[...] Über die Faszination des Labyrinth für den Menschen schrieb Dür renmatt: „Er entdeckt es immer wieder, es ist ein Abbild dessen, dass er in einer Welt lebt, die er sich selber schafft und in der er sich zurechtfindet.“ Die Tatsache dafür, dass die Affinität dazu in unserem Jahrhundert zugenommen hat, sieht Dürrenmatt darin begründet, dass der Mensch „heute immer mehr labyrinthisch“ lebt, dass die Technik „eine labyrinthische Welt erschaffe. Diese Meinung ist fast allgemein verbreitet. Die mittelalterliche Vorstellung der Welt als Labyrinth, deren Erlösung Christus-Theseus verkörpert,
scheint in die Metapher der Welt als Labyrinth umgedeutet worden zu sein. Bei manchen Autoren ist diese Deutung so offensichtlich – besonders auch bei Dürrenmatt – dass sie zu Schlüsselmetapher ihrer Werke wird. Dürrenmatts Umgang mit dem mit dem antiken Minotauros-Mythos weist den Charakter einer eigenartigen und eigenwilligen Interpretation auf. Dürrenmatt äußert sich dazu: „Ich habe die Ballade ganz bewusst auf das Thema der Vereinzelung angelegt, auf den Einze lnen, der nie zu seinem Gegenüber kommt.“ Wie in der Forschungsliteratur festgestellt wurde, sind die fiktionalen Texte des Autors explizit und implizit als Parabeln intendiert. Dürrenmatt betont jedoch die Mehrdeutigkeit seiner Gleichnisse, sodass er seine Texte offen für verschiedene Auslegungen hält und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass seine Modelle nicht rein naturwissenschaftlicher sondern künstlerischer Art sind und sich Kraft ihrer Vielschichtigkeit jeder Festlegung auf eine einzige Bedeutungsebene entziehen. Entsprechend unterschiedlich fallen dann auch die zahlreichen Interpretationen in der Dürrenmatt-Literatur aus, die – wenn sie zeitgeschichtliche oder religiöse Analogien aufzeigen wollen – sich der Parabeldeutung widmen und Dürrenmatts kritischskeptische Sicht der Welt den künstlerischen Eigenwelten entnehmen. In der vorliegenden Arbeit sollen die von Dürrenmatt in der Ballade „Minotaurus“ vorgenommenen Veränderungen des antiken Minotauros-Mythos und deren Deutungsmöglichkeit herausgearbeitet werden. Eine Orientierungshilfe wird hierbei der antike Minotauros Mythos liefern. Anhand der Entwicklungsstationen des Minotaurus wird das wechselnde Verhalten des Protagonisten untersucht und in Bezug zu den zentralen Bildern der „Ballade“ - Labyrinth, Spiegel und Tanz - gesetzt werden. Des Weiteren soll herausgestellt werden, was die Entwicklung des Minotaurus ausmacht und bewirkt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Sage vom Minotauros
- Die Umdeutung des antiken Minotauros-Mythos
- Die Herkunft des Minotaurus
- Das Labyrinth als Gefängnis und Schutzraum
- Das Labyrinthische im Wesen des Minotaurus
- Die Wirkung des Spiegellabyrinths auf den Minotaurus
- Das Erkennen des „Du“
- Das (Be)greifen des „Du“
- Der Verlust des „Du“
- Das neue „Du“
- Die Vernichtung des Minotaurus
- Die Entstehung eines Feindbildes
- Die Besiegung des Feindbildes
- Das Schattenlabyrinth – Erkenntnis des „Ichs“
- Das Labyrinth hat seine Funktion erfüllt - verloren
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Dürrenmatts „Minotaurus“-Ballade als Umdeutung des antiken Mythos. Ziel ist die Herausarbeitung der vorgenommenen Veränderungen und deren Deutungsmöglichkeiten. Die Analyse konzentriert sich auf die Entwicklungsstationen des Minotaurus im Kontext der zentralen Bilder Labyrinth, Spiegel und Tanz.
- Dürrenmatts Interpretation des Minotauros-Mythos als Parabel der Vereinzelung
- Die Rolle des Labyrinths als Metapher für die moderne, von Technik geprägte Welt
- Die Entwicklung des Minotaurus und seine Beziehung zum „Du“
- Das Motiv des Spiegellabyrinths und seine Auswirkungen auf den Minotaurus
- Die Bedeutung der Selbstfindung und -erkenntnis im Kontext des Mythos
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die besondere Relevanz des Minotauros-Mythos und des Labyrinth-Motivs in der Literatur des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Dürrenmatts Werk. Sie hebt die Mehrdeutigkeit von Dürrenmatts Parabeln hervor und benennt die Zielsetzung der Arbeit: die Analyse der Umdeutung des Mythos in Dürrenmatts Ballade "Minotaurus" anhand der Entwicklungsstationen des Protagonisten und im Kontext der zentralen Bilder Labyrinth, Spiegel und Tanz.
