Die 1902 veröffentlichte zweite, endgültige Fassung der Novelle „Die Turnstunde“ von Rainer Maria Rilke thematisiert den Tod eines Zöglings der Militärschule zu Sankt Severin, Karl Gruber, der ihn während einer Turnstunde ereilt. Gruber, der schlechteste Turner der letzten Riege seines Jahrgangs, stirbt an einem Herzschlag, den er infolge von Überanstrengung durch einen waghalsigen Kletterakt erleidet, welchen er spontan und wider die Befehle seiner Vorgesetzten, vielleicht aus Furcht, Trotz oder um sich zu behaupten, vollführt. Von Mitschülern und dem Lehrpersonal der Schule unbeachtet lebt er in einer dunklen Nische der Turnhalle ab, während die Turnstunde ihren geregelten Lauf nimmt.
Der Schauplatz der in sich abgeschlossenen Geschehnisschilderung ist der Turnsaal der Militärschule zu Sankt Severin, d. h. das Ereignis selbst ist in eine fiktivrealistische Welt eingebettet. Die genaue Ortsangabe „zu Sankt Severin“ siedelt die Erzählung in einem pseudohistorischen Kontext an, aber durch die spezifische Schilderung der Begebenheiten erlangt „Die Turnstunde“ einen extremen Gegenwartscharakter.
Die gefühllose, brutale und kalte Atmosphäre, wie auch der zweckbedingte, harte und sachliche Jargon einer Militärschule werden von der Erzählinstanz in der daliegenden Novelle inhaltlich, wie auch sprachlich, adaptiert, imitiert und wiedergegeben. Die narrative Instanz ahmt alltägliche militärische Routine stilistisch nach, verharrt in ihrer Schilderung an der Oberfläche nackter Fakten und beschreibt akribisch genau das einzigartige, einmalige Ereignis um Gruber auf nur wenigen Seiten. Unter der Maxime von „zeigen“ und „wirken lassen“ ist „Die Turnstunde“ in einer unbeteiligt beobachtenden Erzählhaltung protokolliert. Der seinem Inhalt angepasste, besondere, reduzierte Sprachgebrauch, bzw. die extreme Sprachverknappung, und die sachliche Erzählweise setzen ein außerordentliches Pathos der Sinnschwere frei, geben der Erzählung ihren speziellen Charakter und machen sie so außergewöhnlich unter ähnlichen Novellen.
Die „Einführung in die Erzähltheorie“ von Matias Martinez und Michael Scheffel , der aktuelle Stand der internationalen Erzählforschung, soll als Grundlage dienen, um die Novelle „Die Turnstunde“ von Rainer Maria Rilke unter erzähltheoretischen Gesichtspunkten zu analysieren und Aspekte einer Interpretation aufzuzeigen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Erzähltheoretische Analyse und Aspekte einer Interpretation
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Novelle „Die Turnstunde“ von Rainer Maria Rilke unter erzähltheoretischen Gesichtspunkten und untersucht verschiedene Aspekte ihrer Interpretation. Sie zielt darauf ab, die Erzählstruktur, den Sprachstil und die thematischen Schwerpunkte der Novelle zu beleuchten.
- Analyse der Erzählstruktur und des Sprachstils
- Interpretation der thematischen Schwerpunkte
- Analyse der Rolle der Militärschule und ihrer Auswirkungen auf die Figuren
- Untersuchung der Bedeutung des Todes von Karl Gruber
- Bedeutung der Gegenüberstellung von Individualität und Kollektiv
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt den Leser in die Thematik der Novelle „Die Turnstunde“ von Rainer Maria Rilke ein. Sie beschreibt kurz den Inhalt und die Entstehungszeit der Novelle. Außerdem wird die Bedeutung der Militärschule als institutionelle und gesellschaftliche Kraft sowie der darin stattfindenden Disziplinierung von Kindern thematisiert.
Erzähltheoretische Analyse und Aspekte einer Interpretation
In diesem Kapitel wird die Novelle „Die Turnstunde“ unter erzähltheoretischen Gesichtspunkten analysiert. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Erzählstruktur, des Sprachstils und der thematischen Schwerpunkte der Novelle. Die Arbeit beleuchtet die Rolle der Erzählinstanz, den Einsatz von Sprache und stilistischen Mitteln sowie die Bedeutung der Darstellung von Individualität und Kollektiv in der Erzählung.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen der deutschen Literatur, Erzähltheorie, literarische Analyse, Novelle, Rainer Maria Rilke, „Die Turnstunde“, Militärschule, Kindheit, Tod, Individualität, Kollektiv, Sprachstil, Erzählstruktur, Interpretation.
- Quote paper
- Mirko Wojnowski (Author), 2009, "Die Turnstunde" von Rainer Maria Rilke. Erzähltheoretische Analyse und Aspekte einer Interpretation, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/286877