In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie durch Supply Chain Management (SCM) ein Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes erbracht werden kann. Dies erfolgt auf der Basis des Prozess-Referenzmodells (SCOR) und führt zu wertorientierten Kennzahlen und Handlungsempfehlungen für logistische Entscheidungen.
Im Anschluss an eine Definition und Abgrenzung der für diese Arbeit wesentlichen Begriffe werden das SCOR-Modell und der Economic Value Added (EVA) dargestellt. Darauf aufbauend wird der Einfluss des SCM auf den Unternehmenswert untersucht. Es werden systematisch logistische Werttreiber identifiziert und in einen Werttreiberbaum integriert. Dabei werden auch neue, innovative Instrumente des SCM thematisiert, wie etwa die Supply Chain Finanzierung. Schließlich werden anhand von zwei Praxisbeispielen wertorientierte Logistik-Kennzahlen exemplarisch dargestellt.
Für den Logistik-Manager wird es immer wichtiger, die Einflussmöglichkeiten (Hebel) auf den Unternehmenswert zu kennen und den strategischen Wertbeitrag des SCM für das Gesamtunternehmen deutlich machen zu können. Ein besonderer Fokus dieser Arbeit ist daher die anschauliche Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten des SCM. Auf dieser Grundlage können die relevanten SCM-Kennzahlen ausgewählt und in das SCOR-Modell integriert werden, um die Supply Chain branchen-, lieferketten- und unternehmensinidividuell auszuprägen.
Als bedeutsame Erkenntnis kann herausgestellt werden, dass alle Werthebel durch SCM beeinflusst werden können. Auf der obersten Ebene sind dies: Umsatzerlöse, operativer Aufwand, betriebsnotwendiges Vermögen und unternehmensspezifischer Kapitalkostensatz. Erfolgreiches SCM verbessert die logistische Leistungsfähigkeit und leistet damit einen Beitrag zur Differenzierung am Markt, verbessert Kostenstrukturen, reduziert das Anlage- und Umlaufvermögen und begrenzt erfolgreich logistische Risiken. Wie dies konkret erfolgten kann, ist Gegenstand dieser Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichniks
1 Zielsetzungen und Aufbau der Arbeit
2 Definitionen und begriffliche Abgrenzungen
2.1 Definition von Logistik
2.2 Definition von Supply Chain und Supply Chain Management
2.3 Abgrenzung der Logistik vom SCM
2.4 Die Supply Chain Sicht auf das Unternehmen
3 Das Supply Chain Operation Reference Modell
3.1 Grundidee, Ziele und Inhalt des SCOR-Modells
3.2 Das Supply-Chain Council
3.3 Struktur und Prozesse des SCOR-Modells
4 Wertorientierte Unternehmensführung
4.1 Motivation: Bedeutung der Wertorientierung in der Logistik-Praxis
4.2 Grundlagen der wertorientierten Unternehmensführung
4.2.1 Verfahren der Unternehmensbewertung
4.2.2 Discounted Cash Flow
4.2.3 Weighted Average Cost of Capital
4.3 Verfahren der wertorientierten Unternehmensführung
4.3.1 Das Konzept des Economic Value Added
4.3.2 Werttreiber und Werttreiberhierarchien mit Bezug zum EVA
5 Einfluss des SCM auf den EVA
5.1 Einfluss des SCM auf die Umsatzerlöse
5.2 Einfluss des SCM auf den operativen Aufwand
5.3 Einfluss des SCM auf das gebundene Kapital
5.3.1 Einfluss des SCM auf das Anlagevermögen
5.3.2 Einfluss des SCM auf das Umlaufvermögen
5.4 Einfluss des SCM auf den Kapitalkostensatz
5.5 Ein neues Finanzierungsinstrument des SCM - Supply Chain Finanzierung
5.6 Herausforderungen für die wertorientierte Gestaltung von Supply Chains
6 Wertorientierte Kennzahlen für das SCOR-Modell
6.1 Fallstudie 1: Wertsteigerung durch SCM bei einem Automobilzulieferer
6.2 Fallstudie 2: Kennzahlen im SCOR-Modells der Siemens AG
7 Zusammenfassung und weiterer Forschungsbedarf
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gliederungsschema der Arbeit. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 2: Klassische logistische Sicht auf die Unternehmung. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 3: Supply Chain Sichtweise auf die Unternehmung. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 4: Ebenen des SCOR-Modells.
Abbildung 5: SCOR-Modellüberblick.
Abbildung 6: Kernprozesse des SCOR-Modells.
Abbildung 7: Die SCOR-Modellebenen in die Unternehmung. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 8: Prozesselement im SCOR-Modell (3. Modellebene)
Abbildung 9: Derzeitige Wertorientierung im SCM. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 10: Berechnungsvorschrift für den WACC. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 11: Anwendungsbeispiel zur EVA-Ermittlung. Quelle: Wöhe 2005: 229.
Abbildung 12: Beispiel eines Werttreiberbaums auf Basis des EVA.
Abbildung 13: Einfluss des SCM auf den Unternehmenswert.
Abbildung 14: Einfluss des SCM auf die Umsatzerlöse. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 15: Differierende Logistikziele auf Verkäufer- und Käufermarkt.
Abbildung 16: Wertsteigerungspotenzial des operativen Aufwands.
Abbildung 17: Einfluss des SCM auf den operativen Aufwand.
Abbildung 18: Einfluss des SCM auf das betriebliche Vermögen.
Abbildung 19: Einfluss des SCM auf den Kapitalkostensatz.
Abbildung 20: Nach außen gerichtet SCM-Kennzahlen.
Abbildung 21: Nach innen gerichtet SCM-Kennzahlen.
Abbildung 22: Das SCOR-Modell am Praxisbeispiel der Siemens AG.
Abbildung 23: Kennzahlen im Herstellungsprozess am Beispiel der Siemens AG.
