Während meiner langjährigen Tätigkeit als Heilerziehungspflegerin in der Begleitung von geistig behinderten Menschen, stellte sich immer wieder neu die Frage, nach einem individuellen Weg und nach Möglichkeiten der ganzheitlichen Förderung.
In den letzten Jahren weicht dem Bild des „klassisch geistig Behinderten“, mehr und mehr ein neuer Typus, der selbstbestimmt seinen Weg gehen möchte und oft nur mit Geduld und Mühe aller Beteiligten, seinen Platz finden kann.
In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob der Sport diesem Personenkreis eine Struktur bieten kann, die Stabilität und Kontinuität und letztlich Gesundheit im Sinne der salutogenen psychischen und biologischen Einflüsse ermöglicht. Die Evidenz von Sport und Bewegung in Bezug auf Gesundheit als eine biopsychosoziale Einheit, wird am Beispiel von vier leichter geistig behinderten jungen Männern untersucht. Bietet diesen „Jungen Wilden“ der Sport auf dem Weg der Identitätsfindung eine Möglichkeit Halt und Selbstbestätigung zu finden, ist er eine Alternative, zu der Versuchung unerfüllte Bedürfnisse durch Drogen und Alkohol zu betäuben?
Als Einführung in die Thematik werden die zentralen Begrifflichkeiten Gesundheit, Sport und Bewegung sowie Geistige Behinderung definiert. Die Definition des Gesundheitsbegriffs wird an Aspekte der Salutogenese (lat. salus = Heil, Gesundheit, griech. genese = Entstehung) von Aaron Antonovsky geknüpft, da dieses Konzept den Begriff Gesundheit in seiner Komplexität und Subjektivität in einer Form aufschlüsselt, in welche sich „das Phänomen“ geistige Behinderung einordnen lässt, jedoch ohne defizitäre Sichtweise. Dem gegenüber wird das Modell der ICF als ein Konzept der funktionalen Gesundheit gestellt.
Im Methodenteil erfolgt die Untersuchung durch eine Dokumentenanalyse in Anlehnung an Indikationsbereiche der ICF in Form von Fallbeispielen. Die Dokumente der Jahre 2005 - 2010, die als Entwicklungsberichte und psychologische bzw. ärztliche Gutachten der untersuchten 4 Probanden vorliegen, geben Auskunft über den Entwicklungsstand zu Beginn der sportlichen Aktivität im Fußball und dem Übergang in die Wohnform BEW 2005. Es werden prägnante Ausschnitte des vorliegenden Dokumentenmaterials vorgestellt und die Entwicklung der Probanden, mit Hilfe der ICF Kategorien kodiert und der Stand von 2005 mit 2010 verglichen.
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1 STAND DER FORSCHUNG
2 EINFÜHRUNG IN DAS THEMA
2.1 Gesundheitsbegriff
2.1.1 Salutogenese
2.1.2 ICF - Modell der funktionalen Gesundheit
2.1.3 Gesundheitsförderung durch Ressourcenaktivierung
2.2 Sport und Bewegung
2.2.1 Erfahrungsebenen durch Sport
2.2.2 Lernformen des Sports
2.2.3 Gesundheitsförderung durch Sport
2.3 Begriff und Klassifikation geistiger Behinderung
2.3.1 Geistige Behinderung und psychische Störungen
2.3.2 Sport und Bewegung für geistig behinderte Menschen
2.3.3 Prävention
3 METHODE
3.1 Hermeneutik: Kunstlehre des Verstehens
3.1.1 Gebrauch der ICF
3.1.2 Fragestellung und Methode
3.1.3 Fallbeispiele und Auswertung der ICF Indikationsbereiche
4 ERGEBNISSE
5 DISKUSSION
6 RESÜMEE
Abkürzungsverzeichnis
Glossar
Literatur - und Quellenverzeichnis
Einleitung
Während meiner langjährigen Tätigkeit als Heilerziehungspflegerin in der Begleitung von geistig behinderten Menschen, stellte sich immer wieder neu die Frage, nach einem individuellen Weg und nach Möglichkeiten der ganzheitlichen Förderung. Im BEW (Betreuten Einzelwohnen) und im Rahmen der Einzelfallhilfe oder in der Betreuung lernbehinderter Kinder in der Schulstation, immer wieder konnte ich feststellen, dass Sport und Bewegung unmittelbar Freude, Spaß und Entspannung auslösten. Bei meinem derzeitigen Träger lernte ich geistig behinderte Menschen kennen, die regelmäßig Sport, sogar Leistungssport treiben und Wettkämpfe bestreiten, bis hin zur Teilnahme an den Special Olympics1. Dadurch wurde mein Interesse geweckt, die Wirkung von Sport auf geistig behinderte Menschen zu untersuchen.
