Die Facharbeit behandelt das Thema des Epitaphios des Perikles.
Die moderne Demokratie des 21. Jahrhunderts ist in vielfältigen Fassungen repräsentiert. Dabei unterscheiden Politikwissenschaftler zum Beispiel zwischen der „direkten Demokratie“ oder „repräsentativen Demokratie“, wobei letzteres als die Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland in der Verfassung definiert ist. Die Demokratie ist die Basisform der Volksbeteiligung und ist die Grundlage einer freien und soliden Gesellschaft her, sofern sie konsequent umgesetzt wird.
Dennoch stellt sich die Frage, wo die Ursprünge des Demokratiedenkens aufkamen und wie sie damals in ihren Anfängen umgesetzt wurden. Es ist allgemein bekannt, dass ihre Herkunft aus der griechischen Antike entstammt, aber nicht, weswegen die Griechen – im Gegensatz zu anderen Völkern und hochentwickelten Zivilisationen – einen derartigen Umsturz des politischen und gesellschaftlichen Denkens erzielten, der zur Ablehnung von hegemonialen und tyrannischen Verhältnissen führte.
Aufgrund dessen müssen wesentliche historische Vorkommnisse in der Antike auf ihre Auswirkungen auf die Demokratiebildung untersucht werden, wobei außerordentlich der Fokus auf den „Epitaphios des Perikles“ fällt. Demnach beschäftigt sich diese Facharbeit mit der Fragestellung, weshalb diese Grabrede als Grundsatz der attischen Demokratie gilt. Um dies zu beantworten, wird eine spezifische analytische Vorgehensweise in Betracht gezogen, die bis zu drei Auszüge aus dem Epitaphios impliziert. Hierbei werden formale, sprachliche und inhaltliche Gesichtspunkte berücksichtigt, die einer weitgehenden und ausführlichen Interpretation der Grabrede zur Grunde liegen. Dementsprechend gibt es einen Bezug sowohl auf den historisch-politischen Kontext als auch auf die Biografie des Verfassers Perikles, welche insgesamt den Anlass der Rede erläutern und neben der werkimmanenten Interpretation eine essenzielle Position einnehmen. Nicht zu vernachlässigen ist der Vergleich weiterer Interpretationen von Philologen oder Historikern, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede ersichtlich werden, die ein breiteres Verständnis ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung in das Thema
2 Anlass des Epitaphios
2.1 Der Staatsmann Perikles (Περικλῆς)
2.2 Das Verhältnis von Perikles zu Thukydides
2.2 Historisch-politischer Kontext
3 Analytische Vorgehensweise
3.1 Auszug 1 – Thukydides II,
3.1 Auszug 2 – Thukydides II,
3.3 Auszug 3 – Thukydides II,
4 Auswertung
5 Schlusswort
Literaturverzeichnis
1 Einführung in das Thema
Die moderne Demokratie des 21. Jahrhunderts ist in vielfältigen Fassungen repräsentiert. Dabei unterscheiden Politikwissenschaftler zum Beispiel zwischen der „direkten Demokratie“ oder „repräsentativen Demokratie“, wobei letzteres als die Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland in der Verfassung definiert ist. Die Demokratie ist die Basisform der Volksbeteiligung und ist die Grundlage einer freien und soliden Gesellschaft her, sofern sie konsequent umgesetzt wird.
Dennoch stellt sich die Frage, woher die Ursprünge des Demokratiedenkens aufkamen und wie sie damals in ihren Anfängen umgesetzt wurden? Es ist allgemein bekannt, dass ihre Herkunft aus der griechischen Antike entstammt, aber nicht, weswegen die Griechen – im Gegensatz zu anderen Völkern und hochentwickelten Zivilisationen – einen derartigen Umsturz des politischen und gesellschaftlichen Denkens erzielten, die zur Ablehnung von hegemonialen und tyrannischen Verhältnissen führte.
Aufgrund dessen müssen wesentliche historische Vorkommnisse in der Antike auf ihre Auswirkungen auf die Demokratiebildung untersucht werden, wobei außerordentlich der Fokus auf den „Epitaphios des Perikles“ fällt. Demnach beschäftigt sich diese Facharbeit mit der Fragestellung, weshalb diese Grabrede als Grundsatz der attischen Demokratie gilt. Um dies zu beantworten, wird eine spezifische analytische Vorgehensweise in Betracht gezogen, die bis zu drei Auszüge aus dem Epitaphios impliziert. Hierbei werden formale, sprachliche und inhaltliche Gesichtspunkte berücksichtigt, die einer weitgehenden und ausführlichen Interpretation der Grabrede zur Grunde liegen. Dementsprechend gibt es einen Bezug sowohl auf den historisch-politischen Kontext als auch auf die Biografie des Verfassers Perikles, welche insgesamt den Anlass der Rede erläutern und neben der werkimmanenten Interpretation eine essenzielle Position einnehmen. Nicht zu vernachlässigen ist der Vergleich weiterer Interpretationen von Philologen oder Historikern, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede ersichtlich werden, die ein breiteres Verständnis ermöglichen.
Aus alldem wird die Frage der Auswirkung, aber auch der Entstehung beantwortet. Schließlich ist mit dem Schlusswort eine Widerlegung oder Bestätigung dieser Fragestellung zur ersehen, die auch eine Zusammenfassung der erarbeiteten Aspekte darstellt.
Bisweilen wird die Gefallenenrede des Perikles immer noch in der Gegenwart rezipiert und auf ihre Authentizität erörtert, einstweilen verschiedene Philologen einer vollständigen Originalität aufgrund ihrer Überlieferung vom zeitgenössischem Thukydides widersprechen, welches in dieser Facharbeit näher aufgeklärt wird.
Als Informationsquelle werden lediglich Printmedien renommierter Autoren und Publizisten herangezogen.