Abkürzungsverzeichniks
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
das richtig manipuliert, eine Illusion der Präzision erzeugt.[1]
1 Zielsetzungen und Aufbau der Arbeit
Logistik und Supply Chain Management (SCM) werden zukünftig, ebenso wie andere Unternehmensfunktionen, stärker nach ihrem Beitrag zur Erreichung der strategischen Unternehmensziele beurteilt. In vielen Fällen bedeutet das, dass diese betrieblichen Funktionen verstärkt daran gemessen werden, inwiefern sie zur Steigerung des Unternehmenswertes beitragen können.[2]
Die Ausgangsthese dieser Arbeit ist, dass Logistik und SCM strategisch relevant sind, da sie die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und einen signifikanten Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes leisten können.[3] Diese Annahme bedarf der theoretischen Fundierung und des Nachweises, um den aus dem SCM generierten Nutzen an Kunden und Unternehmensleitung kommunizieren zu können.[4] Zielsetzung dieser Arbeit ist es somit, den Beitrag des SCM zur Steigerung des Unternehmenswertes anhand des Economic Value Added (EVA) darzustellen, logistische Werttreiber zu identifizieren und damit Handlungsempfehlungen für logistische Fragestellungen auszusprechen sowie exemplarisch wertorientierte Kennzahlen bereit zu stellen.
Voraussetzung hierfür ist, Wertschöpfungsketten eindeutiger beschreiben zu können. Der Einsatz von Prozessmodellen bietet hierfür eine Grundlage. Für logistische Prozesse ist das Supply Chain Operation Reference Modell (SCOR-Modell) eine besonders empfehlenswerte Methodik. Damit sind die beiden wesentlichen Konzepte benannt, welche dieser Arbeit zugrunde gelegt werden: das EVA-Konzept und das SCOR-Modell.
SCM einerseits und wertorientierte Unternehmensführung andererseits sind Konzepte, die bislang weitgehend isoliert betrachtet wurden.[5] Dabei können vor allem logistische Optimierungen nachhaltige Beiträge für den Unternehmenswert leisten. Aus wissenschaftlicher Perspektive und aus Sicht der unternehmerischen Praxis erscheint es daher lohnenswert, ein logistisches Wertmanagement zu erarbeiten und dieses mit dem zunehmend bedeutsamen SCOR-Modell zu verknüpfen. Hieraus ergibt sich folgender Aufbau:
In Anschluss an dieses Kapitel 1, in dem Zielsetzung und Aufbau dieser Arbeit dargestellt sind, werden in Kapitel 2 die für diese Arbeit wesentlichen Begriffe „Logistik" und „SCM" definiert und voneinander abgegrenzt. Zudem wird die Sichtweise des SCM auf das Unternehmen dargestellt.
Kapitel 3 erläutert das SCOR-Model als theoretisch fundierten Bezugsrahmen und etablierten Standard zur Beschreibung von Kunden-Lieferanten-Beziehungen.
Das Konzept der wertorientierten Unternehmensführung wird in Kapital 4 thematisiert. Dabei wird zunächst dessen Bedeutung für ein modernes SCM herausgestellt. Anschließend werden die Grundlagen dargestellt und dann die wesentlichen Ansätze skizziert. Die am häufigsten verwendete Spitzenkennzahl ist der EVA, der daher auch dieser Arbeit zugrunde gelegt und ausführlicher dargestellt wird.
Wesentliche Erkenntnisse zum Hauptthema dieser Arbeit, also wie das SCM einen positiven Beitrag zum Unternehmenswert leisten kann, werden in Kapitel 5 erarbeitet. Dabei wird dezidiert auf logistische Werttreiber der Spitzenkennzahl eingegangen.
Darauf aufbauend wird in Kapitel 6 anhand von zwei Beispielen exemplarisch dargestellt, wie die Erkenntnisse in das SCOR-Modell integriert werden können.
Kapitel 7 fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen. Abschließend wird weiterer Forschungsbedarf abgeleitet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gliederungsschema der Arbeit. Quelle: Eigene Darstellung.
2 Definitionen und begriffliche Abgrenzungen
2.1 Definition von Logistik
Für den Begriff der Logistik gibt es zahlreiche Definitionen, was vor allem auf die kontinuierliche Veränderung der Aufgabenstellungen zurückzuführen ist.[6] Eine in der englischsprachigen Welt weit verbreitete Definition in fluss- bzw. prozessorientierter Sichtweise findet sich bei der amerikanischen Logistikgesellschaft Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP), ehemals Council of Logistics Management (CLM). Sie versteht Logistik als:[7]
„(...)Prozess der Planung, Realisierung und Kontrolle des effizienten, kosteneffektiven Fließens und Lagerns von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Fertigfabrikaten und der damit zusammenhängenden Information vom Liefer- zum Empfangspunkt entsprechend den Anforderungen des Kunden".
Eine zweite Definition liefert die international tätige Logistikgesellschaft The International Society of Logistics, ehemals Society of Logistics Engineers, die den Produktlebenszyklus in den Mittelpunkt stellt: Logistik ist[8]
„(...)das unterstützende Management, das während des Lebens eines Produkts eine effizientere Nutzung von Ressourcen und die adäquate Leistung logistischer Elemente während aller Phasen des Lebenszyklus sicherstellt, so dass durch rechtzeitiges Eingreifen in das System eine effektive Steuerung des Ressourcenverbrauchs gewährleistet wird."
Eine dritte Definition stellt verstärkt den Dienstleistungscharakter der Logistik in den Vordergrund. Demnach ist Logistik[9]
„(...)der Prozess zur Koordination aller immateriellen Aktivitäten, die zur Erfüllung einer Dienstleistung in einer kosten- und kundeneffektiven Weise vollzogen werden müssen."
