Im Zuge der zunehmenden grenzüberschreitenden Wirtschaftsaktivitäten von Unternehmen ist es gängige Praxis, dass – etwa bei Verlagerungen von Funktionen oder Aktivitäten vom Inland ins Ausland – einzelne materielle sowie immaterielle Wirtschaftsgüter ins Ausland übertragen werden. Insoweit stellt sich die Frage, welche steuerlichen Konsequenzen sich aus der Vermögensverlagerung ergeben. Relevanz findet diese Problematik insbesondere bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte.
Bei Stammhaus und Betriebsstätte handelt es sich um unselbständige Teile eines Unternehmens. Im Falle der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen inländischem Stammhaus und im Inland belegener Betriebsstätte erfolgt daher keine Gewinnrealisierung. Für den Fall, dass sich die Betriebsstätte im Ausland befindet, besteht die steuerliche Problematik jedoch in der Notwendigkeit, den im Inland angefallenen Gewinn von dem der ausländischen Einheit zuzuordnenden abzugrenzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die im übertragenen Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entzogen werden und damit der Tatbestand der sog. Entstrickung erfüllt ist.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Ent- und Verstrickungsnormen darzustellen und vor dem Hintergrund der aktuellen nationalen und europäischen Rechtsprechung sowie der Auffassung der Finanzverwaltung zu beleuchten und kritisch zu würdigen. Darauf aufbauend werden Gestaltungsansätze entwickelt und aufgezeigt, um die negativen Folgen einer Entstrickung möglichst abzumildern bzw. zu verhindern.
INHALTSÜBERSICHT
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
2. Grundlagen der Betriebsstättenbesteuerung
2.1. Betriebsstättendefinition und Grundzüge der Betriebsstättenbesteuerung
2.1.1. Betriebsstättendefinition
2.1.2. Grundzüge der Betriebsstättenbesteuerung
2.1.3. Vermeidung der Doppelbesteuerung
2.2. Gewinn- und Vermögensabgrenzung der Betriebsstätte
2.2.1. Nationales Recht
2.2.2. Recht der Doppelbesteuerungsabkommen
3. Steuerverstrickung
3.1. Verstrickungsregelung
3.2. Überführung aus einer Freistellungsbetriebsstätte
3.3. Überführung aus einer Anrechnungs- oder einer Nicht-DBA-Betriebsstätte..
3.4. Überführung von Wirtschaftsgütern aus ausgewählten Ländern
4. Steuerentstrickung
4.1. Nationales Recht
4.1.1. Gesetzgebung
4.1.1.1. Finale Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG
3.1.1.2. Finale Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3a EStG
4.1.2. Finanzverwaltungsauffassung
4.1.3. Rechtsprechung
4.2. Internationales Recht
4.2.1. Gemeinschaftsrecht
4.2.1.1. Europarechtskonformität der Wegzugsbesteuerung
4.2.1.2. Europarechtskonforme Ausgestaltung der Entstrickungsregelungen
4.2.2. Recht der Doppelbesteuerungsabkommen
4.3. Rechtsfolgen der Entstrickung
4.3.1. Sofortbesteuerung der stillen Reserven
4.3.2. Stundung des Entstrickungsgewinns gem. § 4g EStG
5. Praxisbeispiele
5.1. Verstrickungsbeispiel
5.2. Entstrickungsbeispiel
5.2.1. Entstrickung in eine Freistellungsbetriebsstätte
5.2.2. Entstrickung in eine Anrechnungs- bzw. Nicht-DBA-Betriebsstätte
6. Steuergestaltung
6.1. Stundung des Entstrickungsgewinns
6.2. Nutzungsüberlassung des Wirtschaftsguts
7. Thesenförmige Zusammenfassung
Anhang Anhang 1: Überführung von Wirtschaftsgütern aus ausgewählten Ländern
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Behandlung der Überführung von Wirtschaftsgütern aus ausgewählten Staaten, mit denen Deutschland ein DBA unterhält
Abbildung 2: Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem deutschen Stammhaus in die niederländische Betriebsstätte
Abbildung 3: Auswirkungen der Sofortbesteuerung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG - Wirtschaftsgut wird in den Niederlanden zum gemeinen Wert verstrickt
Abbildung 4: Auswirkungen der Stundungsregelung nach § 4g EStG - Restnutzungsdauer des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Überführung beträgt fünf Jahre
Abbildung 5: Auswirkungen der Stundungsregelung nach § 4g EStG - Restnutzungsdauer des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Überführung beträgt zehn Jahre
1. Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Im Zuge der zunehmenden grenzüberschreitenden Wirtschaftsaktivitäten von Unternehmen ist es gängige Praxis, dass - etwa bei Verlagerungen von Funktionen oder Aktivitäten vom Inland ins Ausland - einzelne materielle sowie immaterielle Wirtschaftsgüter ins Ausland übertragen werden. Insoweit stellt sich die Frage, welche steuerlichen Konsequenzen sich aus der Vermögensverlagerung ergeben. Relevanz findet diese Problematik insbesondere bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte.
Bei Stammhaus und Betriebsstätte handelt es sich um unselbständige Teile eines Unternehmens. Im Falle der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen inländischem Stammhaus und im Inland belegener Betriebsstätte erfolgt daher keine Gewinnrealisierung. Für den Fall, dass sich die Betriebsstätte im Ausland befindet, besteht die steuerliche Problematik jedoch in der Notwendigkeit, den im Inland angefallenen Gewinn von dem der ausländischen Einheit zuzuordnenden abzugrenzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die im übertragenen Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entzogen werden und damit der Tatbestand der sog. Entstrickung erfüllt ist.
Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung führte die Übertragung von Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte schon immer zu einer Realisierung und somit Besteuerung der im Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven. Diese Auffassung basiert auf einer weiten Interpretation des Entnahmebegriffs in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach jede Entnahme zu betriebsfremden Zwecken der Besteuerung unterliegt. Dabei stützt sich diese Auffassung im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des BFH zur „Theorie der Finalen Entnahme“, nach welcher der Entnahmebegriff danach auszulegen ist, ob das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der stillen Reserven bei der Übertragung des Wirtschaftsguts beschränkt wird bzw. verloren geht.
Vor diesem Hintergrund der Unsicherheiten bei der Auslegung des Begriffs der Entnahme hat der Gesetzgeber im Rahmen des SEStEG im Jahre 2006 die Entstrickung von Wirtschaftsgütern explizit geregelt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG steht nunmehr der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke gleich. Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist eine Entnahme in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. § 12 KStG regelt hierzu, dass im Falle eines Ausschlusses oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts, auch für Körperschaften eine Veräußerung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert angenommen wird.
Mit seinem Urteil vom 17.07.20081 hat der BFH nunmehr seine sog.“ Finale Entnahmetheorie“ aufgegeben und entschieden, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts vom inländischen Stammhaus auf die ausländische Betriebsstätte keine Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG darstellt. Begründet hat er seine Entscheidung zum einen damit, dass der Funktionszusammenhang zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte nicht gelöst wird. Da es sich bei Betriebsstätte und Stammhaus um unselbständige Teile einer wirtschaftlichen Einheit handelt, führt die Überführung nicht zu einer Übertragung des zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Eigentums, sondern vielmehr zu einer Änderung der Zuordnung. Zum anderen fand die Auffassung, dass es für eine Realisierung der Gewinne schon an fremdem Betriebsvermögen mangelt, schon sehr früh Anklang.2 Auf dieses Urteil reagierte die Finanzverwaltung mit einem Nichtanwendungserlass3. Ihre Entscheidung bekräftigt die Finanzverwaltung, indem sie dem JStG 2010 mit § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG ein erklärendes Regelbeispiel hinzufügt, um die „Finale Entnahmetheorie“ zu präzisieren.
Mit Beschluss vom 07.01.20114 hat das FG Rheinland-Pfalz ernsthafte Zweifel an der Europarechtskonformität der Enstrickungsnormen geäußert, daher könnte über deren Schicksal in naher Zukunft der EuGH entscheiden. In seinem aktuellen Urteil5 zu der Rs. „National Grid Indus“ hat der EuGH entschieden, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats, die im Falle der Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat, die sofortige Einziehung der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse im Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes vorschreibt, unverhältnismäßig ist und gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Die Auswirkungen dieses Urteils, das zur Sitzverlegung einer niederländischen Gesellschaft in das Vereinigte Königreich erging, auf die deutschen Entstrickungsregelungen werden im Verlauf der Arbeit diskutiert.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Ent- und Verstrickungsnormen darzustellen und vor dem Hintergrund der aktuellen nationalen und europäischen Rechtsprechung sowie der Auffassung der Finanzverwaltung zu beleuchten und kritisch zu würdigen. Darauf aufbauend werden Gestaltungsansätze entwickelt und aufgezeigt, um die negativen Folgen einer Entstrickung möglichst abzumildern bzw. zu verhindern.
2. Grundlagen der Betriebsstättenbesteuerung
2.1. Betriebsstättendefinition und Grundzüge der Betriebsstättenbesteuerung
2.1.1. Betriebsstättendefinition
Die Betriebsstätte gehört zu den grundlegendsten und wichtigsten Begriffen des Ertrags- und Verkehrssteuerrechts. Allgemein kann eine Betriebsstätte als unselbständiger Teil eines Unternehmens gesehen werden, der sich dadurch auszeichnet, dass er sich als feste Geschäftseinrichtung darstellt, von der aus mit einer gewissen Stetigkeit unternehmerische Tätigkeiten ausgeübt werden.6
§ 12 AO definiert den Betriebsstättenbegriff für das nationale Steuerrecht. Dieser enthält eine allgemeine abstrakte Definition des Betriebsstättenbegriffs, der zum einen eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetzt. Geschäftseinrichtung oder Anlage ist jeder körperliche Gegenstand, der geeignet ist, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein. Eine feste Geschäftseinrichtung erfordert einen Bezug zur Erdoberfläche (räumliche Komponente) und setzt eine gewisse Dauerhaftigkeit der Tätigkeit (zeitliche Komponente) voraus. Zum anderen muss, um weiterhin die Voraussetzung einer Betriebsstätte zu erfüllen, in ihr die Tätigkeit des Unternehmens ausgeübt werden. Hierzu muss der Unternehmer über die Geschäftseinrichtung zunächst tatsächlich verfügen können (unternehmerische Dispositionsbefugnis). Darüber hinaus muss mit der Betriebsstätte der unmittelbaren unternehmerischen Geschäftstätigkeit nachgegangen werden. Im nationalen Steuerrecht reichen auch Neben- und Hilfstätigkeiten für die Qualifikation zur Betriebsstätte aus. Weiterhin enthält § 12 AO eine beispielhafte - und daher nicht abschließende - Aufzählung von Sachverhalten (Positiv-Katalog), welche Betriebsstättenqualität haben und Beispielcharakter für andere Betriebsstättenarten vermitteln.
Art. 5 des OECD Musterabkommens gibt eine Definition des Betriebsstättenbegriffs wieder, der auf das internationale Steuerrecht angewendet wird. Auch dieser Artikel enthält eine allgemeine Betriebsstättendefinition und einen - nicht abschließenden - Betriebsstättenkatalog. Zu beachten ist, dass der Betriebsstättenbegriff in jedem DBA autonom und tendenziell enger als im nationalen Steuerrecht definiert wird, um das Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaates einzuschränken. Beispielsweise sind im internationalen Steuerrecht Hilfs- und Nebentätigkeiten ausgeschlossen, eine Betriebsstätte zu begründen. Der Betriebsstättenbegriff der DBA ist ausschlaggebend für die Zuordnung des Besteuerungsrechts der gewerblichen Einkünfte.7 Ein solches Besteuerungsrecht steht dem anderen Vertragspartner nur dann zu, wenn das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit durch eine im Staat des anderen Vertragspartners belegene Betriebsstätte ausübt.
