„Hier verfrühstückt eine italienische Bank eine deutsche Bank.“
Mit diesen Worten sorgte der Bonner Rechtsanwalt Thomas Heidel auf der Hauptversammlung der Bayrischen Hypo- und Vereinsbank Aktiengesellschaft (HVB) im Juli 2008 für Aufruhr und sprach damit stellvertretend für viele Kleinanleger der HVB. Er bezog sich auf die Umstände, unter denen die HVB in den Konzern der italienischen Großbank UniCredit S.p.A. (UniCredit) integriert wurde.
Thomas Heidel warf UniCredit vor, sie habe die HVB auf Kosten der Minderheitsaktionäre in ihren Konzern integriert und diese dadurch massiv geschädigt. Dieser Vorwurf sorgte für ein beachtliches Echo in den Medien, produzierte eine Fülle von Anfechtungs- und Schadensersatzklagen, die bis zum BGH verfolgt wurden und verzögerte den Abschluss der Konzernintegration um mehrere Jahre.
Insbesondere stritten sich die HVB-Hauptaktionärin UniCredit und die Minderheitsaktionäre über den Verkauf des Osteuropageschäfts der HVB an UniCredit und die Angemessenheit des dafür gezahlten Kaufpreises.
Die Minderheitsaktionäre waren der Ansicht, die HVB habe ihr Osteuropageschäft weit unter Wert an UniCredit verkauft und somit ihr „Filetstück an die Hauptaktionärin verschleudert.“ Der Wert des Osteuropageschäfts betrüge rund das Doppelte des gezahlten Kaufpreises, rund 24 Milliarden Euro anstelle der gezahlten 12 Milliarden Euro.
Die Vorstände der HVB und UniCredit sahen dies naturgemäß anders, sodass angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der BGH das letzte Wort hatte.
Eine Teilfrage dieses Streitkomplexes, den der BGH in Form von Anfechtungsklagen gegen den Zustimmungsbeschluss zu der Transaktion zu beurteilen hatte, betraf das faktische Konzernverhältnis zwischen HVB und UniCredit und dessen Auswirkung auf die Transaktion des Osteuropageschäfts. Konkret stellte sich die Frage inwieweit und unter welchen Voraussetzungen die Privilegierung des herrschenden Unternehmens nach den §§ 311 ff. AktG bei UniCredit als Hauptaktionärin Anwendung findet.
Ebendiese Frage nach der Privilegierung des herrschenden Unternehmens im faktischen Konzern und die daran zu stellenden Anforderungen sollen in der vorliegenden Ausarbeitung im Mittelpunkt stehen.
Inhaltsverzeichnis
- A. Eine deutsche Bank zum Frühstück...
- I. Streit um Konzernintegration der HVB
- II. Gang der Darstellung
- B. Die Entscheidung der Instanzgerichte
- I. Sachverhalt und Hintergrund
- II. Rechtliche Würdigung
- 1. Privilegierung des herrschenden Unternehmens im faktischen Konzern.
- 2. Anforderung an den Nachteilsausgleich.........
- III. Zusammenfassung.
- C. Die Lösung der Instanzgerichte – Eine Perversion des Schutzzwecks der §§ 291 ff. AktG?
- I. Privilegierung im faktischen Konzern
- a. Allgemeine Kapitalerhaltungsregeln gelten im faktischen Konzern.
- aa. Unterschiedlicher Anwendungsbereich
- bb. Wertungswidersprüche.
- b. §§ 311 ff. AktG als lex specialis zu den allgemeinen Kapitalerhaltungsregeln ...
- aa. Wortlautargument.
- bb. Sinn und Zweck des § 311 AktG..
- cc. Umfassender Vermögensschutz..
- c. Stellungnahme
- aa. Spezialitätsverhältnis der Anwendungsbereiche.
- bb. Haftung aus Konzernrecht nach Veranlassung......
- cc. Ausgleich von Verzögerungsnachteilen
- II. Anforderungen an den Nachteilsausgleich
- 1. Dogmatisch-systematische Beurteilung.
- a. Dogmatisch zulässig.
- b. Dogmatisch unzulässig.
- aa. Aufschiebend bedingter Anspruch........
- bb. Verständnis als Anerkenntnis.
- cc. Schutzzweckerwägungen.