Die dritte Definition unterstreicht, dass der Nutzen nicht durch das Gut an sich entsteht, sondern dieser erst als Ergebnis aus der Bedürfnisbefriedigung am Ort der Nachfrage resultiert. Hierbei nimmt die Logistik die Funktion der sogenannten „raumzeitlichen Überbrückung" von Material, Waren und Information ein.[10]
Wenn in dieser Arbeit von Logistik die Rede ist, wird auf die flussorientierte Definition referenziert, weil dort der Prozessgedanke im Vordergrund steht. Die lebenszyklusorientierte Definition eignet sich zum Beispiel für Diskussionen, die sich auf Phasen des Produktlebenszyklus beziehen. Die dienstleistungsorientierte Definition kann für die Diskussion zur Bereitstellung von anderen Dienstleistungen, im Zusammenhang mit logistischen Dienstleistungen, zweckmäßig sein. Weitere Begriffe der Logistik heben ihre Bedeutung als Führungskonzept hervor.[11]
2.2 Definition von Supply Chain und Supply Chain Management
In der betriebswirtschaftlichen Literatur und Praxis existieren auch für das SCM zahlreiche Definitionen, von denen sich bislang jedoch keine endgültig durchsetzen konnte.[12] '[13] Die für diese Arbeit wesentlichen Elemente sind in folgender Definition enthalten:[14]
„Supply Chain Management ist die integrierte, prozessorientierte Planung und Steuerung der Waren-, Informations- und Geldflüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Rohstofflieferanten bis hin zum Konsumenten mit den Zielen der Verbesserung, der Kundenorientierung, der verbesserten Synchronisierung der Versorgung mit dem Bedarf, der Flexibilisierung und bedarfsgerechten Produktion sowie dem Abbau der Bestände entlang der Wertschöpfungskette."
In diesem Sinne bezeichnet Supply Chain das Bindeglied zwischen den Herstellern, deren Zulieferern, dem Groß- und Einzelhandel als Absatzmittler, Logistikunternehmen als Absatzhelfer sowie den Endabnehmern. Ein Hauptaugenmerk des Managements der Supply Chain liegt auf der Gestaltung der Schnittstellen zwischen den Partnern in der Verbindungskette.[15]
Ausschlaggebend für die steigende Bedeutung des SCM ist der globale Trend einer zunehmenden Konzentration der Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen bei gleichzeitig exponentiell steigenden Nutzungsmöglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK).[16] Dies führt zu einer verstärkten Bildung von Kooperationen und Allianzen, um die zunehmende Innovationsgeschwindigkeit und steigende Ressourcenintensität handhabbar zu machen. Beispielsweise kann ein Zukaufteil wiederum aus Komponenten bestehen, die von spezialisierten Lieferanten des Lieferanten bereitgestellt werden. Eventuell existieren auf der ersten und/ oder auf der zweiten Beschaffungsstufe auch mehrere, alternative Beschaffungsquellen. Zudem kann auch der Kunde das Produkt zum Beispiel erneut verbauen und an weitere, möglicherweise zahlreiche Endkunden liefern. Daraus ergibt sich ein Netzwerk von Unternehmensbeziehungen. Dabei muss in vielen industriellen Bereichen die Teileherkunft und der Ort der Teile-Verwendung nachweisbar bleiben.[17] Folglich macht die IuK eine verbesserte Koordination der Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette möglich, aber auch erforderlich. Zugleich steigt die Bedeutung zur Gestaltung der interorganisationalen Unternehmensbeziehungen.[18] Die Bedeutung des SCM wird an dem mittlerweile schon geflügelten Wort deutlich, dass der Wettbewerb nicht mehr zwischen Unternehmen sondern zwischen Wertschöpfungsketten stattfindet.[19]
SCM basiert auf dem Grundgedanken integrierter, aufeinander abgestimmter Prozesse. Die Fluss- oder Prozessorientierung hat die unternehmensinterne und -übergreifende Planung und Steuerung der Wertschöpfungskette zum Ziel. Objekte des SCM sind nach klassischem Verständnis die Güter- und Informationsflüsse. In einem jüngeren Verständnis treten akquisitorische Informationen, Finanzmittel und Rechte hinzu.[20] Im Mittelpunkt stehen Kosten-, Zeit- und Qualitätsziele der gesamten Supply Chain gemessen am Nutzen für den Endkunden.[21]
2.3 Abgrenzung der Logistik vom SCM
Die Frage, ob die beiden Begriffe „Logistik" und „SCM" eine Vereinigungsmenge oder eine Schnittmenge darstellen oder gar disjunkt sind, war lange Zeit umstritten. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Logistik ein Teil des SCM ist - oder umgekehrt, wie in älterer Literatur beschrieben. Larsson und Halldorsson haben zur Abgrenzung und Begriffsklärung einen bedeutenden Beitag geleistet. Sie belegen, dass die Logistik heute mehrheitlich als Teil des SCM betrachtet wird und keinesfalls umgekehrt.[22] Im Gegensatz zum klassischen Logistikbegriff wird mit dem Supply Chain Mangement der Gedanke einer unternehmensübergreifende Planungs- und Managementaufgabe betont und umgesetzt. Teilweise wird das SCM dabei auch als die jüngste Entwicklungsstufe der Logistik betrachtet und als „flussorientierte Logistik" bezeichnet.[23] Das praktische Wissen über die logistischen Grundfunktionen, wie Transport, Umschlag und Lagerung (TUL) wird dabei durch weitere Elemente, wie etwa Produktion, Rechnungswesen, Marketing, Unternehmensführung und Controlling ergänzt.[24] [25]
Für diese Arbeit ist der integrierende Prozess-Ansatz bedeutsam, der die gesamte Wertschöpfungskette im Blick hat. Daher wird hier zumeist der Begriff SCM verwendet. Dennoch soll bewußt nicht zwischen Logistik und SCM unterschieden werden, da der Logistikbegriff in einem flussorientierten Sinne verstanden wird. Lediglich, wenn von traditioneller Logistik gesprochen wird (TUL), werden neuere Errungenschaften bewußt ausgeklammert.
