verantwortlichen Organismen möglichst ungünstig sein. Je nach Bedarf können das Ausmaß und die Dauerhaftigkeit einer Leichenkonservierung im Einzelfall durch die Anpassung verschiedener Parameter verändert werden. Welche Rolle die einzelnen Faktoren bei der Konservierung spielen, wird im Folgenden genauer beschrieben. 15
1. Abhängigkeit der Konservierung von der Temperatur
Da sich die Temperatur sehr stark auf die Verdunstung von Wasser und das Wachstum der Bakterien auswirkt, spielt sie bei der Konservierung eine entscheidende Rolle.
a) Diagramminterpretation
Wie auf dem Diagramm gut zu erkennen ist, können Mikroorganismen bei Temperaturen von circa 0°C bis 50°C wachsen. Bis 37°C steigt die Kurve exponentiell an. Dieser Anstieg nach der Reaktionsgeschwindigkeitsregel ist für enzymgesteuerte Reaktionen charakteristisch. Die Regel besagt, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Erhöhung der Temperatur um 10°C verdoppelt bis vervierfacht, da mit jeder Erhöhung der Temperatur die Teilchenbewegung zunimmt. 16 Bei ungefähr 38°C erreicht die Enzymaktivität ihr Optimum. Ab circa 48°C nimmt die Enzymaktivität ab, da die Tertiärstruktur der Enzyme aufgrund der hohen Temperaturen verändert wird. Diesen Vorgang bezeichnet man Denaturierung. Unter 5°C ist das Wachstum der Mikroorganismen sehr stark eingeschränkt. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt gehen die Enzymaktivität und damit die enzymatischen Zersetzungsprozesse gegen null (vgl. Abb. 2). 17 18
b) Einfluss der Temperatur am Beispiel von Wüstenmumien
Hohe Temperaturen haben eine schnelle Verdunstung von Wasser und die raschen Austrocknung der Leiche zur Folge, wodurch die Entwicklung der auf Wasser angewiesenen Bakterien gehemmt wird. Die Verdunstung wird durch die höhere Wasseraufnahmefähigkeit von warmer Luft bis zu ihrer Sättigung begünstigt. Bestätigt wird dies durch den guten Erhaltungszustand der Wüstenmumien, die, in einfachsten Bodengräbern bestattet, über Jahrtausende ohne das Zutun ägyptischer Spezialisten vor dem Verfall bewahrt wurden. Neben dem natronhaltigen Wüstensand, hat allein die durchgehend warme, trockene Luft bewirkt, dass dem Körper rasch die verwesungsfördernde Feuchtigkeit entzogen wurde. 19 20 21
Doch nicht nur die heißen Stein- und Sandwüsten fördern die Konservierung durch Austrocknung, auch die trockenen Kältewüsten der Antarktis haben einen positiven Effekt. Die extrem niedrigen Temperaturen hemmen das Wachstum der Mikroorganismen, die Wärme brauchen, um sich entwickeln zu können. Dies erklärt auch den außergewöhnlich guten Zustand des Mannes aus dem Eis bei seiner Bergung: Durch extrem niedrigen Temperaturen war das Überleben von Mikroorganismen praktisch unmöglich. 20 21
c) Einfluss der Jahreszeit
Bei der Leichenkonservierung spielt vor allem der Zeitpunkt des Todes im jahreszeitlichen Verlauf eine große Rolle. Neben dem begünstigenden Effekt der niedrigen Temperaturen in der kalten Jahreszeit, die die Abbauvorgänge hemmen, sind die Leichen von im Winter Verstorbenen nicht der Zersetzung durch Insekten ausgesetzt. Diese Erkenntnis führte zu der Annahme, dass der bekannte Leichnam aus dem Ötztal im Winter verstorben sein muss. 22
2. Abhängigkeit der Konservierung von der Luftfeuchtigkeit
Wie bereits erwähnt, sorgt die Trockenheit in ariden Gegenden mit hohen Verdunstungsraten von Wasser zum Verlust der Körperfeuchtigkeit und Austrocknung des Gewebes und damit zur Minimierung der Aktivität der unerwünschten Organismen. Die starke Austrocknung der Leiche ist sehr wichtig, da der Wassergehalt des Körpers zum Todeszeitpunkt für gewöhnlich ausreicht, um mikrobielles Wachstum zu fördern. Das Überleben der Mikroorganismen ist gewährleistet, solange genügend Wasser zur Verfügung steht. Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto schneller erreicht die Luft ihre Sättigung und desto weniger im Verlauf des Austrocknungsprozesses abgegebene Körperflüssigkeit kann aufgenommen werden. Folglich sollte sich eine hohe Luftfeuchtigkeit negativ auf die Konservierung auswirken. Dies erklärt auch den guten Erhaltungszustand der Mumien aus der Kapuzinergruft in Palermo. Die Leichen sind von Wänden aus Tuffstein umgeben, die die Feuchtigkeit absorbieren und so die Luftfeuchtigkeit verringern können. 22 23 24