Abschließend würden wir ein Zitat vorstellen, der einen ersten Eindruck über die Persönlichkeit des Perikles schindet: „Wer an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“ [1]
2 Anlass des Epitaphios
2.1 Der Staatsmann Perikles (Περικλῆς)
In den Reihen großer Persönlichkeiten der Antike, zu denen auch Alexander der Große, Sokrates, Aristoteles und weitere angehören, nimmt ebenso der attische Politiker Perikles seinen Platz ein. Sein Einfluss auf das antike Athen war frappant epochenmachend, dass der Biograph Wolfgang Will bereits von der „perikleischen Ära“[2] spricht. Bleicken macht ihn sogar als einen der politischen Führer verantwortlich, die den Ausbau der Demokratie vollendeten.[3] Doch stellt sich die Frage wer diese Person war, dem die Menschen diesen Ruf nachsagen?
Aufgrund mangelnder biographischer Informationen schätzt die Forschung sein Geburtsjahr um 500 v. Chr.[4] in Athen ein. Der Biograf Donald Kagan sagt, dass sich Perikles mit seiner „außergewöhnliche[n] Geisteskraft und Charakterstärke [sich schon bald unter seinen Altersgenossen auszeichnete].“[5]
Seine Kindheit war geplagt von Konflikten geführt von Griechen mit Persern, ebenso mit anderen ethnisches Gruppen. Dabei spielte sein Vater, als στρατηγός, eine Schlüsselfigur in der Zeit seiner politischen Meinungsbildung. Desgleichen wird der Einfluss des Vaters auf das politische Verständnis in der Hinsicht verständlich, da auch er selbst für die plebiszitäre Demokratie einstand und die πόλις sich nur durch das „Gemeinwesen der Athener“[6] regieren lassen müsse. Dies führte zu einer einschneidenden Prägung des Perikles in seiner politischen Meinung, die er auch fortan repräsentierte und durchsetzte.
Perikles‘ Höhepunkt des Einflusses in der attischen Politik gipfelt sich in den 450er Jahr v. Chr.[7] Diese ist durch seine regelmäßige und erneute Wiederwahl zum στρατηγός zu erklären, welches ihm die Möglichkeit der Willenslenkung der Athener zuließe.[8] Aufgrund seiner Stellung, war er in der Lage, die Politik nach seinen Vorstellungen zu formen, sodass er sich auf eine Umgestaltung in der gesellschaftlichen Ordnung fokussierte. Demnach war die Durchsetzung der Reformen des Ephialtes nach dessen Tod ein Wegbereiter in den Aufstieg von Perikles in den obersten Rängen. Derartige Reformen führten gleichfalls zur einer „konsequent fortschreitenden Demokratisierung der athenischen Verfassungsordnung“.[9] Das im Jahr 451/450 v.Chr. bewirkte „Bürgerrechtsgesetz“ zeigte allerdings „Züge eigenständiger Politik“[10], welches jedoch in der heutigen Forschung kontrovers diskutiert wird. So bezeichnet Will diese Gesetzgebung als erstrebte „Rassenreinheit“[11], da bestimmte (Mitbestimmungs-)Rechte lediglich den Athenern vorbehalten waren. Auch bezweckte Perikles die Sicherung eines starken Mandats von Athenern, die weiterhin die Möglichkeit besaßen, Bevorzugung zu genießen.
Zur Zeit des Perikles herrschte ebenfalls der Peloponnesischer Krieg, wo Perikles als στρατηγός sowohl gewinnbringende als auch missglückte Entscheidungen traf. Was aber nicht abzunehmen sei, ist, dass Perikles eine weitreichende Rolle in diesem Krieg spielte und somit auch den Ausgangspunkt bestimmte. Des Weiteren werden wir nachher darauf zurückgreifen und dies näher auslegen. Allerdings ist es erwähnenswert, dass Perikles nebenbei verschiedene Friedensabkommen geschlossen hatte, darunter auch der bekannte „Frieden des Kallias“. Ebenfalls wird er als „Kulturpolitiker“[12] bezeichnet, da er auch zum Ausbau kultureller Wahrzeichen Athens, wie die Akropolis beigetragen hat.[13]
Seine letzte politische bzw. militärische Amtshandlung war seine Kriegsführung während des Peloponnesischen Krieges, die jedoch vom δῆμος äußerst kritisiert wurde, weshalb die ἐκκλησία Perikles von seinem Amt enthob. Tatsächlich wurde er später erneut ins Amt zurückgeholt, da die πόλις keine andere Möglichkeit sah sonst den Krieg anderweitig zu überdauern. Währenddessen erkrankte er durch die Epidemie der Pest in Athen und war tiefgreifend geschwächt, weshalb er im Jahre 429 v. Chr. in Athen starb.[14]
Abschließend wird die Erfolgsgeschichte von Perikles folgenderweise von Spahn bewertet: “Perikles’ Erfolg bestand im Wesentlichen darin, daß er einer Mehrheit der athenischen Bürger das Gefühl vermitteln konnte, die Herren dieses Reiches zu sein.”[15]
2.2 Das Verhältnis von Perikles zu Thukydides
Lange Zeit nach seinem Tod wurde Perikles nach der athenischen Niederlage des Peloponnesischen Krieges tabuisiert und totgeschwiegen, sodass die Folgezeit ihn allmählich für viele Jahrhunderte vergaß. In der Moderne wird er aber wiederentdeckt – dank den Aufzeichnungen des Historikers Thukydides.
