Zur elementaren Relevanz des Motivs der Macht in Franz Kafkas Gesamtwerk bemerkte bereits vor einigen Jahren der Kafka-Experte Elias Canetti:
„Unter allen Dichtern ist Kafka der größte Experte der Macht. Er hat sie in jedem ihrer Aspekte erlebt und gestaltet.“
Somit scheint eine Beschäftigung mit dieser Materie überaus lohnenswert, auch wenn bereits einige Literatur zur Machttheorie im „Proceß“ existiert. Dennoch wurde dieses Thema bisher allenfalls als einer unter vielen Aspekten behandelt, das heißt oftmals als Teilkapitel in größeren Werken zum Roman. Wer Sekundärliteratur zum „Proceß“ sucht, die das Substantiv „Macht“ bereits im Titel tragen, wird nicht allzu viele davon finden, stellvertretend seien aber zum Beispiel Hans H. Hiebel mit „Die Zeichen des Gesetzes – Recht und Macht bei Franz Kafka“ oder auch Sylvelie Adamzik mit dem Titel „Kafka, Topographie der Macht“ genannt.
Dies soll aber nicht heißen, dass die Interpretation der Machtstrukturen dieses Romans bisher vernachlässigt wurde, denn eine Interpretation des Buches führt zwangsläufig zu einer Diskussion über die Existenz einer höchsten Machtinstanz. Deswegen haben viele Autoren, die sich an einer Interpretation über Kafkas „Proceß“ versuchten, auch oft ein oder mehrere Teilkapitel zur „Macht“ in ihren Werken miteingeschlossen. Es ist ferner allerdings meist so, dass eine Analyse des Buches nicht nur anhand scharf voneinander abgetrennter Aspekte erfolgt, sondern dass sich einzelne unterschiedliche Ansätze untereinander vermischen. Dies ist bei der Fülle von Betrachtungsmöglichkeiten, die sich bei Kafkas Werken immer ergeben, auch nicht verwunderlich. So wird unter anderem das Motiv einer möglichen Schuld des Protagonisten, das ja den inhaltlichen Rahmen der Geschichte bildet, immer in eine Interpretation mit einfließen und soll auch in dieser Arbeit nicht ganz ausgeklammert werden, zumal die Frage nach der Schuld des Josef K. verknüpft ist mit der Frage nach der Existenz einer höchsten Machtinstanz, die diese überhaupt erst feststellen kann oder darf.
Zur Auswahl der Primärliteratur ist noch Folgendes anzumerken: Arbeitsgrundlage für diese Abhandlung ist die Originalfassung des Romans nach den Handschriften Kafkas. Diese löst die von Max Brod seit 1926 herausgegebene Nachlassedition ab und bietet die authentischen, oft fragmentarischen Texte unter Beibehaltung der ursprünglichen Orthographie und Zeichensetzung.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Anmerkungen
- 1.2 Ausarbeitung und Eingrenzung des Themas
- 1.3 Was bedeutet „Macht“?
- 1.4 Machtdefinitionen in der Philosophie
- 2. Hauptteil
- 2.1 Die Macht der Handlanger
- 2.1.1 Wächter und Aufseher
- 2.1.1.1 Die Wächter und ihre Kleidung: Symbole der Macht
- 2.1.2 Der Prügler
- 2.1.3 Die Henker
- 2.2 Höhere Machtinstanzen
- 2.2.1 Die Advokaten
- 2.2.2 Der Kanzleidirektor
- 2.2.3 Untersuchungsrichter
- 2.3 Oberste Instanzen
- 2.3.1 Höhere und höchste Richter und das hohe Gericht
- 2.3.2 Das Gesetz
- 2.4 Die Macht der Gruppe
- 2.5 Josef K. und die Frauen
- 2.6 Schauplätze der Macht
- 2.7 Perspektive und Erzählweise
- 2.7.1 Die Perspektive des Protagonisten
- 2.7.2 Wirkung der Erzählweise auf den Leser
- 2.8 Schuld
- 2.8.1 Josef K.! Schuldig oder nicht schuldig?
- 2.8.2 Kafkas Verhältnis zur Schuld
- 2.8.3 Missbrauch und Unterstützung der Macht durch K.
- 2.9 Machttheorien im Modell
- 2.9.1 Machtsystem und Machtstruktur
- 2.9.2 Vertikales und horizontales Machtmodell
- 3. Schluss
- 3.1 Zusammenfassung und Auswertung
- 3.2 Versuche einer Machtdefinition
- Die verschiedenen Formen von Macht im Roman und deren Ausübung
- Die Auswirkungen der Macht auf den Protagonisten und seine Handlungsmöglichkeiten
- Die Rolle des Rechts und des Gesetzes in der Darstellung von Macht
- Die Perspektive des Lesers und die Wirkung der Erzählweise auf die Rezeption des Machtkonzepts
- Die Frage der Schuld und die Beziehung zwischen Macht und Verantwortung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit analysiert die Darstellung von Macht in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß“. Der Fokus liegt auf der Erforschung der verschiedenen Machtstrukturen und Machtinstanzen, die im Werk vorkommen, sowie der Auswirkungen dieser Macht auf den Protagonisten Josef K. und die Leser.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit der Einleitung und der Bedeutung des Themas "Macht" im Kontext von Franz Kafkas Werk. Es stellt die Relevanz der Machtforschung im Hinblick auf „Der Prozeß“ heraus und liefert einen Überblick über verschiedene Machtdefinitionen in der Philosophie.
Der Hauptteil der Arbeit analysiert verschiedene Machtstrukturen, angefangen bei den „Handlangern“ der Macht, wie Wächtern, Aufsehern und Henkern. Anschließend wird die Macht von höheren Instanzen, wie Advokaten, Kanzleidirektoren und Untersuchungsrichtern untersucht. Es werden auch die obersten Instanzen, das Gesetz und das hohe Gericht, in Bezug auf ihre Macht und Einfluss auf den Protagonisten behandelt.
Weiterhin beleuchtet die Arbeit die Macht der Gruppe und die Interaktion zwischen Josef K. und den Frauen in der Geschichte. Die Schauplätze des Romans werden unter dem Aspekt der Macht analysiert, und es wird untersucht, wie Perspektive und Erzählweise die Darstellung von Macht beeinflussen.
Schließlich wird die Frage der Schuld im Roman behandelt, die eng mit der Thematik der Macht verbunden ist. Es wird untersucht, ob Josef K. schuldig ist, wie Kafka das Konzept der Schuld behandelt und welche Rolle der Protagonist im Spiel der Macht spielt.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, „Der Prozeß“, Macht, Machtstrukturen, Machtinstanzen, Handlanger, höhere Instanzen, oberste Instanzen, Gesetz, Schuld, Verantwortung, Perspektive, Erzählweise, Protagonist, Josef K., Recht, Philosophie, Literaturanalyse, Interpretation.
- Quote paper
- Rene Jochum (Author), 2004, Darstellung der Macht in Franz Kafkas Roman "Der Proceß" (Der Prozess), Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/36205