Am 1. Oktober 1874 trat in Preußen das Gesetz zur Einführung der obligatorischen Zivilehe in Kraft, am 1. Januar 1876 folgte das weitgehend identische Reichsgesetz. Beide Gesetze waren erst nach mehreren Anläufen zustande gekommen. Die Widerstände gegen die Säkularisierung des Eherechts waren groß, im Parlament wie außerhalb. Wie der gesamte Kulturkampf, in dessen Zusammenhang die Zivilehe zu sehen ist, wurde auch diese Diskussion in der Öffentlichkeit, nicht bloß innerhalb der Kirche und der Kabinette, geführt.
Mit der Verabschiedung des Personenstandsgesetzes hatten die liberalen, nationalen Kräfte im Reich einen Sieg errungen. Die vermeintlichen Besiegten aber, die Katholiken, machten etwa ein Drittel der Bevölkerung aus - das war keine Minderheit, die sich per Gesetz entfernen ließ. Das war vielmehr eine ganze Bevölkerungsgruppe, die sich den Einheits- und Einheitlichkeitsvorstellungen der liberalen, preußischen und protestantischen Mehrheit nicht beugen wollte.
In ihrem unmittelbaren zeitlichen Umfeld betrachtet, stellt sich die Einführung der Zivilehe also als ein Instrument des Kulturkampfes dar. Lässt man den Blick jedoch von den 1870er Jahren weiter zurückschweifen und nimmt längere historische Wirkungslinien in den Blick, so gewinnt die obligatorisch staatliche Regelung der Ehe eine tiefer gehende Bedeutung. So betrachtet nämlich wird sie zum Zeichen einer ganz allgemeinen Intensivierung der Herrschaft des Staates, die bereits im 18. Jahrhundert einsetzt. Es entsteht ein „staatsweites Gesellschaftssystem”. Auch der gesamte Kulturkampf lässt sich dann als Auseinandersetzung über die Reichweite staatlicher Macht in diese Traditionslinie einordnen. Zugleich wird verständlicher, warum die Diskussion um die Einführung der Zivilehe mit solcher Erbitterung geführt wurde.
Nachfolgend sollen zunächst die unmittelbaren wie die weiter zurückreichenden historischen Entwicklungen beleuchtet werden, aus welchen die Zivilehe hervorgegangen ist. Dabei wird auch klar, warum sich der Reichstag 1875 gerade für die obligatorische Form entschied. Danach folgt ein näherer Blick auf die einzelnen Argumente für und wider die Zivilehe, wie sie von den verschiedenen Parteiungen vorgebracht wurden. Dabei steht die Rolle, die die „Nation” in der Auseinandersetzung spielte, im Mittelpunkt.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Warum die obligatorische Zivilehe?
- 1. Die Ursprünge der Zivilehe
- 2. Andere Möglichkeiten
- III. Nationale Argumente
- 1. Die Liberalen
- 2. Die Katholiken und das Zentrum
- IV. Schluß
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Einführung der obligatorischen Zivilehe im Deutschen Reich im Jahr 1875. Ziel ist es, die Hintergründe und die Bedeutung dieses Ereignisses im Kontext des Kulturkampfes und der Nationsbildung zu beleuchten. Die Arbeit analysiert die Widerstände gegen die Säkularisierung des Eherechts und die Rolle der verschiedenen politischen Akteure, insbesondere der Liberalen und der Katholiken.
- Die Einführung der obligatorischen Zivilehe als Instrument des Kulturkampfes
- Die Rolle der „Nation“ in der Auseinandersetzung um das Eherecht
- Die verschiedenen Argumente für und gegen die Zivilehe
- Die Bedeutung der Zivilehe im Kontext der Intensivierung staatlicher Herrschaft
- Alternativen zur obligatorischen Zivilehe
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitung: Die Einleitung beschreibt die Einführung des Gesetzes zur obligatorischen Zivilehe in Preußen (1874) und im Deutschen Reich (1876). Sie hebt die großen Widerstände gegen die Säkularisierung des Eherechts hervor und positioniert die Einführung der Zivilehe im Kontext des Kulturkampfes. Die Einleitung skizziert die Bedeutung der Zivilehe als ein Instrument der staatlichen Macht und als Ausdruck der Bemühungen um nationale Einheit, wobei die Widerstand der katholischen Bevölkerung betont wird. Der Text kündigt die weitere Untersuchung der historischen Entwicklungen und der Argumente für und gegen die Zivilehe an.
II. Warum die obligatorische Zivilehe?: Dieses Kapitel untersucht die Ursachen der Einführung der obligatorischen Zivilehe. Es beginnt mit dem Auslöser im Osten Preußens, wo die Weigerung polnischer katholischer Geistlicher, den deutschen Unterricht zu fördern, zu Konflikten führte. Das Kapitel erklärt, wie diese Konflikte, zunächst um Sprache und Bildung, indirekt das Eherecht betrafen, da die staatliche Nichtanerkennung kirchlicher Trauungen aufgrund des Boykotts der staatlichen Prüfung für Pfarrer die obligatorische Zivilehe notwendig erscheinen ließen. Die tieferen Wurzeln des Konflikts im Kulturkampf und die Bedeutung der Aufklärung und der Französischen Revolution für den wachsenden Einfluss des Staates werden hervorgehoben. Die Diskussion um alternative Eherechtsformen unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung für die obligatorische Form.