3. Abhängigkeit der Konservierung vom Luftzug
Man ist sich einig, dass sich trockene Zugluft positiv auf die Konservierung auswirkt. Denn angenommen es gäbe keine Luftzirkulation so würde sich – aufgrund der Diffusion der Teilchen - eine Luftschicht mit höherer Luftfeuchtigkeit um den ausgetrockneten Körper herum ansammeln, was das weitere Verdunsten von Wasser beeinträchtigen würde. Auch hier liefern die Leichen aus der Kapuzinergruft in Palermo ein passendes historisches Beispiel. Denn neben der geringen Luftfeuchtigkeit wurden die Körper hauptsächlich durch den trockenen Luftzug in ihren Aufbewahrungskammern vor dem Verfall bewahrt. 24 25
4. Abhängigkeit der Konservierung von der Unterlage
Auch der Untergrund beeinflusst die Konservierung. Saugfähige Unterlagen, wie beispielsweise Sand oder Holzspäne, nehmen die austretende Flüssigkeit kann auf und von leiten sie Körper weg. Holzspäne erwiesen sich anscheinend als besonders wirkungsvoll, denn sie sind oft unter mumifizierten Leichen zu finden. Sie können Flüssigkeiten nicht nur aufnehmen, sondern sind aufgrund ihrer speziellen Struktur auch noch luftdurchlässig, was die Luftzirkulation um den Körper begünstigt. Im Gegensatz dazu sollten wasserundurchlässige Schichten wie Fliesen oder Beton einen negativen Effekt auf die Konservierung haben. 25
5. Abhängigkeit der Konservierung von der Bedeckung
Ähnlich scheint sich die Bedeckung auf die Konservierung auszuwirken. Da Bekleidung die Verdunstung der Körperflüssigkeit behindert, schreitet die Konservierung bei entkleideten Leichen schneller voran. Wasserundurchlässige Materialien wie Gummimäntel verzögern die Konservierung demnach am meisten. 26
6. Abhängigkeit der Konservierung vom Körpervolumen
Große Lebewesen haben im Verhältnis zu ihrem Körpervolumen eine kleinere Körperoberfläche als kleine Lebewesen. Da bei großen Oberflächen mehr Körperflüssigkeit gleichzeitig verdunsten kann, sollte sich ein geringes Volumen beziehungsweise ein geringes Körpergewicht positiv auf die Konservierung auswirken. 27
7. Abhängigkeit der Konservierung von der Sauerstoffverfügbarkeit
Nach dem Tod kommt es im Körper schnell zu Sauerstoffmangel, da der zum Todeszeitpunkt noch im Körper enthaltende Sauerstoff schnell aufgebraucht wird. Die Verringerung der Sauerstoffverfügbarkeit ist eine weitere Möglichkeit mikrobielles Wachstum zu unterbinden, da er bei biologischen Zerfalls- bzw. Abbauprozessen von zentraler Bedeutung ist. Celina Herbig äußert sich 2010 in einer Arbeit über den biochemischen Abbau des menschlichen Leichnams folgendermaßen: „Bei dem Aufbau zelleigener Substanzen werden z.B. Fett oder Eiweiße aus dem Körper abgebaut, für die Energiegewinnung müssen Elektronen von Donatoren auf Akzeptoren übertragen werden. Als Donator treten wieder die organischen Substanzen wie Eiweiße und Fette auf, als Akzeptor dient meist Sauerstoff.“ Infolgedessen ist Energiegewinnung bei ungenügender Sauerstoffverfügbarkeit unmöglich. 23
8. Abhängigkeit der Konservierung von der Toxizität
a) Formaldehyd
Das vermutlich am weitesten verbreitete Fixierungsmittel ist die reaktive chemische Verbindung Formaldehyd. Es stoppt Fäulnis- und Verwesungsprozesse, wodurch Gewebe dauerhaft haltbar gemacht werden kann. Es hat die Eigenschaft, Proteine zu denaturieren und an ihren Aminogruppen zu vernetzten, indem es unter Wasserabspaltung an NH2 – Gruppen addiert wird. Lysin- oder Arginin-Seitenketten von Proteinen werden nach folgendem Prinzip vernetzt: 28 29
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da Enzyme ebenfalls Eiweiße sind, bewirkt Formaldehyd auch hier eine Inaktivierung. Dadurch kommt es zur Ausbildung sogenannter Methylenbrücken und Brücken per Schiff‘schen Basen (vgl. Abbildung 3: Verkettung zweier Nukleophile durch Formaldehyd ).
