Die Arbeit gibt dem Leser einen Überblick über die Ausprägungen der Pferd-Mensch-Beziehung und die psychosozialen Faktoren, die positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
Einführender Hinweis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abstract
I Einleitung
1 Ziel der Arbeit und Fragestellung
II Mensch & Pferd
1 Das Pferd
1.1 Das Pferd - geschichtlich und mythologisch betrachtet
1.2 Verhalten des Pferdes
2 Mensch & Pferd
2.1 Eine besondere Beziehung
2.2 Kommunikation
3 Zusammenfassung
III Psychosoziale und therapeutische Interventionsformen mit dem Medium und Partner Pferd
1 Allgemeines
1.1 Begriffserklärung Therapie
1.2 Begriffserklärung Coaching
1.3 Was bedeutet „tiergestützt“ / „pferdegestützt“
2 Pferdegestütztes Coaching zur Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzerweiterung
2.1 Zielsetzung
2.2 Führungskräftetraining und Kompetenzerweiterung
2.3 Begriffserklärung Kompetenz
2.4 Führung
2.5 Aufgabenstellungen in Führungskräftetrainings
2.6 Voraussetzungen für ein erfolgreiches Persönlichkeitstraining
2.7 Outdoor- und Erlebnispädagogik mit Pferden
2.8 Zusammenfassung
3 Therapeutisches Reiten
3.1 Abgrenzung Heilpädagogisches Reiten / Voltigieren, Hippotherapie und Behindertenreitsport
3.2 Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren
3.3 Hippotherapie
3.4 Behindertenreiten
3.5 Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie oder ein wertvolles Training
3.6 Zusammenfassung
IV Sportphysiologische Wechselwirkungen beim Umgang mit Pferden auf den Menschen
1 Allgemeines
2 Koordination
2.1 Teilbereiche der Koordination nach MEINEL und SCHNABEL
2.2 Gleichgewichtsfähigkeit
2.3 Orientierungsfähigkeit
2.4 Die Bedeutung der Koordination im Alltag
3 Kraft
3.1 Allgemeines
3.2 Die Aufgaben der Skelettmuskulatur
3.3 Positive Effekte des Krafttrainings
3.4 Zusammenfassung
4 Ausdauer
4.1 Allgemeines
4.2 Ausdauertrainingsbereiche
4.3 Ausdauertraining beim Reiten
4.4 Ausdauertraining und Gesundheitsprophylaxe
5 Beweglichkeit
5.1 Allgemeines
5.2 Trainingsmethoden zur Verbesserung der Beweglichkeit
6 Die Wirbelsäule
6.1 Aufgaben der Wirbelsäule
6.2 Einteilung der Wirbelsäule
6.3 Physiologische Haltung
6.4 Bandscheiben
7 Körperwahrnehmung
7.1 Allgemeines
7.2 Steigerung der Körperwahrnehmung
8 Zusammenfassung
V. Zusammenfassung und Ausblick
1 Zusammenfassung
2 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Abgrenzung der Methoden
Abb. 2 Darstellung des Coachingprozesses nach RADATZ
Abb. 3 Coachingprozess nach HABERLEITNER, DEISTLER und UNGVARI
Abb. 4 Freiwillig folgen durch Vertrauen
Abb. 5 Training im Round Pen
Abb. 6 Die 7 Stufen kommunikativen Drucks
Abb. 7 Körpersprache
Abb. 8 Schematische Darstellung der drei Bereiche des Therapeutischen Reitens
Abb. 9 Teilbereiche der Koordination nach MEINEL und SCHNABEL
Abb. 10 Gleichgewichtsübungen nach STEINER
Abb. 11 Bewegungsablauf beim Leichtreiten
Abb. 12 Physiologische Haltung des Reiters
Abb. 13 Vergleich Körperhaltungen
Abb. 14 Passive Bewegung der Wirbelsäule beim Reiten
Abb. 15 Auswertung Fragebogen Teil 1
Abb. 16 Auswertung Fragebogen Teil 2
Abb. 17 Auswertung Fragebogen
Tabellenverzeichnis
Tab. 1 Überblick tiergestützter Interventionsformen
Tab. 2 Ausdauertrainingsbereiche
Tab. 3 Durchschnittswerte für Herzfrequenz bei Reiter
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einführender Hinweis
Zur leichteren Lesbarkeit wurde in der vorliegenden Diplomarbeit explizit auf die Nennung beider Geschlechter, wenn eine geschlechtsneutrale Formulierung nicht möglich war, verzichtet. Die verwendeten männlichen Begriffe beziehen die weiblichen Formen mit ein.
