Die Novelle "Die Marquise von O…" von Heinrich von Kleist aus dem Jahr 1808 wird stetig kontrovers auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert. Gerade durch die Leerstellen Kleists sind seine Werke noch heute schwer zugänglich und interpretationsfähig, da sie einen großen Spielraum für die Kreativität des Lesers lassen. Eine solche Leerstelle, die vermeintliche Inzestszene der Marquise von O… mit ihrem Vater, dem Kommandanten der Zitadelle von M…, gerät fortwährend in literarische Gespräche und Diskussionen, da nicht klar ist, ob und weshalb die Inzestszene als solche bezeichnet werden sollte oder nicht. Mithilfe der Figurenanalyse nach der psychoanalytischen Literaturwissenschaft soll erarbeitet werden, inwieweit man "Die Marquise von O…" als inzestbeinhaltende Novelle lesen kann.
Doch wieso sollte man die Psychoanalyse nun gerade für die Deutung eines solchen literarischen Werkes nutzen? Diese Frage ist berechtigt, wenn die Anwendung von Freuds Psychoanalyse doch schwierig und abstrakt gesehen werden kann. Eine Erklärung wäre die Tatsache, dass Literatur immer ein Ergebnis psychischer Aktivitäten darstellt und somit durch die Psychoanalyse rückentschlüsselt werden kann. Damit ist die Literatur als "kontrollierte und reflektierte Bewusstmachung unbewusster Rezeptionsprozesse zu begründen", was bedeutet, dass hinter dem Text des Autors eine psychische Produktion "bestimmter gesellschaftlich[er], historisch-kulturelle[r]" Einflüsse steht, die sich auf das Werk und die damit verbundene Interpretation auswirkt.
Im Hinblick auf die literaturwissenschaftliche Anwendung der Psychoanalyse nach Freud sind sowohl das Seelenmodell als auch die Traumdeutung, inhaltlich verknüpft in dem Unbewussten, unabdingbar. Nur durch die Betrachtung des Unbewussten wird es möglich, das Verhalten von Figuren zu interpretieren und zu analysieren, um so den Text hinter dem Text lesen und verstehen zu können. Es wird versucht, unbewusste Prozesse aufzudecken und analytisch für die Gesamtheit des Werkes anzuwenden. Dabei wird bewusst auf die psychoanalytische Anwendung bezüglich des Autors und seines isolierten Textes verzichtet, jedoch die Sprache hinter den Handlungen der Figuren analysiert.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung: Heinrich von Kleists „Die Marquise von O…“
- 2. Der Begriff Inzest in seiner Bedeutung für „Die Marquise von O…“ und die Psychoanalyse nach Sigmund Freund
- 2.1. Definition des Begriffs Inzest
- 2.2. Ein Blick auf die psychoanalytische Literaturwissenschaft und Freuds Psychoanalyse
- 2.2.1. Modell des psychischen Apparats
- 2.2.2. Das Unbewusste und die Sexualität
- 2.3. Inzest als Teil Freudscher Lehre
- 3. Familie und Inzest: Psychoanalytisch ein Tabu?
- 3.1. Der psychoanalytische Blick auf die Marquise von O… und Herrn von G…
- 3.2. Die Vater-Tochter-Beziehung: ein Zustand der Bewusstlosigkeit
- 4. Fazit: Inzest- oder Versöhnungsszene? Kleists Schlüsselloch in der Versöhnungsszene
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O…“ aus psychoanalytischer Perspektive, insbesondere im Hinblick auf die vermeintliche Inzestszene zwischen der Marquise und ihrem Vater. Die Arbeit untersucht, ob und wie die Psychoanalyse von Sigmund Freud dazu beitragen kann, die Figur der Marquise und das zentrale Motiv des Inzests im Werk zu verstehen.
- Der Begriff Inzest und seine Bedeutung im Werk
- Die psychoanalytische Literaturwissenschaft und Freuds Modell des psychischen Apparats
- Das Unbewusste in Kleists Werk und seine Rolle bei der Interpretation von Figuren und Motiven
- Der Einfluss von gesellschaftlichen Tabus und Normen auf die Darstellung des Inzests in der Novelle
- Die Ambivalenz der Beziehung zwischen der Marquise von O… und ihrem Vater, dem Herrn von G…
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Heinrich von Kleists „Die Marquise von O…“
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und stellt die Novelle „Die Marquise von O…“ als ein Werk vor, das durch seine Leerstellen und offenen Interpretationen gekennzeichnet ist. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf die vermeintliche Inzestszene und untersucht, ob und wie sich diese mittels der Psychoanalyse nach Freud deuten lässt.
2. Der Begriff Inzest in seiner Bedeutung für „Die Marquise von O…“ und die Psychoanalyse nach Sigmund Freund
Dieses Kapitel definiert den Begriff Inzest und erläutert seine Bedeutung in der Psychoanalyse nach Freud. Es wird die Relevanz des Begriffs für die Interpretation von Kleists Werk im Kontext der damaligen gesellschaftlichen Tabus herausgestellt.
3. Familie und Inzest: Psychoanalytisch ein Tabu?
Kapitel 3 untersucht die Vater-Tochter-Beziehung in Kleists Werk aus psychoanalytischer Sicht. Es werden die Dynamiken der Beziehung zwischen der Marquise von O… und Herrn von G… im Hinblick auf das Inzesttabu und die psychoanalytische Theorie von Sigmund Freud beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Schlüsselwörter „Inzest“, „Psychoanalyse“, „Sigmund Freud“, „Heinrich von Kleist“, „Die Marquise von O…“, „Tabu“, „Unbewusstes“, „Vater-Tochter-Beziehung“, „Versöhnungsszene“ und „Literaturinterpretation“.
- Arbeit zitieren
- Annabell Hackfort (Autor:in), 2014, Das inzestuöse Band zwischen Vater und Tochter in "Die Marquise von O…" von Heinrich von Kleist, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/386006