Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts führen neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse, technologischer Fortschritt und gravierende gesellschaftliche Veränderungen zu einem allgemeinen Gefühl der Verunsicherung.
Durch die industrielle Revolution ändert sich zunächst vor allem das Arbeitsleben. Die Betriebe werden größer, Arbeitsabläufe rationalisiert und Massenprodukte produziert. Arbeiter werden mehr und mehr durch ihre Funktion definiert und weniger als Persönlichkeit wahrgenommen. Die Industrialisierung führt aber auch dazu, dass die eigene Identität kaum noch durch den Beruf konstruiert werden kann. Damit gehen auch die Klassenstände in ihrer traditionellen Form verloren. Statt aus Schichten besteht die moderne Gesellschaft fast ausschließlich aus Funktionssystemen, mit jeweils ganz unterschiedlichen Werten. Die Menschen in der modernen Gesellschaft müssen nun dementsprechend an Funktionssystemen in unterschiedlichsten Konstellationen teilnehmen, ihre Identität gestaltet sich zunehmend temporär. Da jeder Mensch an den verschiedenen Systemen teilnimmt, muss das Individuum seine Individualität außerhalb dieser Funktionssysteme gestalten.
Durch die Verwerfung nahezu aller traditionellen Werte und Richtlinien, wird es immer mehr zur Aufgabe des Einzelnen, die eigene Identität für sich selber zu entwerfen. Die daraus entstehende Krise des Subjekts wird um 1900 zum zentralen Thema der Literatur wird.
In diesem Essay soll die Dekonstruktion des Ich in der Literatur diskutiert werden. Dazu werde ich zunächst einen Einblick in die philosophischen, aber auch naturwissenschaftlichen Theorien geben, die die Identitätskrise deutlich mitgeprägt haben. Die Begriffe Ich, Selbst und Identität werde ich hierbei als Synonyme benutzen; Variationen sollen also nicht auf unterschiedliche Aspekte verweisen. Anschließend werde ich ausführen wie die Identitätskrise in der Literatur dargestellt wird und dieses am Beispiel der Verwirrungen des Zögling Törleß von Musil erörtern. Die aktuelle Forschungsliteratur in Bezug auf die Ich-Krise hat sich hauptsächlich mit dem Mann ohne Eigenschaften beschäftigt, dennoch kann die Identitätskrise auch anhand der Verwirrungen des Zögling Törleß ausführlich diskutiert werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Analyse
- Die Übergangsphase und das Unterbewusste
- 'Die Anderen'
- Rekonstruktion oder Illusion?
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Essay untersucht die Dekonstruktion des Ich in der Literatur um 1900. Er beleuchtet die philosophischen und naturwissenschaftlichen Theorien, die zur Identitätskrise dieser Zeit beigetragen haben, und analysiert, wie diese Krise in der Literatur dargestellt wird, insbesondere am Beispiel der Verwirrungen des Zögling Törleß von Musil.
- Die Identitätskrise in der Literatur um 1900
- Einfluss naturwissenschaftlicher und philosophischer Theorien auf die Vorstellung vom Ich
- Dekonstruktion des Ich durch die Bewusstseinspsychologie und die Psychoanalyse
- Die Rolle des Unbewussten in der Gestaltung der Identität
- Darstellung der Identitätskrise im Roman "Die Verwirrungen des Zögling Törleß" von Robert Musil
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die historische und gesellschaftliche Situation im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dar, die durch technologischen Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen zu einem Gefühl der Verunsicherung führte. Die Industrialisierung und Emanzipation der Frau führten zu einer Neudefinition von Identität und Familie, was zu einer Krise des Subjekts führte.
Analyse
Die Übergangsphase und das Unterbewusste
Dieser Abschnitt untersucht die philosophischen und naturwissenschaftlichen Theorien, die zur Dekonstruktion des Ichs beigetragen haben. Insbesondere werden die Bewusstseinspsychologie Machs und die Psychoanalyse Freuds diskutiert. Machs Theorie beschreibt das Ich als flüchtige und veränderbare Einheit, abhängig von veränderbaren Empfindungen. Freud hingegen stellt die Autonomie des Ichs durch das Unbewusste in Frage, das von der Person nicht kontrolliert werden kann.
'Die Anderen'
Dieser Abschnitt soll die Darstellung der Identitätskrise in der Literatur und am Beispiel der Verwirrungen des Zögling Törleß analysieren. Die Analyse des Romans zeigt, wie die Identitätskrise des Protagonisten durch seine Beziehungen zu den anderen Figuren, insbesondere durch seine Beziehung zu seine Klassenkameraden, beeinflusst wird.
Rekonstruktion oder Illusion?
Dieser Abschnitt betrachtet die Frage, ob eine Rekonstruktion des Ichs nach der Dekonstruktion möglich ist. Die Diskussion um das Ich als Illusion und die Suche nach Selbstfindung stehen im Mittelpunkt.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Textes sind: Identitätskrise, Dekonstruktion des Ichs, Bewusstseinspsychologie, Psychoanalyse, Unbewusstes, Moderne, Literatur, "Die Verwirrungen des Zögling Törleß", Robert Musil.
- Quote paper
- Jana Wienken (Author), 2014, Zur Dekonstruktion des Ich. Die (Ich-) Krise des jungen Törleß, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/437463