Die Bewertung des Einflusses Kants auf die ideengeschichtliche Entwicklung der Internationalen Organisationen wie UNO und EU ist umstritten.
Am 29. September 1795 erschien - 6 Jahre nach der Französischen Revolution - Kants Buch „Zum ewigen Frieden“. Die Ereignisse in Frankreich hatten in Deutschland eine rege Debatte ausgelöst, die vor allem um die Frage der Bürgerrechte kreiste.
Aus der Sicht Kants waren die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung und die Französische Revolution Vorgänge von überragender Bedeutung, die sein Interesse an der Politik noch verstärkten. Kant teilte die Ziele der Revolution, aber missbilligte die Mittel, die zur Anwendung kamen
Obwohl ein entscheidender Einfluss der Friedensschrift auf die Entstehung nicht festgestellt werden kann - auch deshalb, weil die UNO nicht nur aus republikanisch verfassten Staaten besteht - betonen doch diverse Autoren die Nähe der Leitideen der UN-Charta zu den Vorschlägen Kants. Steiger meint, die UNO sei noch Friedensbund, nicht schon Völkerstaat, weil sie auf der Kooperation souveräner Staaten beruhe.
Es gibt aber auch bekannte Autoren, die in der UNO eine Zwischenform zwischen Weltstaat und Friedensbund sehen. Gemäß dieser Argumentation entsprächen der IGH und die Generalversammlung den Qualitäten eines Friedensbundes, wohingegen die Institution des Weltsicherheitsrates aber darüber hinaus in Richtung Weltstaatlichkeit gehe.
Im Hinblick auf den Parameter der Rechtsdurchsetzung muss tatsächlich konstatiert werden, dass die Möglichkeiten des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der VN-Charta eindeutig über die Zwangsfreiheit des Friedensbundes hinausgehen. Allerdings bleibt hinzuzufügen, dass eine Rechtsentstehung ohne die Mitwirkung der Mitgliedsstaaten überhaupt nicht möglich ist, was wiederum das zentrale Kriterium des Friedensbundes ist.
Die Vertiefung der europäischen Integration erfordert die Loslösung der Rechtsetzung von den staatlichen Interessen. Das kann nur durch die vollständige Übertragung der Gesetzgebungszuständigkeit auf das Europäische Parlament erreicht werden. Darüberhinaus müssen die Vollzugskompetenzen der EU erweitert und Vollzugsorgane geschaf-fen werden.
Aus dem kategorischen Imperativ folgt weiterhin eine Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zur Aufnahme aller derjenigen beitrittswilligen Staaten in die EU, deren Rechtsordnung auf der Prämisse der sittlichen Autonomie beruht. Finanzielle Aspekte können und dürfen in diesem Zusammenhang allenfalls aufschiebend wirken
Inhaltverzeichnis
A. Einleitung:
B. „Zum ewigen Frieden“ – Entstehungsgeschichte und Kontext eines philosophischen Entwurfs von Immanuel Kant
I. Der Einfluss der Französischen Revolution und des Kampfes der neuenglischen Kolonien um ihre Unabhängigkeit
II. Philosophischer Kontext und Zeitgeist
C. Kurzer Überblick über die wesentlichen Merkmale des Werkes
I. Die Form der Friedensschrift
D. Die Präliminarartikel und ihre Bedeutung für den Frieden der Völker
I. Der 1. Präliminarartikel
II. Der 2. Präliminarartikel
III. Der 3. Präliminarartikel
IV. Der 4. Präliminarartikel
V. Der 5. Präliminarartikel
VI. Der 6. Präliminarartikel
VII. Die Umsetzung der Präliminarartikel
E. Die Definitivartikel im Lichte Ihrer tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen auf die Gestaltung des internationalen politischen Systems
I. Vom Wesen des Friedens
II. Vom Recht im Naturzustand zum Öffentlichen Recht
III. Der 1. Definitivartikel
IV. Der 2. Definitivartikel
1. Der Weltstaat als Ideal der Vernunft
2. Empirische Einwände gegen den Weltstaat
3. Der Friedensbund
V. Der 3. Definitivartikel
1. Weltbürgerrecht
VI. Die Garantie des ewigen Friedens
VII. Die Umsetzung der Idee des Ewigen Friedens
1. Geheimer Artikel
2. Politik und Moral
F. Zusammenfassung wesentlicher Thesen des Werkes „Zum ewigen Frieden“
G. Auswirkungen der Rechtsphilosophie Kants auf die Realpolitik und die Vorgeschichte Internationaler Organisationen
I. 19. Jahrhundert und Jahrhundertwende bis zum 1. Weltkrieg
II. 20. Jahrhundert nach dem 1. Weltkrieg
H. Betrachtungen über real existierende Internationale Organisationen und deren Optionen völkerrechtlicher Weiterentwicklung aus der Sicht Kants
