Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Wohlfahrtsstaat seit dem Ende des „goldenen Zeitalters“ entwickelt hat. Dafür werden empirisch verschiedene Sozialstaatsindikatoren im Zeitraum 1980 bis 2019 untersucht. Die Arbeit knüpft dabei an den Theoriestrang von Paul Pierson an, der im Bereich der Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten nur inkrementelle Veränderungen für möglich hält und testet diese Theorie, indem verschiedene Sozialstaatsindikatoren auf Konvergenz untersucht werden.
„Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“ (Deutscher Bundestag 2003). Mit diesem Satz aus seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 fasste der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Pläne zur Reform des Arbeitsmarktes und Sozialstaates zusammen, die sogenannte Agenda 2010. Dies war die deutsche Antwort auf die verschiedenen Herausforderungen, denen sich westliche Wohlfahrtsstaaten seit dem Ende des Golden Age1 stellen müssen. Hierzu gehören unter anderem der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, durch den es zu einem Bedeutungsverlust industrieller Produktion und größerer Flexibilität in den Beschäftigungsverhältnissen kam, die nun stärker an die Kundenbedürfnisse angepasst wurden. Auch der demographische Wandel stellt die westlichen Wohlfahrtsstaaten durch eine immer größer werdende Anzahl nichtbeschäftigter älterer Personen vor Herausforderungen, da sie unter anderem im Bereich der Renten, auf die Umverteilung zwischen den Generationen angewiesen sind. Durch Prozesse von Globalisierung und europäischer Integration kommt es zusätzlich zu immer stärkeren ökonomischen Verflechtungen und mehr Wettbewerb zwischen den Staaten, woraus unter anderem die Race-to-the-bottom-These entstand, die von einem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Standards aufgrund dieses Wettbewerbs zwischen den Staaten ausgeht.
Inhaltsverzeichnis
1.0 Einleitung
2.1 Das Konzept der Pfadabhängigkeit
2.1 Eine Einführung
2.2 Pfadabhängigkeit in der Ökonomie
2.3 Pfadabhängigkeit im Umfeld von Institutionen
2.4 Pfadabhängigkeit in der Politik
2.5 Trampelpfad und Scheideweg
2.6 Der organisationswissenschaftliche Ansatz
2.7 Kritische Einordnung des Pfadabhängigkeitskonzeptes
2.2 Konvergenz
3.1 Konvergenz. Eine Einordnung des Begriffes
3.2 Typen von Konvergenz
4.0 Methodik
5.0 Empirische Analyse
5.1 Sozialausgaben
5.2 Sozialausgaben in verschiedenen Bereichen
5.3 Lohnersatzraten
5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
6.0 Diskussion
6.1 Einordnung der Ergebnisse
6.2 Herausforderungen und Grenzen
6.3 Ausblick
7.0 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Studentisierte Residuen
Anhang 1.1: Studentisierte Residuen Sozialausgaben
Anhang 1.2: Studentisierte Residuen Sozialausgaben Arbeitslosigkeit
Anhang 1.3: Studentisierte Residuen Lohnersatzrate Arbeitslosigkeit
Anhang 2: Leverage-Effekte Lohnersatzrate Arbeitslosigkeit
Anhang 3: Lineare Regression ohne Leverage
1.0 Einleitung
„Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“ (Deutscher Bundestag 2003: 2479). Mit diesem Satz aus seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 fasste der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Pläne zur Reform des Arbeitsmarktes und Sozialstaates zusammen, die sogenannte Agenda 2010. Dies war die deutsche Antwort auf die verschiedenen Herausforderungen, denen sich westliche Wohlfahrtsstaaten seit dem Ende des Golden Age1 stellen müssen. Hierzu gehören unter anderem der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, durch den es zu einem Bedeutungsverlust industrieller Produktion und größerer Flexibilität in den Beschäftigungsverhältnissen kam, die nun stärker an die Kundenbedürfnisse angepasst wurden. Auch der demographische Wandel stellt die westlichen Wohlfahrtsstaaten durch eine immer größer werdende Anzahl nichtbeschäftigter älterer Personen vor Herausforderungen, da sie unter anderem im Bereich der Renten, auf die Umverteilung zwischen den Generationen angewiesen sind. Durch Prozesse von Globalisierung und europäischer Integration kommt es zusätzlich zu immer stärkeren ökonomischen Verflechtungen und mehr Wettbewerb zwischen den Staaten, woraus unter anderem die Race-to-the-bottom-These entstand, die von einem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Standards aufgrund dieses Wettbewerbs zwischen den Staaten ausgeht (Kammer 2013: 6; Ostner et al. 2001: 9-13).
Vor dem Hintergrund und der Tragweite dieser Herausforderungen erscheint es daher lohnenswert und interessant, sich näher mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit westliche Wohlfahrtsstaaten, in dieser Arbeit die Gründungsmitglieder der OECD2, hiervon beeinflusst werden. Hiermit ist vor allem gemeint, ob diese Herausforderungen zu Veränderungen innerhalb der westlichen Wohlfahrtsstaaten geführt haben, insbesondere ob eine Annäherung zwischen ihnen im Bezug auf Sozialausgaben und Lohnersatzraten stattgefunden hat, wie es die funktionalistische Theorie angesichts ähnlicher Problemlagen, die in der Folge zu Staatstätigkeit führen, nahelegt (Holzinger et al. 2007: 12), oder ob die bestehenden Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsstaaten beständig geblieben oder gar noch größer geworden sind. Hieraus ergibt sich folgende Forschungsfrage:
Liegt Pierson falsch? Oder genauer und weniger zugespitzt formuliert: Sind westliche Wohlfahrtsstaaten seit der Zeit des Golden Age wirklich von pfadabhängigen Prozessen geprägt oder kam es in der Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten seit dieser Zeit zu Konvergenz?
In dieser Arbeit werde ich dabei mit dem Pfadabhängigkeitskonzept von Paul Pierson3 argumentieren der, wie auch andere Autoren der Pfadabhängigkeitstheorie (Ebbinghaus 2005; Sydow et al. 2009), davon ausgeht, dass Staaten mit der Einführung bestimmter Policies Pfade einschlagen, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht oder nur sehr schwer wieder verlassen werden können. Er geht dabei auch von der Existenz sogenannter Increasing Returns aus, womit vor allem gemeint ist, dass bestimmte politische Maßnahmen zu positiven Rückkopplungen führen, die den bereits eingeschlagenen Pfad noch weiter verfestigen und ihn damit schwerer zu verlassen machen (Beyer 2015: 161-162; Pierson 2000a: 252).
