„Nach der Vorstellung der OECD werden mit PISA Basiskompetenzen erfasst, die in modernen Gesellschaften für eine befriedigende Lebensführung in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht sowie für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben notwendig sind“ (BAUMERT et al. 2001, 16).
Eine dieser Basiskompetenzen, die in den PISA-Studien erhoben wurden, stellt nach dieser Sicht die mathematische Grundbildung dar. Egal ist dabei, wie man zu diesem kompetenzorientierten Bildungsverständnis steht. Festzuhalten bleibt, dass Rechnen können einen zentralen Bildungsgegenstand darstellt. Rechnen stellt aber eine hochkomplexe Leistung dar und viele können sich an Schwierigkeiten im Mathematikunterricht in der eigenen Schulzeit noch gut erinnern. Probleme in Mathematik scheinen trotz der dargestellten negativen Auswirkungen ein Stück weit gesellschaftsfähig zu sein. Darin scheint auch ein möglicher Grund für den bisher unbefriedigenden Forschungsstand im Bereich des denkenden Umgangs mit Zahlen zu liegen.
Rechnen muss also erlernt werden und ein Großteil dieser Aufgabe fällt der Schule zu. Auch wenn festzustehen scheint, dass das Kind nicht als mathematisch unbeschriebenes Blatt eingeschult wird, so werden doch vor allem in den Eingangsklassen die Grundsteine gelegt, von denen der Erfolg in der weiteren Schullaufbahn abhängt. Kenntnislücken und missverstandene Begriffe in den ersten beiden Schuljahren haben demnach meist massive Schwierigkeiten in Mathematik zur Folge.
Der Erwerb dieser Grundsteine ist dabei mit vielfältigen Anforderungen an das Kind verbunden. Gerade für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen können diese Anforderungen immense Hindernisse darstellen.
Ziel dieser Arbeit soll es nun sein, diese Anforderungen am Beispiel des Zehnerübergangs im Teilschrittverfahren im Bereich des Zahlenraums bis 20 darzustellen. Dazu werden zunächst entwicklungspsychologische und neurowissenschaftliche Theorien aufgezeigt, wie das Kind zu einem Zahlbegriff kommt, der arithmetische Operationen erlaubt. Anschließend soll das Phänomen der Rechenschwäche etwas näher beleuchtet, mögliche Ursachen aufgezeigt und schließlich die Operation des Zehnerübergangs hinsichtlich seiner basalen und kulturell-mathematischen Anforderungen untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitende Gedanken
- Historische Ansätze der Zahlbegriffsentwicklung
- Das Phänomen „Zahl“
- Kardinalzahltheorie
- Ordinalzahltheorie
- Zusammenfassung
- Zahlbegriffsentwicklung nach PIAGET
- Entwicklungsverständnis
- Zahlverständnis
- Stufen der kindlichen Entwicklung
- Zahlbegriffserwerb
- Invarianz
- Klassifikation
- Seriation
- Arithmetik
- Zusammenfassung
- Kritik an PIAGET
- Kritik am Zahlbegriffskonzept
- Allgemeine Kritik
- Intuitive Mathematik
- Exkurs: Numerische Fähigkeiten von Tieren
- Intuitive numerische Kompetenzen des Kindes
- Subitizing
- Anzahlunterscheidung
- Arithmetik
- Grenzen
- Erklärungsversuche
- Vorschulische numerische Kompetenzen des Kindes
- Protoquantitative Schemata
- Aspekte der Zahl
- Zählwissen
- Zählprinzipien nach GELMAN und GALLISTEL
- Zählentwicklung nach FUSON
- Zusammenfassung
- Zählstrategien
- Teile-Ganzes Verständnis
- Modell von WEIẞHAUPT und PEUCKER
- Weitere Modelle zur Zahlbegriffsentwicklung
- Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen nach KRAJEWSKI
- Entwicklungsmodell nach FRITZ und RICKEN
- Beiträge der Neurowissenschaften
- Neuropsychologische Basisfunktionen im Zusammenhang mit mathematischer Leistung nach ROURKE
- Triple-Code-Modell nach DEHAENE
- Modell der Entwicklung zahlenverarbeitender Hirnfunktionen nach VON ASTER
- Lokalisation
- Module
- Theorie der minimalen kognitiven Architektur nach ANDERSON
- Erwerb mathematischer Fähigkeiten und Fertigkeiten
- Modell des Erwerbs mathematischer Fähigkeiten und Fertigkeiten
- Rechenschwächen - Definitionsversuche
- Ursachen einer Rechenschwäche
- Faktor Kind
- Faktor Familie und soziales Umfeld
- Faktor Schule
- Zusammenfassung
- Ein ausgewählter Lerngegenstand – der Zehnerübergang
- Grundaufgaben
- Mathematische Stufentheorie nach AEBLI
- Strategien zum Zehnerübergang
- Warum nicht-zählende Strategien?