Thukydides‘ Schriften beeinflussten maßgebend das Bild des Staatsmannes, die die Forscher der Moderne entwickelten. Dabei zeigte sich allerdings, dass keine neutrale Sichtweise auf Perikles seitens Thukydides gelegt wurde – denn dieser idealisierte Perikles. Aufgrund dessen entsteht ein überwiegend positives Bild, dass jedoch im Widerspruch mit der damaligen athenischen Meinung stand. Der Autor Will wirft Thukydides die inkorrekte Darstellung des Perikles durch ein „Wunschbildes“[16] vor. Sonach war Thukydides ein entschlossener Vertreter der perikleischen Ära und seiner Politik. Auch offenbart sich, dass die Schilderungen und Darstellungen auf Informationen aus den Jahren 432 v. Chr. bis 430 v. Chr. beruhen. Daraus resultiert eine mangelhaft dargestellte Vorstellung über Perikles, da trotzdem lediglich politisch-militärische Handlungen erwähnt würden.[17] Denkbar ist, dass der Historiker bewusst die Krisenzeiten von Perikles dezimierte, um dessen Idealbild in der Nachwelt aufrechtzuerhalten. Perikles nimmt im Geschichtswerk des Thukydides eine zentrale Position ein, weswegen die Schrift über das perikleische Zeitalter als der „inhaltlich dichteste und formal kohärenteste Teil“[18] gilt.
Aus all diesen Erkenntnissen, die durch die kritische Betrachtung Thukydides‘ erzielt wird, stellt sich die Frage weshalb er sich – auch nach Perikles Ableben und Niedergang – als treuer Anhänger erwies? Thukydides „Interessen in den nördlichen Grenzregionen der attischen ἀρχή“, wofür Perikles‘ Name stand, beeinflussten seine politische Meinungsbildung enorm, sodass er zugunsten der „Billigung der imperialen Politik Athens“ stand.[19] Überraschenderweise stammt Thukydides sogar aus einer „oligarchisch-konservativen“ Familie, die am Konflikt mit Perikles beteiligt war, da diese Unterstützer der Aristokratie bzw. Oligarchie gewesen wären.[20] Haben bereits hier mögliche charismatische Fähigkeiten von Perikles auf den jungen Thukydides eingewirkt? Fernerhin diskutiert die Forschung, ob Thukydides‘ politische Konvertierung der „Akt der Revolte“ oder von „jugendliche[r] Begeisterung“[21] entspräche. Fraglos ist, dass er als politisch Übergetretener mit „all den damit verbundenen psychologischen Implikationen“[22] agitiert sei. Zusätzlich befanden sich die Athener durch die Niederlage des Peloponnesischen Krieges in der Krise. Folglich ergab sich eine intensive Ablehnung bzw. Missstimmung gegenüber den damaligen Demagogen Perikles, womit selbst seine Gefolgschaft von ihm abkehrte – und ihn teilweise sogar bekämpfte. Dessen ungeachtet bürgte Thukydides weiterhin für sein Ideal, was dazu führte, dass sein Geschichtswerk apologetische Merkmale beinhaltet. So schreibt er, dass er (oder auch „die Menschen“) seine Ankündigung zum Peloponnesischen Krieg und dessen Konzept begrüßt hätten, ebenso wie die Nachfolger die alleinige Schuld für die Niederlage des Krieges trugen.[23]
Fakt ist, dass der Autor Thukydides Perikles für die Nachwelt bewahrt hat, sodass seine Verdienste und Beiträge für die griechische Antike nicht entschwinden. Gleichwohl ist eine wahrheitsgemäße Darstellung des Perikles nicht gelungen, da er „das personifizierte Korrektiv der von Athen begangenen Fehler, eine Heilsgestalt, von Schwächen frei“[24] sei. Das Verhältnis von Thukydides zu Perikles ist dadurch äußerst naheliegend und schnell zu verstehen – denn aufgrund seiner Idealisierung glorifiziert er ihn in seinem Werk, weshalb die Glaubwürdigkeit, sowohl von der Biografie als auch die des Epitaphios anzuzweifeln ist. Schließlich beurteilt Will die überlieferte Charakteristik des Perikles als „Selbstporträt des Historikers als Staatsmann.“[25]
2.2 Historisch-politischer Kontext
Der Epitaphios des Perikles gilt den Gefallenen des Peloponnesischen Krieg und wurde zur ihren Ehren verfasst. Dabei wird dieser Krieg als militärischer Konflikt von den beiden Mächten Athen und Sparta zwischen 431 und 404. Chr. charakterisiert.[26] Minuziöser betrachtet stand Athen gemeinsam mit seinem Bündnis des „Attisch-Delischen-Seebundes“ in Auseinandersetzung mit Sparta und seinen Verbündeten des „Peloponnesischen Bundes.“[27] Essentiell ist die Abgrenzung zum „Ersten Peloponnesischen Krieg, der in Reaktion auf Bündnis zwischen Athen und Megara geführt wurde“ und dies bereits ca. ein Jahrzehnt vorher.[28] Um sich die Bedeutung von diesem Krieg bewusst zu werden, hielt Thukydides sie für die „größte Erschütterung für die Griechen und einen Teil der Barbaren.“[29]
Bleckmann selber bezweifelt eine definierte Kriegsschuld[30], wobei jedoch eine präzisere Beschäftigung als tatsächliche Ursache die Ausweitung der Machtstellung inner- und außerhalb Athens, da Bleckmann von einer „rasanten ökonomischen und organisatorischen Entwicklung.“[31] Das damit aufkommende eventuelle Kriegspotenzial verursachte die Furcht von Sparta einer neuen bedrohenden Macht, sodass Sparta mit seinen Verbündeten einen Verteidigungsreflex durch Angriff mit dem möglichem Ziel der Schwächung erwirken ließ. Auf der anderen Seite spricht Thukydides in seinen Aufzeichnung Perikles von jeglichen egoistischen Gründen ab[32], sodass ihm keine Kriegsschuld trifft. Dennoch wäre für Perikles ein Kriegseintritt aufgrund von Perikles‘ „Integrität“ nicht vermeidbar gewesen.[33]
Relevant für den Epitaphios ist der sogenannte „Archidamische Krieg“ in den Jahren 431, 430 und 428, welche der στρατηγός Perikles defensiv kommandierte, da seine Konzentration auf die marine Kriegsführung gelegt wurde.[34] Erste und übliche Kriegshandlung seitens der Spartaner war die Vernichtung der attischen Ernte im Jahr 431 v. Chr.[35] Es wäre möglich diese Kriegshandlung und dessen Konsequenzen im Zusammenhang mit dem Epitaphios zu bringen, so könnte das Gedenken an die Opfer nicht nur an Soldaten gerichtet sein, sondern auch an attische Bürger und Bürgerinnen, die durch den Hungertod umkamen. Ebenfalls muss Perikles infolge der defensiven Strategie erheblichen Schaden seitens der Gegner tragen. Angesichts dessen ist es durchaus denkbar, dass Perikles die Gefallenenrede als Hoffnungsträger für die kommenden Kriegsjahre als Intention hatte, sodass auch weiterhin ihn die Bürger seiner Polis unterstützen.