2.4 Die Supply Chain Sicht auf das Unternehmen
Auf Basis der genannten Definitionen und anhand von zwei Schaubildern erfolgt nun eine Überleitung zum Supply Chain Reference Modell (SCOR-Modell). Ausgangspunkt hierfür ist eine stark vereinfachende Unternehmensdarstellung aus logistischer Sicht, wie sie in klassischen Lehrbüchern verwendet wird. Darauf aufbauend wird vereinfachend die Supply Chain Sichtweise auf die Unternehmensprozesse dargestellt. Dabei wird exemplarisch von einem produzierenden Unternehmen ausgegangen. Diese Perspektive wird später verallgemeinert und zugleich detailliert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Klassische logistische Sicht auf die Unternehmung. Quelle: Eigene Darstellung.
Die klassische Darstellung fokussiert Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik als Teilbereiche der betrieblichen Logistik. In neueren Überlegungen tritt als weiterer Bereich die Entsorgungslogistik hinzu. Entsprechend dem Güterstrom weist der Entsorgungsfluss in die entgegengesetzte Richtung des Herstellungsprozesses. Das SCM bezieht zudem die Planungs- und Unterstützungsleistungen in die Betrachtung mit ein.[26] Nachfolgende Darstellung ordnet die benannten sechs Prozesselemente in einer Grafik an und stellt damit die Sichtweise des SCM dar.[27] Planen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Supply Chain Sichtweise auf die Unternehmung. Quelle: Eigene Darstellung.
Bisher wurde im engerem Sinne nur die Lieferkette innerhalb eines Unternehmens betrachtet. In der nächsten Erweiterung kann diese Beschränkung aufgegeben werden. Durch die Einbeziehung von Lieferanten und Kunden wird das Modell deutlich komplexer. Eine weitere Steigerung bezieht dann auch die Lieferanten der Lieferanten und die Kunden der Kunden in die Betrachtung ein, so dass letztendlich vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden alle Prozessbeteiligten integriert werden können.[28] [29]
3 Das Supply Chain Operation Reference Modell
3.1 Grundidee, Ziele und Inhalt des SCOR-Modells
Eine Möglichkeit eine Lieferkette zu verstehen, ist die Anwendung eines Prozess Modells. Das SCOR-Modell ist ein solcher Bezugsrahmen zur Darstellung von KundenLieferanten-Beziehungen. SCOR steht für Supply Chain Operation Reference Modell. Es unterstützt bei der Aufgabe, die Schnittstellen innerhalb und zwischen Organisationen zu standardisieren. Damit bildet es die Grundlage für eine flexible und effiziente Gestaltung der Lieferkette. Es lassen sich Prozesskosten, Kapitalkosten und logistische Kennzahlen strukturiert erfassen, messen und vergleichen.[30]
Der SCOR-Ansatz ist funktions- und branchenunabhängig sowie unternehmensübergreifend nutzbar, was den Anwender bei einer kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse unterstützt.[31] Aufgrund seines hohen Verbreitungsgrades in den USA und der zunehmenden Bedeutung in Europa und Asien wird das SCOR-Modell von einigen Autoren bereits als De-facto-Standard zur Beschreibung, Analyse und Bewertung von Supply Chains bezeichnet.[32] Ein Beleg dafür sind gut dokumentierte Anwendungsbeispiele.[33]
Das SCOR-Modell unterscheidet sich von anderen Prozessmodellen durch den expliziten Bezug auf das SCM.[34] Ein Verdienst liegt in der Schaffung einer einheitlichen Terminologie zur Beschreibung von Prozessen der Planung, Beschaffung, Herstellung, Distribution und Retoure. Dies führt zu einer besseren Vergleichbarkeit der Prozessketten, den Einsatz standardisierter Software, die Durchführung von Benchmarks inklusive der Anwendung von Best Practices aus verschiedenen Branchen sowie der Beurteilung alternativer Supply Chain Konfigurationen.[35] Das SCOR-Modell ist das einzige Prozess-Referenzmodell, dass all diese Aspekte miteinander verbindet.[36]
Bei der originären Anwendung des Modells steht der beschreibende und noch nicht der gestaltende Charakter im Vordergrund. Zugleich ergeben sich aus der intensiven Beschäftigung mit den Lieferketten zahlreiche Ansätze für Verbesserungen.[37]
Stärken und Schwächen des Modells werden ausführlich durch Poluha diskutiert. Dabei wird die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Lieferketten zugleich als Stärke und Schwäche gesehen. Dies wird später allerdings als Balance zwischen Standardisierung und Individualisierung relativiert. Kritisiert wird, dass Aspekte wie Marketing und Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung ausgespart wurden.[38] Ein fundamentaler Kritikpunkt ist, dass Standardisierung grundsätzlich Stärken und Chancen schwächt, da diese stets aus Unterschieden entstünden.[39]
3.2 Das Supply-Chain Council
Das SCOR-Modell wurde erstmals im Jahr 1996 durch das Supply-Chain Council (SCC) vorgestellt, welches auf eine Initiative von 69 Unternehmen aus den USA zurückgeht. Das SCC ist eine unabhängige, gemeinnützige Organisation mit knapp 1.000 Mitgliedsunternehmen. Die Mitgliedschaft steht allen Organisationen offen, die am Einsatz und der Weiterentwicklung fortschrittlicher Verfahren und Prinzipien zum Management ihrer Lieferkette interessiert sind. Um das allgemeine Modell auf tieferer Ebene an die branchenspezifischen Bedürfnisse anzupassen, gibt es innerhalb des SCC fünf Interessengruppen: Luft- und Raumfahrt, Elektrotechnik, Groß- und Einzelhandel, Konsumgüter, Automobilsowie Pharmaindustrie. Bei den Mitgliedern handelt es sich um Unternehmen, öffentliche Organisationen, Universitäten, Beratungsfirmen und Softwareanbietern.[40] Die Beiträge lagen Anfang 2010 bei 5.000 USD für eine globale Firmenmitgliedschaft und 300 USD für eine individuelle Mitgliedschaft.[41] Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Anzahl der Mitglieder mehr als verdreifacht, was die große Akzeptanz des SCOR-Modells unterstreicht.[42]