- dd. Regel-Ausnahme-Verhältnis
- c. Stellungnahme
- aa. Gefahrpotential bei der Konstruktion eines Eventualausgleichs
- (1) Verzögerung des Ausgleichs
- (2) Vertragliche Abbedingung von Haftungsnormen.
- (3) Eventualausgleich bei offensichtlichen Nachteilen.
- bb. Zumutbarer Schwebezustand..
- cc. Rechtsanspruch als Anerkenntnis.
- dd. Anspruch entsteht erst mit Tenorierung
- ee. Regel-Ausnahme-Verhältnis zu § 311 I 1. Hs. AktG
- ff. Ergebnis: Eine Perversion des Schutzzwecks.....
- 2. Treuepflicht
- a. Allgemeine Anwendbarkeit der Treuepflicht bei einer AG .
- b. Allgemeine Anwendbarkeit im Konzern....
- c. Anwendbarkeit bei einem Eventualausgleich.
- aa. Gesetzliches Leitbild..
- bb. Atypische Konstruktion .....
- cc. Konzernrecht als teilkodifizierte Treuebindungen.........
- d. Konkrete Ausgestaltung der Treuepflicht
- (1) Unterlassungsanspruch auf Nichtabschluss
- (2) Einzelfallabwägung mit Gesellschaftsinteressen...
- (a) Bewertungsprobleme
- (b) Absehbare gerichtliche Beurteilung als zwingende Voraussetzung.
- (c) Zufallshaftung.
- (d) Beschränkung des Eventualausgleich auf Bewertungsstreitigkeiten.....
- (3) Keine doppelte Treuepflicht zugunsten der Organe.
- III. Ergebnis........
- D. Ausblick: Die Grenzen des Kapitalerhaltungsrechts ........
- I. Bilanzielle Betrachtungsweise .
- II. Liquiditätsschutz zu Gunsten der Minderheitsaktionäre
- E. Flucht in den faktischen Konzern
- Kapitalerhaltungsrecht im faktischen Konzern
- Anwendbarkeit der §§ 311 ff. AktG
- Nachteilsausgleich für Minderheitsaktionäre
- Treuepflicht im Konzernrecht
- Rechtliche Beurteilung des HVB-UniCredit-Falls
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den konkreten Fall der Integration der HVB durch UniCredit und analysiert die daraus entstehenden Rechtsfragen im Hinblick auf den Nachteilsausgleich für Minderheitsaktionäre im faktischen Konzern. Der Fokus liegt dabei auf den Kapitalerhaltungsregeln und der Anwendbarkeit der Treuepflicht im Konzernrecht.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beschreibt den Hintergrund des Streits um die Konzernintegration der HVB durch UniCredit. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Entscheidung der Instanzgerichte, wobei insbesondere die Privilegierung des herrschenden Unternehmens im faktischen Konzern und die Anforderungen an den Nachteilsausgleich für Minderheitsaktionäre beleuchtet werden. Im dritten Kapitel werden die Schlussfolgerungen der Instanzgerichte in Bezug auf den Schutzzweck der §§ 291 ff. AktG kritisch beleuchtet. Im Fokus stehen die Anwendbarkeit der allgemeinen Kapitalerhaltungsregeln im faktischen Konzern sowie die spezifischen Anforderungen an den Nachteilsausgleich. Der vierte Abschnitt widmet sich der Frage, ob und inwiefern die Treuepflicht im Konzernrecht Anwendung findet, wobei insbesondere der Eventualausgleich im Vordergrund steht. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die Grenzen des Kapitalerhaltungsrechts und den Einfluss des faktischen Konzerns auf die Rechte der Minderheitsaktionäre.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen des faktischen Konzerns mit einem Schwerpunkt auf den Kapitalerhaltungsregeln und der Treuepflicht. Dabei werden wichtige Themen wie Nachteilsausgleich für Minderheitsaktionäre, Konzernintegration, Eventualausgleich und die rechtliche Beurteilung des HVB-UniCredit-Falls behandelt. Die Arbeit bietet Einblicke in die spezifischen Herausforderungen, die sich aus der Anwendung von Konzernrecht auf die Rechte der Minderheitsaktionäre ergeben.
- Arbeit zitieren
- Tom Dittmar (Autor:in), 2012, Nachteilsausgleich im faktischen Konzern, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/264967