Die Einrichtungen der medizinischen und psychosozialen Versorgung sehen sich zunehmend mit Klienten konfrontiert, die neben einer geistigen Behinderung zusätzliche psychische Störungen aufweisen. Die angemessene Betreuung dieses Personenkreises ist häufig durch verschiedene sich daraus ergebende Probleme belastet, die sich unter anderem durch eine begrenzte Bereitschaft zur Mitwirkung zeigt. In den letzten Jahren weicht dem Bild des „klassisch geistig Behinderten“, mehr und mehr ein neuer Typus, der selbstbestimmt seinen Weg gehen möchte und oft nur mit Geduld und Mühe aller Beteiligten, seinen Platz finden kann.
In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob der Sport diesem Personenkreis eine Struktur bieten kann, die Stabilität und Kontinuität und letztlich Gesundheit im Sinne der salutogenen psychischen und biologischen Einflüsse ermöglicht. Die Evidenz von Sport und Bewegung in Bezug auf Gesundheit als eine biopsychosoziale Einheit, wird am Beispiel von vier leichter geistig behinderten jungen Männern untersucht. Bietet diesen „Jungen Wilden“ der Sport auf dem Weg der Identitätsfindung eine Möglichkeit Halt und Selbstbestätigung zu finden, ist er eine Alternative, zu der Versuchung unerfüllte Bedürfnisse durch Drogen und Alkohol zu betäuben?
Gelingt es durch Sport eine neue Qualität in ihr Leben zu bringen, die es ermöglicht, sie in gewisser Weise besser über die Klippen des Alltags hinweg zu tragen. Als Einführung in die Thematik werden die zentralen Begrifflichkeiten Gesundheit, Sport und Bewegung sowie Geistige Behinderung definiert. Die Definition des Gesundheitsbegriffs wird an Aspekte der Salutogenese (lat. salus = Heil, Gesundheit, griech. genese = Entstehung) von Aaron Antonovsky2 geknüpft, da dieses Konzept den Begriff Gesundheit in seiner Komplexität und Subjektivität in einer Form aufschlüsselt, in welche sich „das Phänomen“ geistige Behinderung einordnen lässt, jedoch ohne defizitäre Sichtweise. Dem gegenüber wird das Modell der ICF als ein Konzept der funktionalen Gesundheit gestellt. Die Präventionsmöglichkeiten und die Gesundheitsförderung, bezogen auf den beschriebenen Personenkreis, werden unter Einsatz dieser beiden Konzepte geprüft.
Im Methodenteil erfolgt die Untersuchung durch eine Dokumentenanalyse in Anlehnung an Indikationsbereiche der ICF in Form von Fallbeispielen. Die Dokumente der Jahre 2005 - 2010, die als Entwicklungsberichte und psychologische bzw. ärztliche Gutachten der untersuchten 4 Probanden vorliegen, geben Auskunft über den Entwicklungsstand zu Beginn der sportlichen Aktivität im Fußball und dem Übergang in die Wohnform BEW 2005. Es werden prägnante Ausschnitte des vorliegenden Dokumentenmaterials vorgestellt und die Entwicklung der Probanden, mit Hilfe der ICF Kategorien kodiert und der Stand von 2005 mit 2010 verglichen.
Die Begleitung und Betreuung geistig behinderter Menschen wird in der BRD durch verschiedene Wohn - und Betreuungsformen in Institutionen der Behindertenhilfe organisiert. Die in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Klienten werden bei einem Träger betreut, der unter seinem Dach im Rahmen der Behindertenhilfe Möglichkeiten zum Wohnen, Arbeiten und der Freizeitgestaltung anbietet. Der Sport in einem Verein bietet einen geschützten Raum, der es behinderten Menschen ermöglicht sich auszuprobieren. Diesen finden sie in speziellen Angeboten des Behindertensports. Die in den Fallbeispielen vorgestellten geistig behinderten Menschen, die im Sportverein des Trägers Fußball trainieren, werden hinsichtlich der Hypothese, dass Sport und Bewegung eine Bedeutung für ihre Gesundheit hat, untersucht.
1 Stand der Forschung
„Allgemein wird angenommen, dass mit der sportlichen Aktivität direkte Wirkungen auf die physische, psychische und soziale Handlungsfähigkeit verbunden sind. Gleichzeitig werden auch Kompetenzen angesprochen, die für Menschen mit einer geistigen Behinderung unmittelbar mit der Anpassung und Bewältigung des Lebenskontextes verbunden sind. Empirisch belegt werden diese Aussagen allerdings nicht“ (Bös & Knoll, 1993). Forschungsarbeiten zum Thema der geistigen Behinderung, mit empirisch belegten Ergebnissen, sind erst vermehrt mit Beginn der Wende in das neue Jahrtausend zu verzeichnen.
