Diese Feststellung mag vielleicht auch einer der Gründe dafür sein, warum das Thema „Brecht und der Marxismus“ so kontrovers in der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit einem der bedeutensten Dichter und Dramatiker des 20. Jahrhunderts diskutiert wurde – und auch immer noch wird. Die Frage, die sich daran anschließt, lautet nun: Welche „Begriffe und Bezüge“ sind es, die dazu führen, dass 46 Jahre nach Brechts Tod immer noch keine Einigkeit darüber herrscht, in welchem Verhältnis Brecht zum Marxismus stand bzw. was dieses Verhältnis ausmacht? Und was lässt dieses Thema auch nach Jahrzehnten immer noch „ambivalent und fragwürdig“ erscheinen?
Schon 1971 brachte Grimm das Problem der Brechtforschung auf den Punkt: „Denn daß Brecht Marxist oder gar, nach seiner eigenen Definition, ein ‚parteiloser Bolschewik’ war, pfeifen die Spatzen von den Dächern; zu klären wäre, ‚wie Brecht Marxist war’.“2 Aber auch diese Frage ist nicht unproblematisch. Erscheint sie doch als etwas zu trivial, da offen bleibt, welcher Brecht, bzw. welche Phase seines Lebens gemeint ist. Auch wirft sie eine Vielzahl von abstrusen und widersprüchlichen Seiten des Dichters auf.3 Diese gehen wiederum einher mit gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (z.B. mit dem ‚schwarzen Freitag’ und der Inflation) in unterschiedlichen Ländern (Deutschland, den Ländern des Exils und seiner späteren Wahlheimat – der DDR) und unterschiedlichen politischen Systemen (Monarchie, Demokratie, Faschismus und Sozialismus). Auch spiegelt das Leben Brechts historisch höchst interessante, d.h. nervöse und stürmische „Epochen“ (das deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, den real existierenden Sozialismus der DDR sowie den ‚Kalten Krieg’) wider, die ihn in seiner Entwicklung als Mensch und Künstler beeinflusst haben. Dynamik und Veränderung sind wesentliche Merkmale des Dichters, wie sich aus seinem Gedicht Vom armen B. B. entnehmen lässt: „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.“4
Neben den genannten Rahmenbedingungen ist ferner von entscheidendem Interesse, was denn überhaupt der Begriff Marxismus beinhaltet, welchen Umfang er annehmen kann und in welchem Zusammenhang – bezüglich der Person Brechts – er verwendet wird.
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Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- 1. Fragwürdiges
- 2. Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise
- 3. Zur Ausgangslage und dem Wesen der Arbeit
- II. Eine Lehre, die Lernen voraussetzt - Der Marxismus
- 1. Begriff
- 2. Quellen
- 3. Wesentliche Bestandteile und Werke
- 3.1 Dialektischer und Historischer Materialismus
- 3.2 Manifest der kommunistischen Partei
- 3.3 Das Kapital
- 4. Rezeption, Wirkung, Umsetzung
- III. Brechts erste Berührungen mit marxistischen Ideen - Politische Motivation oder Abenteuer?
- 1. Brecht im Arbeiter- und Soldatenrat
- 2. Auf der Suche nach dem Weg
- 3. Brecht und die USPD
- 4. Zwischen Ideal und Wirklichkeit
- IV. Darum hinein in das marxistische Studium. Marxistisches Wissen zeigt den Weg! - Brecht und die Marxistische Arbeiterschule (MASCH)
- 1. Von der Begeisterung zum Studium
- 2. Entstehung und Gründung der MASCH in Berlin
- 3. Ziele und Aufgaben der MASCH
- 4. Entwicklung der MASCH
- V. Brecht im Spannungsfeld innermarxistischer Kontroversen
- 1. Lenin
- 2. Rosa Luxemburg
- 3. Karl Korsch
- 4. Fritz Sternberg
- 5. Erwin Piscator
- 6. In welcher Form wurde Brecht marxistisch beeinflusst?
- VI. Ein Didaktiker des Marxismus? - Der Einfluß des Marxismus auf Brechts zeitgenössisches Theater
- 1. Die Phasentheorie
- 2. Die Lehrstücke als politisch-ästhetische Experimente
- 2.1 Die Lehrstückphase
- 2.2 Der Hintergrund der Entstehung
- 2.3 Die Theorie der Lehrstücke
- 3. Die Maßnahme – Marxistisches Lehrstück oder Lehrstück des Marxismus?
- 3.1 Methodische Vorüberlegung zur Analyse und Deutung
- 3.2 Eigener Ansatz eines Deutungsversuchs der Maßnahme
- 3.2.1 Die Bühne als Lehr- und Lernort
- 3.2.2 Die Bühne begann zu erzählen
- 3.2.3 Epische Elemente als Mittel zur Strukturierung der Lerninhalte
- 3.2.4 Zur Kommunikation im Stück
- 3.3 Uraufführung
- 3.4 Reaktionen
- 3.5 Neuere Forschungsergebnisse und weiterführende Diskussion
- Brechts politische Entwicklung und seine Auseinandersetzung mit marxistischen Ideen
- Der Einfluss des Marxismus auf Brechts Theatertheorie und -praxis
- Analyse der „Lehrstücke“ als politisch-ästhetische Experimente
- Deutung der „Maßnahme“ im Kontext des Marxismus
- Die Rezeption und Wirkung der „Lehrstücke“ in der Theatergeschichte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Entwicklung Bertolt Brechts zum Marxisten und untersucht den Einfluss des Marxismus auf sein dramatisches Werk. Besonderer Fokus liegt dabei auf den sogenannten „Lehrstücken“, insbesondere auf der „Maßnahme".
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und beleuchtet Brechts Engagement im Arbeiter- und Soldatenrat sowie seine Suche nach einem neuen Weg in der Nachkriegszeit. Das zweite Kapitel widmet sich der marxistischen Theorie, erläutert wichtige Begriffe wie den historischen und dialektischen Materialismus und stellt bedeutende Werke wie das „Manifest der kommunistischen Partei“ und „Das Kapital“ vor. Kapitel drei beleuchtet Brechts erste Berührungen mit marxistischen Ideen im Kontext der USPD. Im vierten Kapitel wird die Gründung und Entwicklung der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) beschrieben, die Brecht besuchte und die einen wesentlichen Einfluss auf seine marxistische Bildung hatte. Kapitel fünf betrachtet Brechts Einbindung in innermarxistische Kontroversen und analysiert den Einfluss verschiedener Denker wie Lenin, Rosa Luxemburg und Karl Korsch auf sein Denken. Das sechste Kapitel untersucht den Einfluss des Marxismus auf Brechts Theater und analysiert die Entwicklung der „Lehrstücke“ als politisch-ästhetische Experimente am Beispiel der „Maßnahme".
Schlüsselwörter
Bertolt Brecht, Marxismus, Lehrstücke, Maßnahme, Theatertheorie, politisches Theater, dialektischer Materialismus, historischer Materialismus, USPD, Marxistische Arbeiterschule, Episches Theater.
- Quote paper
- Lars Wächter (Author), 2003, Der Einfluss des Marxismus auf die Person Bertolt Brechts und sein dramatisches Werk, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/21136