3 Analytische Vorgehensweise
3.1 Auszug 1 – Thukydides II, 37
[Abdruck des Textes und der Übersetzung für Veröffentlichung entfertn; zu finden unter: http://www.gottwein.de/Grie/thuk/thuk2034.php]
Der hier vorliegende Auszug „Thuk. II, 37“ aus dem Epitaphios des Perikles für die Gefallenen des ersten Kriegsjahres während des Peloponnesischen Krieges beschreibt das Staatswesen bzw. die Verfassungsordnung von Attika und dessen Grundwerte. Dabei ermöglicht dieser Auszug eine Unterteilung in drei Abschnitte. Der erste Sinnabschnitt (z. 1 bis 13) schildert die ersten Züge von demokratischen Herrschaftsverhältnissen, die besonders durch die Isonomie in Athen hervorgehoben wird. So impliziert dies (Chancen-)Gleichheit und Gleichberechtigung sowohl im gesellschaftlichem Milieu als auch im staatlichem Dienst für die Athener. Im zweiten Abschnitt (z. 14 bis 21) spricht Perikles von einem ausgeprägten Freitheitsverständnis, welches die athenischen Bürger besitzen und des Weiteren ihren sozialen Umgang beeinflusst. Im dritten und letztem Abschnitt (z. 22 bis 28) wird auf das attische Rechtssystem verwiesen, dass von allen Bürgern und Bürgerinnen beachtet und gemäß den rechtlichen, aber auch den sittlichen Gesetzen, exemplarisch praktiziert wird. Im Gesamtwerk lässt sich dieser Auszug, laut Gaiser, in den ersten Hauptteil einordnen.[36]
Um dessen Absichten empor zu arbeiten und die Zuhörer bzw. die Leser zu erreichen, benutzt er reichhaltig sprachliche sowie rhetorische Mittel in der Rede: Zu Beginn des Abschnittes wird durch das Verb „ζηλούσῃ“ (z. 1) bereits authentisch, dass Perikles sich selbst mit dem Volk einschließt, sodass ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt wird. Auch zielt er so möglicherweise auf die Erschaffung eines Nationalempfindens, der die Bürger im Verlauf der Rede über die Eigenschaften Attikas stolz machen soll. Beigeschlossen agiert die Anrede persönlich zum Leser bzw Zuhörer, was das oben genannte Zusammengehörigkeitsgefühl verstärkt, die aufgrund Perikles‘ Distanz zum Volk besonders unterstrichen ist.[37] Der Einbau von Schlüsselwörtern wie „παράδειγμα“ oder (z. 2), „δημοκρατία“ (z. 6) dienen als Mittel zur einer penibleren Veranschaulichung des Staatsideals des Perikles. Aus diesem Grund gilt die „δημοκρατία“ als Herrschaftsform einer großen Menge, aber nicht von allen, sodass keine kleine Gruppe die Befehlsgewalt für sich sichern könnte. Interessant ist die Stelle „καὶ ὄνομα μὲν διὰ τὸ μὴ ἐς ὀλίγους ἀλλ’ ἐς πλείονας οἰκεῖν δημοκρατία κέκληται“ (z. 4 – 6) zu betrachten, da hier bewusst über den Ausschluss von Immigranten, Sklaven, Kindern und Frauen über die Möglichkeit politischer Partizipation gesprochen wird. Auf der anderen Seite wird bereits mit dem Begriff „παράδειγμα“ die Fortschrittlichkeit und Einzigartigkeit Attikas suggeriert, sodass auch zum Ausbau der Demokratie als Lebensform für alle Völker außerhalb Athens und Hellas ermutigt wird. Als Abgrenzung ist aber auch mit dem oben genannten Satz das Prinzip der Macht definiert und wer über sich richtet, was an dieser Stelle näher erläutert werden muss: Denn was Perikles hierbei meint, ist die Macht „als Wirkung oder gleichsam Ausstrahlung der besten politischen Ordnung.“[38] Somit ist keineswegs eine gewaltsame oder totalitäre Macht gemeint, sondern eine Überlegenheit Athens in der inneren Stabilität.