2003 wurde eine Diplomarbeit von Francisca Eugster Büsch zum Thema „Integration von Menschen mit Behinderung im und durch Sport im Kontext von Identität, Lebensqualität und sozialer Wirklichkeit“ in der Schweiz veröffentlicht, wo in eine ähnliche Richtung wie in der hier vorliegenden Arbeit geforscht wurde. Die Untersuchungen erfolgten dabei per Interview in Versuchsgruppen, die sich durch geistige oder körperliche Behinderungen unterschieden. Es zeigte sich, dass alle Befragten durch den Sport soziale Integration erlebten. Allgemein wurde dabei festgestellt, dass Sport nicht pauschal die Lösung aller Probleme bietet, sich aber positiv auf Bereiche wie Gesundheit, Wohlbefinden, Herausforderung und Leistung im Alltag auswirkt. Der Mensch, der sich regelmäßig bewegt, gewinnt an körperlicher Sicherheit und steigert damit sein psychisches Wohlbefinden. Darin wird eine wichtige Chance gesehen, sich auch außer Haus sicher zu bewegen, was eine Voraussetzung für soziale Integration darstellt. Dieser Aspekt ist für Menschen mit Behinderung von großer Relevanz, was die Bedeutung von sozialer Eingliederung durch Sport unterstreicht. Im Ergebnis wurde konstatiert, dass Sport zur sozialen Integration beiträgt, sei es durch Verbesserung der Lebensqualität, Modifizierung der sozialen Wirklichkeit oder Stärkung der Identität (vgl. Büster 2003, S.98).
Die Untersuchung der Wirksamkeit von Sport im Kontext mit geistiger Behinderung ist auch Gegenstand der 2004 erstellten Dissertation von Christoph Baumann, der zum Thema „Menschen mit geistiger Behinderung im organisierten Sport“ forschte. Der Schwerpunkt der Arbeit lag darin, die Partizipation geistig behinderter Sportler in Vereinen zu untersuchen, mit Blick auf Perspektiven und Veränderungen die sich daraus auf nachfolgend genannte drei verschiedene Ebenen ergeben können. Die Fragestellung bezog sich dabei auf die Ebene der Gesellschaft, die Ebene des Individuums und die Ebene der Organisation. In dieser Arbeit wird deutlich, wie sich die Entwicklung des Behindertensports, „der seine Anfänge in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland hat“ (Baumann 2004, S.2), bis in die Gegenwart gestaltete. „Ausgangspunkt dazu bildeten die Kriegsversehrten und Zivilgeschädigten, die aber keine geistig behinderten Mitglieder aufnahmen, sondern lieber unter sich bleiben wollten“ (Baumann 2004, S.2). So entwickelte sich für geistig behinderte Menschen parallel zum Aufbau dieser Sportverbände auch der organisierte Wettkampfsport. Dies war allerdings anfangs umstritten, da man eine Zurschaustellung dieses Personenkreises befürchtete und die Verbindung von Leistung und Behinderung nicht nachvollziehen konnte. Das Verständnis für Wettkampfsport bei diesem Personenkrei]s war nicht vorhanden, dagegen wurden Bewegung und Spiel vielmehr als pädagogische Inhalte gesehen (vgl. Baumann 2004, S.3). Im Laufe der Jahre konnten diese Vorurteile abgebaut werden, was ein großer Verdienst von Special Olympics Veranstaltungen ist. Baumann kommt zu dem Ergebnis, dass der Sport für den Personenkreis geistig behinderter Menschen in den letzten Jahren einem großen Wandel unterliegt. Dies zeigt sich an der Entwicklung einzelner Sport - und Bewegungsangebote in Sonderschulen und Krankenanstalten bis zur Teilnahme an den medial aufgearbeiteten Wettkämpfen der Special Olympics. Damit kommt es zu einem veränderten Bild, von der defizit - orientierten Sichtweise zur kompetenzorientierten Sichtweise auf geistig behinderte Menschen. Durch das veränderte Menschenbild dieses Personenkreises ist der geistig behinderte Mensch nicht mehr der unmündige Kranke, der medizinisch - therapeutische Förderprogramme erhält, sondern eine selbstbestimmte Persönlichkeit, die die Möglichkeit bekommt auszuwählen (vgl. Baumann 2004, S.31).
Eine Studie zu dem Thema „Geistige Behinderung und Leistungssport“ wurde 2008 an der Universität Kiel am Institut für Sport und Sportwissenschaften von Wegner et al durchgeführt. Das Projekt „Geistige Behinderung und Leistungssport“ widmete sich explizit dem Leistungssport und dessen Auswirkungen auf den Personenkreis der geistig behinderten Menschen. Das Ziel dieser Studie lag in der systematischen wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation eines langfristigen Trainingsprogramms, um die individuellen, psychosozialen und systemischen Komponenten von Leistungssport bei Menschen mit einer geistigen Behinderung zu untersuchen. Dafür wurde ein spezielles Trainingskonzepts im Landesleistungszentrum Norderstedt entwickelt. Dieses bestand aus vier Komponenten, die für alle Teilnehmer verbindlich durchzuführen waren. Die Untersuchung konnte herausarbeiten, dass bei den Teilnehmern die Kaderzugehörigkeit zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins führte, zu einer selbstständigeren Lebensweise im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten und die Erfahrung der eigenen Leistungsfähigkeit zur Folge hatte (vgl. Wegner, http://www.iss.uni-kiel.de/publikationen/2.wissenschaftliches-symposium-von- special-olympics-deutschland-2008,15.5.2011).