Abstract
Seit seiner Domestizierung spielt das Pferd in verschiedenen Bereichen eine bedeutende Rolle für den Menschen.
Mit seinen Eigenschaften als starkes und williges Last- bzw. Arbeitstier wurde es in der Landwirtschaft und beim Militär eingesetzt. Es diente als Fortbewegungsmittel und nicht zuletzt als Fleisch- und Lederlieferant. Drängte die Technisierung der Arbeitswelt und neue Erfindungen wie das Automobil und andere motorisierte Maschinen das Pferd als Arbeitstier in den Hintergrund, so gewann es als Sport- und Freizeitpartner in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung.
Darüber hinaus werden dem Pferd, aufgrund seiner speziellen Eigenschaften, besondere Fähigkeiten als begleitender positiver Faktor in psychosozialen und therapeutischen Interventionsformen zugesprochen.
Diese Interventionsformen werden in der vorliegenden Arbeit näher behandelt und die Wirkung in den einzelnen Anwendungsgebieten beschrieben.
Eingesetzt wird das Pferd in Seminaren zur Kompetenzerweiterung und Persönlichkeitsentwicklung z. B. für Führungskräfte, in Therapieformen wie dem Heilpädagogischen Reiten und Voltigieren, dem Behindertenreiten und der Hippotherapie.
Eigenschaften wie das unmittelbare und klare Reagieren auf das menschliche Handeln (oder Unterlassen), die ausgeprägte Beobachtungsgabe, der Herdentrieb und das Leben in Hierarchien machen Pferde geeignet, den Teilnehmern von Seminaren deren Handlungsweisen zu spiegeln. Das Feedback der Pferde hilft dem Menschen z. B. sein Führungsverhalten zu optimieren, klarer zu kommunizieren, auf die eigene Körpersprache zu achten bzw. die der Mitmenschen besser zu beobachten.
Therapieformen wie das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren und das Behindertenreiten unterstützen, je nach Ausprägung der Anforderung und der körperlichen und psychischen Voraussetzungen der Teilnehmer, die Entwicklung in verschiedenen Bereichen.
Auf der körperlichen Ebene werden Koordination, Körperbewusstsein und Motorik entwickelt, auf der seelischen Ebene Verantwortungsbewusstsein, soziale Kompetenzen, klare Kommunikation sowie Erleben und Verhalten – auch in der Gruppe. Zielgruppe dieser Formen der Reittherapie sind vorwiegend aber nicht ausschließlich Kinder und Jugendliche.
Die Hippotherapie richtet sich sowohl an Kinder und Jugendliche als auch an Erwachsene. Zum Einsatz kommt die Therapieform, die im Bereich der Physiotherapie angesiedelt ist und nur nach ärztlicher Verordnung von Physiotherapeuten mit spezieller Zusatzausbildung angewendet werden darf, in der Rehabilitation oder zur Behandlung von körperlich behinderten Menschen.
Der Reiter auf einem gehenden Pferd erlebt den Bewegungsablauf seines oberen Bewegungsapparates in einer dem menschlichen Gang sehr ähnlichen Weise.
So können auch schwer behinderte oder bewegungseingeschränkte Menschen diese Bewegungen erleben, erspüren und trainieren.
Im Gegensatz dazu ist der Behindertenreitsport keine Therapieform, sondern ermöglicht körperlich und geistig eingeschränkten Menschen unter bestimmten Voraussetzungen die Ausübung des Reitsports.
Um die Eignung des Pferdes in den beschriebenen Anwendungsgebieten besser verstehen zu können, beschäftigt sich der Inhalt des II. Kapitel der Arbeit mit dem geschichtlichen Hintergrund und der Beschreibung der natürlichen Eigenschaften der Pferde.
Zum besseren Verständnis der pferdegestützten Interventionsformen leisten die Kapitel über Coaching und Kompetenzerweiterung einen Beitrag.
Das IV. Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen des Reitens auf die Gesundheit und die Fitness von Freizeit- und Sportreitern.