Inhaltlich zeigt sich die Beschreibung des athenischen Gemeinwesens nach Perikles, wobei er die Bedeutsamkeit und den Progressivismus emporhebt. Dieses Schilderung werden durch eine „antithetisch-synthetischen Form der Prädikationen“[39] unterstützt, sodass ein Komplementärverhältnis zweier Aussagen entsteht. Perikles bewerkstelligt gleichwohl, dass zwei „divergierende, aber positive Moment“ in eine „Struktur des Sowohl-Als-auch“[40] auftreten. Jenes ist beispielsweise von Zeile 6 bis 13 mit der Aussage „μέτεστι δὲ κατὰ μὲν τοὺς νόμους πρὸς τὰ ἴδια διάφορα πᾶσι τὸ ἴσον, κατὰ τὴν ἀξίωσιν, ὡς ἕκαστος ἔν τῳ εὐδοκιμεῖ, οὐκ ἀπὸ μέρους τὸ πλέον ἐς τὰ κοινὰ ἢ ἀπ’ ἀρετῆς προτιμᾶται, οὐδ‘ αὖ κατὰ πενίαν, ἔχων γέ τι ἀγαθὸν δρᾶσαι τὴν πόλιν, ἀξιώματος ἀφανείᾳ κεκώλυται.“ ersichtlich, dass, auch wenn in Athen die Isonomie herrscht, die Bürger trotzdem durch ihren Verdienst für das Gemeinwohl profitieren und so Differenzen nach der Leistung entsteht. In einem anderen Abschnitt spricht Perikles von „ἀνεπαχθῶς δὲ τὰ ἴδια προσομιλοῦντες τὰ δημόσια διὰ δέος μάλιστα οὐ παρανομοῦμεν, τῶν τε αἰεὶ ἐν ἀρχῇ ὄντων ἀκροάσει καὶ τῶν νόμων,“ (z. 1 bis 4), womit die Freiheitlichkeit des Individuums in Athens gerühmt wird, er sich dennoch an die Regeln und Gesetzen der Gesellschaft halten muss und auch hält. Üblicherweise wirkt der Inhalt der beiden Aussagen gegensätzlich oder entkräftend, rhetorisch hat Perikles diese Konstruktion zur Stärkung seiner Lobrede über Athen ausgewählt, da diesseits gezeigt wird, dass Athen jegliche gesellschaftlichen Gegensätze überwunden hätte und vorbildlich als Ideal für die Vereinbarkeit von unähnlichen Werten (beispielweise Freiheit und Gebundenheit) dient.
Die Redeabsicht des Perikles zeigt sich deutlich als motivierend und überzeugend, dass Athen mehr als nur eine Stadt sei, sondern als die freiheitlich-stabilste Metropole von Hellas fungiert. Näher darauf gehen wir in der abschließenden Auswertung ein.
3.1 Auszug 2 – Thukydides II, 40
[Abdruck des Textes und der Übersetzung für Veröffentlichung entfertn; zu finden unter: http://www.gottwein.de/Grie/thuk/thuk2034.php]
Nun befassen wir uns mit dem Auszug „Thuk. II, 40“ aus dem Epitaphios des Perikles für die Gefallenen des ersten Kriegsjahres während des Peloponnesischen Krieges. Hier spricht Perikles detaillierter über die Vorzüge der athenischen Gesellschaft und merkt die bedeutsame politische Partizipation der Athener Bürger an und grenzt (auch mit anderen Inhaltspunkten) von den anderen Völkern ab. Dabei ermöglicht dieser Auszug eine Unterteilung in drei Abschnitte. Der erste Sinnabschnitt (z. 1 bis 6) schildert die Bescheidenheit und Gelehrtheit der athenischen Bevölkerung, wo auch Armut akzeptiert ist, solange sie vom Individuum selbst bekämpft wird. Im zweiten Abschnitt (z. 7 bis 17) erläutert Perikles die politische Partizipation, wo jeder Bürger einen Bezug findet und mündig handelt. Im dritten Abschnitt (z. 18 bis 26) wird auf den Mut und der taktischen Überlegenheit Athens verwiesen, die sie in Abgrenzung ihrer Gegner besitzen, da diese selbst derartige Eigenschaften nicht hätten. Im viertem und fünftem Abschnitt (z. 27 bis 38) deklariert Perikles die treue Freundschaft von Athen zu seinen Verbündeten und erklärt diese, womit er begründet, dass diese nicht in erster Linie zum Eigennutz gedacht sind, sondern zugunsten seiner Beziehungen mit anderen Völkern. Im Gesamtwerk lässt sich dieser Auszug, laut Gaiser, in den ersten Hauptteil einordnen.[41]
Bei der ersten Betrachtung wird eine parallelistische Alliteration in Zeile 1ff. vorgefunden, die folgendermaßen heißt: „ φιλοκαλοῦμέν τε γὰρ μετ' εὐτελείας καὶ φιλοσοφοῦμεν ἄνευ μαλακίας“. So wird eine Anwendung der beiden Schlüsselwörter „Φιλοκαλοῦμέν“ und „φιλοσοφοῦμεν“ ausgeführt, womit auch ein syntaktisch-rhythmischer Effekt entsteht. Demnach entsteht eine explizite Betonung dieser Wörter, sodass hier eine Verstärkung der tugendhaften Vorlieben, die Perikles den Athenern zuspricht, ausgedrückt ist. Zusätzlich unterstütz die bereits aus dem letzten Auszug benannte antithetisch-synthetischen Form der Prädikationen, da die athenische Liebe sowohl für die Weisheit als auch für die Schönheit im gleichem Verhältnis gelte, weswegen die Athener in einem besonderen Maße begabt sind, ein derartiges Gleichgewicht herzustellen. Angeschlossen ist dies mit der Wortwahl im ersten Teil des Satzes mit „μετ'“ und im zweiten Teil mit „ἄνευ“. Fürderhin finden sich weitere antithetische Satzstrukturen sowohl im gesamten Abschnitt eins als auch im Abschnitt zwei und zudem eine weitere in vierten Abschnitt in Zeile 28f. Aus Gründen der Kürze kommen wir direkt zur ihrer Bedeutung im Zusammenhang des Absatzes dieses rhetorischen Mittels, das auch hier als Mittel zur Amplifikation gegensätzlicher Grundsätze und Werte, die sich normalerweise widersprechen, aber hier gebündelt werden, dient.
Obgleich die Wortwahl „γὰρ“ den Beginn eines neuen Satzes andeutet, ist es dennoch interessant zu untersuchen, warum exakt diese Häufigkeit der Wortwahl in solchem Maße getroffen wurde. Denn, selbst im Falle eines unbeabsichtigten Gebrauches ohne eines Hintergedankens, lässt sich mit den Sätzen eine kausative Wirkung dechiffrieren. Woraufhin ist es im Möglichen all diese „Kausalsätze“ als Beantwortung einer Frage zusammenbinden, welche lautet, warum Athen ein nachahmenswertes Beispiel sei und warum Athen den Peloponnesischen Krieg gewinnen werden würde.