2.1.2. Grundzüge der Betriebsstättenbesteuerung
Im Falle einer im Inland belegenen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens mit im Ausland belegenem Stammhaus, unterliegt das Unternehmen mit seinen inländischen Betriebsstätteneinkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG nach § 1 Abs. 4 EStG bzw. § 2 Nr. 1 KStG der beschränkten Einkommens- bzw. Körperschaftsteuerpflicht. Es gilt das Territorialitätsprinzip, wonach der Steuerpflichtige nur mit demjenigen Einkommen veranlagt wird, welches er im Inland erwirtschaftet hat. Weiterhin unterliegt die Betriebsstätte mit ihrem inländischen Einkommen der Gewerbesteuer nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG, sofern die Betriebsstätte im Inland für Gewerbebetrieb unterhalten wird.
Ist das Unternehmen mit seinem Stammhaus im Inland belegen und unterhält eine ausländische Betriebsstätte, so unterliegt es mit seinem gesamten Einkommen im Inland nach § 1 Abs. 1 EStG bzw. § 1 Abs. 1 KStG der unbeschränkten Einkommens- bzw. Körperschaftsteuerpflicht. Es greift das Welteinkommensprinzip, wonach der Steuerpflichtige mit seinem gesamten Welteinkommen im Inland zur Steuer veranlagt wird. Desweiteren unterliegen die Einkünfte des Unternehmens nach § 2 Abs. 1 GewStG der Gewerbesteuer.
2.1.3. Vermeidung der Doppelbesteuerung
Aufgrund der Überschneidung der Besteuerungsrechte auf die Betriebsstätteneinkünfte kann es zu einer Doppelbesteuerung kommen. Einseitig kann die Doppelbesteuerung dadurch vermieden werden, dass entweder der Ansässigkeits- oder der Quellenstaat seinen Besteuerungsanspruch zurücknimmt. Dies geschieht überwiegend auf Seiten des Ansässigkeitsstaates durch Anrechnung der im Quellenstaat erhobenen Steuer auf die im Inland festzusetzende Steuer, so auch im deutschen Steuerrecht gem. § 34c Abs. 1 EStG bzw. § 26 Abs. 1 KStG. Erscheint es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder gestaltet sich die Ermittlung der im Ausland festgesetzten und um einen Ermäßigungsanspruch gekürzten Steuer besonders schwierig, so ist nach § 34c Abs. 5 EStG bzw. § 26 Abs. 6 KStG der Abzug eines Pauschalbetrags möglich. Die Anrechnung der ausländischen Steuer ist nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG auf einen Höchstbetrag begrenzt.8 Einige Länder wenden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Freistellungsmethode an, nach welcher die im Quellenstaat erzielten Einkünfte von der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat ausgenommen werden. Die Bundesrepublik Deutschland wendet die Freistellung im nationalen Recht lediglich auf Dividendeneinkünfte und Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften nach § 8b KStG an. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sieht das deutsche Steuerrecht gemeinhin die Anrechnungsmethode vor.9
Nachdem in den bilateral geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen zunächst das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeits- bzw. Quellenstaat zugeteilt wird, finden auch auf dieser Ebene sowohl die Freistellungs- als auch die Anrechnungsmethode des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) Anwendung, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Der Ansässigkeitsstaat rechnet nach Art. 23B OECD-MA die im Quellenstaat erhobene Steuer auf seine - auf sämtliche in- und ausländischen Einkünfte (Welteinkommensprinzip) berechnete - Steuer an. Wie auch im nationalen Recht ist die Anrechnung nach dem OECD- MA mit einer Höchstbetrags-Begrenzung und einer „per-country-limitation“ ausgestattet, so dass die Anrechnung für jeden ausländischen Staat auf den Betrag begrenzt wird, der auf die ausländischen Einkünfte entfällt. In den Fällen, in denen der ausländische Staat eine Steuervergünstigung einräumt, soll über eine sog. „fiktive Anrechnung“ vermieden werden, dass das Steuerniveau über den Methodenartikel auf das Niveau des Ansässigkeitsstaats gehoben wird. Diese „fiktive Anrechnung“ wird insbesondere in Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern gewährt.10
Da die Freistellungsmethode im nationalen Recht, mit Ausnahme der Freistellung von Veräußerungsgewinnen und Dividendeneinkünften bei Körperschaften, keine Anwendung findet, stellt sie über Art. 23A OECD-MA eine besondere Entlastungsmaßnahme im DBA-Fall dar. Dem Quellenstaat wird das vorrangige Besteuerungsrecht auf die Einkünfte des Quellenstaates zugeteilt, während der Ansässigkeitsstaat diese von seiner Besteuerung ausnimmt. Dabei erfolgt die Freistellung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts gem. Art. 23A Abs. 1, 2 OECD-MA, nach dem der Ansässigkeitsstaat die von ihm freigestellten Einkünfte zur Festsetzung des Steuersatzes auf die übrigen Einkünfte berücksichtigen darf. Nach Abs. 4 des Art. 23A OECD-MA ist die Freistellung jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Quellenstaat die Abkommensvorschriften so anwendet, dass er die betreffenden Einkünfte oder Vermögenswerte von der Besteuerung ausnimmt oder nur begrenzt besteuert. In solch einem Fall fällt nach den „subject-to-tax“-Klauseln11 das Besteuerungsrecht zurück an den Ansässigkeitsstaat. Der Kommentar zu Art. 23 OECD-MA räumt mit Nr. 31.1, der „switch-over“-Klausel12, Vertragsstaaten das Recht ein, einseitig von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode überzugehen, falls der andere Vertragsstaat nach Abkommensunterzeichnung steuerliche Vorzugsbehandlungen für Einkünfte einführt.13
Mit dem JStG 2007 wurde die Regelung des § 50d EStG mit dem Ziel der Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung eingeführt.14 Nach dieser wird die Freistellung für Einkünfte, die aufgrund eines DBA von der deutschen Besteuerung freigestellt sind, nicht gewährt, wenn der andere Staat die betreffenden Einkünfte nicht oder minder besteuert. Somit stellt sie die nationale Regelung analog zu Art. 23A Abs. 4 OECD-MA dar.