Einerseits wirkt sich das Reiten in bestimmten Bereichen sehr positiv auf den Körper des Menschen aus, umgekehrt kann man durch gezieltes präventives Training eine Verbesserung des reiterlichen Könnens erwirken.
Reiten fördert die Koordination, die Körperwahrnehmung und kann sich auch auf die Konzentrations- und Entspannungsfähigkeit des Reiters positiv auswirken.
Präventives Koordinationstraining mit Gleichgewichtsübungen erleichtert das Erlernen des Reitens. Vorbeugendes Krafttraining stärkt die Muskulatur und schützt damit Bänder, Sehnen Gelenke und Knochen - und ist damit ein wichtiger Faktor der Verletzungsprophylaxe.
Die Arbeit gibt dem Leser einen Überblick über die Ausprägungen der Pferd-Mensch-Beziehung und die psychosozialen Faktoren, die positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen ermöglichen.
I Einleitung
Das Leben der Menschen in der westlichen Welt ist geprägt durch Reizüberflutung, eine rasch voranschreitende Technisierung, steigende Anforderungen im Berufs- und Privatleben, Globalisierung und wirtschaftliche Unsicherheit.
Stresserkrankungen, die sich z. B. in Form von funktionellen Symptomen aber auch ernsthaften Organerkrankungen manifestieren, nehmen zu. Unter Stress zu leiden scheint in manchen Berufs- oder Gesellschaftsgruppen ein Kriterium zur Erfolgsmessung zu sein.
KALUZA findet diesen Umstand „erfreulich“ (Kaluza 2004, S. 12) und meint damit, dass der häufige Gebrauch des Begriffs und die verbale Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Konsequenzen eines Fehlverhaltens zumindest ein neues Bewusstsein betreffend Gesundheit und Krankheit schafft.
(vgl. Kaluza 2004, S. 12)
Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in einem boomenden Markt für Stressmanagement, Persönlichkeitsentwicklung, Zeitmanagement oder Führungskräftetrainings wider.
Viele Menschen streben danach Ihre Kompetenzen zu erweitern und sich hinsichtlich instrumentellem, kognitivem und palliativ-regenerativem Stressmanagement weiterzuentwickeln. Sie möchten gesundheitsschädigende Folgen bzw. Ursachen von beruflichen oder privaten Herausforderungen positiv beeinflussen, ihre Lebensqualität verbessern oder einem Sport nachgehen, der sie nicht nur körperlich sondern auch mental fordert.
Zunehmend gibt es „Anbieter“ wie Coaches, Trainer, Pädagogen oder Therapeuten, die zur Unterstützung Ihrer Interventionstechniken Pferde einbeziehen.
Gegen Ende der 1950iger Jahre hat man begonnen, Pferde als Medium in der Therapie für motorisch eingeschränkte Menschen einzusetzen.
(vgl. Vernooij/ Schneider 2008, S.198)
Dabei wird zwischen den folgenden Methoden und Anwendungsbereichen unterschieden:
Abb. 1 Abgrenzung der Methoden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die in der Abb. 1 dargestellten Methoden werden im Folgenden vorgestellt. Weiters wird auf die sportphysiologischen Wechselwirkungen des Reitens auf den Menschen näher eingegangen.
Ein kurzer Überblick über die Geschichte und die Natur der Gattung Pferde soll zum besseren Verständnis des positiven Einflusses des Interventionszieles dienen.
Bei der Untersuchung der Methoden und ihrer Wirkung auf den Menschen ist auch zu hinterfragen, welche Eigenschaften das Pferd geeignet macht, Problemlöseprozesse für den Klienten zu unterstützen.
1 Ziel der Arbeit und Fragestellung
Beschreibungen und Vergleiche der verschiedenen pferdegestützten Methoden sollen einen Aufschluss über die Wirkung des Einsatzes von Pferden als Therapie- oder Reitpartner geben.
Ebenso wird untersucht, ob und wenn ja in welcher Form der Mensch von pferdegestützten Interventionsmethoden in Hinblick auf Persönlichkeits-entwicklung und Kompetenzerweiterung profitieren kann.
Wenn man sich aufmerksam mit dem Thema Pferd-Mensch-Beziehung beschäftigt wird schnell klar, dass es sich um eine besondere Beziehung handeln muss.