Das SCC hat sich zur Aufgabe gemacht, das SCOR-Modell weltweit zu verbreiten und zur Anwendung zu verhelfen. Dazu ist das Modell in einer reduzierten Variante kostenlos im Internet verfügbar, es werden Schulungen angeboten, Konferenzen veranstaltet, die Lieferketten-Prozesse erforscht und das Modell permanent weiter entwickelt. Jede neue Version des Modells enthält Aktualisierungen und Neuerungen zu spezifischen Elementen der Lieferkette, Kennzahlen zur Messung der Leistungsfähigkeit von Lieferanten, Vorschläge und Beispiele zu führenden Geschäftsprozessen und Systemtechnologien zur Unterstützung der Lieferketten-Prozesse. Bis zum Jahr 2001 hatte das SCC acht SCOR-Versionen veröffentlicht.[43] Im Jahr 2008 wurde die noch heute gültige Version 9.0 veröffentlicht. Diese Version umfasst als neues Modul „GreenSCOR" um Umwelt- und Nachhaltigkeitsgesichtspunkte besser zu berücksichtigen und ein Supply Chain Risk Management. Für 2010 ist die Veröffentlichung von „SCOR 10" angekündigt, das mit „SCOR S" Schulungslevel und detaillierte Qualifikationen sowie Fähigkeitsanforderungen für Supply Chain Manager umfassen soll.[44]
3.3 Struktur und Prozesse des SCOR-Modells
Das SCOR-Modell ist hierarchisch aufgebaut und umfasst vier Ebenen (Level). Die erste Ebene (Top Level) ist die Ebene der logistischen Kernprozesse: Planen, Beschaffen, Herstellen, Liefern und Rücknahme/Entsorgung. Die Prozesse werden durch ihre englischen Anfangsbuchstaben gekennzeichnet in P für Plan, S für Source, M für Make, D für Deliver und R für Return.[45]
Zur Verdeutlichung wird zunächst der hierarchische Aufbau des Modells dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Ebenen des SCOR-Modells.
Quelle: Eigene Darstellung.
Das SCOR-Modell bildet mit Hilfe dieser Ebenen die Wertschöpfungs- bzw. Lieferkette vom Lieferanten des Lieferanten bis zum Kunden des Kunden vollständig ab. Die nächste Abbildung wird vom Supply Chain Council verwendet, um das SCOR-Modell überblickartig darzustellen. Das eigene Unternehmen ist modellhaft in der Mitte angeordnet. Links davon sind interne und externen Lieferanten sowie die Lieferanten des Lieferanten abgebildet. Rechts die internen und externen Kunden sowie die Kunden der Kunden bzw. Endkunden. In allen Bereichen können Planungs-, Beschaffungs-, Herstellungs-, Distributions- und Retoure-Prozesse stattfinden. Dies sind die fünf Grundprozesse des SCOR-Modells, die in der englischen Version mit Plan, Source, Make, Deliver und Return bezeichnet sind. Eine integrierte Gesamtplanung, im Sinne von SCM, setzt nun idealtypisch eine übergeordnete Planung an die Spitze aller Einzelprozesse und -aktivitäten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: SCOR-Modellüberblick.
Quelle: Supply-Chain Council 2010: 3; Bolstorff / Rosenbaum / Poluha 2007: 20.
Die nachfolgende zweite Ebene wird als Konfigurationsebene bezeichnet. Sie spaltet die Kernprozesse des Top Level mittels weiterer Standardmodule in Prozesskategorien bzw. Auftragsarten auf. Dabei werden die Prozesse durch den Anfangsbuchstaben der ersten Ebene, etwa „M" für „Make", und eine Nummerierung gekennzeichnet. Beispielsweise werden im Make-Prozess damit die Auftragsarten:[46]
M1 : Produktion auf Lager und
M2 : auftragsspezifisch produzieren unterschieden.
Die Kernprozesse des SCOR-Modells lassen sich wie folgt darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Kernprozesse des SCOR-Modells.
Quelle: In Anlehung an Supply-Chain Council 2010: 8f. 51.1
In Ebene zwei kann die Supply Chain eines Unternehmens durch 30 KernProzesskategorien konfiguriert werden. Bei der intensiven Betrachtung im Rahmen der Modellierung dieser Ebene werden bereits mögliche Schnittstellenprobleme und Redundanzen deutlich.[47]
Die dritte Ebene ist die Gestaltungsebene, auf der eine Konkretisierung in Prozesselemente erfolgt. Hier können für jeden Prozess der zweiten Ebene die einzelnen Prozessschritte mit ihren Ein- und Ausgangsinformationen, logistischen ProzessKennzahlen sowie Best-Practice-Beispielen hinterlegt werden. Beispielsweise kann der Kernprozesses „S" für „Source" und die Auftragsart S1 (Material beschaffen) in folgenden Prozesselemete unterteilt werden:[48]
S1.1:Materiallieferung terminieren,
S1.2: Material annehmen und prüfen,
S1.3: Material einlagern und
S1.4: Material bereitstellen.
Mit Einordnung der Elemente in das entwickelte Schema ergibt sich folgendes Bild:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Die SCOR-Modellebenen in die Unternehmung. Quelle: Eigene Darstellung.
Auf dieser Ebene stellt das SCOR-Modell branchenspezifische Referenzinformationen bereit. Damit ist es für den jeweiligen Anwendungsfall hinreichend spezifisch, zugleich wird aber ein gemeinsames Verständnis beibehalten, was für die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen wichtig ist. Damit können Abstimmungsprozesse verkürzt und der Informations- und Kommunikationsaufwand begrenz werden. Ferner wird dem Ziel gedient, die wertvollen Ressourcen in die Synchronisation und Optimierung der gemeinsamen Wertschöpfungsprozesse zu lenken. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Prozessbeteiligten innerhalb einer Supply Chain auf einheitliche Festlegungen einigen. Dem Einsatz des SCOR-Modells kann somit ein nachhaltig positiver Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain zugesprochen werden.[49]
Der Aufbau eines Elementar-Prozesses „auftragsbezogen produzieren" könnte dann beispielsweise wie folgt aussehen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Prozesselement im SCOR-Modell (3. Modellebene)
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kloth 1999: 16.