Unabhängig von der sprachlichen Struktur hat Perikles ein indirektes Selbstlob eingebaut, der sich in den Sätzen „οὐ γὰρ πάσχοντες εὖ, ἀλλὰ δρῶντες κτώμεθα τοὺς φίλους. βεβαιότερος δὲ ὁ δράσας τὴν χάριν, ὥστε ὀφειλομένην δι' εὐνοίας, ᾧ δέδωκε, σῴζειν“ (z. 28 - 32) wiederfindet. Dabei ist kein Bezug auf den Redner selbst gemeint, sondern die Erläuterung, wie der Umgang Athens mit seinen Freunden sei und dabei dieses Verhalten generalisiert, was zur Folge hat, dass er somit indirekt meint, die athenische Außenpolitik wäre exemplarisch für jedes andere Volk, sodass ein indirektes Lob von seiner Seite stammt.
Allgemein ist zu bemerken, dass dieser Abschnitt eine Weiterführung des Hymnos an Athen ist, der hierbei zusätzlich die Aspekte der Mündigkeit und politische Partizipation athenischer Bürger (40,1-2), dem Vergleich Attikas Gegner und seiner selbst anführt (40,2-3), die Aspekte der Außenpolitik (40,4-5).
3.3 Auszug 3 – Thukydides II, 41
[Abdruck des Textes und der Übersetzung für Veröffentlichung entfertn; zu finden unter: http://www.gottwein.de/Grie/thuk/thuk2034.php]
Als dritten relevanten Abschnitt ist der Auszug Thuk. II, 41 zu sehen, was Flasher als „den Schlüssel zum Verständnis des Epitaphios“[42] anführt. In Anbetracht dessen strebt Perikles hierin eine Zusammenfassung der gesamten Rede an und stellt damit die Begründung auf, warum die Gefallenen des ersten Kriegsjahres in Ehre gestorben wären. Infolgedessen besteht auch hier die Eventualität einer Einteilung in fünf Abschnitten. In dem ersten Abschnitt von (z. 1 - 6) tituliert Perikles Athen als die „τῆς Ἑλλάδος παίδευσιν“ wo auch das Individuum etwas von der vielgestaltigen Natur Athens lerne. Im darauffolgenden Absatz (z. 7 – 11) behauptet er, dass im gesamten Hergang der Rede lediglich die Wahrheit über die Auffassungsgaben Athens gesagt wurde, da dies bereits mit der Macht Athens bewiesen sei und keine einfachen Floskeln benutzt wären. Der dritte Abschnitt (z. 12 – 17) erklärt die Fähigkeit Attikas über das Korrespondieren eines Rufes, was sowohl den Angreifer als auch den Besiegten denunziert und die Überlegenheit Athens akzentuiert. Dadurch ergibt sich ein Bild von Athen, wovon der Redner in der vierten Passage (z. 18 – 29) als unumstößlich ausgeht, sodass keine Wunschbilder von Dichtern oder Lyriker über Athen entstehen müssen, da Athen als Ideal bereits existiert. Dieses Porträt von Athen bleibt demnach ebenso in der Nachwelt bestehen. In seinem letzten Abschnitt (z. 30 – 34) erklärt er, dass es lohnenswert sei, für eine derartige Stadt, die in den Paragraphen davor beschrieben und gepriesen wurde, um deren Wohlbefinden zu sichern, zu sterben. Insgesamt kennzeichnet Gaiser (exklusiv den ersten und letzten Abschnitt) diesen Auszug als Mittelstück, wo „die Macht der Polis“[43] verdeutlicht wird. Indessen illustriert er dieses Mittelstück als Gelegenheit Perikles', „Beweise für die Wahrheit der Rede“[44] vor zu bringen.
Das im Auszug 1 vorkommende Machtmotiv („δύναμις“) korrespondiert hierbei zusätzlich mit dem tatsächlichen Wahrheitsmotiv („ἔργων [..] ἀλήθεια“), den Perikles in seinen ersten Absätzen explizit erklärt. Daraus abgeleitet steht das Wahrheitsmotiv als Rechtfertigung für Perikles, die durch die Bedeutung der Macht unterstützt wird. Nach der Interpretation Gaisers sei ἡ δύναμις „eine Macht, die nicht gewaltsam auf alle anderen einwirkt, sondern sich unwiderstehlich durchsetz, weil diese Polis durch ihre Größe und Schönheit [..] Liebe und freiwillige Anerkennung hervorruft.“[45] Im Gegensatz dazu steht jedoch der Deutungsansatz seitens Helmut Flashars, der dabei behauptet, dass Perikles selbst ein „selbstherrliches, ja brutales Machtdenken“[46] bloßlegt. Dieses Machtdenken steht im Zusammenhang mit dem „imperialistischen Expansionsdrang“[47] der Athener, der in Abschnitt 4 erwähnt ist, da hier Perikles über „θάλασσαν καὶ γῆν“ spricht, dass auch unter der zufriedenen Herrschaft Athens stehen würde. Letzteres revidiert Gaiser diese These aber und meint, dass damit „nicht die äußere Expansion, sondern die überragende Großartigkeit [Athens].“[48] Zur Ergänzung der Machtdefinition steht Abschnitt 3 zur Verfügung, denn hier wird eine menschliche Ungleichheit vorausgesetzt. Damit ist gemeint, dass „der Bessere über den Schlechteren herrschen soll, weil dies zum Wohl beider dient.“[49] Demnach wäre kein grausames oder imperialistisches Gedankengut vorzufinden, was aber nicht heißt, dass eine definierte und „richtige“ Macht nicht erkennbar ist.
