Der offensichtliche Konflikt zwischen Güte und Gerechtigkeit fällt schon beim ersten Lesen der Perikope ins Auge Die Reaktion der Arbeiter, die den ganzen Tag im Weinberg gearbeitet hatten, scheint auch heute noch für den Leser verständlich und nachvollziehbar. Der Unmut dieser scheint im ersten Augenblick durchaus berechtigt, er erscheint als legitime Antwort auf die wahrgenommene Ungerechtigkeit. Indem der Gutsbesitzer gütig gegenüber den Letzten ist, verstößt er scheinbar gegen den Grundsatz der (Verteilungs-)Gerechtigkeit. Um so mehr verblüfft die Antwort des Hausherrn, der sich auf Recht und (sein Recht auf) Güte beruft. Hier wird nach unseren Maßstäben eine Diskrepanz sichtbar, zum einen zwischen dem, was Recht, und dem, was gerecht ist, zum anderen zwischen Gerechtigkeit und Güte. Das Gleichnis aber löst diesen Konflikt nicht weiter auf, es endet mit der klaren Reaktion des Hausherrn und lässt den Leser nun mit diesem Konflikt allein. Und genau hier fesselt das Gleichnis seine Leser, hier wird es zur ‚Bibel interaktiv’ par Excellenze: Der Leser muss den Konflikt weiter denken, um ihn zu lösen, in dem ‚ungeschriebenem Schluss’ des Gleichnisses liegt es am Leser, das Gleichnis und seinen Konflikt aktiv mit- und zu Ende zu denken, der Leser wird gefordert, die mit „Du“ formulierte Schlussfrage in Vers 15 selbst zu beantworten. Konnte er den Unmut der Arbeiter der ersten Stunde verstehen, so ist nun die Antwort des Hausherren auch keineswegs unverständlich – die Sympathie des Lesers weiß nun nicht mehr wohin.
Das Handeln und die Argumentation des Gutsbesitzers machen klar: Gottes Gerechtigkeit ist eine andere als unsere menschliche Gerechtigkeit. Gerecht ist das, was der Einzelne bedarf, nämlich einen Platz im Himmelreich (wofür hier der Denar steht). Aufgrund seiner Güte lässt Gott Gerechtigkeit widerfahren. In seiner Allgewalt ist dies sein gutes Recht (worauf sich der Gutsbesitzer in seiner Antwort auch beruft) – er kann verfahren, wie ihm beliebt (und er tut ja nichts Böses!). Unrecht tut er keinem.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Text des Gleichnisses
- Eine exegetische Übersetzung
- Zur Quelle
- Stellung, Abgrenzung und Funktion des Gleichnisses als Perikope
- Das Gleichnis und sein „Sitz im Leben“
- Analyse der Perikope
- Erzählgang
- Aufbau
- Semantische Analyse
- Synoptischer Vergleich
- Die Funktion(en) des Gleichnisses im Makrotext
- Das Gleichnis im Kontext des Matthäusevangeliums
- Das Gleichnis als Reaktion und Opposition
- Auslegungen des Gleichnisses
- Theologische Deutung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit beschäftigt sich mit der exegetischen Analyse des Gleichnisses der Arbeiter im Weinberg (Mt 20, 1-16). Der Fokus liegt auf der Interpretation des Gleichnisses im Kontext des Matthäusevangeliums und der Erforschung seiner möglichen Intentionen. Ziel ist es, die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten des Gleichnisses zu beleuchten und die im Text vorhandenen Konflikte zu analysieren.
- Der Konflikt zwischen Güte und Gerechtigkeit im Gleichnis
- Die Intentionen Jesu mit dem Gleichnis
- Die Bedeutung des Gleichnisses im Kontext des Matthäusevangeliums
- Die Rolle des Lesers in der Interpretation des Gleichnisses
- Die Relevanz des Gleichnisses für das heutige Verständnis von Gerechtigkeit und Gnade
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel widmet sich der Einleitung und stellt die Besonderheiten des Gleichnisses der Arbeiter im Weinberg in den Vordergrund. Kapitel 2 analysiert den Text des Gleichnisses, wobei eine exegetische Übersetzung erstellt und die Quelle des Gleichnisses erforscht wird. Kapitel 3 beleuchtet die Stellung, Abgrenzung und Funktion des Gleichnisses als Perikope. Kapitel 4 untersucht den „Sitz im Leben“ des Gleichnisses und setzt es in den Kontext der damaligen Lebenswelt. Kapitel 5 analysiert die Perikope im Detail, wobei der Erzählgang, der Aufbau und die semantische Analyse im Vordergrund stehen. Kapitel 6 befasst sich mit dem synoptischen Vergleich des Gleichnisses.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die folgenden Schlüsselwörter und Themenbereiche: Gleichnis der Arbeiter im Weinberg, Matthäusevangelium, Exegese, Interpretation, Kontextanalyse, Güte, Gerechtigkeit, Konflikt, Intention, „Sitz im Leben“, Leserrezeption.
- Quote paper
- Thomas Diehl (Author), 2003, Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (MT 20,1-16), Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/20505