III. Nationale Argumente: Das Kapitel analysiert die unterschiedlichen Argumente für und gegen die Zivilehe, die von den verschiedenen politischen Gruppierungen vorgebracht wurden. Es beleuchtet die Perspektiven der Liberalen, die die Zivilehe als wichtigen Bestandteil der nationalen Einheit sahen, und im Gegensatz dazu die Argumente der Katholiken und des Zentrums, die die Säkularisierung des Eherechts vehement ablehnten. Der Fokus liegt auf der Rolle der „Nation“ in dieser Auseinandersetzung und dem Konflikt zwischen den staatlichen Bestrebungen nach Einheit und den religiösen und kulturellen Widerständen der katholischen Bevölkerung.
Schlüsselwörter
Zivilehe, Kulturkampf, Nationsbildung, Rechtsgleichheit, Inklusion, Exklusion, Liberale, Katholiken, Deutsches Reich, Säkularisierung, Staatsmacht, Nationale Einheit, Bismarck.
Häufig gestellte Fragen (FAQs): Die obligatorische Zivilehe im Deutschen Reich
Was ist das Thema dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Einführung der obligatorischen Zivilehe im Deutschen Reich im Jahr 1875. Sie beleuchtet die Hintergründe und die Bedeutung dieses Ereignisses im Kontext des Kulturkampfes und der Nationsbildung. Ein Schwerpunkt liegt auf der Analyse der Widerstände gegen die Säkularisierung des Eherechts und der Rolle verschiedener politischer Akteure, insbesondere der Liberalen und der Katholiken.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel: Eine Einleitung, ein Kapitel über die Gründe für die Einführung der obligatorischen Zivilehe, ein Kapitel über die nationalen Argumente für und gegen die Zivilehe und einen Schluss.
Warum wurde die obligatorische Zivilehe eingeführt?
Die Einführung der obligatorischen Zivilehe wird im Kontext des Kulturkampfes und der Bestrebungen nach nationaler Einheit gesehen. Auslöser waren Konflikte im Osten Preußens, wo polnische katholische Geistliche den deutschen Unterricht boykottierten. Dies führte zu Konflikten um Sprache und Bildung, die indirekt das Eherecht betrafen, da die staatliche Nichtanerkennung kirchlicher Trauungen die obligatorische Zivilehe notwendig erscheinen ließ. Tiefere Wurzeln liegen im Kulturkampf, der Aufklärung und der Französischen Revolution und dem damit verbundenen wachsenden Einfluss des Staates.
Welche Argumente wurden für und gegen die obligatorische Zivilehe vorgebracht?
Die Arbeit analysiert die unterschiedlichen Argumente der politischen Gruppierungen. Die Liberalen sahen die Zivilehe als wichtigen Bestandteil der nationalen Einheit, während die Katholiken und das Zentrum die Säkularisierung des Eherechts vehement ablehnten. Der Konflikt zwischen staatlichen Bestrebungen nach Einheit und religiösen/kulturellen Widerständen der katholischen Bevölkerung steht im Mittelpunkt.
Welche Rolle spielte der Kulturkampf bei der Einführung der obligatorischen Zivilehe?
Der Kulturkampf spielt eine zentrale Rolle. Die Einführung der obligatorischen Zivilehe wird als ein Instrument des Kulturkampfes interpretiert, das die staatliche Macht demonstrieren und die nationale Einheit fördern sollte. Die Konflikte um Sprache, Bildung und Religion trugen maßgeblich zur Einführung des Gesetzes bei.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Zivilehe, Kulturkampf, Nationsbildung, Rechtsgleichheit, Inklusion, Exklusion, Liberale, Katholiken, Deutsches Reich, Säkularisierung, Staatsmacht, Nationale Einheit, Bismarck.
Welche Alternativen zur obligatorischen Zivilehe wurden diskutiert?
Die Arbeit diskutiert alternative Eherechtsformen, um die Bedeutung der Entscheidung für die obligatorische Form hervorzuheben. Konkrete Alternativen werden jedoch nicht explizit genannt.
Was ist das Ziel der Arbeit?
Ziel der Arbeit ist es, die Hintergründe und die Bedeutung der Einführung der obligatorischen Zivilehe im Kontext des Kulturkampfes und der Nationsbildung zu beleuchten. Es soll analysiert werden, wie die Zivilehe als Instrument staatlicher Macht und Ausdruck der Bemühungen um nationale Einheit diente, und welche Widerstände es dagegen gab.
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- Hans-Joachim Frölich (Author), 2003, "Eine Nation, ein Recht!" ? - Ausnahmen von der Rechtsgleichheit durch Inklusion und Exklusion: Das Beispiel der Zivilehe, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/27293