Die vierte Modellebene wird als Implementierungsebene bezeichnet und ist im engeren Sinne nicht Teil des SCOR-Projektes. Diese Ebene ist unternehmensspezifisch auszugestalten und variiert daher stark je nach Branche und Lieferkette. Hier können Aufgaben und Aktivitäten für die einzelnen Prozesselemente definiert und in Form von Checklisten hinterlegt werden.[50]
4 Wertorientierte Unternehmensführung
4.1 Motivation: Bedeutung der Wertorientierung in der Logistik-Praxis
Bereits bei der überblickartigen Durchsicht der Stellenanzeigen in überregionalen Tageszeitungen fällt auf, dass von Logistik-Managern zunehmend ein Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes bzw. zu einer wertorientierten Unternehmensführung gefordert wird. Die wachsende Bedeutung dieser Wertorientierung wird auch durch empirische Studien bestätigt, wenngleich zwischen Anspruch und Wirklichkeit offenbar noch eine Lücke besteht.[51]
Bei einer Untersuchung aus dem Jahr 2005, bei der 145 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen befragt wurden, war bei 59 % der Teilnehmer die Steigerung des Unternehmenswertes als oberstes finanzwirtschaftliches Ziel implementiert. Die Frage, ob bereits heute die Forderung nach einer Wertorientierung der Logistik besteht, beantworteten dabei 63 % der Teilnehmer mit „vollkommen" und für das Jahr 2010 erwarteten dies sogar 81 %. Diese Forderung wird derzeit von 74 % der Befragten für sinnvoll und von 58 % für umsetzbar erachtet. Zukünftig steigen diese Werte sogar auf 83 % (sinnvoll) und 77 % (umsetzbar) an. Allerdings konnten in der Studie lediglich 42 % der befragten Logistik-Manager Spitzenkennzahlen wie den EVA oder den Discounted Cash-Flow (DCF) benennen und 39 % gaben sogar Kennzahlen an, die keine wertorientierten Kennzahlen sind, wie Umsatz und Gewinn. Der Kapitalkostensatz wurde lediglich von 27 % der Manager genannt und konnte nur von 11 % erklärt werden.[52]
Diese Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass zwar ein starkes Bewusstsein für Begriffe wie „Unternehmenswerte" und „Wertorientierung der Logistik" vorhanden ist, jedoch eine Verständnislücke und ein Implementierungsdefizit besteht. Es sind zwar wertorientierte Spitzenkennzahlen in Unternehmen vorhanden, diese werden offenbar jedoch noch nicht durchgängig in Kennzahlensysteme umgesetzt, welche auch die Logistik bzw. das SCM umfassen. Zudem haben zahlreiche Führungskräfte der Logistik das Konzept des Unternehmenswertes noch nicht in dem Maße durchdrungen, um es für ihren Bereich nutzbar machen zu können. Dies birgt die Gefahr, dass der eigene Beitrag zum Unternehmenserfolg nicht ausreichend kommuniziert werden kann und in der Folge logistische Aktivitäten als nicht wettbewerbsrelevant ausgelagert werden.[53]
In einer vertiefenden Analyse wurde festgestellt, dass tatsächlich nur 9 % der in der oben genannten Studie befragten Unternehmen geeignete Kennzahlensysteme einsetzen, um die Wertorientierung in der Logistik umzusetzen. Insbesondere die Verknüpfung von Kennzahlen der Logistikebene mit dem Unternehmenswert stellt offensichtlich noch viele Praktiker vor große Probleme. Bis dato konzentrieren sich die Unternehmen auf Kennzahlen, wie Kosten, Bestände, Termintreue, Servicegrad und Bestandsreichweiten. Nur eine Minderheit von 7 % berichtet im Unternehmen Kennzahlen, welche für eine Umsetzung der Wertorientierung in der Logistik geeignet sind, wie beispielsweise das gebundene Kapital im Working Capital, die Cash-to-Cash- Cycle-Time, die Umschlaghäufigkeit, Bestandshöhe, Lagerkapitalbindung oder die Verknüpfung von Prozesskosten.[54]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Derzeitige Wertorientierung im SCM. Quelle: Eigene Darstellung.