In den nachfolgend beschriebenen Studien geht es um die Wirksamkeit von Psychomotorik, die im Gegensatz zu Sportangeboten in der Freizeit mehr eine gezielte Förderung durch Bewegungsangebote darstellt, aber letztlich auch mit dem Ziel der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung. Eine Wirksamkeitsstudie im Rahmen der Qualitätssicherung der System Psychomotorischer Effekte - Sicherung (SPES) wurde im Jahre 2004 veröffentlicht und soll hier vorgestellt werden. Im Sinne einer professionellen Qualitätsentwicklung und - sicherung verspricht das SPES differen- zierte Erkenntnisse über Art und Umfang der Effekte unterschiedlicher psycho- motorischer Einwirkungen. Es wurde konzipiert und entwickelt von einer Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern der Katholischen Fachhochschule Mainz, des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe Mainz, und von Vertretern aus Verbänden der Psychomotorik. Mit diesem Verfahren können die Verläufe psychomotorischer Interventionen in den Arbeitsfeldern private Praxen, Fördervereine, Kinder- und Jugendhilfe sowie klinisch - therapeutische Einrichtungen dokumentiert und analysiert werden. Dies geschieht zu Beginn, im Verlauf und zum Ende einer Maßnahme, mit speziell hierfür entwickelten Erhebungsbögen. Dadurch besteht die Möglichkeit Entwicklungen und Veränderungen zu erkennen und zu dokumentieren, sowohl bei der Problemlage als auch bei den Ressourcen des Kindes oder Jugendlichen. SPES kann dem Praktiker somit Informationen über Stärken und Schwächen der Klientel psychomotorischer Interventionen liefern. Dabei ist die Wirksamkeit auf die allgemeine Persönlichkeits- entwicklung nachweisbar, doch der Nachweis auf spezifische Persönlichkeitsbereiche zeigt sich derzeit noch eher uneinheitlich (vgl. Möllers 2006, S.37).
Im Jahre 2001 wurden über den Berufsverband der MotopädInnen auch Ärzte befragt, wie sie die Wirksamkeit der therapeutischen Leistungen einschätzen. Die Rück- meldung erfolgte in anonymisierter Form an die Geschäftsstelle des Berufsverbandes. An der Befragung haben sich 65 Fachärzte sowie neun Fachkliniken aus neun Bundesländern beteiligt. Dabei wurden ca. 1150 Fälle dokumentiert und ausgewertet. Insgesamt bestätigt das Ergebnis der Befragung den MotopädInnen hervorragende Erfolge bei der Behandlung von Patienten mit den betreffenden Indikationen. In über 96 % aller dokumentierten Fälle wird die Behandlung als erfolgreich bewertet. In über 75 % aller Fälle wird die Behandlung sogar als „gut“ (46,4 %) oder „sehr gut“ (28,6 %) eingestuft. Nur in 3,5 % aller Fälle wird das Behandlungsergebnis mit „unbefriedigend“ bewertet (vgl. Biskup 2004, S. 223 - 224). „Anhand einer Längsschnittstudie über zwei Jahre konnte gezeigt werden, dass sich ein zusätzliches Bewegungsangebot positiv auf die motorischen Leistungen der Kinder auswirkt. In den meisten der durchgeführten motorischen Tests erzielen die Kinder in den elf Modellkindergärten bessere Leistungen als in den elf Kontrollkindergärten. Nach Angaben der beteiligten
Erzieherinnen hat ein verstärktes Bewegungsangebot ebenfalls positive Auswirkungen auf das soziale Verhalten der Kinder. Auswirkungen auf die gemessenen kognitiven Leistungen konnten nicht nachgewiesen werden“ (vgl. Krombholz 2004, S.166 - 182). Alle erhobenen Daten werden im Institut für Kinder - und Jugendhilfe Mainz zusammengefügt und resultieren somit in eine einrichtungsübergreifende Datenbank. Der therapeutische Ansatz der MotopädInnen verfolgt das Ziel der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung durch Bewegung und ist in der heilpädagogischen Kinderund Jugendförderung in Deutschland verbreitet und anerkannt.
