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Universität Hamburg WiSe 13/14
Institut für Geographie Tutorium zur Einführung in die Geographie
Das Zeitalter der Megastädte und Global Cities
Zur Entwicklungsdynamik und funktionalen Bedeutung der modernen Stadt
„We live in the age of the city. The city is everything to us […]“ (ONOOKOME OKOME; zitiert
nach DA CUNHA 2013, S. 265). Die moderne Neuzeit des 20. und 21. Jahrhunderts ist geprägt durch demographische Entwicklungen und Prozesse einer bis dato nicht bekannten Dynamik. Dieser Umbruch spiegelt sich keinesfalls nur in der stetig steigenden Zahl der Weltbevölkerung wider, die von 1950 bis in das Jahr 2000 von ca. 2,5 Mrd. auf ca. 6,1 Mrd. Menschen weltweit anstieg, expandierte doch gleichsam das Wachstum der urbanen Bevölkerung um mehr als das Vierfache (vgl. BRONGER 2004, S. 19). Ein Prozess der globalen Urbanisierung setzte ein, der bis heute andauert. Insbesondere das Jahr 2007 stellt einen historischen Meilenstein dar, lebt von nun an die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten (vgl. ZLOTNIK 2004, S. 43). Das Kon- strukt »Stadt« gewinnt folglich sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen, gesellschaft- lichen Sinne stetig an Signifikanz. Wenngleich die Stadt im Laufe der Menschheitsgeschichte schon über lange Zeiträume eine äußerst essenzielle Bedeutung und Funktion innehatte, so ist die Tatsache, dass sich immer mehr Städte zu gewaltigen Ballungsräumen mit Millionen von Einwohnern entwickeln, ein Phänomen der heutigen Zeit. Dabei ist die bedeutsame Stellung der Städte nicht nur das Resultat ihrer Größe, zeichnen sie sich doch ebenfalls durch ihre kul- turelle, politische und insbesondere ökonomische Relevanz aus (vgl. ZEHNER 2001, S. 4). Doch inwiefern ist ein Ballungsraum eine Stadt und darüber hinaus als sogenannte Megastadt oder gar als Global City zu deklarieren?
Der Begrifflichkeit »Stadt« liegt mitnichten eine eindeutige Definition zugrunde. Je nach Kul- turraum oder Entwicklungsstand kann die Stadt auf die divergentesten Bestimmungsmerkmale und Kriterien zurückgeführt werden. Besonders im Wandel der Zeit hat sich der Stadtbegriff sowohl in seiner räumlichen Ausprägung, seiner wirtschaftlichen, politischen und gesellschaft- lichen Relevanz als auch in der Einwohnerzahl verändert (vgl. HEINEBERG 2014, S. 25f.). Die gängigen Stadtdefinitionen lassen sich dabei auf genau jene statistische Größe der Einwohner- zahl, einer Mindesteinwohnerzahl zurückführen. Die Untergrenze kann dabei, wie beispiels- weise in Island oder Norwegen üblich, bei lediglich 200 Einwohnern, gleichwie bei 10.000 Einwohnern oder mehr, wie sie in Griechenland, Malaysia oder in der Schweiz definiert wird, liegen (vgl. BÄHR 2010, S. 60). Mehr oder minder allgemeingültig sind Größenordnungen von 2.000 bis 5.000 Einwohnern (vgl. LESER 2011, S. 880). Eine internationale Vereinheitlichung, die gar einen standhaften weltweiten Vergleich möglich machen würde, ist nicht durchführbar, ist die Heterogenität der nationalen, länderspezifischen Erhebungen doch zu divergent (vgl. BÄHR 2010, S. 60). Somit scheint eine historische, gleichwie juristische Herleitung des Stadt- begriffs besser geeignet. Die europäische Stadt des Mittelalters zeichnete sich durch signifi- kante Privilegien gegenüber ihrem Umland aus, welche im sogenannten Stadttitel bzw. im Stadtrecht, einem Rechtstitel zum Ausdruck kamen, welcher bedeutsame wirtschaftliche Vor- rechte und Vorzüge mit sich brachte. Auch die heutigen Städte verfügen über besondere Eigenschaften, Potenziale und Bedeutsamkeiten, die dem nicht urbanisierten Raum verwehrt bleiben. Der geographische Stadtbegriff impliziert folglich sowohl quantitative als auch qualitative Bestimmungskriterien (vgl. HEINEBERG 2014, S. 26f.).