Pierson argumentiert jedoch nicht damit, dass durch Pfadabhängigkeit gar kein Wandel mehr möglich wäre, sondern geht eher von einer Limitierung des Wandels aus, der für ihn nur inkrementell und über einen längeren Zeitraum erfolgen kann, denn „Change continues, but it is bounded change “ (Pierson 2000b: 76). In Kapitel 2 dieser Arbeit werde ich mich dann zunächst mit den Anfängen des Pfadabhängigkeitskonzeptes in der Ökonomie beschäftigen (Arthur 1989, 1994; David 1985; North 1990), um anschließend Piersons Konzept und die damit einhergehende Übertragung der Pfadabhängigkeitsidee in die Politikwissenschaft detailliert zu erläutern und kritisch zu hinterfragen, indem ich auch auf neuere Ansätze im Bereich der Pfadabhängigkeitstheorie eingehe (Ebbinghaus 2005; Sydow et al. 2009). Anschließend werde ich noch auf Kritik am Konzept der Pfadabhängigkeit eingehen. Kritik am Konzept der Pfadabhängigkeit gibt es dabei insbesondere auch aus der neoklassischen Ökonomie, die aufgrund der bereits angesprochenen Herausforderungen für westliche Wohlfahrtsstaaten, wie die zunehmenden Interdependenzen zwischen den Staaten, nicht von Pfadabhängigkeit, sondern eher von Konvergenz in der Entwicklung von Staaten ausgeht (Grömling et al. 2016: 3-6).
Konvergenz lässt sich vereinfacht als „tendency of policies to grow more alike, in the form of increasing similarity in structures, processes and performances“ beschreiben (Drezner 2001: 53). Gemeint ist also eine im Zeitverlauf zunehmende Annäherung von Strukturen, Politiken und Prozessen. Auf das Konzept der Konvergenz und die verschiedenen Formen, in denen sich Konvergenz zeigen kann (Sigma(o), Beta(ß), Gamma(Y) und Delta(ö)), werde ich in Kapitel 3 noch näher eingehen. Zudem werde ich das Konzept der Konvergenz in Kapitel 5 dieser Arbeit nutzen, um die Idee der Pfadabhängigkeit in der Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten auch empirisch herauszufordern. Hierfür wird die Höhe der Sozialausgaben im Verhältnis zum BIP4 im Zeitraum von 1980-2019 auf Sigma(o)- und Beta(ß)-Konvergenz untersucht und anschließend diese Untersuchung auch noch einmal für die Sozialausgaben, aufgeschlüsselt in die Ausgabenbereiche Gesundheit, Arbeitslosigkeit und Alterssicherung durchgeführt. Um noch tiefer in die Materie einzusteigen, werden anschließend auch die Lohnersatzraten für Arbeitslosigkeit, Krankheit und Rente auf Sigma(o)- und Beta(ß)-Konvergenz hin untersucht. Detailliertere Angaben zur Methodik lassen sich im entsprechenden Teil dieser Arbeit in Kapitel 4 finden.
Dabei gibt es mehrere Gründe, die für eine Untersuchung im Hinblick auf diese beiden Konvergenztypen sprechen. Für die Untersuchung von Sigma(o)-Konvergenz spricht, dass dieser Konvergenztyp der grundsätzlichen Definition von Konvergenz als Abnahme von Varianz und einer Annäherung von Staaten im Zeitverlauf am nächsten kommt. Für die Untersuchung von Beta(ß)-Konvergenz wiederum spricht, dass es auf diese Art möglich ist zu überprüfen, ob es Hinweise gibt, die für die These eines Race-to-the-bottom sprechen, da es die Analyse von Beta(ß)-Konvergenz erlaubt auch sogenannte Catch-up - und Catch-down - Prozesse zwischen Staaten zu erfassen, wodurch sich die Richtung der Veränderung feststellen lässt (Holzinger et al. 2007: 18). Insbesondere ein Catch-down könnte daher mit einem Abbau von Sozialstaalichkeit und in der Folge mit einem möglichen Race-to-the-bottom verbunden sein. Pierson gehört jedoch zu der Gruppe von Forschern, die nicht von einem solchen Race- to-the-bottom in der Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten ausgehen (Starke et al. 2008: 979-980). Gleichzeitig lässt sich aber vermuten, dass es vor allem in Anbetracht des langen Untersuchungszeitraumes in dieser Arbeit von 39 Jahren bzw. 35 Jahren für die Lohnersatzraten unwahrscheinlich ist, gar keine Veränderungen der Indikatoren Sozialausgaben und Lohnersatzraten festzustellen, weshalb es auch wichtig ist sich mit der Frage auseinanderzusetzen, an welcher Stelle die Grenze zwischen Persistenz und Konvergenz gezogen werden muss, oder anders formuliert, wie groß eine Veränderung sein muss, um nicht mehr von Persistenz, sondern von Konvergenz sprechen zu können. Im Anschluss an Kapitel 5 werde ich die Ergebnisse im Zuge einer Diskussion in den wissenschaftlichen Kontext einordnen, auf die Herausforderungen und Grenzen meiner eigenen Arbeit eingehen und einen
Ausblick geben, inwieweit dieses Thema noch tiefergehender untersucht werden könnte. In Kapitel 7 dieser Arbeit werde ich meine Erkenntnisse abschließend noch in einem Fazit zusammenfassen.
2.1 Das Konzept der Pfadabhängigkeit
2.2 Eine Einführung
Um einen Einstieg in das Thema dieser Arbeit zu finden, ist es zunächst wichtig zu verstehen, was Pfadabhängigkeit überhaupt ist, wie sie sich zeigt, und wie sie definiert ist. Diese Fragen werden in diesem Teil der Arbeit beantwortet. Das Konzept der Pfadabhängigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem relevanten und auch durchaus kritisierten Ansatz der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften entwickelt. Als pfadabhängig werden dabei Prozesse bezeichnet, die von Entscheidungen in der Vergangenheit bestimmt werden und sich daher kontinuierlich und inkrementell entlang des einst eingeschlagenen Pfades fortbewegen. Die Zustände, die in diesem Prozess erreicht werden, müssen dabei nicht notwendigerweise optimal oder gar effizient sein und dennoch kommt der Prozess nicht automatisch zum Erliegen oder wird radikal verändert. Pfadabhängige Prozesse wurden dabei zuerst im Bereich der Technologie entdeckt. Ein historisches Beispiel hierfür ist der VHS-Standard für Videorekorder oder das Betriebssystem Windows, die sich gegen überlegene andere Technologien durchsetzten konnten (Werle 2007: 119-121).
