Die Frage, in welchem Maße europäische Personengesellschaften von der Niederlassungsfreiheit profitieren und ihre Mobilität im Binnenmarkt entfalten können, ist heutzutage nicht abschließend geklärt und wird von den meisten Autoren gänzlich übergangen bzw. äußerst oberflächlich behandelt.
In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich zwar die europäische Rechtsprechung in Bezug auf die grenzüberschreitende Betätigung von Kapitalgesellschaften erheblich gewandelt. Es wurde versucht, Hindernisse bei der grenzüberschreitenden unternehmerischen Betätigung so weit wie möglich abzubauen. Personengesellschaften sind bei der relevanten Rechtsprechung weitestgehend im Schatten geblieben, sodass sich keine einheitliche Meinung darüber bilden konnte, ob und inwieweit die für die Kapitalgesellschaften entwickelten Grundsätze auf Personengesellschaften übertragbar sind. Ferner blieb es bislang ungelöst, ob die Mobilität von Personengesellschaften aufgrund ihres Wesens zusätzliche Einschränkungen erfahren bzw. gerade weiter reichen sollte, als die von Kapitalgesellschaften. Mit der fortschreitenden europäischen Integration besteht indes zumindest seitens der mittelständischen Unternehmer, welche oftmals die Rechtsform einer Personengesellschaft wählen, das Bedürfnis, die Barrieren für die grenzüberschreitende Gründung, Sitzverlegung sowie anderweitige Betätigung von Personengesellschaften zu identifizieren und zu beseitigen.
Die vorliegende Arbeit setzt sich aus den genannten Gründen zum Ziel, der Frage nachzugehen, welche Rolle der Niederlassungsfreiheit als einer der bedeutendsten europäischen Grundfreiheiten im Bereich des Personengesellschaftsrechts zukommt.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitende Gedanken zum europäischen Personengesellschaftsrecht
- l. Einführung und Gang der Darstellung
- ll. Personengesellschaften in den ausgewählten EU-Mitgliedstaaten: Wesensmerkmale und praktisches Vorkommen
- a. Flexibilität der Personengesellschaft als wesentlicher Vorteil gegenüber der Kapitalgesellschaft
- b. Unbeschränkte Gesellschafterhaftung als Nachteil gegenüber der Kapitalgesellschaft
- 2. Österreich
- 3. Frankreich
- 4. Großbritannien
- 5. Ergebnis
- lll. Keine "Harmonie" im europäischen Personengesellschaftsrecht
- l. Ausschluss von Personengesellschaften aus dem Anwendungsbereich europäischer Richtlinien
- 2. Stellungnahme
- B. Niederlassungsfreiheit und Personengesellschaften
- l. Grundsätzliches zur Niederlassungsfreiheit
- ll. Erstreckung der Niederlassungsfreiheit auf Personengesellschaften
- l. Rechtsfähigkeit als ungeschriebene Voraussetzung der Niederlassungsfreiheit
- a. Hintergrund der überwiegenden Literaturmeinung
- b. Diskussion
- 2. Eventuelle Einschränkung des Schutzumfangs durch territorialen Bezug
- a. Keine erstmalige Tätigkeitsaufnahme vom Schutzumfang erfasst?