Welche Eigenschaften sind es, die Menschen so an Pferden fasziniert und die scheinbar auch eine heilende Wirkung auf den Menschen haben?
Welche Methoden gibt es, die Pferde als Mittel, Medium oder Partner einzusetzen und welche Voraussetzungen von Therapeut / Coach und Pferd müssen gegeben sein, damit die Maßnahme erfolgreich umgesetzt werden kann?
Gibt es sportphysiologische Wechselwirkungen beim Ausüben des Reitsportes? Profitiert der Reiter von körperlicher Fitness und fördert umgekehrt das Reiten sportliche Leistungsfähigkeiten wie Ausdauer, Kraft und Koordination?
II Mensch & Pferd
1 Das Pferd
Die folgenden Kapitel geben einen Überblick über das Pferd und dessen Bedeutung in der Geschichte, sowie über die natürlichen Verhaltensweisen.
1.1 Das Pferd - geschichtlich und mythologisch betrachtet
Um zu verstehen, warum Pferde besonders geeignet scheinen, den Menschen in verschiedenen psychosozialen Interventionsformen und in bereits anerkannten Therapiemethoden zu unterstützen, muss man vorher die Geschichte des Zusammenlebens von Mensch und Pferd kurz beleuchten.
Die Entwicklung vom Urpferd zum heutigen Hauspferd ist charakterisiert durch die evolutionäre Entwicklung vom kleinen, mehrzehigen, blätterfressenden Wald-bewohner zum langbeinigen, einzehigen Grasfresser.
Die Gattung Equus, dem das heutige Wildpferd und auch das Hauspferd angehören, entwickelte sich vor ca. 2 Millionen Jahren. Unser heutiges Hauspferd wurde um ca. 5.000 - 3.000 v.Ch. domestiziert, wobei aufgrund von DNA-Analysen davon ausgegangen wird, dass dies an mehreren Orten unabhängig voneinander geschah. Dafür spricht auch die Breite an genetischen Variationen.
(vgl. www.Wikipedia.de)
Die Domestizierung des Pferdes brachte dem Menschen eine Reihe von Vorteilen. Es wurde als Arbeitshilfe und als Zugpferd eingesetzt, machte eine schnellere Fortbewegung über weite Strecken möglich und es war nicht zuletzt ein wichtiger Fleisch- und Lederlieferant.
Die besondere Beziehung zwischen Mensch und Pferd ergab sich bereits bei den ersten Versuchen die Wildpferde zu zähmen. Die Erfahrung zeigte, dass nicht rohe Unterwerfungsversuche, sondern das langsame Aneinandergewöhnen und viel Einfühlungsvermögen die Dienstwilligkeit der Pferde positiv beeinflusste.
(vgl. Greil/ Osborne 1966, S. 22)
Auch in der griechischen Mythologie spiegelt sich die Bedeutung des Pferdes für den Menschen wider.
Der Zentaur – halb Mensch, halb Pferd – wird als unfreundliches Wesen beschrieben, mit Ausnahme der Zentauren Pholon und Cheiros.
Als heldenhaftes Wesen gilt der Pegasus (griech. Pegasos) – das geflügelte Pferd. Er wurde von den Musen geritten und diente den Dichtern als Inspiration.
(vgl. Pickeral 2004, S. 149)
Für die Kelten galten Pferde als heilige Wesen, da sie mit Lebenszyklus, Fruchtbarkeit und Glück in Verbindung gebracht wurden.
In der Vorstellung der indianischen Schamanen und der Maya stehen Pferde symbolisch für physische Kraft, überirdische Macht und allumfassende Liebe.
(vgl. Förster 2005, S. 60)
1.2 Verhalten des Pferdes
Die drei folgenden Kapitel erklären das Verhalten des Pferdes als Fluchttier, Herdentier und Lauftier.
1.2.1 Fluchttier
Pferde sind Fluchttiere, also Beute der fleischfressenden Raubtiere.
In der Natur erhöhen hoch entwickelte Sinnesorgane die Überlebenschance. Aus diesen Gründen ist das Pferd wachsam und reagiert wesentlich empfindlicher auf Reize aus seiner Umgebung als der Mensch. Seine einzige Überlebenschance ist bei Gefahr oft die Flucht.
