Wie entwickelt sich Armut in Deutschland? Diese Frage stellt sich den politisch Verantwortlichen ebenso, wie den Betroffenen. Seit den neunziger Jahren war in Deutschland eine rückläufige Entwicklung des Armutsrisikos, bedingt durch den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und der Verbreitung des Massenwohlstands, zu verzeichnen. Jedoch ist seit 2005 eine Trendwende zu beobachten und seitdem ist Armut wieder ein medial sowie politisch breit diskutiertes Thema.
Besonders dem sozialwissenschaftlichen Personal kommt bei der Armutsdebatte eine besondere Verantwortung zu, wenn sie anfangen zu kategorisieren und zu zählen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade in der Armutsforschung Methodenfragen eine zentrale Rolle spielen und auch zu Auseinandersetzungen führen. In der Auswahl der hier zu besprechenden Zeitschriftenartikel wird dies deutlich.
Daher stellt sich die Frage, welche neuen methodischen Vorgehensweisen und theoretischen Zugänge haben sich ergeben? Welche zusätzlichen neuen Erkenntnisse liefern aktuelle Untersuchungen, die über die aus den zitierten Armutsberichten bekannten sozio-demographischen Beschreibungen der Armutspopulation hinausreichen? Ich will diese Fragen auf Basis einer Auswahl von Zeitschriftenartikeln zum Thema „Armut“ diskutieren.
Den Anspruch an einen neuen thematischen Erkenntnisgewinn erfüllt der Artikel von Schulze (2015) mit dem bisher wenig berücksichtigten soziodemographischen Strukturwandel und dessen Beitrag zur Armutsentwicklung. Währenddessen Haupt und Nollmann (2014) ein Methodeninstrument vorstellen, welches ökonomische und strukturelle Veränderungen simultan betrachtet, um so den Anstieg der Armutsrisikoquote zu erklären. Die Dekomposition unbedingter Quantilregressionen ist ein bisher selten angewandtes Methodeninstrument in der deutschen Armutsforschung.
Der Artikel von Giesselmann und Goebel (2013) wurde gewählt, weil dieser eine ausführliche und definitorische Einführung in die Armutsthematik sowie eine Übersicht des aktuellen Forschungsstandes bietet und zudem auch eine methodenkritische Argumentationsweise zeigt. Bei der Artikelauswahl wurde versucht auf unterschiedliche Zeitschriften zurückzugreifen, um verschiedene Perspektiven auf die Armutsforschung zu berücksichtigen.
Inhaltsverzeichnis
- Armutsentwicklung in Deutschland
- Soziale Ungleichheit in Deutschland in der Längsschnittperspektive. Befunde zur Armutsproblematik auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP)
- Der Beitrag des sozialen und demographischen Strukturwandels zur Armutsentwicklung in Deutschland
- Warum werden immer mehr Haushalte von Armut betroffen? Zur Erklärung erhöhter Armutsrisikoquoten mit unbedingten Quantilregressionen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der vorliegende Text befasst sich mit der Armutsentwicklung in Deutschland und analysiert verschiedene methodische Ansätze und theoretische Zugänge zur Erklärung der Armutsproblematik. Der Text untersucht, welche Faktoren zur Armutsentwicklung beitragen, welche spezifischen Gruppen besonders betroffen sind und welche Auswirkungen kritische Lebensereignisse auf das Armutsrisiko haben.
- Methodische Ansätze zur Armutsforschung
- Der Einfluss des sozialen und demographischen Strukturwandels auf die Armutsentwicklung
- Die Rolle des Arbeitsmarktes, der öffentlichen Umverteilung und des demographischen Wandels bei der Armutsentwicklung
- Die Auswirkungen kritischer Lebensereignisse auf das Armutsrisiko
- Die Bedeutung der Längsschnittperspektive in der Armutsforschung
Zusammenfassung der Kapitel
Soziale Ungleichheit in Deutschland in der Längsschnittperspektive. Befunde zur Armutsproblematik auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP)
Dieser Artikel untersucht die Analysepotenziale von Längsschnitterhebungen im Vergleich zu Querschnittserhebungen und zeigt die Auswirkungen kritischer Lebensereignisse wie Trennung, Scheidung, Auszug aus dem Elternhaus, Geburt eines Kindes und Arbeitslosigkeit auf das Armutsrisiko. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die Armutsrisikoquote im Zeitverlauf für Gesamtdeutschland erhöht hat, wobei bestimmte Gruppen besonders betroffen sind. Kritische Ereignisse haben einen Einfluss auf das Armutsrisiko, aber Betroffene nähern sich über den Zeitverlauf wieder ihrer Ausgangssituation an, wobei die Wechselwirkung zwischen individuellen Ereignissen und makropolitischen Bedingungen hervorgehoben wird.
Der Beitrag des sozialen und demographischen Strukturwandels zur Armutsentwicklung in Deutschland
Dieser Artikel analysiert den Beitrag des Wandels von Alters-, Bildungs- und Haushaltsstruktur zur Armutsentwicklung in Deutschland zwischen 1992 und 2008. Die Studie zeigt, dass der strukturelle Bevölkerungswandel, hin zu Subgruppen mit relativ geringen Armutsrisiken, einen weiteren Anstieg der Armutsrisikoquote verhindert hat. Der Rückgang der Geburtenrate hat nur einen geringen Einfluss auf die Armutsentwicklung, während der Wandel der Alters- und Bildungsstruktur einen positiven Effekt auf die reale Armutsrisikoquote hat. Somit konnte die Studie positive Folgen der soziodemographischen Umschichtung der Gesellschaft belegen und die im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs oftmals betonten negativen Konsequenzen des soziodemographischen Wandels entschärfen.
Warum werden immer mehr Haushalte von Armut betroffen? Zur Erklärung erhöhter Armutsrisikoquoten mit unbedingten Quantilregressionen
Dieser Artikel untersucht den Anstieg der Armutsrisikoquote in Deutschland unter simultaner Betrachtung der Veränderung von ökonomischen Lagen und veränderter Populationshäufigkeiten von Haushaltstypen. Die Studie stellt die Dekomposition unbedingter Quantilregressionen als empirisches Verfahren zur Untersuchung der Armutsentwicklung vor. Die zentralen Ergebnisse zeigen, dass der Erhöhung der Armutsrisikoquote überlagernden Prozessen zugrunde liegt. Der Arbeitsmarkt ist hauptsächlich für die Verschärfung des Risikos verantwortlich, während Rentenpolitik und der demographische Wandel die Armutsrisikoquote gedämpft haben. Der Einfluss der öffentlichen Umverteilung auf die Armutsrisikoquote ist überraschend gering.
Schlüsselwörter
Armut, Soziale Ungleichheit, Längsschnittperspektive, Sozio-ökonomisches Panel, Strukturwandel, Demographischer Wandel, Arbeitsmarkt, Öffentliche Umverteilung, Quantilregressionen, Lebensereignisse, Armutsrisiko, Deutschland.
- Arbeit zitieren
- Pauline Kasimir (Autor:in), 2016, Armutsentwicklung in Deutschland. Eine vergleichende Rezension von Zeitschriftenartikeln zum Thema „Armut“, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/323967