Kann jede Oper, die sich an einer literarischen Vorlage orientiert als Literaturoper
bezeichnet werden? Dass dies aufgrund der Häufigkeit der Übernahme und
Verarbeitung literarischer Stoffe nicht der Fall sein kann, liegt auf der Hand. Was macht
diese Gattung dann aber aus? Handelt es sich überhaupt um eine Gattung? Was hat die
literarische Vorlage der Dichtung mit Literaturoper gemeinsam? Nur ausschnitthaft
kann ein ganzer Katalog an Fragen hier dargestellt werden, der sich in der
Beschäftigung mit Literaturopern des 20. Jahrhunderts stellt. Die vorliegende Arbeit
möchte sich mit diesen Fragen beispielhaft beschäftigen und das Verhältnis der
literarischen Vorlage Die Soldaten von Lenz und Zimmermanns Literaturoper Die
Soldaten untersuchen.
Die Komödie Die Soldaten von Jakob Michael Lenz erschien im Frühjahr 1776 und ist
der literarischen Epoche des Sturm und Drang zuzuordnen: Die von den französischen
Klassizisten in das Werk Aristoteles hineininterpretierten drei Einheiten von Ort, Zeit
und Handlung negiert, Interesse an Handlung wird gewandelt in Interesse am
Individuum, damit menschliche Subjektivität aufgewertet. Aufklärerische Forderungen
nach Autonomie und freier individueller Entfaltung werden kontrastierend zu den
Zwängen der bestehenden Ständegesellschaft in den Soldaten thematisiert. Dabei wird
nicht das Schicksal einer Einzelperson zentrales Thema, sondern die Darstellung
gesellschaftlicher Missverhältnisse und einer sozialen Situation, die die Handlungen der
einzelnen Akteure motivieren.
Bernd Alois Zimmermanns Idee zu einer Oper nach der Komödie Die Soldaten von
Lenz reichen bis in das Jahr 1957.1 1965 wird seine Oper in vier Akten nach dem
gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz in Köln uraufgeführt.
Entscheidend für die Komponierbarkeit des Dramas in ein Libretto war für
Zimmermann vor allem Lenz` Abkehr von den drei Einheiten. Diese bedeutet die Basis
für seine Vision von der Aufhebung von Zeit und Raum, dadurch die Möglichkeit zur
Realisierung einer Austauschbarkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als
Kugelgestalt der Zeit benennt Zimmermann diese Vision und vertritt die These, dass
ganzheitliche Wahrnehmung einer Wirklichkeit nur durch solch aperspektivisches
Sehen möglich sein kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Zum Begriff Literaturoper
- II. J.M.R. Lenz (1751-1792): Die Soldaten
- II.1. Lenz im Sturm und Drang
- II.2. Lenz Umgang mit den aristotelischen drei Einheiten
- II.3. Individuelle Emotion und Atmosphäre vermittelt durch das Szenische
- II.4. Die Soldaten
- III. Vom Drama zum Libretto - Überlegungen
- III.1. Zeitstrukturen
- III.2. Geschlossene und offene Dramaturgie
- IV. Bernd Alois Zimmermann (1918-1970)
- IV.1. Zur Entstehung der Oper Die Soldaten
- IV.2. Pluralistische Oper und Zimmermanns Vorstellung von der Kugelgestalt der Zeit
- V. Textvergleich Drama – Libretto: Die Soldaten
- V.1. Die szenische Gliederung der Werke
- V.2. Hinzugefügte Sprache in Zimmermanns Die Soldaten
- V.3. Simultaneität der Szene IV,1 bei Zimmermann
- V.4. Schluss und Schlussaussage der Werke
- Fazit
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Beziehung zwischen Jakob Michael Lenz' Komödie „Die Soldaten“ und Bernd Alois Zimmermanns gleichnamiger Oper. Sie analysiert, inwieweit Zimmermanns Werk als Literaturoper betrachtet werden kann und ob es sich um eine eigenständige Interpretation der Vorlage handelt oder um eine bloße Adaption. Die Arbeit beleuchtet die Transformation des Dramas in ein Libretto, die Veränderungen in der Zeitstruktur und Dramaturgie, sowie die Hinzufügung von Sprachelementen in Zimmermanns Oper.
- Die Definition des Begriffs „Literaturoper“
- Die Analyse von Lenz' „Die Soldaten“ im Kontext des Sturm und Drang
- Die Transformation des Dramas in ein Opernlibretto
- Der Vergleich von Lenz' und Zimmermanns „Die Soldaten“
- Die Frage nach der Autonomie von Zimmermanns Oper
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Forschungsfrage nach der Einordnung von Zimmermanns „Die Soldaten“ als Literaturoper und erläutert die Relevanz der Untersuchung. Kapitel I gibt einen Überblick über die Debatte um den Begriff „Literaturoper“ und stellt verschiedene Definitionen vor. Kapitel II analysiert Lenz' „Die Soldaten“ im Kontext des Sturm und Drang und beleuchtet die Besonderheiten des Dramas in Bezug auf die drei Einheiten, die Darstellung individueller Emotionen und die Kritik an der Ständegesellschaft. Kapitel III diskutiert die grundlegenden Aspekte der Umwandlung eines Sprechdramas in ein Opernlibretto, insbesondere die Veränderungen in der Zeitstruktur und Dramaturgie. Kapitel IV stellt Bernd Alois Zimmermann und seine Oper „Die Soldaten“ vor, wobei die Entstehung des Werks und Zimmermanns Vorstellung von der „Kugelgestalt der Zeit“ im Vordergrund stehen. Kapitel V vergleicht die beiden Werke in Bezug auf ihre szenische Gliederung, die Hinzufügung von Sprachelementen und die simultane Darstellung von Szenen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Gattung Literaturoper, die Komödie „Die Soldaten“ von Jakob Michael Lenz, die Oper „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann, die Transformation von Drama in Libretto, die drei Einheiten der Dramaturgie, der Sturm und Drang, die Kugelgestalt der Zeit und die Autonomie von Literaturopern.
- Quote paper
- Sarah Pfeffer (Author), 2009, Nach der Komödie "Die Soldaten" von Lenz: Wandlung in die Gattung Literaturoper oder in ein völlig neues Werk bei Zimmermann?, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/148721