Aber nicht nur im Bereich von Technologien und der Wirtschaft, sondern auch in den Sozialwissenschaften wird das Konzept verwendet, denn Phänomene, die eine Verbindung zur Vergangenheit haben, wie institutionelle Trägheit oder individuelle Handlungsroutinen, sind in der Politikwissenschaft und Soziologie durchaus verbreitet. Wie bei den Technologien werden auch für soziale Phänomene sogenannte Lock-ins angenommen, wobei ein Lock-in der Moment ist, in dem sich eine Technologie oder im Bereich der Politikwissenschaft eine Policy oder ein Politikinhalt so weit durchgesetzt hat, dass die Durchsetzung einer alternativen Technologie oder Policy nicht mehr möglich ist. Im sozialwissenschaftlichen Kontext ist sicher das Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr ein Beispiel für Pfadabhängigkeit. Auch das Rechtsfahrgebot konnte sich erst durchsetzen, weil Menschen ihre Handlungen auf andere abgestimmt haben und so letztendlich auch Unfälle vermieden werden konnten. So wurde ein pfadabhängiger Prozess in Gang gesetzt, der heute quasi unumkehrbar ist, da es mit großem Aufwand verbunden wäre, nach vielen Jahren mit Rechtsverkehr auf Linksverkehr umzustellen (Petermann 2010: 61-63; Werle 2007: 119-121). Im Folgenden werde ich nun jedoch zunächst auf die wirtschaftlichen Grundlagen des Pfadabhängigkeitskonzeptes zu sprechen kommen, um anschließend näher auf die Verwendung des Konzeptes in der Politikwissenschaft einzugehen.
2.3 Pfadabhängigkeit in der Ökonomie
Das Konzept der Pfadabhängigkeit stammt ursprünglich aus der Ökonomie und geht auf die Wirtschaftswissenschaftler W. Brian Arthur und Paul A. David zurück (Beyer 2006: 14-16). Beide kritisieren in ihren Studien vor allem die neoklassische Ökonomie und ihre Idee der Effizienz. Arthur (1989, 1994) zeigt dabei, dass sich entgegen den Annahmen der neoklassischen Ökonomie, nicht immer die effizienteste zweier oder mehrerer Alternativen durchsetzt. Hierfür sind für Arthur sogenannte Increasing Returns verantwortlich. Ein Increasing Return kann dabei vereinfacht, als Selbstverstärkungseffekt definiert werden, der nach Arthur für das Auftreten pfadabhängiger Verläufe zwingend erforderlich ist (Beyer 2006: 14-16). Wie diese genau auf Prozesse wirken und zu einem pfadabhängigen Verlauf beitragen, veranschaulicht Arthur unter anderem anhand des Standard-Polya-Prozesses, auf den ich nun näher eingehen werde.
Nach Ackermann ist ein pfadabhängiger Prozess ein Prozess, „bei dem mehrere Ergebnisse möglich sind, dessen Ergebnis aber nicht vorhersehbar ist, weil an bestimmten [...] Punkten geringfügige Einflüsse den Pfad des Prozesses bestimmen können“ (Ackermann 2001: 37). Das berühmteste Modell, welches dies veranschaulicht ist der von Arthur, Ermoliev und Kaniovski (1987) beschriebene und auf den Mathematiker George Polya zurückgehende Standard-Polya- Prozess . Am Anfang befinden sich dabei zwei Kugeln unterschiedlicher Farbe, eine blaue und eine grüne, in einer Urne. Jetzt wird immer wieder eine einzelne Kugel aus der Urne gezogen und zusammen mit einer zweiten Kugel derselben Farbe wieder in die Urne zurückgelegt. Dies wäre dann der Selbsverstärkungs- oder Increasing-Returns-Effekt. Hierdurch erhöht sich, immer wenn eine Farbe gezogen wurde, der Anteil der Kugeln dieser Farbe in der Urne, wodurch auch die Wahrscheinlichkeit steigt, beim nächsten Zug abermals eine Kugel mit dieser Farbe zu ziehen. Durch Zunahme der Anzahl an Kugeln bildet sich so im Verlauf des Prozesses nach einiger Zeit ein Gleichgewicht in der Farbverteilung, welches so am Anfang nicht vorhersehbar war. Der Einfluss früherer Züge auf die spätere Farbverteilung ist dabei jedoch größer als der Einfluss späterer Züge, da die Anzahl der Kugeln am Anfang noch gering ist. Die frühen Züge prägen also einen Pfad (Arthur et al. 1987: 296-297).
Arthur hat sich aber nicht nur theoretisch mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit beschäftigt, sondern beschreibt auch Phänomene in der Realität, bei denen Pfadabhängigkeit für ihn eine große Rolle spielt. Unter anderem sieht er vier Quellen für selbstverstärkende Effekte in der Wirtschaft. Dies sind erstens die hohen Fixkosten, durch die es bei einer Erhöhung der Produktion eines Produktes zu fallenden Stückkosten kommt. Zweitens Lerneffekte, durch die sich die Produkte bei zunehmender Verbreitung entweder verbessern oder ihre Kosten geringer werden. Drittens sogenannte Koordinationseffekte, wodurch es vorteilhaft wird sich mit anderen Wirtschaftssubjekten auszutauschen und zu koordinieren und viertens selbstverstärkende Erwartungen, bei denen es durch die zunehmende Verbreitung eines Produktes am Markt dazu kommt, dass mehr Menschen an das Produkt glauben, wodurch die Verbreitung nochmals erhöht wird (Arthur 1994: 112). Auf diese vier Aspekte beruft sich auch der Ansatz von Sydow et al. (2009) mit dem sich in Kapitel 2.6 noch näher beschäftigt wird. Selbstverstärkende Prozesse im Allgemeinen besitzen nach Arthur neben den beschriebenen vier Quellen zudem vier verschiedene Eigenschaften. Erstens sind Ergebnisse von Prozessen nicht vorhersagbar und es kommt zu multiplen Gleichgewichten, da Ereignisse am Beginn eines Prozesses einen großen Einfluss auf den weiteren Verlauf haben. Zweitens entspricht das Ergebnis möglicherweise nicht dem größten möglichen Nutzen, man spricht hier auch von Ineffizienz. Drittens bewirken Lock-in-Effekte, dass ein einmal eingeschlagener Pfad schwerer zu verlassen ist und viertens sind für Arthur Wirtschaftsprozesse allgemein pfadabhängig, da die frühe Verteilung von Anteilen am Markt darüber entscheidet, welche Technologie sich am Ende durchsetzt. Die Marktanteile weisen also eine nicht ergodische Dynamik auf (Arthur 1994: 112-114).