Das mangelnde wertorientierte Verständnis im SCM mag teilweise auch auf die bis dato noch bestehenden konzeptionellen Defizite zurückzuführen sein. So bereitet die Quantifizierung des Wertbeitrags der Logistik und insbesondere die Zuordnung der durch die Logistik erzielten Erfolge in Theorie und betrieblicher Praxis noch Probleme. Hierfür werden als Gründe u. a. angeführt, dass kein hinreichendes Messkonzept für den Wertbeitrag der Logistik existiert, dass der Zusammenhang zwischen logistischen Kosten und logistischen Leistungen oftmals nicht ausreichend geklärt ist und dass logistische Aktivitäten als Querschnittsfunktion[55] im Unternehmen verteilt und damit intransparent vorliegen.[56]
4.2 Grundlagen der wertorientierten Unternehmensführung
Das mit dem Titel dieser Arbeit benannte Ziel der Steigerung des Unternehmenswertes wird inhaltlich durch das Konzept der wertorientierten Unternehmensführung getragen. Der Kerngedanke lässt sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen. Bereits mit dem Entstehen großer Kapitalgesellschaften stellte sich die Frage, wie die Interessen des Managements mit denen der Eigentümer in Einklang gebracht werden könnte und welche Anreizmechanismen dafür einzusetzen seien.[57] Die große Popularität der Wertorientierung ist eng verknüpft mit den Arbeiten von Rappaport zum Shareholder Value[58] und der seit den 1990er Jahren in vielen Unternehmen zunehmenden Kapitalmarktorientierung.[59]
Der Unternehmenswert wird regelmäßig mit dem Marktwert des Unternehmens gleichgesetzt, den es für die Eigenkapitalgeber besitzt, beispielsweise für die Aktionäre. Kennzeichnend ist die Abkehr von vergangenheitsorienterten Erfolgs- und Bestandsgößen zugunsten von zukünftigen Erfolgsgrößen, wie Zahlungsüberschüssen. Des weiteren werden die Anforderungen des Kapitalmarktes hinsichtlich einer angemessenen Verzinsung explizit berücksichtigt.[60] Managemententscheidungen sind bei Wertorientierung so zu treffen, dass das im Betrieb gebundene Eigenkapital eine höhere Verzinsung erwirtschaftet als in einer alternativen Anlage mit vergleichbarem Risiko.[61]
Den wertorientierten Ansätzen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass den Kapitalgebern eine äußerst zentrale Rolle zukommt, wenn es um die finanzwirtschaftliche Basis des Unternehmens und die Sicherstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit geht. Werden beispielsweise Akquisitionen und Investitionen zur Umsetzung der Diversifikationsstrategie[62] für erforderlich gehalten, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens langfristig zu sichern, könnte eine Rechtsformumwandlung bzw. bei bestehender Aktiengesellschaft eine Kapitalerhöhung erforderlich sein. Mit der Überlassung von Kapital verbinden die Kapitalgeber bestimmte Ziele und Erwartungen. Hierzu zählt die Kapitalrückzahlung sowie eine angemessene Verzinsung, die den Marktzins und das spezifische Investitionsrisiko berücksichtigt. Zudem werden eine Wertsteigerung der Anteile sowie regelmäßig Kontroll- und Einflussmöglichkeiten erwartet. Auch wenn unterschiedliche Präferenzen bei den einzelnen Kapitalgebern vorliegen und deren Bereitschaft zur Kapitalbereitstellung maßgeblich von den individuell unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten abhängt, so kann die Bedeutung der finanzwirtschaftlichen Unternehmensziele und insbesondere das der Liquiditätssicherung, und -entscheidungen nicht hoch genug eingeschätzt werden.[63]
Der wertorientierten Unternehmensführung wird in der öffentlichen Diskussion teilweise fundamentale Kritik entgegen gebracht, die sich im Allgemeinen auf die Gewinn- und Renditeorientierung bezieht.[64] Nachfolgend wird beispielhaft die wissenschaftlich geäußterte Kritik aufgezeigt. So untersucht Schaffer in seiner Dissertation empirisch, ob die wertorientierte Unternehmensführung zu einer messbaren Wertsteigerung führt. Die Untersuchung erfolgt anhand von zwei unterscheidlichen Verfahren, deren Ergebnisse beide in die gleiche Richtung weisen: Weder die Zahlen der Geschäftsberichte noch die Aktienrenditen erlauben eine eindeutige Aussage zur Vorteilhaftigkeit der wertorientierten Unternehmensführung. Teilweise sind die Unterschiede zu Unternehmen, die mutmaßlich nicht wertorientiert gesteuert werden, selbst bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 20 % nicht signifikant von Null verschieden.[65] Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass bei der Untersuchung nicht eindeutig geklärt war, ob die Vergleichsunternehmen implizit nicht dennoch nach wertorientierten Kriterien handeln.
Kritisch gesehen wird auch, dass der Unternehmenswert durch Vor- und Nachteile beeinflusst werden müsste, die über den Abrechnungszeitraum hinaus gehen bzw. sehr weit in die Zukunft reichen. Diese werden bei der Berechnung des Unternehmenswertes jedoch regelmäßig nicht berücksichtigt, was zu kurzfristigen Anreizmechanismen führt.[66] Damit werden Prognoseerkenntnisse vernachlässigt, die im konventionellen Rechnungswesen bereits verankert sind, wie etwa die Unterscheidung zwischen der Budgetplanung für das Folgejahr und der strategischen Planung für einen längeren Zeitraum. Das bedeutet, dass die Daten des traditionellen Rechnungswesens besser zur Zukunftsprognose geeignet sind, als bloße Zahlungsströme.[67] Hierzu ist anzumerken, dass die Kritik im Kern zwar zutrifft, die bezeichneten Informationen des Rechnungswesens den externen Kapitalgebern jedoch zumeist nicht vorliegen. Dass es geeignetere Daten zur Beurteilung gäbe, ist aus Sicht eines Shareholders damit eine theoretische Frage. Sollte die Erkenntnis von Schaffer zutreffen, könnten damit allerdings zur unternehmensinternen Steuerung qualitativ bessere Daten verwendet werden. Andererseits werden Entscheidungen, die für die Akteure des Kapitalmarktes unverständlich sind, von diesen auch nicht honoriert. Insofern ist die Wertorientierung, wie eingangs bereits festgestellt, der zunehmend bedeutsameren finanziellen Fokussierung respektive Kapitalmarktorientierung geschuldet. Richtig ist damit, dass die ausschließliche Ausrichtung des Unternehmens an wertorientierten Kennzahlen zu kurzfristig orientierten Entscheidungen des Managements führen kann. Dem kann durch zusätzliche Anreizinstrumente, beispielsweise Optionen auf Aktien, die erst nach mehrjähriger Haltefrist monetarisiert werden dürfen, begegnet werden.[68]
[...]
[1] Krämer 1995: 13, zitiert nach Wüthrich / Osmetz / Kaduk 2006: 209f.; Anm. d. A.: Prof. Dr. Walter Krämer war bis zum Jahr 2004 Fachgutachter für Statistik und Fachausschussvorsitzender für die Wirtschaftswissenschaftler der deutschen Forschungsgemeinschaft.
[2] Pfohl 2004: 7-10 und 54-71.
[3] Locker / Rothböck 2008: 39; Pfohl 2004: 8.
[4] Lambert /Burduroglu 2000: 1-17; Gomm 2008: 91-93.
[5] Faupel 2008: 155.
[6] Weber 2007: 1051 und die dort angegebene Literatur.
[7] Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP), nachgewiesen bei Pfohl 2010: 12.
[8] Coyle / Bardi / Langley 1992: 8, nachgewiesen bei Pfohl 2010: 13.