- b. Kritik von Schall
- c. Stellungnahme
- l. Rechtsfähigkeit als ungeschriebene Voraussetzung der Niederlassungsfreiheit
- C. Besonderheiten der kollisionsrechtlichen Behandlung von Personengesellschaften
- I. Zur grundsätzlichen Anwendung des Gesellschaftsstatuts auf Personengesellschaften
- ll. Kollisionsrechtliche Konzepte zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts
- l. Lage im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht
- 2. Sitztheorie
- a. Begriff des tatsächlichen Verwaltungssitzes
- b. Mögliche Probleme der Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz
- aa) Kapitalgesellschaften
- bb) Personenhandelsgesellschaften
- cc) GbR
- c. Kritik an der Sitztheorie aus der Sicht des Personengesellschaftsrechts
- aa) Einschränkung der Mobilität von Personengesellschaften durch die Sitztheorie
- (l) Darstellung der Literaturansichten
- (2) Stellungnahme
- (3) Zusammenfassung
- bb) Zweifel an der Geeignetheit des Anknüpfungsmoments
- aa) Einschränkung der Mobilität von Personengesellschaften durch die Sitztheorie
- 3. Gründungstheorie
- a. Anwendung der Gründungstheorie auf Außengesellschaften
- aa) Ort der Inkorporation als Anknüpfungsmoment
- bb) Ort der Gründungshandlung als Anknüpfungsmoment
- cc) Statutarischer Sitz als Anknüpfungsmoment
- b. Zwischenergebnis
- c. Eventuelle Ungeeignetheit der Gründungstheorie für Personengesellschaften
- aa) Argumentation gegen die Anwendung der Gründungstheorie
- bb) Stellungnahme
- a. Anwendung der Gründungstheorie auf Außengesellschaften
- 4. Kollisionsrecht und Niederlassungsfreiheit
- a. Zum kollisionsrechtlichen Charakter der Niederlassungsfreiheit
- b. Stellungnahme und Ergebnis
- 5. Alternative kollisionsrechtliche Vorschläge
- a. Rechtswahlfreiheit als Alternative zur Gründungstheorie?
- aa) Vertragsrechtliche Anknüpfung statt Gründungstheorie
- bb) Kritik an der vertragsrechtlichen Anknüpfung
- cc) Gründerwille als Basis für die Gründungstheorie
- dd) Unzulässige Ausdehnung der Grundsätze des Internationalen Vertragsrechts auf Gesellschaftsverträge
- ee) Stellungnahme und Zwischenergebnis
- b. Anknüpfungsvorschlag des Referentenentwurfs zum Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen
- aa) Kaskadenanknüpfung zur Sicherstellung der Existenz einer Gesellschaft
- bb) Eigene Auffassung
- a. Rechtswahlfreiheit als Alternative zur Gründungstheorie?
- lll. Besonderheiten der kollisionsrechtlichen Behandlung von internationalen Bankenkonsortien als einer wichtigen Ausprägung der BGB-Gesellschaft
- l. Gegenstand und Zielsetzung von Bankenkonsortien
- 2. Streit um die kollisionsrechtliche Anknüpfung
- a. Praktische Relevanz
- b. Qualifikationsunterschiede innerhalb der EU
- aa) Deutschland
- bb) Anglo-amerikanischer Rechtskreis und Frankreich
- c. Kritik an der deutschen gesellschaftsrechtlichen Qualifikation
- d. Ausnahmsweise Zulässigkeit der Anknüpfung an das Vertragsstatut
- e. Alternativer Vorschlag: Anknüpfung an das Organisationsstatut
- 3. Ergebnis
- D. Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf Personengesellschaften
- I. Zuzug von Personengesellschaften
- l. Grenzüberschreitende Verwaltungssitzverlegung
- a. Übertragbarkeit der für Kapitalgesellschaften entwickelten Rechtsprechung auf Personengesellschaften
- aa) Aussagegehalt der "Überseering"-Rechtsprechung
- bb) Stellungnahme
- cc) Erstreckung der "Überseering"-Grundsätze auf Personengesellschaften
- b. Eigene Argumentation und Ergebnis
- a. Übertragbarkeit der für Kapitalgesellschaften entwickelten Rechtsprechung auf Personengesellschaften
- 2. Grenzüberschreitende Umwandlungen
- a. Grenzüberschreitende "Herein-Verschmelzung"
- aa) Die Verschmelzungsrichtlinie und 122 a ff. UmwG
- bb) "Sevic Systems": Kurzer Umriss des Sachverhalts
- cc) Die "Herein-Verschmelzung" auf deutsche Personengesellschaften nach "Sevic"
- b. Zulässigkeit des "Herein-Formwechsels"
- aa) Wertungsdiskrepanzen in "Sevic" und "Cartesio"?