Die Mehrzahl der von Deutschland geschlossenen DBA sieht im Methodenartikel für die Vermeidung der Doppelbesteuerung die Freistellungsmethode vor. Auch die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag15 vom 26.10.2009 ausdrücklich zur Beibehaltung der Freistellungsmethode in den DBA bekannt. In den neueren von Deutschland geschlossenen DBA sowie bei laufenden DBA- Verhandlungen ist dennoch eine Tendenz - insbesondere mit Niedrigsteuerländern - zur vermehrten Anwendung der Anrechnungsmethode zu erkennen. Das mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) am 01.07.2010 unterzeichnete DBA sieht in Art. 22 Abs. 1 für Deutschland als Ansässigkeitsstaat die Anrechnungsmethode als alleinige Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vor. Da die Vereinigten Arabischen Emirate keine Einkommens- bzw. Körperschaftsteuer erheben, unterlägen die betreffenden Einkünfte in den VAE bei Anwendung der Freistellungsmethode keiner Besteuerung und wären zudem von der deutschen Besteuerung ausgenommen. Durch Anwendung der Anrechnungsmethode ist somit die Intention gewahrt, die betreffenden Einkünfte zumindest einmal der Besteuerung zu unterziehen. Dennoch wird damit nicht dem Prinzip der Inländerbehandlung Rechnung getragen, welches vorsieht, dass grenzüberschreitende Aktivitäten wie reine Inlandsaktivitäten zu behandeln sind. Da deutsche Unternehmen, die in den VAE Betriebsstätten unterhalten, mit in den VAE ansässigen Wettbewerbern in Konkurrenz stehen, werden sie durch Anwendung der Anrechnungsmethode prinzipiell schlechter gestellt und erleiden somit einen Wettbewerbsnachteil. In dem am 07.01.2011 zwischen Deutschland und Zypern geschlossenen DBA ist gleichwohl die grundsätzliche Anwendung der Anrechnungsmethode vorgesehen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung entspricht diese Änderung der zur Anwendung kommenden Methode „weitgehend dem OECD-MA und anderen neueren deutschen Abkommen“16. Diese Stellungnahme des BMF macht deutlich, dass der Wechsel zur Anrechnungsmethode nicht einen von der Finanzverwaltung genehmigten Einzelfall, sondern eine grundlegende Neuausrichtung darstellt.
2.2. Gewinn- und Vermögensabgrenzung der Betriebsstätte
2.2.1. Nationales Recht
Unterhält ein Unternehmen in einem anderen Staat eine Betriebsstätte, so ist es aufgrund des Zugriffs verschiedener Besteuerungshoheiten notwendig, den Gewinn sowie das Vermögen auf die unterschiedlichen Unternehmensteile aufzuteilen.17
Nach den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen18 ist das Ziel der Abgrenzung, der Betriebsstätte den Teil des Gewinns des Gesamtunternehmens zuzuteilen, den sie nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs erwirtschaftet hat. Da der Grundsatz des Fremdvergleichs im nationalen Recht nicht verankert ist, wird in den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen auf Art. 7 II OECD-MA in der Fassung von 1992 verwiesen. Der Fremdvergleich bietet einen objektiven Maßstab zur Gewinn- und Vermögensabgrenzung. Nach diesem sind der Betriebsstätte diejenigen Wirtschaftsgüter und Einkünfte zuzurechnen, „die ein selbständiger Gewerbebetrieb am gleichen Ort und unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen zur Erzielung eines vergleichbaren Geschäftserfolgs benötigt“19. Die Abgrenzung nach dem Prinzip des Fremdvergleichs gewährleistet, dass der Betriebsstätte keine anderen inländischen Einkünfte desselben Steuerpflichtigen zugeordnet werden. Die Betriebsstätte wird nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs wie eine selbständige Einheit behandelt. Die Fiktion der Selbständigkeit der Betriebsstätte soll jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass zwischen Stammhaus und Betriebsstätte schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen werden dürfen. Aufgrund der wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit, die Stammhaus und Betriebsstätte bilden, sind derartige Vereinbarungen nicht gestattet.20
Weiterhin sind der Betriebsstätte die Wirtschaftsgüter nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zuzuordnen. Wenn der wirtschaftliche Zusammenhang bspw. aufgrund von physischer Belegenheit nicht eindeutig bestimmbar ist, so kann als weiterer Anhaltspunkt die bilanzmäßige Zuordnung herangezogen werden. Diese ist jedoch nicht als Voraussetzung der Zuordnung zu sehen, sondern lediglich als Anhaltspunkt.21 Die mit den Wirtschaftsgütern in Zusammenhang stehenden Betriebseinnahmen und -ausgaben sind der Betriebsstätte nach dem Veranlassungsprinzip zuzuordnen. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG dürfen beschränkt Steuerpflichtige Betriebsausgaben nur abziehen, wenn diese in wirtschaftlichem Zusammenhang mit inländischen Einkünften stehen. Das Veranlassungsprinzip besagt, dass auf Basis einer wertenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu entscheiden ist, welchem Unternehmensteil ein Wirtschaftgut dienlich ist bzw. durch welchen Unternehmensteil die betreffenden Aufwendungen und Erträge veranlasst wurden. Diese Zuordnung hat für jedes Wirtschaftsjahr erneut zu erfolgen.22 In den Betriebsstätten- Verwaltungsgrundsätzen23 wird schließlich darauf hingewiesen, dass alle Umstände des Einzelfalls zu beachten sind.