- Forderungen der Fachdidaktik
- Lehrplanforderungen
- Anforderungen im Zusammenhang mit dem Zehnerübergang im Teilschrittverfahren am Beispiel des Kutzerzuges
- Der „Kutzerzug“
- Core systems
- Basale Fähigkeiten und Fertigkeiten
- Teilleistungen im Zusammenhang mit arithmetischer Leistung
- Gehirnstrukturen
- Anforderungen in den Phasen der mathematischen Stufentheorie
- Kulturell-mathematischer Bereich
- Unterscheidung intuitive und kulturelle Mathematik
- Verständnis der Addition
- Zahlzerlegungen
- Assoziativgesetz
- Problematik „Ziffernsymbole“ und „Zahlwörter“
- Problematik „Operationssymbole“
- Problematik „Zahlensyntax“
- Problematik „zahlsystembezogene Sprache“
- Sprache
- Zusammenfassung
- Abschließende Gedanken und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entwicklung des Zahlbegriffs und die Anforderungen an den Zehnerübergang im Anfangsunterricht, insbesondere im Hinblick auf das Teilschrittverfahren. Ziel ist es, ein tiefergehendes Verständnis für die kognitiven Prozesse und die didaktischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Erwerb mathematischer Fähigkeiten zu entwickeln.
- Entwicklung des Zahlbegriffs im Kindesalter
- Kognitive Prozesse beim Rechnen und der Zehnerübergang
- Einfluss von intuitiver und kultureller Mathematik auf den Zahlbegriff
- Didaktische Ansätze für den Mathematikunterricht im Hinblick auf den Zehnerübergang
- Neuropsychologische Grundlagen mathematischer Fähigkeiten
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitende Gedanken: Die Einleitung legt den Fokus auf die Bedeutung des Zahlbegriffs und des Zehnerübergangs im Mathematikunterricht der Grundschule. Sie skizziert die Forschungsfrage und den methodischen Ansatz der Arbeit.
Historische Ansätze der Zahlbegriffsentwicklung: Dieses Kapitel beleuchtet verschiedene historische Ansätze zur Erklärung der Zahlbegriffsentwicklung, darunter die Kardinal- und Ordinalzahltheorie, und bietet eine historische Perspektive auf das Verständnis von Zahlen.
Zahlbegriffsentwicklung nach PIAGET: Hier wird Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung im Bezug auf den Zahlbegriff ausführlich dargestellt. Die einzelnen Stufen der Entwicklung werden erläutert, und die Bedeutung von Invarianz, Klassifikation, Seriation und Arithmetik für den Aufbau des Zahlverständnisses wird hervorgehoben. Kritische Auseinandersetzung mit Piagets Ansatz schließt das Kapitel ab.
Intuitive Mathematik: Dieses Kapitel befasst sich mit intuitiven numerischen Kompetenzen von Kindern und Tieren. Es werden Konzepte wie Subitizing und die Grenzen intuitiver Mathematik im Kontext des Zahlbegriffserwerbs diskutiert.
Vorschulische numerische Kompetenzen des Kindes: Das Kapitel beschreibt die protoquantitativen Schemata und das Zählwissen von Vorschulkindern. Es werden verschiedene Modelle der Zahlbegriffsentwicklung vorgestellt, darunter die Modelle von Gelman & Gallistel, Fuson, Weißhaupt & Peucker, sowie Krajewski und Fritz & Ricken. Die Kapitel beleuchtet verschiedene Aspekte des Zahlverständnisses vor dem formellen Mathematikunterricht.
Beiträge der Neurowissenschaften: In diesem Kapitel werden neuropsychologische Modelle zur Verarbeitung von Zahlen vorgestellt (u.a. Rourke, Dehaene, von Aster, Anderson). Die Rolle verschiedener Gehirnareale und kognitiver Prozesse wird im Zusammenhang mit mathematischen Fähigkeiten analysiert.
Erwerb mathematischer Fähigkeiten und Fertigkeiten: Dieses Kapitel präsentiert Modelle zum Erwerb mathematischer Fähigkeiten und befasst sich mit dem Phänomen der Rechenschwäche. Es werden verschiedene Ursachen und Einflussfaktoren (Kind, Familie, Schule) detailliert betrachtet.
Ein ausgewählter Lerngegenstand – der Zehnerübergang: Dieses Kapitel konzentriert sich auf den Zehnerübergang als zentralen Lerngegenstand im Anfangsunterricht. Es werden verschiedene Strategien und die Anforderungen der Fachdidaktik und des Lehrplans diskutiert. Die mathematische Stufentheorie nach Aeblei wird im Zusammenhang mit dem Zehnerübergang erläutert.
Schlüsselwörter
Zahlbegriffsentwicklung, Zehnerübergang, Teilschrittverfahren, Anfangsunterricht, Mathematikdidaktik, Kognitive Entwicklung, Piagets Theorie, Intuitive Mathematik, Neuropsychologie, Rechenschwäche, Mathematische Stufentheorie, Kulturelle Mathematik.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Zahlbegriffsentwicklung und dem Zehnerübergang
Was ist der Inhalt dieses Textes?