- bb) Stellungnahme
- cc) Umwandlung von ausländischen Personengesellschaften in deutsche
- 3. Ergebnis
- a. Grenzüberschreitende "Herein-Verschmelzung"
- ll. Wegzug von Personengesellschaften bzw. inwieweit ist die Auswanderungsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit gedeckt?
- l. Grenzüberschreitende Sitzverlegung in der Rechtsprechung des EuGH
- a. Die "Daily Mail"-Entscheidung und ihre Bedeutung
- aa) Wesentliche Aussagen des EuGH
- bb) Kritische Beurteilung des in "Daily Mail" verankerten Wegzugsverbots
- (l) Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch Art. 293 EGV?
- (2) Widersprüchliche Aussagen des EuGH zur Erfassung von WegzugsPällen durch die Niederlassungsfreiheit
- (3) Zusammenfassung und Stellungnahme
- b. Eingeschränkte Wegzugsfreiheit von Gesellschaften im Lichte des "Cartesio"-Urteils
- aa) Kein Recht für Handelsgesellschaften zur rechtsformwahrenden Verlegung des Verwaltungssitzes
- bb) Möglichkeit eines (identitätswahrenden) Formwechsels
- c. Übertragbarkeit der "Wegzugsrechtsprechung" auf Personengesellschaften
- aa) "Cartesio": eine KG unter den Kapitalgesellschaften
- bb) Zusammenfassung und Ergebnis
- a. Die "Daily Mail"-Entscheidung und ihre Bedeutung
- 2. Niederlassungsfreiheit und "Wegzug" deutscher Gesellschaften
- a. Auswirkungen des MoMiG auf die Verwaltungssitzverlegung von Kapitalgesellschaften
- b. Fehlender Satzungssitz einer Personenhandelsgesellschaft und die Folgen für die grenzüberschreitende Betätigung
- aa) Grundsätzliche Möglichkeit der freien Sitzwahl bei Personenhandelsgesellschaften?
- bb) Sitzwahl einer Personengesellschaft im Ausland
- (l) Verwaltungssitzverlegung einer Personengesellschaft ins Ausland
- (a) Eigene Auffassung zur Bedeutung des MoMiG für Personenhandelsgesellschaften
- (b) Keine kollisionsrechtliche Beschränkung der Mobilität von Personengesellschaften im Binnenmarkt
- (c) Stellungnahme und Zwischenergebnis
- (2) Gründung einer Personengesellschaft mit Verwaltungssitz im Ausland
- (3) Ergebnis
- (l) Verwaltungssitzverlegung einer Personengesellschaft ins Ausland
- 3. Grenzüberschreitende "Heraus"-Umwandlungen von Personengesellschaften als Ausdruck der Wegzugsfreiheit
- a. "Sevic Systems"-Urteil und dessen Bedeutung für die Behandlung der "Wegzugsfälle"
- b. Grenzüberschreitender Formwechsel deutscher Personengesellschaften in ausländische
- aa) Formwechsel nach österreichischem Recht
- bb) Formwechsel nach englischem Recht
- cc) Formwechsel nach französischem Recht
- c. Ergebnis
- E. Abschließende Zusammenfassung der Erkenntnisse
- l. Grenzüberschreitende Sitzverlegung in der Rechtsprechung des EuGH
- LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit der Frage, inwieweit Personengesellschaften in der Europäischen Union von der Niederlassungsfreiheit profitieren und ihre Mobilität im Binnenmarkt entfalten können. Die Arbeit analysiert, welche Kriterien Personengesellschaften erfüllen müssen, um in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zu fallen, und untersucht die kollisionsrechtlichen Besonderheiten bei der Anknüpfung von Personengesellschaften.
