Der Begriff der Empfindsamkeit taucht zuerst 1760 in Übersetzungen aus dem Englischen
zunächst in zwei Bedeutungskontexten auf. Erstens als„moralische Zärtlichkeit“, das heißt
im Sinne freundschaftlicher und verwandtschaftlicher Gefühle, vor allem der Liebe. Dies
bezeichnet auch die „Tugendempfindsamkeit“. In einem zweiten Bedeutungskontext meint
Empfindsamkeit die Fähigkeit, sinnliche Empfindungen wahrzunehmen im Sinne einer
„physischen Empfindsamkeit“ der Nerven und Organe.
Dem Begriff entsprechen im pejorativen Gebrauch die Worte „sentimental“,
„sentimentalisieren“, „Sentimentalist“.1 Als Tendenz tritt die Empfindsamkeit bereits zwischen 1740 und 1760 als „Zärtlichkeit“
vor allem in moralisierenden Wochenschriften auf. Sie avanciert zur literarischen
Modeerscheinung zwischen 1760 und 1770. Vorläufer der literarischen Tendenz in
Deutschland sind die englische Sentimental Comedy (ab 1700) und die Romane von Samuel
Richardson und Laurence Sterne (ab 1740). In Deutschland verliert sich der moralische
Anspruch der Empfindsamkeit in der Romantik und wird psychologisch und ästhetisch
ersetzt.2 Der Begriff wird als „Säkularisation des Pietismus“3 verstanden, er ist aber nicht
notwendigerweise an die Religion des Pietismus geknüpft. Die englische Moralphilosophie
steht insofern in Zusammenhang mit der Empfindsamkeit als sie davon ausgeht, daß jedem
menschlichen ein natürliches Gesetz eingeschrieben ist, wobei die Vernunft als Regulativ gegen ungezügelte Affekte dient. Affekte sind unter Leitung dieses moralischen Gefühls
legitim, darüber hinaus sind sie lasterhaft.4
Außerdem beeinflußt die Naturrechtslehre mit ihrer Forderung nach „Menschenliebe“ und
„Mitleid“ die Empfindsamkeit.
1 Sauder Gerhard: Empfindsamkeit. In: Killy Walther: Literatur Lexikon. Bd. 13. Bertelsmann Lexikon Verlag.
Güthersloh/ München 1992, S.202-206
2 Sauder, a.a.O.
3 Sauder, a.a.O.
4 nach Sauder, a.a.O.
Inhaltsverzeichnis
- I) Empfindsamkeit
- 1. Begriff
- 2. Zeitliche Einordnung
- 3. Herkunft des Begriffes
- 4. Sozialgeschichtlicher Aspekt
- 5. Empfindsamkeit als literarische und ästhetische Gattung
- II) Sophie von La Roche
- 1. Biographische Eckdaten
- 2. Zur Geschichte des Fräuleins von Sternheim
- III) Die Darstellung von Gefühl in der Geschichte des Fräuleins von Sternheim
- 1. Zur Form des Briefromans
- 2. Zur Unterschiedlichkeit der Gefühle bei den ProtagonistInnen
- a) Gefühl bei Sophie
- b) Gefühl bei Lord Rich
- c) Gefühl bei Lord Seymour
- d) Gefühl bei Lord Derby
- e) Fazit
- IV) Albrecht Koschorke: Alphabetisation und Empfindsamkeit
- 1. Hauptansatz
- 2. Die Argumentation der einzelnen Paragraphen
- a) Affekte und Abwesenheit
- b) Entstehung „imaginierter Unmittelbarkeit“
- c) Empfindsamkeit und soziale Opposition und die Absenz der Innerlichkeit
- d) Seelenfreundschaft als Modell der Überwindung von Körperlichkeit
- e) Zum Verhältnis von Sprache und Empfindung
- f) Zusammenhang mit dem Weiblichkeitsideal der Empfindsamkeit und dem Tugendbegriff
- g) Auswirkungen auf den Literaturbegriff
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Konzept der Empfindsamkeit im Briefroman. Sie analysiert Sophie von La Roches „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ als exemplarisches Werk dieser literarischen Epoche. Dabei werden die verschiedenen Facetten der Empfindsamkeit beleuchtet, insbesondere die Darstellung von Gefühl und die Rolle von Sprache in der Konstruktion von Identität.
- Die Entwicklung des Begriffs der Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert
- Die Rolle von Gefühl in der „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“
- Die Darstellung von Empfindsamkeit in der Briefromanform
- Die Rezeption von Empfindsamkeit in der Literaturgeschichte
- Die Verbindung von Empfindsamkeit und Weiblichkeitsidealen
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil der Arbeit beleuchtet den Begriff der Empfindsamkeit, seine zeitliche Einordnung, seine Ursprünge und seine soziale und literarische Bedeutung. Es werden die verschiedenen Definitionen und Auslegungen des Begriffs vorgestellt, sowie die verschiedenen Facetten des Konzepts, wie z.B. "moralische Zärtlichkeit" und "physische Empfindsamkeit".
Im zweiten Teil der Arbeit wird Sophie von La Roche als Autorin der "Geschichte des Fräuleins von Sternheim" vorgestellt. Es werden ihre biographischen Eckdaten beleuchtet und die Entstehung des Romans erläutert. Dabei wird auch die Bedeutung von Wieland für die Entstehung des Romans hervorgehoben.
Der dritte Teil der Arbeit befasst sich mit der Darstellung von Gefühl in der "Geschichte des Fräuleins von Sternheim". Es wird die Form des Briefromans analysiert und die verschiedenen Gefühlswelten der Protagonisten untersucht. Insbesondere wird auf die Darstellung der Gefühlswelt von Sophie eingegangen.
Der vierte Teil der Arbeit untersucht die Verbindung zwischen Alphabetisierung und Empfindsamkeit im Werk von Albrecht Koschorke. Es werden die Argumente und Erkenntnisse Koschorkes im Detail dargestellt, insbesondere seine Ausführungen zu den Themen Affekte, „imaginierte Unmittelbarkeit“, soziale Opposition und Seelenfreundschaft.
Schlüsselwörter
Empfindsamkeit, Briefroman, Sophie von La Roche, Geschichte des Fräuleins von Sternheim, Gefühl, Sprache, Identität, Alphabetisierung, Seelenfreundschaft, Weiblichkeitsideal, Literaturgeschichte
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- Petra Leitmeir (Author), 2000, Empfindsamkeit im Briefroman- Sophie von la Roche: Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/24142