I. Muss man die UNO schon als Weltstaat oder ‚noch’ als Friedensbund im Sinne Kants betrachten?
II. Optionen der zukünftigen Entwicklung der Europäischen Union als regionalem Beispiel eines Friedensbundes im Kantischen Sinne
A. Einleitung:
Um zu einem Verständnis der Einflüsse Kants auf das Völkerrecht und die Vorgeschichte der Internationalen Organisationen zu gelangen, ist es zunächst einmal erforderlich, einen ausführlichen Blick auf dasjenige Werk Immanuel Kants zu richten, welches aufgrund seiner Aussagen diesen Einfluss in unmittelbarster Form bewirkt hat, nämlich das Buch „Zum ewigen Frieden“ aus dem Jahre 1795. Erst im Anschluss daran lässt sich verdeutlichen, worin genau diese Einflussnahme bestanden hat.
Grundsätzlich lässt sich Folgendes über die Wechselwirkung von Völkerrecht, Völkerrechtslehre, Politik und Philosophie sagen: Wie auch bei der Setzung von staatlichem Recht spielt die Politik bei der Entstehung von Völkerrecht eine Rolle[1]. Völkerrecht ist sogar in besonderem Maße politisch und es benötigt in wesentlich höherem Maße die Politik, als dies zum Beispiel für staatliches Recht gilt, da die Durchsetzung des Völkerrechts nicht institutionalisiert ist. Den Rahmen für die Entstehung von Völkerrechtsnormen bieten oftmals Konferenzen, auf denen Politiker und Diplomaten sich unter ge-staltender Mitwirkung von Völkerrechtlern auf neue Normen einigen.
Die Rolle der Völkerrechtslehre ist heute in Art. 38 I d IGH-Statut positiv festgeschrieben, wonach die Lehre als Quelle der Erkenntnis des Rechts, wenngleich nicht unmittelbar als Rechtsquelle dient. Der starke Einfluss der Rechtsphilosophie auf die Völkerrechtslehre, der traditionell immer vorhanden war, gibt daher in Verbindung mit den weitreichenden Wirkungsmöglichkeiten der Völkerrechtslehre auf das positive Völkerrecht Anlass zu der Annahme, dass ein gewisser Einfluss der Philosophie auch auf die Entstehung des positiven Völkerrechts zu verzeichnen ist[2]. Dies gilt in besonderem Maße auch für Kants viel zitierte Schrift „Zum ewigen Frieden“.
B. „Zum ewigen Frieden“ – Entstehungsgeschichte und Kontext eines philosophischen Entwurfs von Immanuel Kant
Ob und inwieweit sich die politischen Ereignisse der damaligen Zeit inhaltlich auf die Niederschrift des Werkes auswirkten ist umstritten und lässt sich nicht zweifelsfrei nachweisen. Dennoch wird immer wieder behauptet, Anlass für die Niederschrift desselben sei die Französische Revolution gewesen[3].
I. Der Einfluss der Französischen Revolution und des Kampfes der neuenglischen Kolonien um ihre Unabhängigkeit
Am 29. September 1795 erschien - 6 Jahre nach der Französischen Revolution - Kants Buch „Zum ewigen Frieden“. Die Ereignisse in Frankreich hatten in Deutschland eine rege Debatte ausgelöst, die vor allem um die Frage der Bürgerrechte kreiste. Aus der Sicht Kants waren die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung und die Französische Revolution Vorgänge von überragender Bedeutung, die sein Interesse an der Politik noch verstärkten. Kant teilte die Ziele der Revolution, aber missbilligte die Mittel, die zur Anwendung kamen[4].
