Der erste Gebrauch der Bezeichnung religio politica geht auf den wegen Ketzerei verurteilten Dominikanermönch Tommaso Campanella (1568 – 1639) zurück. Campanella sieht die Religion als den Kern der menschlichen Gemeinschaft, die auf diesem Weg geeint wird. Dennoch missbrauchen die Herrschenden stets die Religion zur Machtsicherung. Dagegen setzt Campanella den Sonnenstaat, eine utopische Konstruktion, die strikt hierarchisch aufgebaut ist. An oberster Stelle steht ein Priester, der kraft seiner Rede das Volk belehrt. In diesem Sonnenstaat sind außerdem die öffentliche Inszenierung (durch Aufmärsche, Festtage, etc.) und (freiwillige) Menschenopfer vorgesehen. Diese Elemente sind der modernen Geschichtsschreibung im Zusammenhang mit totalitären Regime sehr wohl bekannt. Während die weitere Verwendung des Begriffes der politischen Religion durch Daniel Clasen und Christoph Martin Wieland eher diffus war und hauptsächlich der Kritik an absolutistischen Herrschaftssystemen diente , taucht die Bezeichnung zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Auftreten von Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus erneut auf.
Die Forschung sucht bis heute nach Erklärungen, um die psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieser totalitären Systeme zu verstehen. Das Konzept der politischen Religionen hat sich als geeignetes Mittel herausgestellt, um die Geisteshaltung der Regimeanhänger zumindest teilweise zu interpretieren. Dennoch haben sich an dem Begriff der politischen Religion (insbesondere durch seine undifferenzierte Verwendung) zahlreiche Kontroversen begründet. So kam die Debatte auf, ob man Politik und Religion – das Weltliche und das Geistliche – überhaupt in dieser Art und Weise auf eine Stufe stellen darf. Schließlich ist der Religionsbegriff nach wie vor positiv besetzt, während Politik für weite Teile der Bevölkerung etwas Anrüchiges darstellt.
Inhalt dieser Arbeit soll daher ein Überblick zur Kontroverse um den Nationalsozialismus als politische Religion sein. Weitere totalitäre Regime finden keinen Einfluss in die Analyse, da dies die Arbeit zu umfangreich gestalten würde. In Bezug auf den Nationalsozialismus gilt es zu klären, ob dieser eine politische Religion war, ob er tatsächlich christliche Wurzeln aufweist und welche religiösen Eigenschaften er inne hat. Kann man die Naziherrschaft wirklich transzendental, also überweltlich, verstehen oder verfolgte sie letztlich nur säkulare Ziele?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemstellung
- Aufbau
- Forschungsstand
- Hans Maiers Begriff der politischen Religion
- Eigenschaften von politischen Religionen
- Politik und Religion
- Das Selbstverständnis der Nationalsozialisten
- Adolf Hitlers Antireligiösität
- Religionsähnliche Elemente im Nationalsozialismus
- Eric Voegelins Verständnis vom Nationalsozialismus
- Der Nationalsozialismus als innerweltliche Religion
- Der Nationalsozialismus als gnostische Massenbewegung
- Raymond Aron: Der Nationalsozialismus als säkulare Religion
- Michael Ley: Die nationalsozialistische Apokalypse
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, die Kontroverse um den Nationalsozialismus als politische Religion zu beleuchten und einen Überblick über die verschiedenen Perspektiven auf dieses Thema zu geben. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse des Nationalsozialismus im Hinblick auf seine religiösen Eigenschaften und die Frage, ob er tatsächlich christliche Wurzeln aufweist.
- Der Begriff der politischen Religion und seine Anwendung auf den Nationalsozialismus
- Das Selbstverständnis der Nationalsozialisten in Bezug auf Religion
- Die religionsphilosophischen Ansätze von Eric Voegelin, Raymond Aron und Michael Ley
- Die Analyse des Nationalsozialismus als innerweltliche Religion, gnostische Massenbewegung und säkulare Religion
- Die Rolle der nationalsozialistischen Apokalypse als konstitutives Element des Dritten Reiches
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Arbeit stellt die Problemstellung der Kontroverse um den Nationalsozialismus als politische Religion dar und gibt einen Überblick über den Forschungsstand.
- Hans Maiers Begriff der politischen Religion: Dieses Kapitel erläutert die Eigenschaften von politischen Religionen und die Beziehung zwischen Politik und Religion, indem es auf Hans Maiers Definition zurückgreift.
- Das Selbstverständnis der Nationalsozialisten: Hier wird der Fokus auf Adolf Hitler und seine antireligiöse Veranlagung gelegt, wobei auch religionsähnliche Elemente im Nationalsozialismus untersucht werden.
- Eric Voegelins Verständnis vom Nationalsozialismus: Dieses Kapitel stellt Eric Voegelins religionsphilosophische Konzepte dar und analysiert seine Sichtweise auf den Nationalsozialismus als innerweltliche Religion und gnostische Massenbewegung.
- Raymond Aron: Der Nationalsozialismus als säkulare Religion: Das Kapitel behandelt Raymonds Arons Interpretation des Nationalsozialismus als säkulare Religion.
- Michael Ley: Die nationalsozialistische Apokalypse: Dieses Kapitel beleuchtet Michael Leys These, dass die nationalsozialistische Apokalypse ein konstitutives Element des Dritten Reiches war.
Schlüsselwörter
Politische Religion, Nationalsozialismus, Totalitarismus, Religion, Antireligiösität, Apokalypse, Gnostizismus, Säkularismus, Eric Voegelin, Raymond Aron, Michael Ley, Adolf Hitler.
- Arbeit zitieren
- Michael Münch (Autor:in), 2004, Der Nationalsozialismus als politische Religion, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/40292