Ein weiteres Schlüsselwort bildet das Wort „αὔταρκες“ in Zeile 6, das Perikles als letztes Wort seines Hymnos an Athen widmet. Hierbei ist die besondere Definition äußerst anregend. Nämlich das Wort besitzt die Definition von Unabhängigkeit bzw. in sich funktioniert ohne jegliche Hilfe von außen – womit Perikles die Erhabenheit und den Großmut Athens mit diesem Wort gipfeln lässt. So bewertet er diese Stelle als finale Aussagekraft, wo gesagt wird, „daß sich in dieser Polis alle die sonst auseinanderfallenden Werte zu einem Zustand der Arreté und Eudaimonie vereinigen.“[50]
Wie bereits erwähnt, ist das Wahrheitsmotiv in diesem Auszug exzeptionell ein zentrales Merkmal. Zumal die Frage gestellt wird, warum Perikles versucht seine Glaubwürdigkeit hier beweisen zu wollen? Es ist schnell ersichtlich, dass die Beweisanführung als rhetorisches Mittel verwendet wird um die Überzeugung seiner Zuhörer zu gewinnen, da hier psychologische Gründe angeführt werden. Einerseits gibt Gaiser an, dass „zu den Aufgaben einer Lobrede (..) gehört es nicht nur, daß der Redner an seinem Gegenstand einseitig das Gute hervorhebt, sondern er muß seine Lobpreisungen auch als Wahrheit hinstellen.“[51] Anschließend kann man daraus herausschließen, dass dies ein rhetorisch-taktisches Manöver war, um den Zuhörer oder Leser an seinen Argumenten festzubinden und seine eigenen Glaubwürdigkeit umso mehr zu steigern.
4 Auswertung
Die Adressaten sind die gesamte athenische Bevölkerung gewesen, wobei Bewohner der Stadt neben den Angehörigen und Freunden der Gefallenen versammelt waren.
Die hier analysierten Auszüge bilden (im Vergleich zum übrigen Werk) den ersten Hauptteil der Rede, in der der Redner die Größe von Athen wiedergibt, sodass ein Hymnos auf Athen entsteht. Dabei lobt er den Mut und Intelligenz der Athener, das athenische Staatssystem und auch die besonderen Fähigkeiten in der innerstaatlichen und außerstaatlichen Politik.
Wird die Rede jedoch mit dem damaligen Athen verglichen, so ist nicht zu widersprechen, dass eine Ungleichmäßigkeit zwischen Idealbild und Realität verursacht wird. Dies ist folgenderweise erkennbar: Die Leistung des Individuums für die Gemeinschaft würde mit Ruhm geehrt werden und die Kommunikation unter den Bürgern und Bürgerinnen bestehe aus bedingungsloser Einigkeit bzw. Zustimmung. Demnach existiere kein Misstrauen unter einander (37,1). Bei genauerer Betrachtung ergibt sich hier ein Widerspruch, denn Perikles, der selbst sein Leben für die Politik und der Gemeinschaft Attikas widmete, war ebenso mit Anfeindungen und Konflikte mit seiner eigenen Bevölkerung auseinandergesetzt.[52] An einer diversen Stelle spricht sich Perikles zugleich für die exaltierte Treue zu den eigenen Verbündeten und Bundesgenosse, ohne jeglichen Eigennutzung im Sinne zu haben (40,5). So ist es tatsächlich gewesen, dass nicht alle politischen Aktivitäten frei von (wie Gaiser formuliert) „imperialistischen Nützlichkeitserwägungen“.[53] Gleich falls referiert Perikles, dass Athens Unterworfenen über derartige Herrscher wie die Athener glückseien. Hierbei zeigt sich nebenbei auch der ausgeprägte Elitarismus, dessen Gedankengut der Redner miteinbaut. Deutlich spiegeln aber die Aufzeichnung ein Machtmissbrauch gegenüber den Beherrschten, das nicht konform mit dem Inhalt der Rede ist. Auch ist in der analytischen Vorgehensweise das Machtmotiv nach Flashar erklärt worden, dass eine Diskrepanz zwischen Imperialismus bzw. absoluten Macht und dem von Perikles positiv konnotierten Machtprinzip, womit niemanden Schaden tragen soll. Denn er spricht von einer Ausdehnung des hellenischen Volkes, der fürderhin zur einer friedlichen Verständigung anderer Völker hinführt. Jenes zeigt die Komplexität von Theorie und Praxis und das damit resultierende Idealbild.
Insgesamt kann gesagt werden, dass nicht nur die demokratische Verfassung Athens erklärt und gelobt wird, wo nicht der Demagoge herrscht, sondern die Gemeinschaft für das Gemeinwohl. Desgleichen wird ein „ideales Modell“[54] konstruiert, wo die negativen Seiten irrelevant wirken und dagegen lediglich die Vortrefflichkeiten Athens eine Rolle spielen. Unterstützung bekommt diese Intention zusätzlich durch das Verweisen von Perikles auf den wahrheitsgemäßen Inhalt (siehe Abschnitt 3 für eine nähere Erläuterung). Hier wurde die Verweisung (wie bereits genannt) als rhetorisch-taktisches Manöver erläutert. Welche tiefere Bedeutung sie aber nun besitzt, wird noch klarer, sofern man die Diskrepanz zwischen Idealbild und Realität untersucht. Perikles ist gezwungen seine, teilweise unglaubhaften, Beschönigung in irgendeiner Art und Weise dennoch plausibel und authentisch dünken zu lassen. Diese „Beteuerung auf die Wahrheit“ lässt den Redner jegliche Zweifel erlöschen (Voraussetzung ist dafür ein vollständiges Vertrauen in den Redner ohne jedwedes Hinterfragen).
5 Schlusswort
In Bezug auf den Epitaphios ist es interessant zu erwähnen, dass dieser nicht von Thukydides Vorort aufgezeichnet wurde, sondern Thukydides später mithilfe seiner Erinnerungen die Rede niederschrieb.[55] Dies erschwert erheblich das Vertrauen in der Authentizität, zumal es keine anderen Quellen gibt, wo der Epitaphios in jeglicher Art und Weise aufgezeichnet wurde. Demnach beteuert Thukydides, dass er die verfassten Sätze den jeweiligen Empfindungen angepasst hätte.[56] Belegt wurde jenes durch den “Style”, der “not be uncommon for the statesmen of this period”[57] ist, wenngleich “language and style are Thucydides’ own, even though he may include occasional phrases and linguistics”. Angliedernd daran wird der Epitaphios, da er von Thukydides überliefert wurde, als “literary device {genutzt} which Thucydides could present artistically the ideals of Athenian democracy.”[58] So kann man ihn als freie Reproduktion von Thukydides verstehen, der die Kernaussagen des Epitaphios mit seinen Idealen von Perikles “falsifiziert” hat.
