Auf das Erschütternde der Dichtungen Heinrich von Kleists ist mehrfach hingewiesen worden. Am vielleicht greifbarsten begegnet uns das Erschütternde in diesem Werk in Form zunächst unerklärlicher Gewaltausbrüche und deren nicht weniger drastischen Dar-stellung. So auch in Die Verlobung in St. Domingo , die den zweiten Band seiner „Erzäh-lungen“ eröffnet: Am Ende wird Gustav, der „edelste und vortrefflichste Mensch“ (177), zum „unbegreiflich gräßlichen Mörder“ (192), indem er seine Verlobte Toni erschießt, die Sterbende mit dem Fuß von sich stößt und sie eine Hure nennt (vgl. 192), woraufhin seine fassungslosen Verwandten und mit ihnen der Leser ausrufen: „Du ungeheurer Mensch!“ (192)
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diesen irritierenden Ausbruch der Gewalt zu verste-hen: Was lässt den Protagonisten zum ungeheuren Menschen werden, der den Menschen tötet, den er liebt?
Meine Arbeit wird im Wesentlichen der Chronologie der Erzählung folgen. Im ersten Kapitel werde ich mich der Erzählung ganz unbedarft mit der Frage eines naiven Lesers nähern: Wieso St. Domingo? Mit welcher Absicht könnte Kleist für seine tragisch schei-ternde Liebesgeschichte dieses ‚Setting‘ gewählt haben? Es wird sich zeigen, dass Kleist die historischen Kämpfe zu einem Rassenkonflikt zuspitzt, in dem sich eine neue Ordnung herausbildet mit zwei klar getrennten feindlichen Parteien, den Schwarzen und den Wei-ßen. In den folgenden Kapiteln werde ich zeigen, wie zwei Frauen gemischter Hautfarbe – Babekan und ihre Tochter Toni, die auf Seiten der Schwarzen stehen – den weißen Gustav in eine Erkenntnis- und Vertrauenskrise stürzen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Die Exposition
- 1.1 Nähe zum Geschehen
- 1.2 Die Rache der Schwarzen
- 1.3 Neuordnung
- 1.4 Zwei Mischlinge
- 2. Vertrauen
- 2.1 Spiel der Verstellungen
- 2.2 Fehler in der Inszenierung
- 3. Liebe
- 3.1 Zwei exemplarische Legenden
- 3.2 Kapuzinerpredigt
- 3.3 Die Liebesnacht
- 3.4 Der Morgen danach – Ein doppeltes Spiel
- 3.5 Fest umschlungen
- 4. Verrat
- 5. Die Moral von der Geschicht'
- 6. Ohne Worte
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den irritierenden Gewaltausbruch im Werk „Die Verlobung in St. Domingo“ von Heinrich von Kleist. Sie analysiert, warum der Protagonist Gustav zum Mörder seiner Geliebten Toni wird und untersucht die Hintergründe dieser tragischen Handlung.
- Die Bedeutung des historischen Hintergrunds der Haitianischen Revolution für die Handlung
- Die Rolle der Figuren Babekan und Toni, die Gustav in eine existenzielle Krise stürzen
- Gustavs Suche nach Sicherheit und Rettung in der Liebe zu Toni
- Die tragische Konsequenz von Missverständnissen und mangelnder Kommunikation
- Die Frage, ob und wie die Tragödie hätte verhindert werden können
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die zentrale Frage nach den Ursachen für Gustavs Gewalttat. Kapitel 1 analysiert die Wahl des Settings „St. Domingo“ und die Bedeutung des historischen Kontextes. Kapitel 2 beleuchtet das Thema Vertrauen und die komplexen Beziehungen zwischen den Figuren. Kapitel 3 untersucht die Rolle der Liebe in der Handlung, insbesondere Gustavs idealisierte Vorstellung von absoluter Liebe und die tragischen Folgen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Thema Verrat und den Missverständnissen, die zur Eskalation führen. Kapitel 5 diskutiert die Moral der Geschichte und die Konsequenzen von Gustavs Handlungen. Kapitel 6 beleuchtet die sprachliche Gestaltung der Erzählung und die Bedeutung von Schweigen.
Schlüsselwörter
Die Verlobung in St. Domingo, Heinrich von Kleist, Haitianische Revolution, Rassenkonflikt, Liebe, Vertrauen, Verrat, Kommunikation, Tragödie, Gewalt, Moral, Sprache.
- Quote paper
- R. Fehl (Author), 2010, Heinrich von Kleists "Die Verlobung in St. Domingo", Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/168731