Anfang Mai 1999 fanden das Übersetzen und die Übersetzer, die üblicherweise ein Schattendasein fristen und von der Öffentlichkeit mit nur geringem Interesse wahrgenommen werden, wie in Fachkreisen immer wieder beklagt wird, plötzlich die Aufmerksamkeit der Presse. Über einen Zeitraum von etwa zwei Wochen erschienen in Tages- und Wochenzeitungen, Nachrichtenmagazinen und ihren jeweiligen Online-Ausgaben mehr oder weniger ausführliche Artikel zu einem Thema, bei dem das Übersetzen, oder besser eine Übersetzerin, im Mittelpunkt stand. Die Rede ist von dem Streit zwischen Karin Krieger als Übersetzerin der Werke Alessandro Bariccos und dem Piper Verlag in München, der den italienischen Schriftsteller in Deutschland verlegt. Nachdem der Roman Seta (Rizzoli 1996, deutsch: Seide, 1997) in Deutschland wie in Italien zum Bestseller geworden war, verlangte Frau Krieger vom Verlag eine angemessene Erfolgsbeteiligung, wie sie das deutsche Urheberrecht vorsieht (vgl. Tagesspiegel 1999). Nach anfänglichem Zögern und längeren Verhandlungen ging der Verlag schließlich auf die Forderung der Übersetzerin ein, teilte jedoch nur wenige Tage später mit, er werde Seide und die zwischenzeitlich erschienenen Werke Castelli di rabbia (Rizzoli 1991, deutsch: Land aus Glas, 1998) und Novecento (Feltrinelli 1994, Februar 1999) zurückziehen und Neuübersetzungen auf den Markt bringen. In der Tat wurde Novecento im Mai 1999 in der Übersetzung von Erika Cristiani veröffentlicht. Im darauf folgenden Rechtsstreit wurde der Piper Verlag im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht München unter anderem dazu verurteilt, die von Frau Krieger angefertigten Übersetzungen weiterhin zu verbreiten (vgl. 1999-2001). In Kapitel 2 dieser Arbeit werden Verlauf und Reaktionen auf den Übersetzerstreit eingehender erörtert werden.
Dieser für die Beteiligten sicherlich nicht sehr erfreuliche Konflikt führte zu einer außergewöhnlichen und sehr interessanten Situation: Von insgesamt drei Werken Alessandro Bariccos liegen jeweils zwei parallele Übersetzungen vor, die mit kaum nennenswertem zeitlichen Abstand zueinander publiziert wurden. Für diese Werke bietet sich ein übersetzungskritischer Vergleich an, da die situativen Faktoren der Übersetzungsproduktion identisch sind und ein Vergleich daher unmittelbar Aufschluss über das Vorgehen des Übersetzers und indirekt auch über seine Vorstellung von einer guten Übersetzung gibt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- ,,Der Fall Piper''
- Verlauf
- Reaktionen
- Theoretische Grundlagen und Methode
- Literarische Übersetzung
- Übersetzungstheoretische Grundlagen
- Methode
- Übersetzungskritik
- Der Inhalt
- Die Translate
- Feststellung der Translatfunktion
- Feststellung der intratextuellen Translatkohärenz
- Die Fassung von Karin Krieger
- Die Fassung von Erika Cristiani
- Feststellung der Funktion des Ausgangstexts
- Feststellung der intratextuellen Kohärenz des Ausgangstexts
- Feststellung einer intertextuellen Kohärenz zwischen den Translaten und dem Ausgangstext
- Gesamtbewertung der Übersetzungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die deutschen Übersetzungen von Alessandro Bariccos Novecento und setzt sich kritisch mit deren Qualität auseinander. Ziel ist es, die beiden Übersetzungen von Karin Krieger und Erika Cristiani anhand von übersetzungstheoretischen Kriterien zu vergleichen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Dabei soll insbesondere die Frage geklärt werden, ob die negative Kritik an Cristianis Übersetzung durch die in Kapitel 2 dargestellte Gesamtsituation beeinflusst wurde oder tatsächlich auf objektiven Kriterien beruht.
- Übersetzungsqualität und -methoden im Vergleich
- Einfluss von außertextlichen Faktoren auf die Bewertung von Übersetzungen
- Konzepte der intertextuellen Kohärenz und ihrer Bedeutung für die Übersetzungskritik
- Die Rolle des Übersetzers als Vermittler von Kultur und Literatur
- Die deutsche Übersetzung von Alessandro Bariccos Novecento im Kontext der italienischen und deutschen Literatur
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Diplomarbeit ein und beleuchtet den Konflikt zwischen Karin Krieger und dem Piper Verlag, der zur Entstehung von zwei parallelen Übersetzungen von Bariccos Werken führte. Kapitel 2 analysiert den Verlauf des Streits sowie die Reaktionen auf den Konflikt. Kapitel 3 erarbeitet die theoretischen Grundlagen und die Methode der Übersetzungskritik. In Kapitel 4 erfolgt die vergleichende Analyse der beiden Übersetzungen von Novecento, wobei der Fokus auf der Feststellung der Translatfunktion, der intratextuellen Kohärenz und der intertextuellen Kohärenz liegt. Abschließend wird eine Gesamtbewertung der Übersetzungen vorgenommen.
Schlüsselwörter
Alessandro Baricco, Novecento, Übersetzungskritik, Translatfunktion, Intratextuelle Kohärenz, Intertextuelle Kohärenz, Karin Krieger, Erika Cristiani, Piper Verlag, Italienische Literatur, Deutsche Literatur.
- Quote paper
- Daniela Rollmann (Author), 2003, Alessandro Bariccos Novecento in deutschen Übersetzungen - Eine Übersetzungskritik, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/26968