Die Sage vom Minotauros: Dieses Kapitel präsentiert die klassische Minotauros-Sage. Es beschreibt den Ursprung des Minotaurus aus der Verbindung von Pasiphae und einem Stier, den Bau des Labyrinths durch Dädalus, die Opfergaben der Athener, und Theseus' Sieg über den Minotaurus mit Hilfe von Ariadne. Das Kapitel stellt den historischen Kontext und die zentralen Figuren des Mythos dar, um den späteren Vergleich mit Dürrenmatts Interpretation zu ermöglichen. Die Handlung wird detailliert wiedergegeben, inklusive der Rolle von Poseidon, Dädalus und Ikarus, um ein umfassendes Verständnis des ursprünglichen Mythos zu liefern.
Die Umdeutung des antiken Minotauros-Mythos: Dieses Kapitel bildet den Kern der Arbeit. Es analysiert Dürrenmatts Interpretation des Mythos. Der Fokus liegt auf der Darstellung des Minotaurus als Symbol für den Einzelnen in einer labyrinthischen Welt, in der ein Kontakt zum „Du“ unmöglich ist. Es wird untersucht, wie Dürrenmatt die traditionellen Elemente des Mythos uminterpretiert und in einen modernen Kontext setzt. Der Text verdeutlicht die existenzielle Thematik der Vereinzelung und der Suche nach dem „Du“ innerhalb einer komplexen und unübersichtlichen Welt. Die Analyse beinhaltet die Erörterung der Entwicklung des Minotaurus und die Rolle des Labyrinths als Spiegelbild der menschlichen Existenz.
Schlüsselwörter
Minotauros, Dürrenmatt, Labyrinth, Mythos, Umdeutung, Vereinzelung, Parabel, Spiegel, Tanz, „Du“, Selbstfindung, Existenzialismus, Moderne.
Häufig gestellte Fragen zu Dürrenmatts "Minotaurus"
Was ist der Inhalt dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Friedrich Dürrenmatts Ballade "Minotaurus" als eine Neuinterpretation des antiken Mythos. Sie untersucht die Veränderungen, die Dürrenmatt am ursprünglichen Mythos vorgenommen hat, und deren mögliche Deutungen. Der Fokus liegt auf der Entwicklung des Minotaurus im Kontext der zentralen Motive Labyrinth, Spiegel und Tanz.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit befasst sich mit Dürrenmatts Interpretation des Minotauros-Mythos als Parabel der Vereinzelung, der Rolle des Labyrinths als Metapher für die moderne Welt, der Entwicklung des Minotaurus und seiner Beziehung zum "Du", dem Motiv des Spiegellabyrinths und seinen Auswirkungen auf den Minotaurus sowie der Bedeutung der Selbstfindung und -erkenntnis im Kontext des Mythos.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zur klassischen Minotauros-Sage, ein Hauptkapitel zur Analyse von Dürrenmatts Umdeutung des Mythos und ein Fazit. Die Einleitung führt in die Thematik ein und beschreibt die Zielsetzung der Arbeit. Das zweite Kapitel präsentiert die klassische Minotauros-Sage im Detail. Das Kernkapitel analysiert Dürrenmatts Interpretation und konzentriert sich auf die Darstellung des Minotaurus als Symbol für den Einzelnen in einer labyrinthischen Welt. Die Arbeit schließt mit einem Fazit.
Welche Kapitel gibt es und worum geht es in jedem Kapitel?
Einleitung: Einführung in die Thematik und die Zielsetzung der Arbeit. Die Sage vom Minotauros: Darstellung der klassischen Minotauros-Sage mit detaillierter Beschreibung der Handlung und der beteiligten Figuren. Die Umdeutung des antiken Minotauros-Mythos: Kern der Arbeit; Analyse von Dürrenmatts Interpretation des Mythos, Fokus auf dem Minotaurus als Symbol für Vereinzelung und die Suche nach dem "Du". Fazit: Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen.
Welche Schlüsselwörter sind relevant für diese Arbeit?
Die wichtigsten Schlüsselwörter sind: Minotauros, Dürrenmatt, Labyrinth, Mythos, Umdeutung, Vereinzelung, Parabel, Spiegel, Tanz, „Du“, Selbstfindung, Existenzialismus, Moderne.
Was ist die Zielsetzung der Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, Dürrenmatts "Minotaurus" als Umdeutung des antiken Mythos zu analysieren und die vorgenommenen Veränderungen und deren Deutungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Die Analyse konzentriert sich auf die Entwicklungsstationen des Minotaurus im Kontext der zentralen Bilder Labyrinth, Spiegel und Tanz.
Welche Rolle spielt das Labyrinth in Dürrenmatts Interpretation?
Das Labyrinth dient in Dürrenmatts Interpretation als Metapher für die moderne, von Technik geprägte Welt und als Spiegelbild der menschlichen Existenz. Es symbolisiert die Vereinzelung und die Schwierigkeiten, in dieser komplexen Welt einen Kontakt zum "Du" herzustellen.
Wie wird der Minotaurus in Dürrenmatts Ballade dargestellt?
Dürrenmatt stellt den Minotaurus als Symbol für den Einzelnen in einer labyrinthischen Welt dar, in der ein Kontakt zum "Du" unmöglich erscheint. Seine Entwicklung wird im Kontext der Motive Labyrinth, Spiegel und Tanz analysiert.
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- Juliane Meyer (Author), 2004, Die Umdeutung des antiken Mythos Minotaurus bei Dürrenmatt, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/40144