Auch Paul David, ebenfalls ein wichtiger Vertreter des Pfadabhängigkeitskonzeptes, griff bei seiner Erklärung für die Durchsetzung der QWERTY-Tastaturbelegung (in Deutschland QWERTZ) auf das Polya-Modell von Arthur et al. (1987) zurück, entwickelte jedoch später ein alternatives, Voter Model genanntes Modell. Auch in diesem Modell kommt es dabei zu Lock- in-Effekten. David sieht außerdem wie Arthur (1994: 38-43) eine Verbindung von Pfadabhängigkeit und positiven Rückkopplungen (selbstverstärkende Effekte) und nennt verschiedene Ursachen für das Auftreten dieser. In der Erklärung zur weltweiten Durchsetzung der QWERTY-Tastaturbelegung verweist er dabei unter anderem auf die Rolle von technologischen Interdependenzen. Darunter versteht er die Kompatibilität von Hardware also der Tastatur und Software, also der Fähigkeit der Person, die an der Tastatur arbeitet, sich eine Tastenkombination zu merken. Auch spielen für ihn Skalenerträge, Lernen und
Gewöhnungseffekte eine Rolle, sowie technologische Kompatibilitäten auf der Anbieterseite und Interdependenz in den Präferenzen der Konsumenten auf der Nachfrageseite (Wetzel 2005: 9). Jedoch sieht Paul David pfadabhängige Prozesse nicht nur im Bereich von Technologien als gegeben an, sondern betont auch die Möglichkeit pfadabhängiger Prozesse im Kontext von Institutionen5, was wiederum von Douglass C. North eingehender beschrieben wurde.
2.4 Pfadabhängigkeit im Umfeld von Institutionen
Durch Douglass C. North wurde das Pfadabhängigkeitskonzept dann noch einmal weiterentwickelt und umgedeutet. North macht Pfadabhängigkeit dabei zu einem zentralen Konzept seiner Theorie des institutionellen Wandels. Diesen institutionellen und technologischen Wandel sieht North als Grundlage der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung und in der Folge von Pfadabhängigkeit, denn „both exhibit the characteristics of path dependence“ (North 1990: 103). Zwar sieht auch North wie Arthur (1989, 1994) und David (1985) Increasing Returns als notwendige Bedingung pfadabhängiger Prozesse aber er definiert Increasing Returns, indem er sie auf die institutionelle Infrastruktur von Staaten bezieht: „In short, the independent web of an institutional matrix produces massive increasing returns“ (North 1990: 95). Verschränkungen innerhalb dieser institutionellen Infrastruktur, die North institutionelle Matrix nennt, führen in der Folge zur Stabilisierung von Institutionensystemen und beeinflussen damit pfadabhängige Verläufe. Für North steht dabei also nicht mehr im Vordergrund zu erklären, warum durch Pfadabhängigkeit keine Veränderungen und kein Wandel möglich sind (z.B. wie bei der QWERTY-Tastaturbelegung), sondern er erweitert den Erklärungsbereich des Pfadabhängigkeitskonzeptes auf Veränderungsprozesse in Institutionen. Diesen institutionellen Wandel versteht er dabei als inkrementellen Prozess, der permanent stattfindet und von individuellen Organisationen und Akteuren ins Rollen gebracht wird. Impulse zur Veränderung gehen dabei von den Akteuren und ihren Eigeninteressen sowie von Organisationen und dem Wettbewerb zwischen diesen aus. Allerdings bleiben nach North die Möglichkeiten des Lernens und der Anpassung an erfolgreiche institutionelle Ordnungen sehr eingeschränkt, denn Akteure orientieren sich in ihren Handlungen immer an bereits bestehenden Institutionen und sind dabei durch die Vergangenheit geprägt und damit pfadabhängig (North 1998: 252). Die Idee von Verschränkungen zwischen Institutionen wurde in den Sozialwissenschaften unter anderem von Hall und Soskice (2001) in ihrem Varieties-of- Capitalism - Ansatz wieder aufgegriffen die von institutionellen Komplementaritäten sprechen, aber hiermit auch wie North (1990:95) eine Verschränkung zwischen Institutionen meinen. Diese institutionellen Komplementaritäten sehen Hall und Soskice (2001) als den Mechanismus hinter persistenten Entwicklungen an, kommen dabei jedoch ohne den Bezug auf Increasing Returns aus.
2.5 Pfadabhängigkeit in der Politik
In diesem Unterkapitel soll nun der theoretische Kern dieser Arbeit näher beleuchtet werden und widmet sich daher dem Pfadabhängigkeitskonzept von Paul Pierson. Mit seinem Artikel „Increasing returns, Path dependence and the Study of Politics“ aus dem Jahr 2000 sorgte er maßgeblich dafür, das Konzept der Pfadabhängigkeit in der Policy-Forschung zu etablieren. In seinem Artikel weist er auch auf die Anwendbarkeit seines Konzeptes für die politikwissenschaftliche Forschung hin. Pierson versteht dabei Pfadabhängigkeit als „a social process grounded in a dynamic of increasing returns“ (Pierson 2000a: 251). Für Pierson sind Increasing Returns also eine zentrale Bedingung für Pfadabhängigkeit. Pierson beruft sich dabei unter anderem auf Douglass North (1990), der wie in Kapitel 2.3 beschrieben, ebenfalls in Increasing Returns die Grundlage von Pfadabhängigkeit sieht. Beide Autoren gehen zudem von der Existenz von Increasing Returns im Umfeld von Institutionen aus. Für das Auftreten pfadabhängiger Prozesse hält Pierson zudem die Reihenfolge, in der Ereignisse auftreten für relevant, denn: „In an increasing returns process, it is not only a question of what happens but also of when it happens“ (Pierson 2000a: 251). Er orientiert sich mit seinem Konzept dabei an einer engeren Definition von Pfadabhängigkeit, die auf Margaret Levi (1997: 28) zurückgeht, die Pfadabhängigkeit als einen Prozess definiert, bei dem die Kosten einen einmal eingeschlagenen Pfad wieder zu verlassen so hoch sind, dass es quasi unmöglich wird diesen zu verlassen. Dieses Konzept geht dabei Hand in Hand mit Piersons Idee der Wichtigkeit von Increasing Returns durch die nach Pierson mit jedem Schritt, der auf einem Pfad gegangen wird, die Wahrscheinlichkeit für weitere Schritte auf diesem Pfad erhöht wird (Pierson 2000a: 251253).