In einer Studie von Kemper und Lippmann 2006 „Zum Selbstkonzept und wahrgenommenen Fremdkonzept von Fußballspielern mit geistiger Behinderung“, wurde die Möglichkeit genutzt, die Fußballspieler der Deutschen Nationalmannschaft von Menschen mit geistiger Behinderung, in der Vorbereitung auf die Fußball - Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zu interviewen. Die Befragung geschah hinsichtlich der Auswirkungen des Sports und insbesondere des Fußballs, unter der Berücksichtigung der Zugehörigkeit zur Nationalmannschaft. Die Untersuchung wurde während des Trainingslagers in Duisburg vor den Fußball - Weltmeisterschaften für Menschen mit geistiger Behinderung 2006 in Deutschland vorgenommen. Acht männliche Fußballspieler der Nationalmannschaft der Menschen mit geistiger Behinderung nahmen an der Untersuchung teil. Der Altersdurchschnitt der Fußballspieler lag bei 21.75 Jahren. Hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen Behinderung stuften sich die Probanden als lernbehindert, aber nicht als geistig behindert ein, ohne auf die Klassifizierung näher einzugehen. Zwei Spieler waren der Ansicht, dass sie bei entsprechenden Bemühungen ihre mentalen Defizite beseitigen könnten. Drei Spieler fühlten sich ungerechtfertigt einem Behindertenstatus ausgesetzt. Insgesamt zeigten die Probanden, aufgrund der Wahrnehmung der eigenen geringfügigen Behinderung und Zugehörigkeit zur Nationalmannschaft, ein sehr positives Selbstwertgefühl und emotionales Selbstkonzept. Im Rahmen des körperbezogenen Selbstkonzepts standen die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, die Gesundheit, die körperliche Effizienz und die äußere Erscheinung im Fokus der Untersuchung. Die Probanden gaben an, keine körperlichen Einschränkungen zu haben und mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zufrieden zu sein. Die Spieler führten die Attraktivität ihrer Körper auf regelmäßiges Sporttreiben zurück. Nach Meinung der Probanden förderte Sport die Gesundheit, die körperliche Attraktivität und begünstigte die körperliche Leistungsfähigkeit, so dass in den drei Aspekten ein in hohem Maße ausgeprägtes körperliches Selbstkonzept festgestellt werden konnte (vgl. Kemper et al http://www.iss.uni-kiel.de/publikationen/2.wissenschaftliches-symposium-von-special olympics-deutschland-2008, 20.5.2011).
Ein wissenschaftliches Symposium fand am 19. und 20. Juni 2009 an der Humboldt - Universität Berlin zum Thema „Sport und geistige Behinderung“ statt. In modernen Gesellschaften ist die Integration von geistig behinderten Menschen zu einem Gütemaßstab von praktizierter Humanität geworden. Der sportlichen Betätigung, die über berufspraktische oder therapeutische Aufgaben hinaus ging, wurde lange nur wenig Bedeutung beigemessen. Seit es sportliche Wettbewerbe mit Regeln, insbesondere die Special Olympics gibt, nimmt das Interesse an weiterführenden wissenschaftlichen Untersuchungen zu sportlichen Aktivitäten behinderter Menschen zu. Während des Symposiums wurde der Forschungsstand zu dem Thema gesichtet und wissenschaftlicher und interdisziplinärere Austausch angeregt und gefördert. (vgl. Franke,http://www.huberlin.de/prnachrichten/nr0906/nr_090615_0120.5.2011).
Die Thematik „Behinderung, Bewegung, Befreiung - Ressourcen und Kompetenzen von Menschen mit geistiger Behinderung“ führte 80 Wissenschaftler aus acht Nationen zusammen und war damit internationaler als jemals zuvor. Das Ziel der Tagung war die Sichtung des aktuellen Forschungsstandes, der interdisziplinäre Austausch und die Entwicklung zukünftiger Kooperationen und übergreifender Projekte. In den „Kieler Schriften zur Sportwissenschaft“ wurden die Beiträge unter dem Titel „Bewegung, Behinderung, Befreiung“ zusammengefasst. Dieser Titel steht dafür, das befreiende Erlebnis von sportlicher Aktivität für Menschen mit geistiger Behinderung zu betonen. Der Untertitel „Ressourcen und Kompetenzen von Menschen mit geistiger Behinderung“ zeichnete die thematische Linie für die einzelnen Symposiumsbeiträge vor. Es gehen 15 Beiträge in die Publikation ein, die mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen Erfahrungen, Möglichkeiten und Ansätze sportlicher Aktivität für Menschen mit geistiger Behinderung verdeutlichen. Der Einstieg in die Veröffentlichung wird von den beiden Berliner Vertretern der Humboldt - Universität, Karl - Friedrich Wessel und Elk Franke, vorgenommen. Vor dem Hintergrund der Humanontogenetik deutete Karl - Friedrich Wessel auf die biopsychosoziale Einheit des Menschen als Ressource hin und verweist dabei auf das lebenslange Entwicklungspotential verschiedener Kompetenzbereiche, die keinem Personenkreis verschlossen bleiben sollten. Der Begriff der „Fremdheit“ ist bestimmend für den Beitrag von Elk Franke, der in der Begegnung mit Menschen mit geistiger Behinderung eine wichtige Herausforderung und Selbst - Erfahrung sieht, die damit auch ein hohes Reflexionspotential für den etablierten Sport bietet. Aus der Perspektive der Geistigbehindertenpädagogik schafft Karl - Ernst Ackermann (Berlin) einen Ausblick zur Umsetzung pädagogischer Leitvorstellungen für die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung. Ulrich Niehoff (Marburg) stellt den Begriff des Inklusionsgedankens aus der Behindertenrechtskonvention in den Mittelpunkt und leitet daraus Folgerungen für den Sport von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigen ab.