[9] Arthur D. Little / The Pennsylvania State University, Center of Logistics Research, 1991, S. XXII, nachgewiesen bei Pfohl 2010: 13.
[10] Weber / Stölzle / Wallenburg / Hofmann 2007: 38 sowie die dort angegebene Literatur.
[11] Jehle 2004: 53-73; Fleischmann 2007: 4.
[12] Franke / Pfaff/ Elbert / Gomm / Hofmann 2005: 4.
[13] Zum SCM ausführlich z. B. Arndt 2006; Kuhn / Hellingrath 2002.
[14] Kuhn 1995, nachgewiesen in: Hellingrath / Hegmanns / Maaß / Toth 2007: 459.
[15] Pfohl 2000: 4ff.; Pfohl 2010: 295.
[16] Möller 2002: 311; Poluha2007: 42.
[17] Hellingrath / Hegmanns / Maaß / Toth 2007: 459.
[18] Pfohl 2010: 286; Kloth 1999: 12.
[19] Zum Beispiel Pfohl 2010: 296; Hofmann / Wessely 2008: 54; Alicke 2005: 185; Neher 2003: 39.
[20] Pfohl 2000: 4ff.; Pfohl 2010: 295-297.
[21] Franke / Pfaff/ Elbert / Gomm / Hofmann 2005: 3-4.
[22] Larsson/Halldorsson 2004: 17-31.
[23] Weber 2007: 1052.
[24] Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) im Internet: http:IIcscmp.orgIaboutscmpI definitions.asp, Abruf: 5.2.2010.
[25] Dem entgegen vertritt Kotzab die Auffassung, dass der deutsche Logistik-Begriff von jeher so umfassend war, dass bereits ein ganzheitliches Management entlang der gesamten Wertschopfungskette impliziert war. Vgl. hierzu: Kotzab 2000: 21-47.
[26] Bolstorff / Rosenbaum / Poluha 2007: 7-8 und die dort angegebene Literatur.
[27] Weber / Wallenburg2008: 297.
[28] Kloth 1999: 15; Poluha 2007: 43-44.
[29] Vergleiche hierzu auch Abbildung 5 dieser Arbeit.
[30] Supply-Chain Council im Internet: http://www.supply-chain.org/about, Abruf: 20.03.2010; Weber / Wallenburg 2008: 296-298; Weber 2002: 197-198.
[31] Nyhuis / Wriggers / Busse 2008: 47; Weber 2002: 200f.
[32] Bolstorff/Rosenbaum/Poluha 2007: 341-343.
[33] Poluha2007: 119-140; Weber 2002: 201f. und273-279; Klapper /Hamblin/Hutchinson/Novak/ Vivar 1999.
[34] Weitere Ansätze sind etwa die von Scheer entwickelte Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS), das von Grochla entwickelte Kölner Integrationsmodell (KIM) oder das von Krcmar entwickelte Modell der ganzheitlichen Informationssystem-Architektur (ISA). Für nähere Informationen siehe z. B. Cremer 2004: 35ff.
[35] Weber / Wallenburg 2008: 296f.
[36] Klapper / Hamblin /Hutchinson/Novak/ Vivar 1999: 3-3.
[37] Bolstorff / Rosenbaum / Poluha 2007: 341-343; Weber 2002: 275.
[38] Poluha 2007: 109-116und361-368 sowie 384-388.
[39] Bolstorff/Rosenbaum/Poluha 2007: 341.
[40] Bolstorff/Rosenbaum/Poluha 2007: 18; Weber 2002: 197.
[41] http://www.supply-chain.org, Abruf: 20.03.2010.
[42] Vergleich mit den Daten von Kloth mit Stand Juli 1998. Kloth 1999: 15 sowie Poluha 2007: 143. Seit 2007 hat die Verbreitung nicht mehr zugenommen. Dies zeigt ein Vergleich zwischen Poluha 2007: 83 und aktuellen Angaben Supply Chain Council, Abruf: 20.03.2010.
[43] Bolstorff / Rosenbaum / Poluha 2007: 18. Zu denjeweiligen Ergänzungen und Änderungen in den Vorversionen vergleiche Poluha 2007: 96-102.
[44] Supply-Chain Council im Internet: http://www.supply-chain.org, Abruf: 20.03.2010.
[45] Weber 2002: 198-200.
[46] Kloth 1999: 16.
[47] Weber 2002: 199; Poluha 2007: 90 und die dort angegebene Literatur.
[48] Arnold / Isermann / Kuhn / Tempelmeier / Fuhrmans 2007: 227f.
[49] Kloth 1999: 17; Poluha 2007: 42 und 66.
[50] Poluha 2007: 90; Werner 2002: 16ff.; Kloth 1999: 17.
[51] Locker / Rothböck 2008: 39; aber auch bereits Möller 2002: 311.
[52] Gomm 2008: 85-90.
[53] Pfohl 2004: 62.
[54] Gomm 2008: 91-93.
[55] Zur Logistik als Querschnittsfunktion vergleiche Pfohl 2010: 62-65.
[56] Wildemann 2004: 67; Pfohl / Gomm / Röth 2006: 50-53.
[57] Berle / Means 1932, zitiert nach Ballwieser 2000: 160.
[58] Rappaport 1986; Rappaport 2001.
[59] Wöhe 2005: 220; Wildemann 2004: 67.
[60] Gabler 2000: 3466; Ballwieser 2000: 161.
[61] Wöhe 2005: 221f.
[62] Diversifikation bedeutet die Einführung neuer Produkte in neue Märkte.
[63] Franke/Hax 2004: 1-9.
[64] Gabler 2000: 3466.
[65] Schaffer 2005 415f.
[66] Gabler 2000: 3469f.
[67] Schaffer 2005: 415f.
[68] Gabler 2000: 3470; Peridon / Steiner 1999: 392-394.
- Quote paper
- Lars Wochnik (Author), 2010, Die Steigerung des Unternehmenswertes durch Supply Chain Management, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/153516