Der Text bietet einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Zahlbegriffs bei Kindern und die damit verbundenen Herausforderungen im Mathematikunterricht, insbesondere beim Zehnerübergang. Er behandelt historische Ansätze, Piagets Theorie, intuitive Mathematik, neurowissenschaftliche Erkenntnisse, sowie didaktische Implikationen und die Problematik von Rechenschwäche.
Welche Themen werden im Text behandelt?
Die zentralen Themen sind die Entwicklung des Zahlbegriffs vom Säuglingsalter bis zum frühen Schulalter, die verschiedenen kognitiven Prozesse beim Rechnen, der Zehnerübergang als wichtiges Lernziel im Anfangsunterricht, der Einfluss von intuitiver und kultureller Mathematik auf das Zahlenverständnis, die Rolle der Neurowissenschaften im Verständnis mathematischer Fähigkeiten, sowie die Ursachen und Prävention von Rechenschwäche. Der Text analysiert verschiedene Modelle der Zahlbegriffsentwicklung und deren didaktische Relevanz.
Welche Theorien zur Zahlbegriffsentwicklung werden vorgestellt?
Der Text diskutiert verschiedene Theorien, darunter Piagets Stufenmodell der kognitiven Entwicklung im Hinblick auf den Zahlbegriff, die Bedeutung von intuitiver Mathematik (Subitizing, Anzahlunterscheidung), verschiedene Modelle zur Zählentwicklung (Gelman & Gallistel, Fuson), sowie neurowissenschaftliche Modelle zur Verarbeitung von Zahlen (Dehaene, von Aster). Darüber hinaus werden Modelle zur Entwicklung früher mathematischer Kompetenzen (Krajewski, Fritz & Ricken) und die mathematische Stufentheorie nach Aeblei behandelt.
Was ist der Zehnerübergang und warum ist er wichtig?
Der Zehnerübergang bezeichnet den Übergang von einer Zehnergruppe zur nächsten beim Rechnen (z.B. 8 + 5). Er stellt eine wichtige Hürde im Anfangsunterricht dar, da er ein tieferes Verständnis des Dezimalsystems erfordert. Der Text analysiert den Zehnerübergang ausführlich, beleuchtet verschiedene Lösungsstrategien und die damit verbundenen didaktischen Herausforderungen.
Welche Rolle spielen die Neurowissenschaften im Verständnis mathematischer Fähigkeiten?
Der Text präsentiert neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Verarbeitung von Zahlen im Gehirn. Er beschreibt verschiedene Modelle, die die Lokalisation und Funktion verschiedener Gehirnareale im Zusammenhang mit mathematischen Fähigkeiten erklären (z.B. das Triple-Code-Modell nach Dehaene). Diese Erkenntnisse tragen zum Verständnis der kognitiven Prozesse beim Rechnen bei und können für die Entwicklung effektiver Lernmethoden genutzt werden.
Wie wird Rechenschwäche im Text behandelt?
Der Text befasst sich mit dem Phänomen der Rechenschwäche, analysiert verschiedene Definitionsversuche und untersucht mögliche Ursachen auf der Ebene des Kindes, der Familie und der Schule. Die Diskussion liefert wichtige Informationen zur Prävention und Intervention.
Welche didaktischen Ansätze werden für den Mathematikunterricht vorgeschlagen?
Der Text analysiert verschiedene didaktische Ansätze im Hinblick auf den Zehnerübergang, berücksichtigt die Anforderungen der Fachdidaktik und des Lehrplans und diskutiert den Einsatz von geeigneten Lernmaterialien und Strategien. Die mathematische Stufentheorie nach Aeblei dient als Rahmen für die didaktische Analyse.
Welche Kapitel umfasst der Text?
Der Text ist in Kapitel gegliedert, die die historische Entwicklung des Zahlbegriffs, Piagets Theorie, intuitive Mathematik, vorschulische numerische Kompetenzen, neurowissenschaftliche Beiträge, den Erwerb mathematischer Fähigkeiten, den Zehnerübergang und abschließende Gedanken behandeln. Jedes Kapitel bietet eine detaillierte Zusammenfassung der relevanten Inhalte.
Für wen ist dieser Text geeignet?
Dieser Text richtet sich an Studierende der Pädagogik und Mathematikdidaktik, Lehrer*innen der Grundschule und alle Interessierten, die sich vertieft mit der Entwicklung des Zahlbegriffs und den didaktischen Implikationen für den Mathematikunterricht auseinandersetzen möchten. Der Text ist auch für Forscher*innen im Bereich der kognitiven Entwicklung und der Mathematikdidaktik relevant.
- Quote paper
- Andreas Thiel (Author), 2010, Zahlbegriffsentwicklung und Anforderungen an den Zehnerübergang im Teilschrittverfahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/150127