Mit dem Vertrag von Maastricht (1993) wurde die Europäische Gemeinschaft (EG) zur Europäischen Union (EU). Dieses Datum markiert einen Wendepunkt im europäischen Integrationsprozess: Die Akzentverschiebung weg von der primär ökonomisch motivierten intergouvernementalen Zweckgemeinschaft hin zu einem supranationalen Regime mit weitreichenden Kompetenzen stellt zugleich eine Transformation dar, die die Legitimationsgrundlage europäischer Politik gravierend verändert. Während die EG weitgehend als intergouvernementales Regime arbeitete, beruhte seine (indirekte) Legitimation auf den Mitgliedsländern. D. h. nationalstaatliche Institutionen und Verfahren bildeten und repräsentierten die wesentlichen Interessen der Bürger hinsichtlich der wirtschaftlichen Funktionen der Gemeinschaft. Mit der Europäischen Union wurde jedoch eine ökonomisch-politische Ordnung implementiert, deren Kompetenzen auch verteilungsrelevante Interessenkonflikte zwischen und innerhalb der Nationalstaaten tangieren, die direkte und unmittelbare Konsequenzen auf die Lebensbedingungen der Bürger hervorrufen. Dienten bis dato vorrangig ökonomische Werte zur Beurteilung des europäischen Regimes, musste sich nun europäische Politik auch an sozialstaatlichen und demokratischen Werten messen lassen. Die EU wurde politisiert. Mit der Übertragung und Anwendung nationalstaatlicher Demokratiewerte als Maßstab für europäisches Regieren wurde ein Demokratiedefizit sichtbar. Einmal wahrgenommen entwickelte sich dieses Demokratiedefizit zum Legitimationsproblem, mit fatalen Folgen für den Prozess der europäischen Einigung.
Simone Stampehl analysiert das bestehende Defizit und zeigt einen denkbaren Ausweg aus dem europäischen Demokratiedilemma auf: Die Schwäche des politischen Europas wird auf die identitäre Dimension demokratischer Legitimation zurückgeführt und anhand der drei Kategorien Demos, Identität und Öffentlichkeit untersucht. Die Kernthese der Arbeit bildet die Annahme, dass diese drei Kategorien in einem Fundierungsverhältnis zueinander stehen. Die Bindung von Demos und Identität an Diskurs und mit ihm an Öffentlichkeit gelingt über die kritische Auseinandersetzung mit der national-kollektivistischen Theorie zu Demos, Identität und Öffentlichkeit. Unter Würdigung eines breiteren, der deliberativen Demokratietheorie nahestehenden Öffentlichkeitskonzepts eröffnen sich Perspektiven für den Prozess der europäischen Einigung.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Demokratie und Demokratiedefizit
- Legitimation und Legitimität
- Legitimationsquellen
- Quellen europäischer Legitimation
- Das Legitimationsdefizit
- Das institutionelle Demokratiedefizit
- Das strukturelle Demokratiedefizit
- Fazit
- Demos
- Volk und Nation
- Ethnos und Demos
- Konstitution und Volkssouveränität
- Keine Nation - kein Demos
- Kein Demos - keine Demokratie
- Entkopplung von Demos und Nation
- Staat und Nation
- Volk und Verfassung
- Kommunikation und Sprache
- Fazit
- Identität
- Identität und kollektive Identität
- Nation und Europa
- Identitätsstiftung
- Grenzen
- Konflikte
- Institutionen
- Kommunikation
- Codes
- Europas Identität als Diskursivitätscode
- Mehrfachidentitäten und doppelte Repräsentanz
- Demos und Diskurs
- Fazit
- Öffentlichkeit
- Die Trägheit\" von Praxis und Theorie\n\"\"
- Öffentlichkeit als Zustand der Stabilität
- Stabilität
- Konstanz
- Homogenität
- Sprachenvielfalt und Inkommensurabilität
- Öffentlichkeit als Prozess der Evolution
- Relevanz
- Kontingenz
- Strukturwandel von Öffentlichkeit
- Issueorientierung
- Issues und ihre Referenzgruppen
- Integration durch diskursive Öffentlichkeit
- Sektorübergreifende Kommunikation
- Inszenierung
- Netzwerköffentlichkeit
- Resonanz
- Öffentlichkeit - Europas nachholende Modernisierung
- Fazit
- Resümee und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht das Demokratiedefizit der Europäischen Union, welches aus der Spannung zwischen nationalstaatlichem Demokratieverständnis und der supranationalen Struktur der EU entsteht.
- Die Arbeit analysiert die Herausforderungen der Legitimation und Legitimität in der EU, insbesondere im Kontext der zunehmenden Integration und der Erweiterung der Union.
- Sie untersucht das Verhältnis von Volk, Nation und Demokratie im europäischen Kontext und die Herausforderungen, die aus der Entkopplung von Demos und Nation entstehen.
- Die Arbeit beleuchtet die Rolle von Identität in der europäischen Integration und die Bedeutung von Identitätsstiftung für die Legitimation der EU.
- Sie betrachtet die Entwicklung der europäischen Öffentlichkeit und ihren Einfluss auf den Integrationsprozess, insbesondere die Bedeutung von diskursiven Strukturen und Netzwerken.
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel widmet sich dem Konzept des Demokratiedefizits in der EU, indem es verschiedene Legitimationsprobleme und ihre Ursachen analysiert. Es betrachtet sowohl institutionelle als auch strukturelle Defizite.
- Das zweite Kapitel untersucht das Verhältnis von Demos und Nation im europäischen Kontext. Es analysiert, wie die Entkopplung von Demos und Nation die Demokratie in der EU beeinflusst.
- Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung von Identität für die europäische Integration. Es analysiert die Herausforderungen der Identitätsstiftung in einem multikulturellen und diversifizierten Europa.
- Das vierte Kapitel befasst sich mit der Entwicklung der europäischen Öffentlichkeit und deren Einfluss auf den Integrationsprozess. Es betrachtet die Bedeutung von diskursiven Strukturen und Netzwerken für die Integration.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Arbeit sind Demokratiedefizit, Europäische Union, Legitimation, Legitimität, Demos, Nation, Identität, Identitätsstiftung, Öffentlichkeit, Diskurs, Integration, Europa.
- Quote paper
- Simone Stampehl (Author), 2005, Demokratiedefizit Europas? Demos, Identität und Öffentlichkeit in der Europäischen Union, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/37057