Der Augsburger Reichsabschied vom September 1555 ist nach Martin
Heckel „das wichtigste Verfassungsgesetz des Konfessionellen Zeitalters“1
gewesen. Dessen weitreichendste Teile, die man meist als Augsburger
Religionsfrieden bezeichnet, beendeten die vorangegangenen
gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Religionsparteien im
Reich und setzten neben dem allgemeinen Landfrieden (§14)2, das ius
reformandi (§ 15) für die Reichsstände und das ius emigrandi (§ 24) für
deren Untertanen fest.
Der schwierige Friedensschluss, zustande gekommen durch das
juristische Instrument des Dissimulierens 3 und erreicht nur auf dem Wege
„politischen Taktierens, das auf lange Sicht den Kompromiß belasten
sollte“4, enthielt aus diesen Gründen komplizierte Ausnahmeregelungen
zu den genannten einfachen Grundprinzipien. Dazu gehören der § 27, der
für die Reichsstädte ein Nebeneinander von alter und neuer Konfession
vorsah, der § 19, welcher den Status der noch nach 1552 katholischen
reichsmittelbaren geistlichen Güter garantierte, und der in §18
festgeschriebene Geistliche Vorbehalt. Gerade am Wortlaut und an der
Durchsetzung des Geistlichen Vorbehalts entspannten sich nach 1555
verbale und auch gewaltsame Auseinandersetzungen, die im Mittelpunkt
der vorliegenden Arbeit stehen, denn „gleich nach dem Friedensschluß
ging das hundertjährige, wechselvolle Ringen um die Auslegung seiner
Artikel an, das die Epoche bis zum Westfälischen Frieden beherrschte.“5
So bestritten die Protestanten schon auf dem Reichstag von Regensburg
1556/57 die rechtliche Verbindlichkeit des GV und beantragten dessen
Aufhebung durch den Kaiser.6 [...]
1 Heckel, Zeitalter, S.33. Zur Forschungskontroverse um den Begriff und die
Periodisierung des Konfessionellen Zeitalters siehe Ehrenpreis, Stefan/ Lotz-Heumann,
Ute, Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, S.62-80.
2 Die Paragraphenangaben wurden vom Abdruck des AR in Deutsche Geschichte in
Quellen und Darstellungen, Bd.3, S. 471-484, übernommen.
3 Vgl. Gotthard, Reich, S.61, im Prozess des Dissimulierens wurde „mit undeutlichen und
doppeldeutigen Begriffen jongliert, um nur überhaupt einen kompromissfähigen Text zu
Stande zu bekommen“.
4 Schilling, Aufbruch, S.259.
5 Heckel, Autonomia, S.158.
6 Ritter, Gegenreformation, Bd. 1, S.130 ff., 138, 191 ff.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Bestimmungen des Geistlichen Vorbehalts und der Declaratio Ferdinandea und die juristische Argumentation um ihre Rechtsgültigkeit
- Die Entwicklungen im Reich in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Religionsfrieden
- Konfessionskonflikte um den Geistlichen Vorbehalt seit den 1580er Jahren
- Der Kölner Krieg als erste gewaltsame Auseinandersetzung um den Geistlichen Vorbehalt
- Die erneute gewaltsame Verteidigung des Geistlichen Vorbehalts im Straßburger Kapitelstreit
- Die Lähmung der Reichsverfassung als Folge des Magdeburger Sessionsstreites
- Ein „programmierter Unfriede“? – Bewertungen des Religionsfriedens
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Auseinandersetzungen um den Geistlichen Vorbehalt im Konfessionellen Zeitalter und analysiert dessen Bedeutung für die politische und religiöse Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches. Sie beleuchtet insbesondere die Konfliktfälle des Kölner Krieges, des Straßburger Kapitelstreits und des Magdeburger Sessionsstreites.
- Die Bedeutung des Augsburger Religionsfriedens für die Konfessionalisierung im Reich
- Die juristische Argumentation um die Rechtsgültigkeit des Geistlichen Vorbehalts
- Die Rolle des Geistlichen Vorbehalts in den reichspolitischen Konflikten des 16. Jahrhunderts
- Die Folgen der Konflikte um den Geistlichen Vorbehalt für die Reichsverfassung
- Die Frage, ob der Augsburger Religionsfrieden ein „programmierter Unfriede“ war
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den Augsburger Religionsfrieden als wichtiges Verfassungsgesetz des Konfessionellen Zeitalters vor und erläutert die komplizierten Ausnahmeregelungen, die in den Friedensschluss aufgenommen wurden. Der Geistliche Vorbehalt wird als eine der zentralen Streitpunkte der Konfessionalisierung im Reich identifiziert.
- Die Bestimmungen des Geistlichen Vorbehalts und der Declaratio Ferdinandea und die juristische Argumentation um ihre Rechtsgültigkeit: Dieses Kapitel analysiert die rechtliche Grundlage des Geistlichen Vorbehalts und die Argumente, die von protestantischen und katholischen Reichsständen gegen bzw. für seine Rechtsgültigkeit vorgebracht wurden.
- Die Entwicklungen im Reich in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Religionsfrieden: Dieses Kapitel beschreibt die politischen und religiösen Entwicklungen im Reich in den Jahren nach dem Religionsfrieden und stellt die Vorgeschichte für die späteren Konflikte um den Geistlichen Vorbehalt dar.
- Konfessionskonflikte um den Geistlichen Vorbehalt seit den 1580er Jahren: Dieses Kapitel befasst sich mit den drei zentralen Konfliktfällen des Kölner Krieges, des Straßburger Kapitelstreits und des Magdeburger Sessionsstreits, in denen die Auseinandersetzungen um den Geistlichen Vorbehalt eine gewaltsame Ausprägung fanden.
Schlüsselwörter
Augsburger Religionsfrieden, Geistlicher Vorbehalt, Konfessionalisierung, Kölner Krieg, Straßburger Kapitelstreit, Magdeburger Sessionsstreit, Declaratio Ferdinandea, Reichsverfassung, Recht, Religion, Politik, Geschichte.
- Quote paper
- René Schlott (Author), 2003, Der Augsburger Religionsfrieden und seine Folgen - Die Auseinandersetzungen um den Geistlichen Vorbehalt auf dem Höhepunkt der Konfessionalisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/20270