Einen erweiterten Überblick über nationale und internationale Perspektiven in verschiedenen Handlungsfeldern von Bewegung und Sport gibt Gudrun Doll - Tepper (Berlin) und verbindet damit den „Aufruf zum Handeln“, um Menschen mit geistiger Behinderung noch intensiver in allen gesellschaftlichen Bereichen zu unterstützen. Einen Schwerpunkt der Arbeit von Special Olympics bildet das Healty Athletes® Programm. Durch Imke Kaschke (Berlin) wird die Prävalenz medizinischer Probleme von Menschen mit geistiger Behinderung charakterisiert, um dabei das Zahnpflege - Programm Special Smiles® vorzustellen und über die Erfahrungen der Nationalen Special Smiles - Untersuchungen zu berichten.
Stefan Schwarz (Hildesheim) ist als Augenarzt seit einigen Jahren als „Volunteer“ bei den Nationalen Spielen beteiligt und stellt den Ansatz objektiver und subjektiver Prüfverfahren und erste Ergebnisse aus dem Opening Eyes-Programm in seinem Beitrag vor. Durch Beiträge der Arbeitsgruppe Sandra Dowling (London), von Ruud van Wijk (Groningen) und Maria Dinold (Wien) wird die internationale Perspektive repräsentiert. Eine Evaluation des Special Olympics Unified Sports® Programm stellten Sandra Dowling, Roy Mc Conkey und David Hassan vor. Unter dem Titel „Fit, fat and fun“ stellt Ruud van Wijk die Möglichkeit der Gewichtsreduktion durch gezielte Ernährung und sportliche Aktivität vor. Projekte und Ansätze zu Bewegungsangeboten für Menschen mit mentaler Behinderung in Österreich, wurden von Maria Dinold vorgestellt. Der Trainingsansatz von Menschen mit geistiger Behinderung wird in vier weiteren Beiträgen betont. Um auf Möglichkeiten und Wirkungen gesundheitlicher und sportlicher Aktivität von Menschen mit geistiger Behinderung hinzuweisen, stellen Dietrich Milles und Ulrich Meseck (Bremen) konzeptionelle Überlegungen zu Bewegung, Training und Entwicklung vor. Die Ergebnisse und Forschungsperspektiven der langjährigen Bremer Studie zum Golf von Menschen mit geistiger Behinderung werden von Ulrich Meseck und Mike Lochny (Bremen) vorgestellt. Eine Trainerbefragung zeigt, dass schwierige Rahmenbedingungen für die SOD - Trainer in den Werkstätten bestehen, die eine stärkere konzeptionelle Arbeit benötigen. Eine Befragung zur Familiensituation der Eltern aktiver Teilnehmer bei den Nationalen Spielen in Karlsruhe, im Vergleich zu Eltern von nichtaktiven Förderschülern, können mehr Ressourcen für das Familienleben durch die strukturierten SO Programme nachweisen. In ihrem Beitrag führt Gudrun Ludwig (Fulda) auf das Eingangsthema zurück und stellt Studien zur Förderung der koordinativen - motorischen Kompetenzen von Erwachsenen mit geistiger Behinderung vor. Der Beitragsband wird abgeschlossen durch den Erfahrungsbericht über die jährlich stattfindenden Bremerhavener Wettkämpfe für Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung von Helmut Proband (Bremerhaven) in den mehr als 20 Jahre Erfahrungen einfließen. Das nächste Symposium wurde 2010 in Bremen wieder im Rahmen der National Games durchgeführt, unter dem Titel „Inklusion und Empowerment: Wirkungen sportlicher Aktivität für Menschen mit geistiger Behinderung“.
Der im Rahmen der National Games der Special Olympics Deutschland stattfindende Kongress beschäftigte sich mit zwei zentralen Bereichen und Aufgabenstellungen und versuchte diesmal eine inhaltliche Zuspitzung bezüglich Inklusion, in der das Bemühen der modernen Gesellschaft thematisiert wurde, Menschen mit geistiger Behinderung mit eigenen Fähigkeiten und Wertigkeiten als Bürger, als gleichberechtigte Mitglieder zu verstehen. Empowerment meint die selbstbestimmte Partizipation und das Bemühen um Unterstützung, die Befähigung des einzelnen Menschen und die soziale Unterstützung in den Lebensbedingungen. Der Kongress setzte sich zum Ziel, die interdisziplinäre Auseinandersetzung in den Schnittstellen Gesundheitswissenschaft, Sportwissenschaft und Förderpädagogik zu organisieren. In Arbeitsgruppen wurden die verschiedenen Schwerpunkte bearbeitet. Die Selbstbestimmung wurde unter Empowerment in verschiedenen fachlichen Zusammenhängen als oberstes Prinzip propagiert. Die Handlungsdimension rückt die Ressourcen, vor allem die Stärken und Kompetenzen des Individuums in den Vordergrund und sucht nach Möglichkeiten, diese durch materielle und soziale Umwelt zu unterstützen und zu ihrer Entfaltung zu bringen.