Der Grund warum Thukydides bzw. Perikles eine derartige extravagante Darstellung beschreibt liege darin, dass dem Volk zum Krieg Mut zugesprochen werden muss, denn der eigentliche Krieg hätte erst ab 430 v. Chr. begonnen – in dem Jahr wo der Epitaphios abgehalten wurde. Auf der anderen Seite ist es im Rahmen des Möglichen, dass Thukydides mit der Aufzeichnung diese Rede möglicherweise nach dem verlorenen Krieg im Jahre 404 v. Chr. das Idealbildbild Perikles und Athens aufrechterhalten wollte.
Wir hoffen hiermit gezeigt zu haben, dass der Epitaphios des Perikles als Grundsatz der attischen Demokratie gilt, da das Wunschbild des Perikles für Athen (auch, wenn dies nicht vollständig umgesetzt wurde) einem idealen Staats- und Gesellschaftsmodell gleichgesetzt wird, was dazu leitet, dass dies Rede ein (unserer Meinung nach:) erstrebenswertes Ziel einer Gesellschaft ausmacht, die die Ausfaltung freiheitlich-liberaler, aber auch innenpolitischer Stabilität ermöglicht. Obgleich die Diskrepanz zwischen Theorie (Epitaphios) und Ausführung (Athen) teilweise missglückte, ist es nicht deshalb unaussprechlich, den Epitaphios in der Moderne als Grundsatz zu nehmen, um die Größe einer Gemeinschaft, einer Nation oder einer Organisation zu definieren.
Abschließend wird diese Facharbeit mit einem Zitat von Perikles beendigt:
„ Die Demokratie darf die Staatsmacht nicht einer Minderheit, sondern nur dem ganzen Volke anvertrauen. Die Gleichheit aller vor dem Gesetze bedingt, daß alle Mitbürger die gleichen Rechte genießen, daß kein Volksteil seine Sonderinteressen auf Kosten der übrigen Bürger durchzusetzen versucht.“[59]
Literaturverzeichnis
- Bleckmann, Bruno: Der Peloponnesische Krieg, München, 12007
- Flashar, Hellmut Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk des Thukydides, Heidelberg, 11969
- Gaiser, Konrad: Das Staatsmodell des Thukydides: Zur Rede des Perikles für die Gefallenen, in: Heß, S., Römisch, E., Vester, H. (Hrsg.), Heidelberger Texte: Didaktische Reihe, Heidelberg, 1975, 7-45
- Högemann, Peter: Perikles, DNP 9 (2000), 567-570
- Lehmann, Gustav Adolf: Perikles: Staatsmann und Stratege im klassischen Athen; eine Biographie, München, 12008
- Leppin, Hartmut: Thukydides und die Verfassung der Polis. Ein Beitrag zur politischen Ideengeschichte des 5. Jahrhunderts v. Chr., Berlin, 1999
- Schmitz, Winfried: Pelopennesischer Krieg, DNP 9 (2000), 502-506
- Spahn, Peter: Perikles – Charisma und Demokratie, in: Nippel, Wilfried (Hrsg.): Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, München, 2000, 23-38
- Will, Wolfgang: Perikles, Hamburg, 11995
- Will, Wolfgang: Thukydides und Perikles, in: Alföldy, G., Kolb, F. (Hrsg.), Abhandlungen zur alten Geschichte, Bonn, 2003, 38-241
- Ziolkowski, John: Thucydides and the tradition of funeral speeches at Athens, New York City, 1981 Internetquelle
- Zitate von Perikles, http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=2936_Perikles (abgerufen am 24.01.16/ 11.03.16)
[...]
[1] http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=2936_Perikles (abgerufen am 24.01.16)
[2] Will 7
[3] vgl. Bleicken, 50
[4] vgl. ebd. 23
[5] ebd. 26
[6] ebd. 89
[7] vgl. ebd. 47
[8] vgl. Högemann 570
[9] Lehmann 88
[10] Högemann 567
[11] Will 50
[12] Högemann 570
[13] vgl. ebd.
[14] vgl. Will 110
[15] Spahn 37
[16] Will Vorwort
[17] vgl. ebd. 159
[18] ebd. 185
[19] ebd. 224
[20] vgl. ebd. 185
[21] Will 224
[22] ebd.
[23] vgl. Schmitz 506
[24] Will 240
[25] ebd. 241
[26] vgl. Bleckmann Einleitung
[27] Schmitz 502
[28] vgl. ebd.
[29] ebd. von: Thuk. (5,26)
[30] vgl. Bleckmann 20
[31] ebd. (sehr gut)
[32] vgl. ebd. 34
[33] vgl. ebd. 35
[34] vgl. Schmitz 502
[35] vgl. Bleckmann 37
[36] vgl. Gaiser 24
[37] vgl. Spahn 28
[38] Gaiser 30
[39] ebd. 32
[40] ebd. 31
[41] vgl. Gaiser 24
[42] Flasher 25
[43] Gaiser 24
[44] ebd. 25
[45] ebd. 30
[46] Flasher 27-28
[47] ebd. 26
[48] Gaiser 29
[49] ebd.
[50] ebd. 33
[51] ebd. 42
[52] vgl. Gaiser 40
[53] ebd.
[54] Gaiser 41
[55] Ziolkowski 1
[56] ebd.
[57] ebd. 3
[58] ebd. 6
[59] http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=2936_Perikles (abgerufen am 11.03.16)
- Quote paper
- Samir Syed (Author), 2016, Der Epitaphios des Perikles als Grundlage der attischen Demokratie, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/413435