Für die Abgrenzung der Gewinne kommen grundsätzlich24 zwei Methoden in Betracht: die direkte und die indirekte Methode. Nach der direkten Methode wird der Gewinn der Betriebsstätte entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz auf Basis einer eigenständigen Betriebsstättenbuchführung ermittelt.25 Die direkte Methode ist nach Tz. 2.3.1. der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze26 vor allem dann anzuwenden, wenn Stammhaus und Betriebsstätte unterschiedliche Funktionen ausüben. Dabei sollen vor allem berücksichtigt werden:
- Struktur, Organisation und Aufgabenteilung im Unternehmen sowie der Einsatz von Wirtschaftsgütern,
- Ausgeübte Funktionen der Betriebsstätte (z.B. Beschaffung, Produktion, Montage, Forschung und Entwicklung, Verwaltung, Vertrieb),
- Eigenschaft, in welcher die Funktion erfüllt wird (z.B. Eigenhändler, Agent).27
Dagegen wird bei der indirekten Methode zunächst der Gesamtgewinn des Unternehmens ermittelt und dieser dann anhand von Aufteilungsschlüsseln (z.B. Lohn- oder Produktionskosten) auf Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. Somit bestimmen sich Gewinn und Vermögen der Betriebsstätte bei der indirekten Methode als Bruchteil des Gesamtgewinns bzw. Gesamtvermögens des gesamten Unternehmens. Zwar berücksichtigt diese Methode die steuerrechtliche Qualifikation als wirtschaftliche Einheit aus Stammhaus und Betriebsstätte und damit auch den Charakter des einheitlichen Unternehmensprozesses, verstößt sie andererseits jedoch gegen das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, wird die Verursachungsgerechtigkeit der Gewinnzuordnung auch bei internen Transaktionen anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes gemessen.28
Das deutsche Steuerrecht räumt der direkten Methode den Vorrang ein.29 Auch der BFH sprach sich wiederholt für dieses Konzept aus.30 Faktisch werden jedoch auch bei vorrangiger Anwendung der direkten Methode Elemente der indirekten Methode verwendet und somit ist eine Mischform aus beiden Methoden diejenige, die in der Praxis am häufigsten Anwendung findet.31 Dabei werden häufig in einem ersten Schritt soweit möglich das Vermögen bzw. die Einkünfte nach dem Fremdvergleichsgrundsatz auf Betriebsstätte und Stammhaus aufgeteilt.
Verbleibende Einkünfte bzw. Vermögen werden danach über Aufteilungsschlüssel zugeordnet.32 Dieses Vorgehen sieht auch die Finanzverwaltung vor: Nach Tz. 2.3.1. der Betriebsstätten- Verwaltungsgrundsätze33 sind Betriebseinnahmen und - ausgaben, die dem Stammhaus und der Betriebsstätte nicht eindeutig zugeordnet werden können, über eine Schätzung sachgerecht aufzuteilen.34
2.2.2. Recht der Doppelbesteuerungsabkommen
Auf Ebene der DBA sind mit Aktualisierung des OECD-MA im Jahr 2010 konkrete Gewinnabgrenzungsregeln zementiert worden. Das zentrale Element der Aktualisierung des OECD-MA 2010 war die Neufassung des Art. 7. Die grundlegende Änderung war dabei der Übergang von der bisherigen Auffassung der eingeschränkten Selbständigkeit der Betriebsstätte (sog. „Relevant Business Activity Approach“) hin zu der Auffassung der uneingeschränkten Selbständigkeit der Betriebsstätte (sog. „Functionally Separate Entity Approach“). Ausgangspunkt des „Relevant Business Acitivity Approach“ ist der Gesamtgewinn des Unternehmens im Außenverhältnis. Von diesem Gesamtgewinn wird der Gewinn der für die Betriebsstätte relevanten Geschäftstätigkeit abgegrenzt und dieser zugeordnet. Umstritten ist bei diesem Ansatz jedoch, nach welchen Kriterien die relevante Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte abzugrenzen ist. Dazu existieren unterschiedliche Auffassungen, die jedoch alle Unzulänglichkeiten aufweisen und daher keine eindeutige Zuordnung des Betriebsstättengewinns gewährleisten. Im Gegensatz dazu erlaubt es der „Functionally Separate Entitiy Approach“, der Betriebsstätte eine funktionale Selbständigkeit zu unterstellen und fiktive Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen funktionalen Unternehmensteilen anzunehmen. Diese sind nach dem in Art. 7 II OECD-MA festgelegten Fremdvergleichsgrundsatz wie Geschäftsbeziehungen zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen zu beurteilen. Daher ist es in vielen Bereichen sinnvoll, Regelungen für rechtlich selbständige, international verbundene Unternehmen auch zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu verwenden. Um den internationalen Konsens zu stärken hat sich die OECD35 zum „Functionally Separate Entity“ Ansatz bekannt.36
Nach Art. 7 II OECD-MA ist die direkte Methode die Regelanwendung, die indirekte Methode ist nicht mehr vorgesehen.37 In Fällen, in denen Wirtschaftsgüter, Aufwendungen und Erträge dem Stammhaus oder der Betriebsstätte direkt zugeordnet werden können, bietet die direkte Methode eine höhere Genauigkeit und ist der indirekten Methode nicht zuletzt aus diesem Grund vorzuziehen. In der Praxis ist die direkte Methode in bestimmten Fällen jedoch weiterhin um Elemente der indirekten Methode zu ergänzen, wenn Wirtschaftsgüter, Aufwendungen und Erträge dem Stammhaus oder der Betriebsstätte nicht eindeutig zugeordnet werden können.