Auch Pierson greift dabei zur besseren Veranschaulichung eines Increasing-Returns-Prozesses auf den Standard-Polya-Prozess zurück, der bereits in Kapitel 2.2 zu Pfadabhängigkeit in der Ökonomie erläutert wurde. Bei der Übertragung des Pfadabhängigkeitskonzeptes in die Politikwissenschaft macht Pierson vier Aspekte aus, die Politik anfällig für Increasing Returns und damit auch für pfadabhängige Prozesse machen: „Each of these features make increasing returns processes prevalent in politics“ (Pierson 2000a: 257). Der erste Aspekt ist die zentrale Rolle kollektiver Handlungen, der zweite die Hohe Dichte an Institutionen, der dritte die Möglichkeit, politische Macht zu benutzen, um bestehende Machtasymmetrien weiter zu verstärken und der vierte Aspekt ist die Komplexität und Undurchdringbarkeit, die politischen Prozessen innewohnt. Auf alle vier Aspekte wird nun im Folgenden noch näher eingegangen:
Kollektive Handlungen in der Politik: Im Gegensatz zu Handlungen in der Wirtschaft sind politische Handlungen kollektiv und damit weniger flexibel. In der Politik sind die Konsequenzen einer Handlung abhängig von den Handlungen anderer: „What I get depends not just on what I do, but on what others do“ (Pierson 2000a: 258). Daher erfordern politische Entscheidungen einen hohen Grad an Koordination und Abstimmung und müssen kollektiv getroffen werden. Ein weiterer Grund, warum politische Entscheidungen einen hohen Grad an Koordination erfordern, hängt damit zusammen, dass politische Ziele nur Gewinner und Verlierer kennen. Politiker etwa wollen wiedergewählt werden und Gesetze werden entweder angenommen oder nicht. Auch hier hängt die Effektivität meiner eigenen Entscheidungen stark von den Entscheidungen anderer ab. Eine wichtige Eigenschaft kollektiver Handlungen in der Politik ist dabei das Fehlen einer linearen Beziehung zwischen Einsatz und Gewinn. Stattdessen begünstigen kollektive Handlungen positive Feedbackeffekte, wodurch kollektive Entscheidungsprozesse im Ergebnis auch anfällig für Increasing Returns sind. Diese positiven Feedbackeffekte und Increasing Returns führen dann in der Folge zu Persistenz in der Entwicklung politischer Organisationen (Pierson 2000a: 257-259).
Hohe Institutionendichte: Da die Koordinierung von Akteuren in einem Gesellschaftssystem den Aufbau von Institutionen erfordert und ein Ausstieg der Akteure aus Institutionen wie Regeln und Normen kaum möglich ist, wird in der Politik häufig darum gerungen diese Regeln festlegen zu können, weshalb große Teile der Politik auf Autorität und nicht auf Austausch basieren. Dabei schränken jedoch nicht nur die Institutionen, sondern auch die aktive Politik, deren Entscheidungen oft langlebig sind und dann wiederum zu Institutionen werden können, die Möglichkeiten des Wandels ein. Solche Entwicklungsprozesse sind dabei pfadabhängig, da Institutionen selbstverstärkende Prozesse auslösen, die aus Lerneffekten, Koordinationseffekten und selbstverstärkenden Erwartungen resultieren, welche schon von Arthur (1994)6 beschrieben wurden. Hierdurch wird ein Umschwenken auf alternative Pfade mit der Zeit immer unattraktiver (Pierson 2000a: 259).
Autorität und Machtasymmetrien: Pierson geht davon aus, dass positive Rückkopplungen im Laufe der Zeit Machtasymmetrien verstärken können und gleichzeitig diese auch weniger sichtbar machen. Autorität ist dabei eine wichtige Quelle dieser positiven Rückkopplungseffekte, denn wenn bestimmte Akteure in der Lage sind ihre Agenda gegenüber anderen durchzusetzen, sind sie auch in der Lage die „Spielregeln“ so zu verändern, dass ihre Macht weiter gestärkt wird, wodurch sich schon geringe Machtasymmetrien durch das Auftreten positiver Rückkopplungen mit der Zeit drastisch vergrößern können, und zu pfadabhängigen Prozessen führen (Pierson 2000a: 259).
Komplexität der Politik: Das Feld der Politik zeichnet sich für Pierson durch Komplexität aus, da Akteure unterschiedliche Ziele erfolgen und es oft schwierig ist den Erfolg von Politik zu messen, wodurch bei einem Misserfolg von Politiken oft nicht klar ist, was genau für diesen Misserfolg verantwortlich war. Daher sind Lernprozesse, die in der Wirtschaft als möglicher Ausweg aus der Pfadabhängigkeit angesehen werden, in der Politik auch schwierig umsetzbar und die Politik eher von Pfadabhängigkeit geprägt, auch weil durch die Komplexität der Politik die Möglichkeiten von Korrekturen begrenzt sind (Pierson 2000a: 259-261).
Eine Konsequenz dieser vier Aspekte ist die quasi Unmöglichkeit radikaler Reformen im Bereich des Wohlfahrtsstaates. Pierson erwartet daher wie auch andere Autoren der New- Politics - Schule, dass es im Zuge des externen Problemdrucks durch die bereits geschilderten Herausforderungen denen Wohlfahrtsstaaten gegenüberstehen, nicht zu radikalen Veränderungen oder sogar Konvergenz kommt, sondern Reformen pfadabhängig und inkrementell sind (Starke et al. 2008: 979-980). Aus diesem Grund spricht sich Pierson damit auch klar gegen die These eines Race-to-the-bottom aus. Neben dem kollektiven Charakter politischer Entscheidungen, ihrer Komplexität, der hohen Institutionendichte und Machtasymmetrien, die allesamt zur Ausbildung pfadabhängiger Prozesse beitragen macht Pierson aber noch einen weiteren Grund aus, der gegen die These des Race-to-the-bottom spricht. Politiker sind laut Pierson seit dem Ende des Golden Age bestrebt eine Politik der Schuldvermeidung zu betreiben, was sie davon abhält den Wohlfahrtsstaat zu sehr zu beschneiden, um nicht bei den Wähler*innen in Ungnade zu fallen (Starke et al. 2008: 979980).