Ein Merkmal von Raubtieren ist, die Augen vorne zu haben und die Beute mit beiden Augen anzublicken.
Das domestizierte Pferd hat selten die Gelegenheit einem wahren Raubtier zu begegnen, jedoch muss man beachten, dass Pferde bei direktem Blickkontakt den Menschen durchaus als Feind empfinden können. Bei der Kontaktaufnahme kann man dem Fluchtreflex des Pferdes entgegenwirken, wenn man ihm nicht direkt in die Augen sieht, sondern den Blick auf den Boden oder auf seine Beine richtet.
Verhaltensnormale Vertreter der Gattung werden nur in scheinbar ausweglosen Situationen, z.B. in der Box, am Anbindestrick oder in für Pferde empfundenen Engstellen mit Angriff wie Beißen oder Ausschlagen mit den Vorder- oder Hinterbeinen reagieren.
Nach Möglichkeit wird das Pferd aber instinktiv vor der Gefahrenquelle flüchten. Wenn der Fluchtmechanismus ausgelöst ist, ist es schwer, ein Pferd zurückzuhalten. Es hat im Laufe der Evolution gelernt zu flüchten, erst bei ausreichendem Abstand zur vermeintlichen Gefahr langsamer zu werden oder stehen zu bleiben. In solchen Situationen werden die physischen Kräfte und die Schnelligkeit augenscheinlich - der Mensch kann nur mehr bedingt einwirken.
Pferde sind jedoch sehr lernfreudig und können vom Menschen durch Training an häufig vorkommende „Gefahrensituationen“ gewöhnt werden.
Weil ein schlafendes Pferd leichte Beute wäre, fallen Pferde nur in Tiefschlaf, wenn die Sicherheit durch Wachposten der Herde gewährleistet ist, aber selbst dann nur für die Dauer von ca. 30 Minuten in 24 Stunden. Ein Pferd döst mehrmals am Tag 3-5 Minuten im Stehen, ist aber in diesem Zustand bei Gefahr augenblicklich fluchtbereit.
Das Wissen um diese grundlegenden Eigenschaften bringt dem Menschen Verständnis und erhöht die Sicherheit im Umgang mit den Tieren.
1.2.2 Lauftier
Umweltbedingt haben Pferde in der Geschichte - auch heute noch in der freien Wildbahn - zur Nahrungsaufnahme weite Strecken zurücklegen müssen. Sie gehen oft kilometerweit und nehmen permanent kleine Mengen an Gras auf.
Die artgerechte Haltung von Hauspferden sieht deshalb tägliche Bewegung vor, nicht nur unter dem Sattel, sondern ebenso regelmäßig auf weiten Koppeln. Mehrere über den Tag verteilte Futtergaben sind zur Aufrechterhaltung der Darmtätigkeit unbedingt notwendig.
1.2.3 Herdentier
Pferde schließen sich – in der freien Natur und auch im vom Menschen beeinflussten Lebensraum – immer in sozialen Verbänden zusammen. Die Hierarchie ist dabei streng geregelt. Jedes Pferd hat seinen Platz in der Rangordnung. Unruhe gibt es nur, wenn junge Pferde nachkommen und die Rangordnung in Frage stellen, oder wenn durch menschliche Willkür neue Pferde zur Herde stoßen. Die Neuregelung einer Rangordnung wird selten gewalttätig ausgetragen, meist genügen geringe Körperbewegungen wie zum Beispiel Ohren anlegen oder Drohbewegungen mit den Hinterbeinen. Nicht immer ist das größte Pferd das Leittier. Vielmehr zählen Attribute wie Mut und Präsenz. Auch anhand sehr menschlicher Eigenschaften kann ein Leittier beschrieben werden: Entschlossenheit, Selbstsicherheit, Überlegenheit.
Tiere in niedrigerer Position oder sogar auf der untersten Stufe fühlen sich durch den Herdenverbund in Sicherheit vor Gefahr.
In einer natürlichen Pferdeherde gibt es laut SCHWAIGER zwei Schlüsselpositionen.