Der in Art. 7 II OECD-MA festgehaltene Fremdvergleichsgrundsatz besagt, dass im Ausland belegene Betriebsstätten zum Zwecke der Gewinnabgrenzung fiktiv als unabhängige und selbständige Unternehmen zu behandeln sind. Nach dieser Regelung ist einer Betriebsstätte folglich der Gewinn zuzuweisen, den sie hätte erwirtschaften können, wenn sie unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit ausgeübt hätte und im Geschäftsverkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre (sog. Fremdvergleichsgrundsatz oder „Dealing at Arm’s Length“-Prinzip).38 Diese Art der Aufteilung stützt sich auf die Annahme, dass die Betriebsstätte nach dem Abkommensrecht als selbständiges Unternehmen behandelt wird. Tz 2.2 der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze39 stellt sicher, dass der in Art. 7 II OECD-MA verankerte Grundsatz über die Einkünftezurechnung (Fremdvergleichsgrundsatz) nicht nur bei Bestehen eines DBA sondern auch im sog. Nicht-DBA-Fall Anwendung findet.
Im Schrifttum40 herrscht Unstimmigkeit darüber, inwiefern der Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 7 II OECD-MA auf innerstaatliches Recht anzuwenden ist. In seinem Urteil41 stellt der BFH fest, dass Doppelbesteuerungsabkommen keine Steuerpflicht begründen und Steuern auch nicht über die nationalen Grenzen hinaus erhöhen. Die Finanzverwaltung hat sich mit ihrem Schreiben42 vom 25.08.2009 zu einer eher weiten Auslegung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte im Rahmen der Gewinnabgrenzung positioniert. Sie stellt zwar weiterhin fest, dass Stammhaus und Betriebsstätte eine rechtliche und wirtschaftliche Einheit bilden und interne Leistungsbeziehungen nicht möglich sind43, doch wurde der Hinweis gestrichen, dass diese internen Leistungsbeziehungen nicht berücksichtigt werden. Damit hat sich die Finanzverwaltung nun einer Betriebsstättengewinnabgrenzung geöffnet, die sich am Fremdvergleichsgrundsatz orientiert und sich somit an die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen annähert.44
3. Steuerverstrickung
3.1. Verstrickungsregelung
Der Begriff der Steuerverstrickung beschreibt den Fall, dass ein Wirtschaftsgut in die deutsche Besteuerungshoheit gelangt und die stillen Reserven in diesem Wirtschaftsgut erstmals dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland unterliegen45 oder das deutsche Besteuerungsrecht auf diese stillen Reserven ausgeweitet wird.46
Es gilt zwischen subjektbezogener und objektbezogener Steuerverstrickung zu unterscheiden. Die subjektbezogene Steuerverstrickung beschreibt den Fall der Begründung oder Ausweitung des nationalen Besteuerungsrechts beim Steuerpflichtigen als solchem, also der Wechsel von der beschränkten in die unbeschränkte Steuerpflicht. Für eine natürliche Person geschieht dies durch Zuzug in die deutsche Steuerhoheit, also Begründung des Wohnsitzes47 oder gewöhnlichen Aufenthalts48 in Deutschland, für juristische Personen durch Verlegung von Sitz49 oder Geschäftsleitung50 ins Inland. Die objektbezogene Steuerverstrickung hingegen beschreibt die Begründung oder Ausweitung des Besteuerungsrechts auf einzelne Wirtschaftsgüter. Dies geschieht entweder durch Übertragung von Wirtschaftsgütern aus ausländischen Kapitalgesellschaften auf verbundene inländische Kapitalgesellschaften oder beispielsweise durch Überführung51 von Wirtschaftsgütern aus einer ausländischen Betriebsstätte auf das inländische Stammhaus. Auch der Übergang von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode kann aufgrund eines DBA-Aktivitätsvorbehalts oder aufgrund des § 20 Abs. 2 AStG zu einer Verstrickung führen. Nahezu alle der neuen von Deutschland geschlossenen DBA machen die Freistellung davon abhängig, dass die in der Betriebsstätte erzielten Einkünfte ausschließlich, fast ausschließlich oder zu einem festen Anteil aus sog. „aktiven“ oder „produktiven“ Tätigkeiten stammen. Diese Aktivitätsvorbehalte zielen insbesondere auf Unternehmensgewinne ab, die durch im Ausland belegene Betriebsstätten erzielt werden und schließen bewegliches sowie unbewegliches Vermögen und Gewinne aus dessen Veräußerung ein. Stammen die in der Betriebsstätte erzielten Einkünfte nicht in dem vorgesehenen Umfang aus solchen Tätigkeiten, so tritt an die Stelle der Freistellung die Anrechnung der betreffenden Einkünfte.52 Nach § 20 Abs. 2 AStG ist in den Fällen, in denen Einkünfte durch die ausländische Betriebsstätte erzielt werden, die Doppelbesteuerung nicht durch die im DBA vorgesehene Freistellungsmethode, sondern durch Anrechnung der ausländischen Steuer zu vermeiden, die auch nach den allgemeinen DBA-Grundsätzen ohne Einschaltung einer Betriebsstätte zu Anwendung gekommen wäre. Mit dieser „switch-over“-Regelung will der Gesetzgeber eine Umgehung der Hinzurechnungsbesteuerung durch Einschaltung einer Betriebsstätte ausschließen.53
3.2. Überführung aus einer Freistellungsbetriebsstätte