Zwei Faktoren machen pfadabhängige Effekte in der Politik dabei für Pierson besonders stark. Dies sind auf der einen Seite die kurzen Zeithorizonte der politischen Akteure und auf der anderen Seite die starke Tendenz zur Beharrung im Status quo, auch Status-quo-Bias genannt. Ersteres meint, dass viele große oder komplexe Reformen in der Politik sich erst nach einem längeren Zeitraum auszahlen, Politiker aber wiedergewählt werden wollen und daher eher Entscheidungen treffen, die kurzfristig umsetzbar sind, aber nicht so tiefgreifende Veränderungen bewirken. Dies bedeutet auch, dass mögliche positive Auswirkungen eines Pfadwechsels erst später sichtbar werden, während die Kosten bereits jetzt getragen werden müssen, wodurch es einen starken Anreiz gibt auf dem bereits eingeschlagenen Pfad zu bleiben. Mit Status-quo-Bias wiederum ist die Unveränderbarkeit politischer Institutionen gemeint, die zum einen auftritt, da politische Akteure wissen, dass in Zukunft ihre politischen Rivalen regieren könnten und sie daher die Institutionen so formen, dass sie quasi unveränderbar sind. Zum anderen tritt diese Unveränderbarkeit aber auch auf, weil politische Akteure oft normativ besser handeln, wenn ihr eigener Handlungsspielraum eingegrenzt ist und es nicht so viele alternative Möglichkeiten für Pfadabweichungen gibt (Pierson 2000a: 261-263).
Im Folgenden werde ich nun noch kurz darauf eingehen, was Piersons Konzept zu einem brauchbaren Ansatz zur Erklärung wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen macht. Hierfür gibt es vier Gründe. Sein Konzept ist erstens gut geeignet dauerhafte Unterschiede zwischen den Sozialstaaten zu erklären und lässt sich daher gut mit Esping-Andersens Regime-Ansatz (Esping-Andersen 1990) kombinieren, der die Wohlfahrtsstaaten in drei verschiedene Typen unterteilt (liberal, konservativ, sozialdemokratisch) die dauerhafte Unterschiede aufweisen. Zweitens geht aus Piersons Konzept hervor, dass institutioneller Wandel langfristig und inkrementell abläuft. Drittens weist er darauf hin, dass politische Reformen oft erst mit Zeitverzug wirken, und viertens führt dieser Zeitverzug dazu, dass bestehende Institutionen oft nicht als funktionserfüllend und optimal angesehen werden können (Beyer 2015: 163; Pierson 2000c: 811-813). Aus den genannten Gründen und dabei vor allem, weil Piersons Konzept zur Erklärung langfristiger Differenzen zwischen den Wohlfahrtsstaaten geeignet scheint, verwende auch ich in dieser Arbeit dieses Konzept, um zu überprüfen, ob es in der Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten seit 1980 zu Pfadabhängigkeit gekommen ist. Im Gegensatz zum Ansatz von Arthur et al. (1987) baut Pierson seine Erklärung von Pfadabhängigkeit nicht größtenteils auf theoretischen Modellen wie dem Standard-Polya-Prozess auf, weshalb es einfacher ist mit diesem Modell in der Realität zu argumentieren. Dies ist einer der Gründe, warum auch ich mich in dieser Arbeit dazu entschieden habe, mit diesem Konzept zu argumentieren. Eine weitere Stärke des Pfadabhängigkeitskonzeptes von Paul Pierson ist die Starke Betonung der Unterschiede zwischen Wirtschaft und Politik: „Unlike economic markets, in which there usually is room for many firms, in politics finishing second may not count for much“ (Pierson 2000a: 258). Pierson beruft sich zwar in seiner Arbeit immer wieder auf ursprüngliche Ideen von Pfadabhängigkeit aus der Wirtschaft, insbesondere Arthur et al. (1987) und North (1990), jedoch ohne diese Theorien blind zu übernehmen. Er hinterfragt stattdessen, in welchen Bereichen sich die Politik von der Wirtschaftswissenschaft unterscheidet und schafft so ein eigenes Pfadabhängigkeitskonzept für die Politikwissenschaft.
2.6 Trampelpfad und Scheideweg
Neben Piersons Konzept der Pfadabhängigkeit ist der Artikel „Can Path Dependence Explain Institutional Change? Two Approaches Applied to Welfare State Reform“ von Bernhard Ebbinghaus (2005) ein weiterer wichtiger Beitrag zur Anwendung des Pfadabhängigkeitskonzeptes in den Sozialwissenschaften und insbesondere in der Wohlfahrtsstaatsforschung und ist daher auch für die Fragestellung dieser Arbeit von Interesse. Ebbinghaus (2005) unterscheidet dabei zwei verschiedene Arten der Entwicklung von Pfaden. Die erste Art ist die zufällige Entwicklung eines Trampelpfades, welcher spontan durch häufige Nutzung eines Pfades entsteht, und die zweite Art ist der Scheideweg, bei dem an einem bestimmten Punkt im Verlauf des Prozesses einer von mehreren möglichen Pfaden gewählt werden muss, um den bereits eingeschlagenen Weg weitergehen zu können. Dabei zeigt Ebbinghaus, dass die erste Art des Verständnisses von Pfadabhängigkeit zu unflexibel und deterministisch ist, die zweite Art jedoch offen genug, auch verschiedene Formen institutionellen Wandels analysieren zu können (Ebbinghaus 2005: 3). Zum besseren Verständnis werde ich nun auf beide Arten von Pfadabhängigkeit noch einmal näher eingehen.
Das Trampelpfadmodell: Wie bereits erwähnt geht es bei der Idee des Trampelpfades darum, dass dieser sich zufällig entwickelt, indem ein Pfad immer und immer wieder genutzt wird. Je mehr Individuen also diesen Pfad benutzen, desto begehbarer und „ausgebauter“ wird er. Gleichzeitig sinkt die Wahrscheinlichkeit des Verlassens dieses Pfades. Positive Feedbackeffekte sorgen schließlich für einen weiteren Ausbau des Pfades, da immer mehr Leute ihre Entscheidung für einen bestimmten Pfad an den Entscheidungen anderer abhängig machen (Ebbinghaus 2005: 7-11). Vier Bedingungen sind nach Ebbinghaus (2005: 7-10) dabei entscheidend für diese Form von Pfadabhängigkeit:
1. Am Anfang eines pfadabhängigen Prozesses sind die Ausgangsbedingungen gleich und verschiedene mögliche Pfade haben die gleiche Wahrscheinlichkeit gewählt zu werden.
2. Es gibt selbstverstärkende Prozesse, die dafür verantwortlich sind, dass am Ende ein Pfad eher gewählt wird als ein anderer. Je mehr Leute eine Innovation nutzen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sich am Ende eine Alternative durchsetzt.
3. Aufgrund dieser selbstverstärkenden Prozesse kommt es dann zum Lock-in wodurch die Wahl einer anderen Alternative nun endgültig unmöglich wird, weil diese mit Kosten verbunden wäre.