Dazu reagiert Formaldehyd im ersten Schritt mit einem starken Nukleophil. Üblich ist hier ein primäres Amin. Anschließend wird das entstandene Produkt – Methylol – dehydriert. Im Rahmen der darauffolgenden Kondensation bildet sich eine Schiff’sche Base. Dieses Zwischenprodukt reagiert im nächsten Schritt mit einem weiteren Nukleophil. Unter Ausbildung einer Methylenbrücke werden die beiden Moleküle kovalent miteinander verbunden. Auf diese Weise werden angrenzende Nukleophile eines Proteines stabil verkettet. 30 Organisches Gewebe besteht aus einem Proteingerüst. Formaldehyd wirkt stabilisierend, da es die Fixierung der körpereigenen Proteine herbeiführt und so das Gewebe verhärtet. Die Bildung dieser Bindungen ist ausschlaggebend für die Konservierung, da die Proteine ohne Quervernetzungen beweglicher und daher leichter abbaubar sind. Gleichzeitig haben sie den Effekt, dass Bakterien abgetötet werden, da auch sie größtenteils aus Proteinen bestehen. Die Verkettung durch kovalente Vernetzer ist besonders effektiv, da es die Proteinstrukturen dauerhaft in einer ungünstigen Position fixiert, sodass die Proteine der Bakterien vollständig denaturiert werden und daher ihre ursprünglichen Funktionen nicht mehr erfüllen können (vgl. V.4.a) Gerbprozesse). 31
b) Alkohole
Reiner Alkohol wirken verwesungshemmend, da sie den Zellen durch das Prinzip der Osmose Wasser entziehen und damit die Funktionen der Zelle stark beeinträchtigen. Gibt man dem Alkohol 20 bis 35% Wasser hinzu, erweist er sich als sehr gutes Desinfektionsmittel, da die Wasser – Moleküle es dem Alkohol ermöglichen die Zellwand zu durchdringen. Im Zellinneren kommt es zu einer „Entfaltung“ des komplexen Makromoleküls, da das polare Ethanol die intramolekularen hydrophoben Wechselwirkungen und Wasserstoffbrücken im Protein stören. Diese Anziehungskräfte sind allerdings sehr wichtig, um die Struktur des komplexen Makromoleküls beibehalten zu können. Sind diese Kräfte nicht mehr vorhanden, kann es sein, dass einzelne Membranlipide nicht mehr fest verankert sind und herausgelöst werden. Auch die Membranproteine verlieren ihre Funktion. Die gesamte Raumstruktur wird zerstört, was ein Bersten der Zellen zur Folge hat. Durch die Strukturveränderungen können lebenswichtige Funktionen nicht mehr ablaufen, was ein Ansterben der Mikroorganismen bewirkt, die ebenfalls aus Proteinen aufgebaut sind. Auch die Zellen von Bakterien und Pilzen werden irreversibel denaturiert, da die Inaktivierung ihrer Membranproteine einen Einbruch der Zellmembranen zur Folge hat. 23 32 33
c) Schwermetalle
Während Schwermetalle für den Menschen erst in größeren Konzentrationen gesundheitsschädlich und toxisch sind, reichen bei Mikroorganismen bereits deutlich kleinere Mengen, um deren Wachstum zu hemmen. Wie sich das Schwermetall auf den Organismus auswirkt, hängt jedoch stark von dessen chemischen Eigenschaften ab. Als Beispiel soll der Fall eines Bergarbeiters in Falun, Schweden, herangezogen werden: 1719 entdeckte man die unversehrte Leiche eines 1670 verstorbenen Mannes in kupferhaltigem Wasser in einer Kupfermine. In ungebundener Form wirkt Kupfer antibakteriell. Kupfer – Ionen schädigen die DNA und Zellmembranen, indem sie sich an Proteine binden und stabile Komplexe ausbilden, die ebenfalls eine Vernetzung und Inaktivierung des aktiven Zentrums des Proteins zur Folge haben (vgl. V.4.a) Gerbprozesse). 23 31 34 35