Die Leitstute, so SCHWAIGER, „..weiß wo es langgeht und trägt die Verantwortung über Gedeih oder Verderb der Herde. Sie zeichnet sich aus durch Erfahrung, … durch Souveränität, Beständigkeit, Besonnenheit, (Selbst-) Sicherheit, Klarheit und Vertrauenswürdigkeit.“
(Schwaiger 2000, S. 25f)
Der Leithengst beschützt die Herde, die aus Stuten und Jungtieren besteht. Er ist kräftig, stark, zeichnet sich durch Mut und Durchsetzungswillen aus und zeigt deutliche Führungsqualitäten und Selbstsicherheit.
(vgl. Schwaiger 2000, S. 25f)
Das Pferd ordnet den Menschen ebenso entweder als ranghöher oder rangniedriger ein.
Dabei wird die hierarchische Einteilung genauso wenig wie beim Artgenossen über äußere Eigenschaften wie Körpergröße vorgenommen, sondern mit Hilfe der feinen Wahrnehmung der inneren Stärke, der mentalen Präsenz und der Kongruenz des Auftretens und der tatsächlichen Persönlichkeit.
2 Mensch & Pferd
Die Interaktion zwischen Pferd und Mensch unter Berücksichtigung des Wesens des Pferdes und die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Mensch und Pferd wird in den folgenden Abschnitten näher betrachtet.
2.1 Eine besondere Beziehung
Das Pferd hat seit der Technisierung und Motorisierung der Landwirtschaft, in der Fortbewegung, im Gütertransport und im Militär nach und nach die früher sehr hohe Bedeutung für den Menschen verloren.
In Relation zur langen Geschichte der Pferd-Mensch-Beziehung gibt es den sport- und freizeitmäßigen Umgang mit dem Pferd erst seit kurzer Zeit. Die Anziehungskraft und das Interesse an Pferden sind ungebrochen und schaffen ganz neue Formen der Annäherung.
(vgl. Truckenbrodt/ Fiegler 2004, S. 20f)
FÖRSTER zufolge sind Pferde lernfreudig, gutmütig und streben nach Harmonie. „Ihre beeindruckende Größe, Stärke und Intuition machen es erforderlich, dass Menschen Ihnen mit Respekt, Wachsamkeit und Empathie begegnen.“
(vgl. Förster 2005, S. 63)
2.2 Kommunikation
Die menschliche Kommunikation im engeren Sinn ist ein meist verbaler Vorgang zwischen zwei oder mehreren Personen, der dem Austausch von Informationen dient.
Betrachtet man Kommunikation im weiteren Sinne, so werden Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse nicht nur in Worten sondern auch in Symbolen oder Zeichen ausgedrückt. (vgl. Vernooij/ Schneider 2008, S. 16)
TRUCKENBRODT und FIEGLER meinen dazu: „Gedanken, Haltung, Gestik, Mimik, Atmung, Blickkontakt, Bewegungen im Raum, Distanz und Nähe: All diese Elemente zusammen machen den Gesamteindruck einer Person aus.“
( Truckenbrodt/ Fiegler 2004, S. 20)
VERNOOIJ und SCHNEIDER bezeichnen diese Signale als „sprachbegleitende Signale“.
Die nonverbale Kommunikation drückt sich aus durch:
- Körperbewegungen, wie Gesten, Körperhandlungen und -haltungen
- Paralinguale Phänomene, wie Tonfall, Betonung, Lautstärke, Schweigen, Sprechpausen oder Laute wie Lachen, Pfeifen, Gähnen
- Raumposition
- Geruchsausstrahlung oder
- Hautempfindlichkeit
(vgl. Vernooij/ Schneider 2008, S. 16)
2.2.1 Die fünf Axiome der menschlichen Kommunikation nach WATZLAWICK et. al.
Aus psychologischer Sicht haben WATZLAWICK et. al. die Eigenschaften der menschlichen Kommunikation in fünf Axiome zusammengefasst.
(vgl. Watzlawick et. al. 1969, S. 50ff)
Nach VERNOOIJ und SCHNEIDER sind drei dieser Axiome für die Mensch–Tier–Beziehung bedeutend.
(vgl. Vernooij/ Schneider 2008, S. 17)
2.2.1.1 1. Axiom - Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren
Nicht nur Worte oder Handlungen transportieren eine Botschaft, auch Schweigen oder das Unterlassen einer Handlung übermitteln dem Empfänger eine Information, auf welche willkürlich oder unwillkürlich eine Erwiderung erfolgt.