4. Pfadabhängige Prozesse können auch zu einer Verstärkung ineffizienter Pfade führen. So hat sich mit dem Wandel ins digitale Zeitalter dennoch die QWERTY- Tastaturbelegung erhalten, obwohl es möglicherweise effizientere Anordnungen der Tasten einer Tastatur gegeben hätte. Dabei können auch kleine Ereignisse am Anfang eines Pfades große Auswirkungen haben. Es ist allerdings nicht möglich diese Auswirkungen vorherzusagen, da die Analyse des pfadabhängigen Prozesses nur expost erfolgen kann.
Die zweite Art von Pfadabhängigkeit die Ebbinghaus beschreibt ist die des Scheidewegs. Um dieses Modell zu verstehen, kann man sich am Modell eines Entscheidungsbaumes orientieren. Am Anfang steht dabei ein Critical-Juncture-Ereignis, also ein Wendepunkt wie beispielsweise schneller Wandel in kurzer Zeit, welches zur Ausbildung zweier oder mehrerer Pfade führt. Alle darauffolgenden Entscheidungen können dann zur Festigung der sich ausbildenden Institutionen beisteuern, sind allerdings ebenso in der Lage Veränderungen herbeizuführen in Form von Path Departure oder Path Cessation. Path Departur e meint dabei eine schrittweise Anpassung durch eine teilweise Erneuerung der Institutionen, während Path Cessation eine Intervention ist, die die selbstverstärkenden Effekte einer bereits etablierten Institution beendet und damit Platz für eine neue Institution schafft. Auch nach der Verzweigung der Pfade kann es also weiterhin zu institutionellem Wandel kommen, die Pfade können aufgrund der Anfangsdifferenz jedoch unterschiedliche Richtungen einschlagen (Ebbinghaus 2005: 14-17).
Als Beispiel für sein Modell des Scheideweges nennt Ebbinghaus die unterschiedlichen Pfade in Wohlfahrtsstaatsreformen. Er beruft sich dabei unter anderem auf Esping-Andersens Hauptwerk „Three Worlds of Welfare Capitalism“ (Esping-Andersen 1990), der davon ausgeht, dass die drei unterschiedlichen Wohlfahrtsstaatstypen (liberal, konservativ, sozialdemokratisch) durch langfristig wirkende historische politische Kräfte geprägt werden. Diese Kräfte haben in der Folge zu einer tiefen Verwurzelung der einzelnen Regime und zu einem Einfrieren der institutionellen Landschaft geführt, aus der die Staaten kaum ausbrechen können. Dennoch waren einige Staaten in der Lage Reformen ihrer Sozialstaaten durchzuführen, wodurch es in diesen Staaten allmählich zu einer Neukalibrierung ihres Wohlfahrtstaatssystems kam (Path Departure) (Ebbinghaus 2005: 18-20). An dieser Stelle finden wir durch den Bezug auf Esping-Andersen (1990) auch einen Anknüpfungspunkt an das Pfadabhängigkeitskonzept von Paul Pierson (2000a), mit dem sich langfristige Differenzen zwischen den Wohlfahrtsstaaten erklären lassen und welches damit eine Ergänzung zu Esping- Andersens Regime-Ansatz darstellt. Beide Autoren, sowohl Pierson als auch Ebbinghaus betonen dabei, dass Wandel durchaus möglich ist, Ebbinghaus nennt dies wie bereits angesprochen Path Departure. Dieser Wandel kann jedoch sowohl bei Pierson als auch bei Ebbinghaus in der Regel nur langfristig und inkrementell erfolgen, wodurch die Analyse solcher Prozesse einen langen Untersuchungszeitraum erfordert, was in dieser Arbeit realisiert wurde.
2.7 Der organisationswissenschaftliche Ansatz
Auf einen neueren Ansatz, der einen anderen Weg zur Präzisierung des Pfadabhängigkeitskonzeptes wählt als die Ansätze von Pierson (2000a) und Ebbinghaus (2005), werde ich nun im Folgenden noch näher eingehen. Dies ist der organisationswissenschaftliche Ansatz von Jörg Sydow, Georg Schreyögg und Jochen Koch (2009). Sydow et al. (2009) teilen einen pfadabhängigen Prozess in drei Phasen ein, die sie Preformation Phase (Phase 1 in der Abbildung 1, Formation Phase (Phase 2 in der Abbildung 1) und Lock-In Phase (Phase 3 in der Abbildung 1) nennen. In der ersten Phase sind dabei noch viele Optionen wählbar und der Effekt der Entscheidung für eine der Optionen kann noch nicht vorhergesagt werden. Wenn allerdings eine Entscheidung getroffen wird und eine der Optionen gewählt wird, kann dies einen Selbstverstärkungsprozess auslösen der am Ende zu einem kritischen Punkt (Critical Juncture) führt der den Übergang in die zweite Phase markiert. Die zweite Phase ist dann geprägt von Selbstverstärkunsgprozessen, die es zunehmend schwerer machen, den Prozess wieder umzukehren. Zusätzlich nimmt die Auswahl an Optionen ab, wodurch es zunehmend schwerer wird, die zuerst getroffene Entscheidung rückgängig zu machen, wodurch allmählich ein Pfad entsteht. In der dritten Phase hat sich dieser Pfad schließlich vollständig ausgebildet und es gibt keine Optionen mehr, mit denen der Pfad wieder verlassen werden könnte. An dieser Stelle sprechen Sydow et al. (2009) dann von einem sogenannten Lock-in. Dieser Lock-in- Effekt hat das Potential, das System ineffizient zu machen, da es nun nicht mehr möglich ist, bessere Alternativen zu wählen (Sydow et al.: 691-696). Der komplette Ablauf dieses Prozesses ist auch in Abbildung 1 grafisch dargestellt.
Abb. 1: Verlauf eines pfadabhängigen Prozesses (nach Sydow et al. 2009)
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Sydow et al. (2009: 692).
Sydow, Schreyögg und Koch definieren Pfadabhängigkeit im Kern also als Prozess, in dessen Verlauf es zunehmend weniger Handlungsoptionen gibt und der von positiven Feedbackeffekten angetrieben wird. Die Dynamik, die dieser Prozess am Anfang noch aufweist, friert mit dem Lock-in ein. Solche Prozesse können dabei durch einen oder mehrere selbstverstärkende soziale Mechanismen erklärt werden. Die Autoren definieren dabei vier solcher Mechanismen, die am Ende Pfadabhängigkeit begünstigen. „In our view four mechanisms in particular are likely to contribute to the development of organizational path dependence: coordination effects, complementary effects, learning effects, and adaptive expectation effects“ (Sydow et al. 2009: 698).
