Im Gegensatz zum robenrichterlichen Professionszynismus als besonderer Variante berufsbeamtischer ´déformation proféssionelle´, demzufolge Recht und Rechtsprechung so gar nichts mit Gerechtigkeit zu tun haben sollen, steht ein im Zusammenhang mit der Gnadengesuchsproblematik ergangener Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur Frage gerichtlicher Nachprüfung von Ermessensentscheidungen (wie Gnadenakten). Unter dem Aktenzeichen 2 BvR 552/63 betonten diese ´Verfassungswächter´ am 23.4.1969[1] nämlich, dass das deutsche Grundgesetz "Mindestanforderungen der Gerechtigkeit" absichere und dass alle Exekutivmaßnahmen grundsätzlich auf ihre Übereinstimmung mit rechtsstaatlichen (Mindest-) Anforderungen, der sog. Rechtstaatskonformität, überprüft werden können müssen; auch wenn sie nicht so konsequent wie etwa Egon Schneider waren, dem ´die Gerechtigkeitsfrage´ als "das Kernproblem aller Rechtswissenschaft, die diesen Namen verdient", gilt[2]. Am grundlegenden Hinweis auf Gerechtigkeit als Grundlage von Recht und Gesetz schloss auch der in die deutsche Justizgeschichte eingegangene spätere ´Soraya´-Beschluss des Bundesverfassungsgericht (1 BvR 112/65 vom 14.2.1973) an, in dem, weil jede/r Richter/in immer auch Rechtslücken zu schließen und insofern ´schöpferische Rechtsfindung´ zu betreiben habe, betont wird: Richterliches Handeln bestehe nicht nur "im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers", sondern enthalte, weil das Rechtssystem offen sei und gesellschaftlichem Wandel unterliege, immer auch werthaftes Erkennen von Richtern als Rechtsfortbildungselement.
Inhaltsverzeichnis
- Mindestanforderung an Gerechtigkeit, rational-richterliche Argumentation
- Meinungsäußerungsfreiheit des Bürgers, Zurückhaltungspflicht des Staates
- Bürgerkritik der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts seit 1969, die sich auf Bürgerrechte und staatliche Pflichten beziehen. Sie zeigt, wie das Gericht die Prinzipien des Rechtsstaates, insbesondere die Meinungsfreiheit und die Freiheit von staatlicher Willkür, in Bezug auf konkretes Handeln von Bürgern und Staatsorganen ausgelegt hat.
- Mindestanforderungen an Gerechtigkeit und rationale Argumentation im Rechtssystem
- Grenzen der staatlichen Meinungsäußerungsfreiheit und die Schutzwürdigkeit von Bürgerkritik
- Das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Schmähkritik in Bezug auf politische Debatten
- Die Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Kritik an der öffentlichen Gewalt und die Freiheit von staatlicher Repression
- Die Entwicklung des Rechtsstaates und die Rolle des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland
Zusammenfassung der Kapitel
Mindestanforderung an Gerechtigkeit, rational-richterliche Argumentation
Das Kapitel beleuchtet die Bedeutung des Prinzips der Gerechtigkeit im deutschen Rechtssystem und analysiert, wie das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit rationaler Argumentation in gerichtlichen Entscheidungen betont. Es werden relevante Gerichtsentscheidungen aus den 1960er und 1970er Jahren, wie der "Soraya"-Beschluss, vorgestellt und die Notwendigkeit von Rechtsfortbildung durch Richterliches Handeln unterstrichen.
Meinungsäußerungsfreiheit des Bürgers, Zurückhaltungspflicht des Staates
Dieses Kapitel befasst sich mit der Auslegung des Grundrechts der Meinungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht. Der Fokus liegt auf der Schutzwürdigkeit wertende Äußerungen, auch wenn diese keinen nachprüfbaren Gründen entspringen. Der Kapitel beleuchtet die Unterscheidung zwischen Meinungsfreiheit und Schmähkritik und zeigt, wie das Gericht den Grundsatz "in dubio pro civile" in relevanten Entscheidungen anwendet.
Bürgerkritik der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen
Das Kapitel untersucht, wie das Bundesverfassungsgericht die Meinungsfreiheit im Kontext der öffentlichen Kritik an staatlichen Organen auslegt. Es werden Gerichtsentscheidungen zum Schutz von Bürgerkritik vor staatlichen Sanktionen, insbesondere in Bezug auf Politiker und Amtsträger, analysiert.
Schlüsselwörter
Bürgerrechte, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit, Schmähkritik, Bundesverfassungsgericht, Staatsverbrechen, staatliche Sanktionen, Rechtsbeugung, Willkürstaat, politische Debatte, öffentlicher Meinungskampf
- Quote paper
- Dr. Richard Albrecht (Author), 2003, Bürgerrechte und Staatspflichten in Deutschland: Entscheide des Deutschen Bundes(verfassungs)gerichts seit 1969 und ihre Konsequenzen, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/16513