Kaum ein Ereignis der mittelalterlichen Geschichte hat sich bis heute so in das Gedächtnis der Menschen eingeprägt wie der Gang König Heinrichs IV. nach Canossa im Jahr 1077. Er ist zum Symbol für Schmach und Demütigung geworden und wird teilweise heute noch auf aktuelle Ereignisse bezogen, meist jedoch ohne sich die eigentliche Bedeutung und Herkunft deutlich zu machen. Diese doch sehr negative Auffassung des Ereignisses stammt größtenteils aus der Zeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Er gebrauchte den Ausdruck „nach Canossa gehen wir nicht“ am 14. Mai 1872 vor dem Reichstag in Berlin zu Beginn des sogenannten Kulturkampfes, einem schweren Konflikt zwischen der deutschen Reichsregierung und der Kurie in Rom. Eine solche Demütigung eines deutschen Herrschers vor dem Oberhaupt der römischen Kirche wie 1077 sollte nach Bismarcks Meinung nicht noch einmal geschehen. Die Frage ist nun, ob das Ereignis auch eine andere Bewertung zuläßt. Ist die negative Auffassung dieses Ereignisses überhaupt gerechtfertigt? Gab es im Winter 1077 auf der oberitalienischen Burg Canossa wirklich einen Triumph des Papstes über den König, einen Sieg des Sacerdotiums über das Regnum? Die vorliegende Arbeit soll der Frage nachgehen, ob es in Canossa einen Sieger gab. Dazu sollen auch die Ereignisse des Jahres 1076 in Betracht gezogen werden, da der Gang nach Canossa eine Konsequenz dieser war.
Sowohl die Quellen- als auch die Forschungslage zu diesem Ereignis der Geschichte ist sehr umfangreich. Viele Historiographen dieser Zeit beschäftigten sich mit den Jahren 1076/77 und erkannten schon ihre Besonderheit und Einzigartigkeit an. Von ihnen sind vor allem die Mönche Lampert von Hersfeld und Berthold von Reichenau zu nennen. Es ist allerdings zu beachten, dass die meisten zeitgenössischen Geschichtsschreiber deutlich auf Seiten des Papstes und der Kirche standen und daher ihre Bewertung der Ereignisse kritisch zu hinterfragen ist. Als weitere wichtige Quelle stehen uns die Briefe Papst Gregors VII. sowie die Briefe Heinrichs IV. zur Verfügung, die unmittelbar von den Ereignissen berichten.
Auch in der Forschung wurde über den Gang nach Canossa teils heftig diskutiert und es stehen sich mehrere kontroverse Meinungen gegenüber, von denen die Wichtigsten in der vorliegenden Arbeit dargelegt werden.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Hauptteil
- 1. Die Absetzung Gregors VII. 1076 in Worms
- 2. Die Exkommunikation Heinrichs IV. 1076
- 2.1. Die Beschlüsse der Fastensynode in Rom
- 2.2. Das Selbstverständnis Papst Gregors VII
- 3. Der Fürstentag von Tribur und Oppenheim
- 3.1 Bewertung der Ereignisse von Tribur und Oppenheim
- 4. Der Gang nach Canossa 1077
- 4.1. Die Reise zum Papst
- 4.2. Die Buße Heinrichs IV
- 4.3. Nach Canossa
- 4.4. Die „Wende von Canossa“
- 4.5. Die Frage nach dem Sieger
- III. Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Ereignis des Canossagangs von 1077 und hinterfragt die gängige Interpretation als eindeutige Niederlage Heinrichs IV. Sie analysiert die Ereignisse des Jahres 1076 als Vorlauf und Kontext für den Canossagang. Ziel ist es, die Frage nach einem "Sieger" in Canossa zu beantworten, indem die verschiedenen Perspektiven und Interpretationen der damaligen und heutigen Forschung berücksichtigt werden.
- Der Konflikt zwischen Papst Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV.
- Die Absetzung Gregors VII. in Worms und die Exkommunikation Heinrichs IV.
- Die politische und kirchliche Situation im Heiligen Römischen Reich im 11. Jahrhundert.
- Die unterschiedlichen Interpretationen des Canossagangs in der Geschichtsschreibung.
- Die Bedeutung des Canossagangs für das Verständnis des Investiturstreits.
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung: Die Einleitung stellt den Canossagang als historisch prägendes Ereignis vor, dessen Interpretation stark von der Sichtweise Bismarcks geprägt ist. Sie problematisiert die einseitige negative Bewertung des Ereignisses und formuliert die Forschungsfrage nach dem tatsächlichen Ausgang des Konflikts. Die Arbeit kündigt die Berücksichtigung der Ereignisse von 1076 an und benennt die wichtigsten Quellen (Lampert von Hersfeld, Berthold von Reichenau, Briefe Gregors VII. und Heinrichs IV.) und die methodische Herausforderung der Quellenkritik, da viele zeitgenössische Berichte parteiisch sind.