Wird ein Wirtschaftsgut in die deutsche Besteuerungshoheit aus einer Betriebsstätte überführt, deren Einkünfte nach dem zwischen Deutschland und dem Belegenheitsstaat der Betriebsstätte geschlossenen DBA von der deutschen Besteuerung freigestellt sind, so wird das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung dieses Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Überführung erstmals begründet.54 Aufgrund der Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte besteht vor Überführung des Wirtschaftsguts für den deutschen Fiskus kein Besteuerungsrecht. Dieses wird mit Eintritt des Wirtschaftsguts in die deutsche Besteuerungshoheit erstmals begründet. Diesen Tatbestand setzt die Verstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 8, 2. HS EStG einer Einlage gleich und ordnet die Einlage zum gemeinen Wert gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG an, unabhängig davon, zu welchem Wert das Wirtschaftsgut im Ausland bewertet wurde. Der gemeine Wert wird nach § 9 Abs. 2 BewG durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Über § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG gilt dies auch für körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen. Die Bewertung zum gemeinen Wert ist kongruent mit der Gewinnabgrenzung nach Art. 7 II OECD-MA. Der gemeine Wert hat für Vorgänge der Verstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG regelmäßig dem Fremdvergleichspreis zu entsprechen.55 Demnach wird der vom OECD favorisierte „Functionally-Separate-Entity Approach“ umgesetzt und konsequent am Fremdvergleichsgrundsatz festgehalten.56
Mit der Kodifizierung der Verstrickungsregelungen im Zuge des SEStEG 2006 reagierte der deutsche Gesetzgeber auf bestehende europarechtliche Bedenken. In zweierlei Hinsicht wäre diese Kodifizierung der Verstrickungsregelungen nicht geglückt, hätte der deutsche Fiskus sich nicht für die Verstrickung zum gemeinen Wert - ungeachtet der Behandlung im Ausland - entschieden, auch bei Steuerfreiheit in dem ausländischen Staat. Einerseits wäre das Verbot der Diskriminierung (Art. 24 OECD-MA) konsequent einzuhalten gewesen, für in das Ausland gerichtete Aktivitäten ebenso wie für in das Inland gerichtete Aktivitäten, was in vielen Fällen eine Entstrickungsbesteuerung ausgeschlossen hätte. Weiterhin ist es nicht europarechtskonform, die Steuerneutralität im Ausland für die in die deutsche Besteuerungshoheit migrierenden Wirtschaftsgüter nicht zu berücksichtigen und auf diese Steuerneutralität mit einer Ausweitung des nationalen Besteuerungsrechts zu reagieren.57 Eine Übernahme der ausländischen Buchwerte würde die nachträgliche Besteuerung der im Ausland gebildeten stillen Reserven in Deutschland bei Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen in Deutschland bewirken und somit eine Europarechtswidrigkeit darstellen.
Wurde das betreffende Wirtschaftsgut im Ausland zu einem höheren Wert angesetzt als dem gemeinen Wert, zu dem es bei Eintritt in die deutsche Besteuerungshoheit angesetzt wird, so kommt es zu einer Doppelbesteuerung. Im umgekehrten Fall, bei niedrigerem Ansatz im Betriebsstättenstaat als dem gemeinen Wert, zu dem es in Deutschland angesetzt wird, kommt es folglich zu einer steuerfreien Aufstockung des Wertansatzes.58
3.3. Überführung aus einer Anrechnungs- oder einer Nicht-DBA- Betriebsstätte
Bei Überführung eines Wirtschaftsguts aus einer Anrechnungsbetriebsstätte bzw. aus einer Nicht-DBA-Betriebsstätte kommt es nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zu einer Steuerverstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, da bereits vor der Überführung des Wirtschaftsguts ein eingeschränktes Besteuerungsrecht bestand.59 Die Überführung aus einer Anrechnungsbetriebsstätte bzw. einer Nicht-DBA-Betriebsstätte stellt ein Wechsel von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht dar und soll laut Gesetzesbegründung60 nicht zu einer fiktiven Einlage führen, da das Wirtschaftsgut bereits steuerverstrickt ist.61 Im Gegensatz zu dem Entstrickungstatbestand, bei welchem sowohl der Ausschluss als auch die Beschränkung des Besteuerungsrechts einer Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gleichgestellt sind, führt lediglich die Begründung, nicht jedoch die Ausweitung des deutschen Besteuerungsrechts, zu einer Verstrickung und somit zu einer fiktiven Einlage nach § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG. Diese Auffassung teilt auch die Finanzverwaltung.62 Die asymmetrische Behandlung der Ent- und Verstrickungstatbestände erscheint dem Schrifttum nicht konsequent63 und wird als Systembruch kritisiert, da im umgekehrten Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Anrechnungsbetriebsstätte eine Entstrickung angenommen wird.64 Die Entstrickung wird in Gliederungspunkt 3. Steuerentstrickung ausführlich diskutiert.
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1 BFH Urteil vom 17.07.2008 (IR 77/06).
2 Vgl. Baranowski, IWB Nr.15 vom 11.08.1999.
3 BMF-Schreiben vom 20.05.2009 IV C 6 - S 2134/07/10005.
4 FG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 07.01 2011, 1 V 1217/10, DStRE 2011, S. 1065.
5 EuGH, Urteil vom 29.11.2011 C-371/10.
6 Roth, A., Internationale Steuerplanung im grenzüberschreitend tätigen Einheitsunternehmen, 2011, S. 74.
7 Vgl. Wied, E., EStG § 49 Beschränkt steuerpflichtige Einkünfte, 2011, Rn. 66.
8 Die Anrechnung ist auf den Betrag begrenzt, der der deutschen Steuer auf die ausländischen Einkünfte entspricht (Anrechnungshöchstbetrag).
9 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 79 ff.
10 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 76.
11 Die meisten von Deutschland geschlossenen DBA enthalten diese „subject-to-tax“-Klauseln und knüpfen die Freistellung der ausländischen Einkünfte damit an die Voraussetzung, dass sie im Quellenstaat tatsächlich der Besteuerung unterlagen und auch nicht begrenzt besteuert wurden.
12 Aufgrund des lediglich unilateralen Charakters stellt die „switch-over“-Klausel einen „treaty override“ dar. Den „treaty override“ definiert Fey (Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Edition 1/12, Rn. 1-4) als einen Gesetzgebungsakt, durch den der Gesetzgeber einseitig Regelungen erlässt, die im Widerspruch zu bestehenden völkerrechtlichen Abkommen stehen und somit das bestehende Völkerrecht verletzen.