In der Praxis und aus gesundheitswissenschaftlicher, psychologischer wie aus sozialpolitischer Sicht kann der Beitrag sportlicher Aktivierung genauer betrachtet, das Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen durch Sport stärken, sein Leben in eigener Regie gestalten und Krisen meistern (vgl. Kaschke Kieler Schriften 2010, S.53).
Die hier genannten Studien bestätigen insgesamt den fördernden Charakter der sportlichen Betätigung von geistig behinderten Menschen. Dies bezieht sich auf eine Verbesserung der Teilhabe, eine höhere Lebensqualität, was sich u.a. um nur einige zu nennen durch mehr Aktivität, Wohlbefinden und Selbstbewusstsein bei dem untersuchten Personenkreis zeigt.
2 Einführung in das Thema
2.1 Gesundheitsbegriff
Die Frage nach der Entstehung von Gesundheit, anstatt lediglich die Ursachen von Erkrankungen zu erforschen, findet zunehmend Eingang in das (heil-) pädagogische Denken. Begründer dieser Denkrichtung ist Aaron Antonovsky, in seinem Ansatz der Salutogenese. Er fragt nicht danach, was krank macht, welche Risikofaktoren die Gesundheit bedrohen, sondern welche Schutzfaktoren sorgen dafür, dass Menschen trotz großer Belastungen gesund bleiben oder wieder gesund werden. In den modernen Gesundheitssystemen ruht das Interesse vor allem auf der Behandlung von Krankheiten und Dysfunktionen, wobei Prävention, gesundheitsförderndes Handeln und Salutogenese vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommen (vgl. Rutz 2004, S.363). Diese Sichtweise äußert sich auch in der Medizin, die mit detaillierten Beschreibungen von Krankheitszuständen aufwartet. Die Wirkung von Behandlungen, wird primär über das Verschwinden von Behandlungszuständen definiert (vgl. Linden 1987, S. 132 - 136). Doch wir befinden uns in einer Zeit des Paradigmenwechsels, d.h. wir bewegen uns von der Pathogenese zur Salutogenese. Diese beschäftigt sich inhaltlich mit den Bedingungen für eine gute Gesundheit, wo bisher die Bekämpfung von Krankheit im Vordergrund stand. Unser Wissen über das Zusammenspiel von Seele und Gehirn, Körper und Geist, die Beziehungen zwischen Umwelt und Anlage ist heute schon sehr komplex. Forschungen über die Neuroplastizität des Gehirns zeigen wie Umwelteinflüsse die Struktur und Funktion, selbst eine genetische Veranlagung durch Sensibilisierung, positiv oder negativ beeinflussen können. Es kann dadurch entweder Gesundheit und Widerstandskraft oder Krankheit und Schwäche hervor- gerufen werden (vgl. Rutz 2004, S.363).
2.1.1 Salutogenese
Das Konzept der Salutogenese ist abgeleitet von Aaron Antonovsky. Antonovsky löst sich von der medizinischen - pathogenetischen Betrachtungsweise. Gesundheit ist eben nicht wie von der WHO definiert ein „Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das frei sein von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 1946). Antonovsky zeigt Kritik am pathogenetisch orientierten Modell der Homöostase, welches Gesundheit als normalen passiven Zustand des Gleichgewichts definiert und integriert sein Modell, den salutogenetischen Ansatz, in das Modell der Heterostase, welches Gesundheit als ein labiles aktives sich dynamisch regulierendes Geschehen sieht (vgl. Linden 2009, S.23). Antonovsky beschreibt seine Sicht durch folgendes Bild „Ich gehe davon aus, dass Heterostase, Ungleichgewicht und Leid, inhärente Bestandteile menschlicher Existenz sind, ebenso wie der Tod. Wir alle, um mit der Metapher fortzufahren, sind vom Moment unserer Empfängnis bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Kante des Wasserfalls passieren, um zu sterben, in diesem Fluss. Der menschliche Organismus ist ein System und wie alle Systeme der Kraft der Entropie ausgeliefert “ (Antonovsky 1993, S.67).
Der Kohärenzsinn (sense of coherence, SOC) ist ein zentrale Erkenntnis im Konzept der Salutogenese, welcher sich aus drei Komponenten zusammensetzt (vgl. Antonovsky 1997, S. 34)
- Verstehbarkeit (Es ist wichtig, dass was im Leben geschieht zu verstehen und Zusammenhänge im Leben zu erkennen. Die Anforderungen aus der Umwelt erscheinen strukturiert, vorhersehbar und interpretierbar.)
- Handhabbarkeit (Der einzelne Mensch verfügt über notwendige Strategien und Fertigkeiten, um das eigene Leben selbstbestimmt gestalten zu können. Dieses Gefühl beinhaltet die Überzeugung, dass die eigenen Fähigkeiten ausreichen, die Anforderungen zu bewältigen.)
- Bedeutsamkeit (Die Anforderungen und Lebensbereiche müssen für die Person Sinn machen. Darin liegt die Motivation, in den Anforderungen Herausforderungen zu sehen, in welche Energie und Engagement investiert werden.)