(vgl. Watzlawick et. al. 1969, S. 50f)
In der Mensch–Tier–Kommunikation, die keine Interaktion auf intellektueller Basis sein kann, ist der wechselseitige Informationsaustausch über das Verhalten und über die Körpersprache von zentraler Bedeutung.
(vgl. Vernooij/ Schneider 2008, S. 17)
2.2.1.2 2. Axiom – Inhalts- und Beziehungsaspekt
Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei der Letztere den Ersteren bestimmt.
„Der Inhaltsaspekt vermittelt die «Daten» (sic!), der Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten aufzufassen sind.“
(Watzlawick et. al. 1969, S. 55)
Erst durch den Beziehungsaspekt wird eine Sachinformation mit Emotionen, Wünschen, Zielen oder Absichten „gefärbt“.
Ein Austausch von Sachinhalten zwischen Mensch und Pferd ist nicht möglich, so beruht die Kommunikation hauptsächlich auf der Beziehungsebene. Einfache Formen der Sachinformationen können jedoch übermittelt werden.
2.2.1.3 3. Axiom – Die Interpunktion von Ereignisfolgen
Im Kommunikationsprozess folgt eine Reaktion auf eine Aktion. Im Verlauf dieses Prozesses lassen sich Ursache und Wirkung meist nicht mehr eindeutig chronologisch festlegen, was bei Unstimmigkeiten weiteres Konfliktpotential bergen kann.
(Watzlawick et. al. 1969, S. 57)
2.2.1.4 4. Axiom - Digitale und analoge Kommunikation
Bei der digitalen Kommunikation bedient man sich klar definierter, aber rein zufälliger oder willkürlicher Begriffe, die den Beteiligten „bekannt und bewusst sein müssen“ (Vernooij/ Schneider 2008, S. 18), aber keine Ähnlichkeit mit dem benannten Gegenstand oder mit der Sache haben.
Die analoge Kommunikation bedient sich hingegen Zeichen und Signale, die in ursächlicher Ähnlichkeit zueinander stehen und die auch von Kommunikationspartnern unterschiedlicher Kulturen gleichermaßen verstanden werden können.
Es werden die Unterschiede des verbalen Inhaltes (digital) einer Kommunikation und der begleitenden analogen Zeichen wie Stirnrunzeln, Lächeln, etc. die die Botschaft unterstreichen sollen, verdeutlicht.
(vgl. Watzlawick et. al. 1969, S. 62ff)
VERNOOIJ und SCHNEIDER fassen zusammen, dass digitale Kommunikation nur funktioniert, wenn die Beteiligten die gleiche Sprache sprechen oder die gemeinsam verwendeten Symbole oder Zeichen kennen. Die analoge Kommunikation ist dagegen jederzeit zwischen allen Lebewesen möglich.
Tieren steht nur die analoge Kommunikation zur Verfügung, so findet Informationsaustausch ihren Ausdruck über das Verhalten, die Körpersprache sowie durch nonverbale Signale.
(vgl. Vernooij/ Schneider 2008, S. 19)
Im Jahr 1904 erregte ein Pferd namens Hans wissenschaftliches Aufsehen. Sein Besitzer, Wilhelm von Osten, ein pensionierter Mathematikprofessor, behauptete und führte dies auch mehrmals einer Expertenkommission vor, dass das Pferd einfache mathematische Aufgaben lösen, buchstabieren und Gegenstände oder Personen zählen konnte. „Der Kluge Hans“, wie er bald genannt wurde, zeigte die Lösungen der Aufgaben mit Klopfen des Hufes oder Kopfschütteln.
Der Student Oskar Pfungst fand nach zahlreichen Untersuchungen heraus, dass der kluge Hans die Aufgaben nicht intellektuell lösen konnte. Eine für Menschen kaum wahrnehmbare Veränderung in der Körperhaltung der Anwesenden zeigte dem Pferd, wann das Schlusszeichen zu benutzen war.
Es wurde zwar nicht bewiesen, dass Pferde rechnen, lesen und schreiben lernen können, jedoch dass Menschen durch Mimik und Gestik permanent – häufig auch unbewusst - Signale aussenden und dass Pferde auf diese Signale reagieren.