Dennoch wurde Kant von Teilen der Öffentlichkeit wegen seiner Haltung zur Revolution als Jakobiner abgestempelt und musste sich aufgrund des Krieges Preußens gegen Frankreich phasenweise nachgerade bedroht fühlen[5].
II. Philosophischer Kontext und Zeitgeist
Schon Erasmus von Rotterdam schlug vor, die Kriegführung an die Zustimmung des Volkes zu binden. Wie vor ihm schon Grotius will auch Kant durch den Friedensvertrag nicht nur einen Krieg beenden, sondern auch dessen Ursachen ausräumen[6]. Insbesondere die Philosophie Rousseaus soll das Denken Kants sehr stark beeinflusst haben, dessen ursprünglicher Vertrag in enger Verbindung zu Rousseaus Contract social als Grundlage des Staates steht[7].
C. Kurzer Überblick über die wesentlichen Merkmale des Werkes
Merkmal des Friedens ist für Kant die Herrschaft des Rechts. Das Werk gliedert sich in 5 Abschnitte:
- die Präliminarartikel, die diejenigen Vorbedingungen des idealen Friedenszustandes darstellen, die erfüllt sein müssen, damit ein Frieden durch Recht überhaupt möglich ist;
- die Definitivartikel, bei denen es sich um die entscheidenden Bedingungen für den Frieden handelt. In diesem Abschnitt wird das ideale Modell des Friedens durch Recht aus Vernunftprinzipien dargestellt;
- den ersten Zusatz „Von der Garantie des ewigen Friedens“, welcher aufzeigt, dass der ewige Friede auch praktisch möglich ist;
- den zweiten Zusatz, der beschreibt, wie die Philosophie die konkreten politischen Inhalte bestimmen soll;
- den Anhang, der die Beziehung von Politik und Moral schildert.
I. Die Form der Friedensschrift
Das Werk erinnert in seinem Aufbau an einen Friedensvertrag. Vor allem die Aufteilung von Präliminar- und Definitivartikeln deutet darauf hin. Zu Kants Zeit sollen Friedensverträge eine solche Gliederung aufgewiesen haben[8]. Zum Teil wird das Werk „Zum ewigen Frieden“ sogar als hypothetischer Vertrag angesehen[9].
D. Die Präliminarartikel und ihre Bedeutung für den Frieden der Völker
Im Ersten Abschnitt stellt Kant Voraussetzungen dafür auf, dass ein den Frieden sicherndes Recht entstehen kann. Das Ergebnis der Präliminarartikel ist ein „negativer Frieden“[10]: Der dauerhafte Friede rückt in den Bereich des Möglichen, weil ein politisches Klima für auf Frieden gerichtete Verhandlungen entsteht. Die Anzahl der Kriege nimmt langsam ab[11].
I. Der 1. Präliminarartikel
„Es soll kein Friedensschluss für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“
Der erste Präliminarartikel enthält zunächst die Definition des Friedensbegriffs. Der Friede ist ein dauerhafter Zustand der Gewaltlosigkeit, nicht nur ein Waffenstillstand. Daher muss ein Friedensvertrag nicht nur den Krieg beenden, sondern auch eine Einigung über alle konkreten Kriegsursachen und alle potenziellen Konflikte der Parteien enthalten.
II. Der 2. Präliminarartikel
„Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem anderen Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.“
Für Kant ist der Staat gekennzeichnet durch den ursprünglichen Vertrag als Gesellschaftsvertrag der Bürger untereinander[12]. Soweit ein Staat in irgendeiner Weise auf einem vereinigten Willen seiner Bürger beruhend gedacht werden kann, ist er – wie Kant betont - selbst eine moralische Person. Daraus ergibt sich, dass ein Staat nicht Gegenstand von Erbschaft, Tausch, Kauf oder Schenkung sein kann. Auf dem geschichtlichen Hintergrund von diversen europäischen Kriegen, die sich aufgrund der Heiratspolitik von Fürstenhäusern wie den Habsburgern entwickelt haben sowie der gerade erst 2 Jahre vor Abfassung der Friedensschrift erfolgten zweiten polnischen Teilung zwischen Preußen, Österreich und Russland, werden diese Aussagen in ihrer damaligen Aktualität und Brisanz sichtbar.