Der Kohärenzsinn ist als globale Orientierung ein Indikator dafür, inwieweit eine Person für die Erhaltung ihrer Gesundheit zu aktivieren ist.
2.1.2 ICF - Modell der funktionalen Gesundheit
Die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit ICF - International Classifikation of Funktioning, Disability and Health, WHO 2001) hat ein Instrument vorgelegt, womit die Folgen von Erkrankung oder Verletzung auf Körperstrukturen und - funktionen, auf Aktivitäten und auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfasst werden kann (vgl. Fries 2007, S.2). Die ICF wurde im Mai 2001 durch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) - Vollversammlung offiziell eingeführt und ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Rehabilitation. Die ICF stellt weltweit ein festes Fundament dar, auf dem sich Rehabilitation entwickeln kann. Um die Komplexität von neuro - psychologischen Erkrankungen, zu denen letztlich auch die geistigen Behinderungen gehören, erfassen zu können, bedarf es einer grundsätzlichen Konzeption von Gesundheit, Krankheit und Erkrankungsfolgen. Die WHO hat ein solches Modell der funktionalen Gesundheit entwickelt und verbindlich weltweit verabschiedet (vgl. Fries 2007, S.1). Das Sozialgesetzbuch hat diese Konzeption der komplexen Bedingungen verbindlich, vorwiegend in das Sozial- gesetzbuch IX, aufgenommen (vgl. Fries 2001, S.2). Nach der Definition der WHO ist eine Person dann funktional gesund, wenn
1. „ihre körperlichen Funktionen [...] und Körperstrukturen denen eines gesunden Menschen entsprechen (Konzepte der Körperfunktionen und - strukturen),
2. sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem (ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivität)
3. sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen und - strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird (Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen).“
Darüber hinaus stellt die ICF ein Modell für komplexe wechselseitige Zusammenhänge zwischen einem Gesundheitsproblem einer Person und den Kontextfaktoren in Bezug auf Umwelt und Person zur Verfügung (Abb. 2.1.2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.1.2: Wechselwirkung der Komponenten der ICF3 (WHO, 2001)
Die ICF stellt eine transdisziplinäre Rahmenklassifikation dar, die von verschiedenen Bereichen auf der Ebene einer gemeinsamen Sprache verwendet werden kann. Die Behinderung eines Menschen ist demzufolge kein Zustand, welcher sich nur auf den körperlichen Zustand bezieht, sondern wird in der Definition der ICF zur kontext- abhängigen und phänomenologischen Situationsbeschreibung eines Menschen. Durch den Einbezug der Kontextfaktoren und der Partizipation werden über körperliche Symptome hinaus, auch soziologische Aspekte berücksichtigt, wodurch die Behinderung eines Menschen auch als „soziales Problem“ benannt wird (vgl. Büsch 2003, S.4). Die Begriffe Behinderung und Funktionsfähigkeit stehen im Zentrum der ICF. Ihre Bedeutung folgt dem biopsychosozialen Ansatz der ICF, das heißt sie werden als das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen den vorhandenen Kontextfaktoren (Umwelt - und personenbezogene Faktoren) und dem Gesundheitsproblem eines Individuums verstanden.
[...]
1 Special Olympics ist die weltweite größte, vom IOC offiziell anerkannte, Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Gegründet 1968 in den USA durch Eunice Kennedy-Shriver, der Schwester von John F. Kennedy, aus der Idee heraus Menschen mit geistiger Behinderung eine Teilhabe an Sportaktivitäten und -veranstaltungen zu ermöglichen. Heute ist Special Olympics mit mehr als 3,1 Millionen Athleten und Athletinnen in 175 Ländern vertreten (vgl. Verfasser nicht benannt http://www.specialolympics.de/special_olympics/die_idee.html 26.6.2011).
2 Antonovsky, Aaron (1923 - 1994) war israelisch-amerikanischer Medizinsoziologe und prägte in den 1970er Jahren den Begriff der Salutogenese. Seit den 60er Jahren war er in Jerusalem neben der Lehre vor allem in der Stressforschung und der Erforschung latenter Funktionen der Institutionen des Gesundheitswesens tätig. Innerhalb dieser Arbeit stieß er auf die von ihm als Wunder empfundene Tatsache, dass einige jüdische Frauen, die nationalsozialistische Konzentrationslager überlebt hatten, sich gesund ein neues Leben hatten aufbauen können. Diesem Wunder des Gesundbleibens widmete er von da an sein Engagement (vgl. http://www.salutogenese-zentrum.de/cms/main/glossar/ 25.06.2011).
3 Abb. 2.1.2: Wechselwirkung der Komponenten der ICF wurde abgedruckt mit freundlicher Erlaubnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Alle Rechte liegen bei der WHO.
- Quote paper
- Bachelor of science Katrin Fischer (Author), 2011, Die Bedeutung von Sport und Bewegung für die Gesundheit von Menschen mit geistiger Behinderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/180618