- Die Vielseitigkeit der Ausgestaltung von Personengesellschaften in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten
- Die Rolle der Niederlassungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht
- Die kollisionsrechtliche Behandlung von Personengesellschaften, insbesondere im Hinblick auf die Sitztheorie und die Gründungstheorie
- Die Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf Zuzug und Wegzug von Personengesellschaften
- Die Herausforderungen und Chancen der grenzüberschreitenden Betätigung von Personengesellschaften im europäischen Binnenmarkt
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel A: Einleitende Gedanken zum europäischen Personengesellschaftsrecht
- Dieses Kapitel stellt die Relevanz des Themas der Personengesellschaftsmobilität im europäischen Kontext heraus und erläutert die Notwendigkeit einer umfassenden Analyse der Niederlassungsfreiheit im Bereich des Personengesellschaftsrechts. Es wird ein Überblick über die unterschiedliche Ausgestaltung des Personengesellschaftsrechts in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten gegeben, um die Herausforderungen für die Harmonisierung in diesem Bereich zu verdeutlichen.
- Kapitel B: Niederlassungsfreiheit und Personengesellschaften
- Dieses Kapitel untersucht die Bedingungen, die Personengesellschaften erfüllen müssen, um als niederlassungsberechtigt angesehen zu werden. Es wird insbesondere die Frage der Rechtsfähigkeit als mögliche Voraussetzung für die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit diskutiert. Weiterhin wird analysiert, ob der Schutzumfang der Niederlassungsfreiheit für Personengesellschaften im Vergleich zu Kapitalgesellschaften eingeschränkt werden muss, insbesondere im Hinblick auf die erstmalige Tätigkeitsaufnahme im Binnenmarkt.
- Kapitel C: Besonderheiten der kollisionsrechtlichen Behandlung von Personengesellschaften
- Dieses Kapitel beleuchtet die kollisionsrechtlichen Besonderheiten bei der Anknüpfung von Personengesellschaften und untersucht die verschiedenen kollisionsrechtlichen Konzepte zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts. Es werden die Sitztheorie und die Gründungstheorie im Detail analysiert und ihre Eignung für die Anknüpfung von Personengesellschaften kritisch bewertet. Darüber hinaus wird die besondere Fallgruppe der internationalen Bankenkonsortien betrachtet und die Frage diskutiert, ob diese aufgrund ihrer spezifischen Merkmale eine Ausnahme von der allgemeinen kollisionsrechtlichen Behandlung von Personengesellschaften darstellen.
- Kapitel D: Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf Personengesellschaften
- Dieses Kapitel analysiert die Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf die grenzüberschreitende Betätigung von Personengesellschaften, sowohl im Hinblick auf den Zuzug als auch auf den Wegzug. Es werden die wichtigsten Fallkonstellationen der Verwaltungssitzverlegung und der grenzüberschreitenden Umwandlung (Verschmelzung und Formwechsel) untersucht und die Übertragbarkeit der für Kapitalgesellschaften entwickelten Rechtsprechung auf Personengesellschaften geprüft. Besonderes Augenmerk wird auf die Auswirkungen der "Überseering"- und "Cartesio"-Entscheidungen des EuGH gelegt, die wichtige Präzedenzfälle für die Mobilität von Gesellschaften im europäischen Binnenmarkt darstellen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Niederlassungsfreiheit, Personengesellschaften, europäisches Gesellschaftsrecht, Kollisionsrecht, Sitztheorie, Gründungstheorie, Bankenkonsortien, "Überseering"-Rechtsprechung, "Cartesio"-Urteil, Verwaltungssitzverlegung, grenzüberschreitende Umwandlung, Verschmelzung, Formwechsel, Zuzug, Wegzug, Mobilität, Rechtsfähigkeit, Teilrechtsfähigkeit, Gemeinschaftszugehörigkeit, Organisationsstatut, Rechtswahlfreiheit, Verkehrsschutz, "Wechselbalgtheorie".
- l. Grenzüberschreitende Verwaltungssitzverlegung
- I. Zuzug von Personengesellschaften
- Quote paper
- Alissa Lechner (Author), 2012, Die Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf Personengesellschaften, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/266809