III. Der 3. Präliminarartikel
„Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören“
Kant begründet die Notwendigkeit der Abschaffung stehender Heere im Wesentlichen mit dem Entstehen eines Wettrüstens, denkt aber auch, dass die Verpflichtung gegen Sold zu töten oder sich der Gefahr auszusetzen die Menschen zu bloßen Werkzeugen degradiert.
IV. Der 4. Präliminarartikel
„Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden“
Der Staat sollte in den Augen Kants nur für volkswirtschaftlich sinnvolle Infrastrukturprojekte Kredite aufnehmen, nicht aber für die Kriegführung, da diese durch Staatsverschuldung ungleich intensiviert und verlängert werden kann. Neben der Bedrohung durch das auf Kredit finanzierte Militär macht Kant auch in der Verschuldung selbst eine Gefahr aus. Da fällige Kredite aus weiteren Krediten zurückgezahlt werden müssten, brächen die Staatsfinanzen zusammen, wenn die Steuereinnahmen nicht ausreichten, um die Zinsen zu zahlen[13].
V. Der 5. Präliminarartikel
„Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staates gewaltthätig einmischen.“
Das Verbot der Einmischung lässt sich aus der Sicht Immanuel Kants damit begründen, dass sich die Staaten gegenseitig als Völkerrechtspersönlichkeiten anerkennen müssen, wenn sie miteinander Verträge abschließen wollen[14]. Maßgeblich ist, ob der Staat noch in der Lage ist, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, was unter einem Diktat mit militärischer Gewalt sicherlich nicht der Fall ist. Dieser Artikel ist auch so zu verstehen, dass jeder Staat sich selbst zur Republik entwickeln muss und nicht von anderen Staaten mit Gewalt dazu gezwungen werden darf.
VI. Der 6. Präliminarartikel
„Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind Anstellung der Meuchelmörder, Giftmischer, Brechung der Capitulation, Anstiftung des Verraths in dem bekriegten Staat etc.“
Wenn ein wirksamer Friedensvertrag zustande kommen soll, setzt das voraus, dass die vertragsschließenden Parteien das notwendige Vertrauen entwickeln können, dass sich der Vertragspartner an die Vereinbarungen halten wird.
VII. Die Umsetzung der Präliminarartikel
Kant unterscheidet die leges strictae (die Präliminarartikel 1, 5 und 6), die ohne Aufschub zu befolgen sind, und die leges latae (die Präliminarartikel 2, 3 und 4), deren Umsetzung verschoben werden kann. Ein Friedensvertrag ist ohne die Einhaltung der leges strictae nicht möglich. Die leges latae zielen auf eine Entschärfung des Naturzustandes ab[15].
E. Die Definitivartikel im Lichte Ihrer tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen auf die Gestaltung des internationalen politischen Systems
Die Definitivartikel beschreiben vollständig die Bedingungen des ewigen Friedens. Sie ergeben sich aus dem Begriff des Friedens.
[...]
[1] Czempiel, Recht und Friede, S. 58
[2] Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 14
[3] Moog, Kants Ansichten über Krieg und Frieden, S. 60
[4] Henrich, Kant über die Revolution, S. 361
[5] Vorländer, Kants Leben, s. 179
[6] Merle, Zur Geschichte des Friedensbegriffs vor Kant, S. 36
[7] Del Vecchio, Die Tatsache des Krieges und der Friedensgedanke, S. 51
[8] Schlief, Der Friede in Europa, S. 119
[9] Covell, Kant, die liberale Theorie der Gerechtigkeit und die Weltordnung, S. 365
[10] Schrader, Die Europäische Union – „Völkerbund“ oder „Universalmonarchie“?, S. 90
[11] Bötte, Kant und der Krieg, S. 47
[12] Pfleiderer, Die Idee des Friedens, S. 3
[13] Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 39
[14] Cavallar, Pax Kantiana, S. 124
[15] Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 45
- Quote paper
- Michael A. Louis (Author), 2005, Der Beitrag von Immanuel Kant (1724 – 1804) zur Vorgeschichte der Internationalen Organisationen, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/195731