13 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 79 ff.
14 Vgl. Schmidt, C., Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften, 2010, S. 427.
15 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP vom 17.10.2009.
16 BMF, Pressemitteilung v. 01.09.2009 Nr. 43/2009.
17 Vgl. Ditz, X, Gewinnabgrenzung, 2004, S. 37.
18 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.12.1999 IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, S. 1076, Tz. 2.6.2.
19 BFH, Urteil v. 21.01.1972 III R 57/71, BStBl. II 1972, S. 374.
20 BFH, Urteil v. 27.07.1965 I 110/63 S, BStBl. III 1966, S. 24; BFH, Urteil v. 20.07.1988 I R 49/84, BStBl. II 1989, S. 140.
21 BFH, Urteil v. 29.07.1992 II R 39/89, BStBl. II 1993, S. 63.
22 Vgl. Wassermeyer, F., Besteuerung der ausländischen Aktivität, in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht 2008, Rn. 302.
23 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.12.1999 IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076.
24 In der Praxis werden häufig Elemente beider Methoden miteinander kombiniert.
25 Vgl. Gsödl, M., Entstrickungstatbestände des Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetzes, 2011,
S. 140.
26 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.12.1999 IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, S. 1076.
27 Vgl. Looks, C./Maier, J., Methoden der Austeilung, 2011, S.271.
28 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 556.
29 Vgl. Brinkmann, J., Sonderformen der Unternehmensgründung, 2008, Rn. 200.
30 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 556 ff.
31 Vgl. Looks, C. / Maier, J., Methoden der Aufteilung, 2011, S. 272.
32 Vgl. Heinsen, O., Aufteilung, 2003, S. 245.
33 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.12.1999 IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, S. 1076.
34 Vgl. Looks, C. / Maier, J., Methoden der Aufteilung, 2011, Rn. 705.
35 Vgl. OECD, Report, 2008, Tz. 72 ff.
36 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 667 f.
37 Im OECD-MA 2008 und den vorangegangenen OECD-MA war die indirekte Methode in Ausnahmefällen alternativ zulässig, im OECD-MA 2010 ist die Anwendung dieser Methode jedoch nicht mehr vorgesehen.
38 Vgl. Kupsch, P. / Schulte-Krumpen, K., Selbständigkeitsfiktion und Realisationsprinzip als Determinanten der Gewinnabgrenzung bei ausländischen Betriebsstätten, 2008, S. 457.
39 Vgl. BMF-Schreiben v. 24.12.1999 IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, S. 1076.
40 Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin H. / Wassermeyer,F., Doppelbesteuerung, Art. 7 OECD-MA, 2009, Rz. 314 f.; Sieker, K., DB 1996, S.112.
41 BFH, Urteil v. 12.03.1980 I R 186/76, BStBl. II 1980, S. 531.
42 BMF Schreiben v. 25.08.2009 IV B 5-S 1341/07/10004.
43 BMF Schreiben v. 25.08.2009 IV B 5-S 1341/07/10004, Tz. 2.2. Abs. 3.
44 Vgl. Ditz, X. / Schneider, M., Änderungen des Betriebsstättenerlasses durch das BMF-Schreiben vom
25.08.2009, DStR 2010, 81; Brüninghaus, D., Einkunftsabgrenzung bei Betriebsstätten und Personengesellschaften, Rn. 53.
45 Pfuhl, A., Entstrickung und Verstrickung von Wirtschaftsgütern nach dem SEStEG, 2007, S. 5.
46 Die Ausweitung des deutschen Besteuerungsrechts reicht nicht aus, um eine Einlage zu begründen. Vgl. Rödder, T. / Schumacher A., DStR 2006, S. 1486.
47 Einen Wohnsitz hat jemand nach § 9 AO dort, wo eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
48 Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand nach § 9 AO dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. § 9 AO ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt.
49 Den Sitz hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nach § 11 AO an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist.
50 Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung.
51 Der Begriff der Überführung beschreibt in der vorliegenden Arbeit die Übertragung eines Wirtschaftsguts in einen anderen Betriebsteil; die Überlassung im Sinne einer Nutzungs- / Gebrauchsüberlassung ist mit einer Übertragung nicht gleichzusetzen.
52 Vgl. Vogel, K., Anrechnungsmethode, 2008, Rn. 74.
53 Vgl. Vogt, G., Bestimmungen über die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 2011, Rz. 25.
54 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 715.
55 Vgl. BMF Schreiben v. 12.04.2005 IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, S. 570, Tz. 5.3.1.
56 Vgl. Looks, C., Die Erfolgsabgrenzung der Höhe nach, 2011, S. 337.
57 Vgl. Körner, A., Ent- und Verstrickung, 2009, IStR 2009, S. 742.
58 Vgl. Jacobs / Endres / Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, S. 715.
59 Vgl. BMF-Schreiben v. 25.08.2009 IV B 5-S 1341/07/10004.
60 BT-Drs. 16/2710, S. 28.
61 Vgl. Looks, C., Die Erfolgsabgrenzung der Höhe nach, 2011, S. 337.
62 Vgl. Betriebsstättenverwaltungsgrundsätze, BMF v. 25.08.2009, BStBl. 2009 I, S. 888 Tz. 2.6.2.
63 Vgl. Stadler, R. / Elser, T., Einführung eines allgemeinen Entstrickungs- und Verstrickungstatbestandes und anderen Änderungen des EStG, BB-Special 8/2006, S. 18 - 25.
64 Vgl. Ditz, X. / Schneider, M., Änderungen des Betriebsstättenerlasses durch das BMF-Schreiben v. 25.08.2009, DStR 2010, S. 86; Rödder, T. / Schumacher, A., Das kommende SEStEG - Teil I, DStR 2006, S. 1486.
- Quote paper
- Victoria Deitsche (Author), 2012, Die Ent- und Verstrickung von Wirtschaftsgütern, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/194808