(vgl. Watzlawick 1978, S. 41f)
2.2.1.5 5. Axiom - Symmetrische oder komplementäre Kommunikationsprozesse
Kommunikationsprozesse sind entweder symmetrisch oder komplementär strukturiert. (vgl. Watzlawick et. al. 1969, S. 68f)
Symmetrische Beziehungen gründen auf Gleichheit - die Partner sind im Verhalten gleichgestellt.
In komplementären Beziehungen ergänzen sich die Partner durch unterschiedliche Eigenschaften. Eine Wertung der Positionen in gut oder schlecht erfolgt dabei nicht. Die Unterschiedlichkeiten ergeben sich in gesellschaftlichen oder kulturellen Zusammenhängen wie z. B. Unternehmer – Mitarbeiter, Eltern – Kind oder Arzt – Patient.
3 Zusammenfassung
Pferde haben geschichtlich betrachtet immer schon eine bedeutende Rolle für den Menschen gespielt. Sie waren in der Landwirtschaft, im Militär und als Fortbewegungsmittel sehr wertvolle Arbeits- und Nutztiere. Durch die fortschreitende Technisierung ist die Bedeutung in diesem Zusammenhang zurückgegangen. Das Pferd entwickelte sich jedoch durch seine besonderen Eigenschaften zu einem wertvollen Partner. Abgesehen von der beliebten Sport- und Freizeitreiterei sind auch neue Einsatzmöglichkeiten als Medium in Therapieformen, wie Heilpädagogisches Reiten / Voltigieren, Hippotherapie aber auch neuere Interventionstechniken zur Entwicklung der Persönlichkeit oder von Führungsqualitäten entstanden.
Für Pferde ist die Körpersprache das wichtigste Kommunikationsmittel das zur Verfügung steht um mit Artgenossen und auch mit dem Menschen zu kommunizieren. Dabei sind sie durch die hohe Entwicklung ihrer Sinnesorgane um ein vielfaches aufmerksamer als der Mensch. Sie nehmen Körpergeruch besser wahr, erkennen an der Stimmlage des Menschen dessen Stimmung und lesen an seiner Körpersprache den Befindlichkeitszustand. Pferde spüren, ob der Mensch Angst, Aggression oder Ablehnung verspürt oder ob er wohlwollend, entspannt und offen auf das Pferd zugeht. Diese Signale sendet der Mensch unbewusst und meist auch ungewollt aus.
All diese Eigenschaften, seine Anmut und Stärke, das menschenfreundliche und menscheninteressierte Wesen des Pferdes ziehen den Menschen in seinen Bann und machen es als Partner und Feedbackgeber geeignet.
III Psychosoziale und therapeutische Interventionsformen mit dem Medium und Partner Pferd
1 Allgemeines
Die Begriffe Therapie und Coaching werden in den folgenden Kapiteln erklärt und ein Coachingprozess wird beschrieben.
1.1 Begriffserklärung Therapie
Das Wort „Therapie“ stammt vom griechischen Wort „therapeía“ – das bedeutet „dienen“, „heilen“, „pflegen“.
(vgl. www.wikipedia.org )
Deutsche Begriffe für „Therapie“ sind „Heilbehandlung“, „Krankenbehandlung“. (vgl. langenscheidt.de)
ZIMBARDO erklärt wie folgt: „Therapie hat mit Hilfeleistung im Rahmen einer Beziehung zu tun. Jemand, der ein psychisches oder körperliches Gesundheitsproblem hat, erhält Hilfe von einer Person, die von der Gesellschaft dazu ausersehen ist, bei dieser Art von Problem helfend einzugreifen.“
(Zimbardo 1988, S. 657).
Weiters führt ZIMBARDO aus, dass es sich bei allen Arten von Therapien um „Interventionen“ handelt, „...die auf das Leben eines Menschen gerichtet sind und die entworfen wurden, um Veränderung herbeizuführen“. (Zimbardo 1988, S. 657)
Unter „Therapie“ ist also eine Behandlung zu verstehen, zu deren Durchführung der Therapeut durch eine entsprechende Ausbildung befähigt ist und die dem Klienten eine Veränderung und / oder Entwicklung im Zusammenhang mit dem Ausgangsproblem verschaffen soll.
[...]
- Quote paper
- Andrea Berghammer (Author), 2011, Die Pferd-Mensch-Beziehung, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/179230