9. Abhängigkeit der Konservierung vom pH-Wert
Des Weiteren ist es möglich, das Wachstum unerwünschter Mikroorganismen durch eine Veränderung des pH – Wertes zu hemmen, da sie sehr empfindlich auf kleinste Änderungen reagieren. Wie am nebenstehenden Diagramm zu erkennen ist, hat jedes Enzym ein anderes pH – Wert – Optimum, da sie in verschieden Bereichen des Körpers effektiv sind, aber alle haben gemeinsam, dass sie nur in einem bestimmten Bereich wirksam sein können. Wird der pH-Wert nun also so stark angehoben oder gesenkt, dass er sich außerhalb dieses Bereiches befindet, geht die Enzymaktivität und damit die Reaktionsgeschwindigkeit gegen null. Dabei reichen schon minimale Änderungen des pH – Wertes von eins bis zwei, um eine Aktivitätsänderung von Null auf das Maximum feststellen zu können(vgl. Abb. 4). Diese starken Reaktionen lassen sich auf Teilchenebene am Beispiel des Enzyms Amylase erklären, welches sein pH – Optimum bei sieben hat. Man unterscheidet zwei Fälle: Wird der pH – Wert erhöht, erfolgt eine Verschiebung ins basische Milieu. Da nun mehr Hydroxid – Ionen vorliegen, die Protonen aufnehmen können, kann es zur Deprotonierung funktioneller Gruppen kommen. Wird der pH – Wert stattdessen gesenkt, erfolgt eine Verschiebung ins saure Milieu. Es liegen mehr Oxonim – Ionen vor, die funktionelle Gruppen protonieren, indem sie Protonen angeben(vgl. Abb.: ). Da Enzyme Polyelektrolyte sind, hängt ihre Ladung, und damit auch die Ladung und Struktur des aktiven Zentrums, sehr stark vom pH – Wert ab. Wird er variiert, kommt es zu Ladungsveränderungen und infolgedessen zu einer Verschiebung des Wirkungsbereiches, die nicht selten die Inaktivierung des Enzyms zur Folge hat (vgl. Anhang 2.e. Erklärung). 29 31
10. Abhängigkeit der Konservierung von der Sonneneinstrahlung
Tageslicht wirkt sich auf besondere Art auf die Konservierung aus: Licht ist eine Energiestrahlung, die in Form kleiner Energieportionen, den Photonen, von der Materie aufgenommen wird. Auch wenn eine intensive Sonneneinstrahlung eine Erhöhung der Temperatur und damit eine schnellere Verdunstung von Körperflüssigkeit zur Folge hat, sollte man lichtempfindliche Materialien keiner direkten Sonneneinstrahlung aussetzen: Trifft kurzwelliges, energiereiches Licht auf die chemischen Verbindungen, die die Moleküle, aus denen die Stoffe aufgebaut sind, miteinander verknüpft, kann es zur Aufspaltung dieser Bindungen kommen. Auch wenn diese photochemischen Reaktionen sehr langsam ablaufen, verursachen diese unaufhaltsamen und irreversiblen Prozesse auf Dauer Zersetzungserscheinungen an organischem Material. Neben intensiver Sonneneinstrahlung liefert auch Wärme solche Energie. Dies bewirkt eine Zersetzung der Stoffe beim Erhitzen. Da verschiedene Lichtquellen unterschiedliche Anteile an schädigender kurzwelliger, und damit sehr energiereicher, Strahlung haben, lässt sich der Schaden in Museen durch geschickte Auswahl und Dosierung des Lichtes vermindern. 36 37
11. Zusammenfassung