„War das 20. Jahrhundert das der Urbanisierung, wird das 21. Jahrhundert das der Mega- cities sein“ (Tokios Oberbürgermeister SUZUKI; zitiert nach STRATMANN 2007, S. 25). Diese sogenannten Megastädte zeichnen sich insbesondere durch quantitative Kriterien aus. Je nach spezifischer Definition kann eine Stadt ab 5, 8 oder gar 10 Millionen Einwohnern als Megastadt deklariert werden (vgl. SCHMID 2009, S. 9). Darüber hinaus spielt nicht selten auch die Ein- wohnerdichte, durchschnittlich wird jene bei 2.000 Einwohner/km² angesetzt, eine entschei- dende Rolle (vgl. BRONGER 2008, S. 11). Im Falle der Megastädte kann jedoch nur bedingt von einem globalen Phänomen gesprochen werden. Von 1950 bis in das neue Jahrtausend hinein stieg die Zahl der erfassten Megastädte von sechs auf 45. Dabei sind die Länder der Erde gänz- lich unabhängig von ihrem Entwicklungsniveau in dieser Statistik vertreten (siehe Abb. 1.), gleichsam sind die Komplikationen, die solche Megastädte mit sich bringen (Verwaltungsprob- leme, Kriminalität, Umweltverschmutzung, Überfüllung, Segregation), in den Entwicklungs- und Schwellenländern durchaus gravierender (vgl. BRONGER 2004, S. 51/BÄHR 2010, S. 67). Überdies nehmen jene Megastädte auf der Ebene einer globalen Städtehierarchie allein ihrer Größe wegen keine besondere Stellung ein, sind sie oftmals nur von regionaler bzw. nationaler Bedeutung. Konträr dazu beziehen sogenannte »Global Cities« ihre Wachstums- und Bedeu- tungsimpulse aus der Tatsache, dass sie in der globalen Städtehierarchie obenan stehen (vgl. STRATMANN 2007, S. 27).
Diese Global Cities (siehe Abb. 2.) zeichnen sich demgemäß durch qualitative Kriterien aus. Bereits KONRAD OLBRICHT definierte im Jahre 1933 die Weltstädte als jene, „die in Politik und Wirtschaft eine überragende Rolle spielen […] und Brennpunkt des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens sind“ (OLBRICHT 1933, S. 8). Jene Weltstädte weisen eine Ballung von Konzernzentralen globaler Unternehmen auf und stechen als weltweite Zentren der Finanz- märkte und als Schauplätze transnationaler Transaktionen heraus. Sie agieren somit auf einer globalen Ebene, indem sie untereinander vernetzt sind und eine neue Form der Zentralisierung darstellen (vgl. SASSEN 1997, S. 39-43/SASSEN 2001, S. 125). Die Definition der »Global Ci- ties« hebt sich also mittels funktionaler Kriterien mehr oder minder klar von jener der Mega- städte ab (vgl. BRONGER;TRETTIN 2011, S. 331).
