Mit der Figur Michael Kohlhaas erzählt uns Heinrich von Kleist in seiner Novelle eine Geschichte von der Rechtschaffenheit eines Rosshändlers, dessen Rechtsgefühl einer Goldwaage gleicht und an der gezeigt werden kann, wie man aus Rache zum Mörder wird, wenn man um sein Recht konsequent bis zum Äußersten kämpft. Abgesehen von Recht, Gerechtigkeit und Genugtuung sind weitere Motive in die Geschichte eingeflochten, wie beispielsweise die Rolle von Zufall und Magie oder die Stellung von Kirche und Staat. Ein in der Vergangenheit weniger beachtetes und erst in Interpretationen neueren Datums behandeltes Motiv ist das der Macht.
Das Machtmotiv fügt sich bei Kohlhaas auf vielfältige Weise ein, denn Macht tritt dort in Form von Gewalt und Legitimation, durch Ansehen, Lob und Entlohnung und auch durch List oder Fehlinformation in Erscheinung. Auch symbolisch ist das Motiv der Macht in Gegenständen wie dem Amulett, der Korallenkette oder dem Siegelring vertreten. Der beste Beleg für das Machtmotiv ist aber die Handlung selbst: Das Geschehen steht im Zeichen eines grundsätzlichen Spannungsverhältnisses zwischen Herrschaft und Knechtschaft. Die Ausgangssituation ist geprägt von der Machtüberlegenheit der Obrigkeit und ihrer Autoritäten. Erst der bewaffnete Widerstand Kohlhaas’ gegen ihre Willkür bringt ihn aus seiner anfänglichen Ohnmacht in eine aussichtsreichere Position. Die Dynamik der weiteren Handlung führt mehrfach zu Machtverschiebungen, bis am Ende der scheinbar machtlose Kohlhaas über den mächtigen Kurfürsten triumphiert. Wie die Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen dem Rosshändler Kohlhaas und seinen Kontrahenten im Verlauf der Handlung erfolgt, soll das zentrale Thema dieser Arbeit sein.
Es stellt sich zunächst die Frage, wie es zu dieser „Ohnmacht des Mächtigen“ kommt, das heißt an welchen Handlungssequenzen man eine Machtumkehr festmachen kann. Weiterhin ist von Interesse, welche Gründe für die Machtverschiebungen ursächlich verantwortlich sind und welche Mittel dazu eingesetzt werden. Schließlich ist zu prüfen, ob den Handelnden potenzielle Alternativen zur Verfügung stehen, die zu einem anderen Handlungsverlauf und damit auch zu anderen Machtverteilungen hätten führen können. Ausgehend von den Schlüsselstellen der Handlung mit markanten Machtverschiebungen, werden die Ursachen und Auswirkungen der Veränderung von Macht analysiert.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Begriffsklärung und Grundlagen
- 2.1 Begriffsgeschichte und Machttheorien
- 2.2 Modell zur Analyse von Machtstrukturen
- 3 Wendepunkte der Veränderung von Macht
- 3.1 Ausgangssituation und Ablehnung der Klage
- 3.2 Lisbeths Tod und Selbsthilfe durch Gewalt
- 3.3 Luthers Brief
- 3.4 Machtverschiebungen durch die Abdeckerszene
- 3.5 Eingriff der Zigeunerin
- 4 Zusammenfassung
- 5 Literaturverzeichnis
- 5.1 Primärliteratur
- 5.2 Sekundärliteratur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Machtstrukturen in Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“. Dabei geht es um die Frage, wie die Machtverhältnisse zwischen dem Rosshändler Kohlhaas und seinen Kontrahenten im Verlauf der Handlung sich verändern. Die Arbeit untersucht die Ursachen und Auswirkungen der Machtverschiebungen und fragt, ob den Handelnden potenzielle Alternativen zur Verfügung standen, die zu einem anderen Handlungsverlauf und damit auch zu anderen Machtverteilungen hätten führen können.
- Entwicklung von Machtstrukturen in „Michael Kohlhaas“
- Analyse der Machtverschiebungen und ihrer Ursachen
- Prüfung möglicher Alternativen und deren Auswirkungen auf die Machtverhältnisse
- Anwendung eines Modells zur Analyse von Machtstrukturen
- Bedeutung von Gewalt, Legitimation und Manipulation im Machtkonflikt
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Macht in Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ ein. Es wird die Ausgangssituation beschrieben und die zentrale Fragestellung der Arbeit formuliert. Das zweite Kapitel erläutert den Begriff der Macht und stellt die relevanten Machttheorien der Moderne vor. Auf dieser Grundlage wird ein Analysemodell entwickelt, das im Hauptteil der Arbeit angewendet werden soll. Im dritten Kapitel wird das Analysemodell anhand von fünf Handlungssequenzen aus Kleists Novelle erprobt. Dabei werden die Ausgangssituation, der Tod von Lisbeth, Luthers Eingriff, die Abdeckerszene und der Eingriff des Kurfürsten von Brandenburg sowie der Zigeunerin im Detail untersucht.
Schlüsselwörter
Macht, Machtstrukturen, Machtverschiebungen, Legitimation, Gewalt, Manipulation, Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas, Novelle, Machttheorien, Max Weber, Hannah Arendt, Niklas Luhmann, Michel Foucault, John R. French, Bertram H. Raven.
- Quote paper
- Oto Morár (Author), 2010, Analyse der Machtstrukturen von "Michael Kohlhaas", Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/178725