Es sollte unbedingt beachtet werden, dass eine Leichenkonservierung keinesfalls unendlich lang wirksam ist: Präparierte Leichname reagieren extrem empfindlich auf kleinste Veränderungen verschiedener Faktoren, wie Temperaturerhöhungen oder Feuchtigkeit. Denn fallen die zur Konservierung notwendigen Verhältnisse weg, so setzen der Zerfall und die Zerstörung durch Mikroorganismen augenblicklich ein.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle Konservierungsverfahren eine entscheidende Gemeinsamkeit haben: Sie zielen darauf ab, alle schädigenden Einflüsse, die die nach dem Tod natürlich eintretenden Zersetzungsprozesse des Körpers fördern, durch spezielle physikalische, biologische oder chemische Maßnahmen so stark zu reduzieren, dass das äußere Erscheinungsbild des abgestorbenen Organismus über einen möglichst langen Zeitraum bewahrt werden kann.
Dabei kann die Konservierung der Leiche durch natürlich vorkommende günstige Bedingungen oder bewusst eingeleitete künstliche Maßnahmen hervorgerufen werden kann. Je nachdem um welchen Fall es sich handelt, spricht man von natürlicher oder künstlicher Leichenkonservierung. 38
IV. Natürliche und künstliche Konservierung
„Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Leichen durch das Injizieren eines Gemisches von Alkohol und Arsen(III)-oxid in den Blutkreislauf konserviert, wozu Herz, Gehirn und Eingeweide entfernt wurden. Während in vielen Fällen nur eine vorübergehende Konservierung für mehrere Monate oder Jahre erreicht wurde, erwiesen sich andere Leichen noch im 21. Jahrhundert als trocken und gut erhalten.“ 38 Auffällig ist, dass die Ergebnisse sehr verschieden waren, obwohl die Bedingungen überall identisch erschienen. Die einzige logische Schlussfolgerung ist der Einfluss günstiger natürlicher Faktoren.
Das Wort Konservierung wird häufig mit den Mumifizierungstechniken ägyptischer Spezialisten in Verbindung gebracht. Doch diese eine Assoziation reicht bei Weitem nicht aus, um das gesamte Spektrum der verschiedenen Konservierungsarten abzudecken. Denn die Haltbarmachung von Gewebe ist keineswegs auf den Menschen angewiesen: Neben den künstlichen, also vom Menschen durchgeführten Maßnahmen, gibt es eine Vielzahl an natürlichen Konservierungsmechanismen, die allein durch spezielle Umweltbedingungen hervorgerufen werden und dadurch nicht auf menschliche Eingriffe angewiesen sind. 20 38
Eine eindeutige Unterscheidung von natürlich und künstlich haltbar gemachten Organismen ist jedoch höchst problematisch, da Tote häufig bewusst an Orten mit konservierender Wirkung bestattet wurden. Auf diese Weise wird die Konservierung bei Leichen meist nicht ausschließlich durch eine Art der Haltbarmachung hervorgerufen. Vielmehr gehen beide Arten nahtlos ineinander über und verstärken sich in ihrer Wirkung. Ein berühmtes historisches Beispiel liefern die Mumien im alten Ägypten, die neben der aufwändigen Mumifizierung durch ägyptische Spezialisten auch durch das aride Klima in den trockenen Bestattungsräumen sehr gut erhalten geblieben sind. 20 38
Demzufolge sind, wie in den meisten Fällen, wohl auch die oben genannten Leichen aus dem 19. Jahrhundert aufgrund einer geeigneten Kombination von natürlicher und künstlicher Leichenkonservierung so gut erhalten geblieben. 20 38
[...]
1 Proteolyse ist der enzymatische Abbau von Proteinen durch Hydrolyse
- Quote paper
- Meike Trautmann (Author), 2018, Konservierung von Leichen. Chemisch-biologische Vorgänge, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/463299