Schlussfolgernd muss festgehalten werden, dass der Prozess der Globalisierung und Urbanisie- rung weltweit zu signifikanten Veränderungen geführt hat. Waren bis in das 20. Jahrhundert hinein die zentralen Standorte die Plantagen, Minen, Fabriken und Häfen, somit die Grundstoffe und Zwischenerzeugnisse von zentraler Bedeutung, entwickelten und entwickeln sich nun emi- nente Dienstleistung- und Finanzsparten heraus, welche sich in den Global Cities konzentrieren. Jene Städte sind zu Steuerungs- und Managementzentralen des Finanz- und Dienstleistungs- sektors geworden und zeichnen sich nicht immer durch exorbitante Einwohnerzahlen aus, ha- ben sie doch einen vielmehr funktionalen Charakter vorzuweisen, auf dessen Basis sie zu defi- nieren sind. Aufgrund der gewaltigen Menge an Theorien, Interpretationsweisen und quantita- tiven bzw. qualitativen Definitionsperspektiven ist eine eindeutige Definition und Beschrei- bung jener neuartigen Veränderungen als problematische Zielvorstellung zu dekuvrieren. Den- noch bleibt festzuhalten: „Global Cities und Megacities [sind die] Signaturen des 21. Jahrhun- derts“ (SASKIA SASSEN; zitiert nach STRATMANN 2007, S. 37).
Quellenverzeichnis
Literaturquellen
BÄHR,J. (2010): Bevölkerungsgeographie. 5. Auflage. Stuttgart: Ulmer.
BRONGER,D. (2004): Metropolen, Megastädte, Global Cities. Die Metropolisierung der Erde. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
BRONGER,D. (2008): Die Megastädte der Erde zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Geographie und Schule. Heft 175. S. 41-45.
BRONGER,D.;TRETTIN,L. (2011): Megastädte - Global Cities HEUTE. Berlin: LIT. (Asien. Wirtschaft und Entwicklung. Bd. 5).
DA CUNHA,D. (2013): Anchoring a Terrain: Landscape Beyond Urbanism. In: PICKETT,S.T.A.; CADENASSO,M.L.;MCGRATH,B. (Hrsg.): Resilience in Ecology and Urban Design. Linking Theory and Practice for Sustainable Cities. New York: Springer. S. 253-268.
HEINEBERG,H. (2014): Stadtgeographie. 4. Auflage. Paderborn: Schöningh.
LESER,H.(Hrsg.) (2011): Diercke-Wörterbuch Geographie. Raum - Wirtschaft und Gesellschaft - Umwelt. Braunschweig: Westermann.
OLBRICHT,K. (1933): Weltstädte heute und einst. In: Geographische Wochenschrift. Jahr 1933. Breslau: Ferdinand Hirt Verlag. S. 7-17.
SASSEN,S. (1997): Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der Global Cities. 2. Auflage. Frankfurt a.M./New York: Campus-Verlag.
SASSEN,S. (2001): The Global City: New York, London, Tokyo. New Jersey: Princeton University Press.
SCHMID,H. (2009): Megastädte, Weltstädte und Global Cities. In: Geographie Rundschau. 7- 8/2009. S. 9.
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STRATMANN,B. (2007): Megastädte: Größe ohne Klasse? Zur Soziologie der Megaurbanisie-
rung - Wissensstand und aktuelle Forschungsprogramme. Hamburg: Verlag Dr. Kovač. (Socialia. Studienreihe Soziologische Forschungsergebnisse. Bd. 86).
ZEHNER,K. (2001): Megastädte - Weltstädte - Hauptstädte. In: Geographische Rundschau. 10/2001. S. 4-9.
ZLOTNIK,H. (2004): World Urbanization: Trends and Prospects. In: CHAMPION,T.;GRAEME,
H. (Hrsg.): New Forms of Urbanization. Beyond the Urban-rural Dichotomy. Aldershot: Ashgate. S. 43-64.
Grafikquellen
Abb. 1.: BRONGER,D.;TRETTIN,L. (2011): Megastädte - Global Cities HEUTE. Berlin: LIT. (Asien. Wirtschaft und Entwicklung. Bd. 5). S. 35.
Abb. 2.: BRONGER,D.;TRETTIN,L. (2011): Megastädte - Global Cities HEUTE. Berlin: LIT. (Asien. Wirtschaft und Entwicklung. Bd. 5). S. 45.
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Anhang
Abb. 1.: Megastädte der Erde (> 10 Mio. E.) - Wachstum / Jahr 1950-2005
Abb. 2.: Global Cities um 2009
- Quote paper
- Sander Kebnier (Author), 2013, Das Zeitalter der Megastädte und Global Cities, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/266578