II. Hauptteil: Der Hauptteil analysiert die Ereignisse von 1076 und 1077, beginnend mit der Absetzung Gregors VII. in Worms. Die Analyse betrachtet die Hintergründe des Konflikts, insbesondere die Bischofsbesetzungen in Mailand, und Heinrichs Reaktion darauf als Ausdruck seiner politischen Macht. Die Exkommunikation Heinrichs wird im Kontext der Beschlüsse der Fastensynode in Rom erläutert. Der Fürstentag von Tribur und Oppenheim wird als Wendepunkt im Konflikt dargestellt, der Heinrichs Machtposition schwächte und den Canossagang als Folge einleitete. Abschließend werden die Ereignisse um den Canossagang selbst detailliert besprochen, wobei die Reise, die Buße Heinrichs und die Folgen für die weitere Entwicklung des Konflikts im Mittelpunkt stehen. Das Kapitel untersucht verschiedene Deutungen des Ereignisses, ohne jedoch eine definitive Schlussfolgerung zu liefern.
Schlüsselwörter
Canossagang, Heinrich IV., Gregor VII., Investiturstreit, Wormser Synoden, Fastensynode Rom, Reichssynode, Sacerdotium, Regnum, Kulturkampf, Quellenkritik, Historiographie des Mittelalters.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Canossagang
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit befasst sich mit dem Canossagang von 1077 und untersucht dessen gängige Interpretation als eindeutige Niederlage Heinrichs IV. kritisch. Sie analysiert die Ereignisse des Jahres 1076 als Kontext und Vorlauf zum Canossagang und hinterfragt die Frage nach einem "Sieger" in Canossa, indem verschiedene Perspektiven und Interpretationen der damaligen und heutigen Forschung berücksichtigt werden.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt den Konflikt zwischen Papst Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV., die Absetzung Gregors VII. in Worms und die Exkommunikation Heinrichs IV., die politische und kirchliche Situation im Heiligen Römischen Reich des 11. Jahrhunderts, unterschiedliche Interpretationen des Canossagangs in der Geschichtsschreibung und die Bedeutung des Canossagangs für das Verständnis des Investiturstreits.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, einen Hauptteil und eine Schlussbemerkung. Der Hauptteil analysiert detailliert die Ereignisse von 1076 (Absetzung Gregors VII., Exkommunikation Heinrichs IV., Fürstentag von Tribur und Oppenheim) und 1077 (Canossagang, Buße Heinrichs IV.).
Wie wird der Canossagang in der Einleitung dargestellt?
Die Einleitung präsentiert den Canossagang als historisch prägendes Ereignis, dessen Interpretation stark von der Sichtweise Bismarcks beeinflusst ist. Sie kritisiert die einseitige negative Bewertung des Ereignisses und formuliert die Forschungsfrage nach dem tatsächlichen Ausgang des Konflikts. Die methodische Herausforderung der Quellenkritik wird angesprochen, da viele zeitgenössische Berichte parteiisch sind.
Wie wird der Hauptteil aufgebaut?
Der Hauptteil analysiert die Ereignisse von 1076 und 1077 chronologisch. Er beginnt mit der Absetzung Gregors VII. in Worms und untersucht die Hintergründe des Konflikts, die Exkommunikation Heinrichs IV. im Kontext der Beschlüsse der Fastensynode in Rom, den Fürstentag von Tribur und Oppenheim als Wendepunkt und detailliert die Ereignisse um den Canossagang selbst (Reise, Buße Heinrichs, Folgen). Verschiedene Deutungen des Ereignisses werden untersucht, ohne eine definitive Schlussfolgerung zu ziehen.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Arbeit bezieht sich auf wichtige Quellen wie die Schriften von Lampert von Hersfeld, Berthold von Reichenau, Briefe Gregors VII. und Heinrichs IV. Die Quellenkritik spielt eine wichtige Rolle, da die Berichte oft parteiisch sind.
Welche Schlüsselwörter sind relevant?
Schlüsselwörter sind: Canossagang, Heinrich IV., Gregor VII., Investiturstreit, Wormser Synoden, Fastensynode Rom, Reichssynode, Sacerdotium, Regnum, Kulturkampf, Quellenkritik, Historiographie des Mittelalters.
Welche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt?
Die zentrale Forschungsfrage ist die nach dem tatsächlichen Ausgang des Konflikts zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. im Jahr 1077 und die damit verbundene Frage nach einem "Sieger" in Canossa.
- Quote paper
- Maike Berhorst (Author), 2003, Der Canossagang von 1077 - eine Niederlage für Heinrich IV.? -, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/33811