Der Koordinationseffekt (Coordination Effects) meint dabei, je mehr Personen eine bestimmte Handlungsweise annehmen, desto effizienter ist die Interaktion zwischen ihnen, wodurch wiederum noch mehr Menschen diese Handlungsweise annehmen. Als Beispiel wird an dieser Stelle die Abstimmung über Links-bzw. Rechtsverkehr angeführt, bei der die jeweilige Entscheidung relativ schnell unumkehrbar feststand, da es eindeutige Vorteile mit sich brachte, der jeweiligen Regel zu folgen. Unter Komplementaritätseffekt (Complementary Effects) sind Synergien zu verstehen, die aus der Interaktion zweier oder mehrerer miteinander verbundener 15
Praktiken, Ressourcen oder Regeln entstehen (Sydow et al. 2009: 699-700). Ein Beispiel hierfür, welches von Sydow et al. (2009) angeführt wird sind die Economies-of-Scope welche immer dann vorliegen, wenn die Kosten für die Produktion und den Verkauf zweier Güter zusammen geringer sind als bei separater Produktion und Verkauf dieser Produkte. Mit Lerneffekten (Learning Effects) ist vor allem eine Effizienzsteigerung gemeint, die erreicht wird, wenn eine Handlung oder ein Prozess immer wieder durchgeführt wird und damit geschickter, schneller und mit weniger Fehlern ausgeführt wird. Da hierdurch die Kosten sinken und gleichzeitig eine Art Spezialisierung erfolgt, wird es in der Folge unattraktiv explorativ vorzugehen und zu versuchen, ganz neue Wege zu gehen, denn eine Verbesserung der bereits bestehenden Praktiken wird wahrscheinlich auf mehr Akzeptanz stoßen. Der adaptive Erwartungseffekt (Adaptive-Expectations-Effects) beschreibt schließlich, dass Leute sich in ihren individuellen Präferenzen an anderen orientieren, wodurch es zu Selbstverstärkungseffekten kommt, da Personen ein Produkt oder eine Dienstleistung eher nutzen, wenn sie dies auch von anderen erwarten (Sydow et al. 2009: 700-701). Um Pfadabhängigkeit näher zu untersuchen, schlagen Sydow, Schreyögg und Koch drei Untersuchungsschritte vor. Der erste Schritt sieht vor, zunächst eine Persistenz oder Rigidität zu identifizieren, also einen Zustand auszumachen, der sich über eine längere Zeit nicht verändert. Der zweite Schritt ist dann die Identifikation, Erforschung und Dekonstruktion selbstverstärkender Feedback-Prozesse und im dritten und letzten Schritt geht es schließlich darum, das Triggering Event zu identifizieren, dass den Pfadbildungsprozess aktiviert hat (Sydow et al. 701-704).
2.8 Kritische Einordnung des Pfadabhängigkeitskonzeptes
Alle von mir beschriebenen Pfadabhängigkeitskonzepte liefern keine universal gültigen Theorien zur Existenz und dem Auftreten pfadabhängiger Prozesse im Allgemeinen, sondern beanspruchen für jeweils unterschiedliche Bereiche Gültigkeit. Die Konzepte von Arthur (1989, 1994) und David (1985) für den Bereich der Ökonomie, das Konzept von North (1990) im Bereich von Institutionen, die Konzepte von Pierson (2000) und Ebbinghaus (2005) im Bereich von Politik und der Ansatz von Sydow et al. (2009) im Bereich der Organisationswissenschaft. Vor diesem Hintergrund der Vielfältigkeit an Theorien zur Pfadabhängigkeit ist es wichtig, sich auch mit den Schwächen der unterschiedlichen Konzepte auseinanderzusetzen und auf Kritik an diesen einzugehen.
Eine zentrale Schwäche der modelltheoretischen Ansätze zur Erklärung von Pfadabhängigkeit wie etwa der Ansatz von Arthur et al. (1987), welcher sich stark an der Polya-Urnen- Modellierung orientiert, ist die begrenzte Anwendbarkeit dieser Ansätze in der Realität. Die Ansätze gehen von Lock-in-Effekten aus, die in der Realität aber vermutlich kaum vorkommen, weil durch diese Lock-ins ein Zustand zementiert wird, der unveränderlich ist und damit auch langfristige Anpassungen ausschließt. Ein Ende dieses Lock-in-Effektes wäre in der Realität durch Einwirkung von außen zwar möglich, jedoch kann der Standard-Polya-Prozess mit dem beide Ansätze argumentieren dies nicht erklären (Beyer 2015: 157-158). In der Folge ist davon auszugehen, dass diese Ansätze nur in der Lage sind, die Fälle von Pfadabhängigkeit zu erklären, die den Modellen sehr ähnlich sind. Diese Ansätze zur Erklärung von Pfadabhängigkeit sind daher weniger flexibel einsetzbar und eignen sich nur zur Erklärung einzelner, jedoch nicht aller Fälle, in denen es zu einer pfadabhängigen Entwicklung kommt.
Auch das Konzept des Lock-in an sich , welches auch von Sydow et al. (2009) verwendet wird ist Gegenstand von Kritik. So halten Crouch und Farrell (2004) die mit dem Lock-in verbundene Vorstellung, dass bestimmte Entwicklungen unausweichlich sind, für zu deterministisch und mit der wirklichen institutionellen Entwicklung nicht vereinbar, denn es darf nicht ignoriert werden, dass Pfadabhängigkeit aus verschiedenen möglichen Entwicklungen entstanden ist. Von diesen vielen möglichen Entwicklungen ist am Ende aber nur eine eingetreten. Alle anderen möglichen Entwicklungen werden jedoch nicht vergessen und können bei sich ändernden äußeren Bedingungen dennoch realisiert werden (Crouch/Farrell 2004). Noch tiefergehender ist die Kritik von Jürgen Beyer am Lock-in, denn im Gegensatz zu dem, was die Idee eines Lock-ins suggeriert, sind nach Beyer alle pfadabhängigen Prozesse auch für grundlegenden Wandel anfällig, wobei es von den Stablisierungsmechanismen abhängt, wie stark diese Anfälligkeit am Ende ist. Möglichkeiten für grundlegenden Wandel sieht Beyer dabei im Bereich der Increasing Returns, denn die adaptiven Erwartungen könnten sich auch gegen bereits Etabliertes richten und so zu Wandel beitragen. Ebenso ist es aber auch möglich, dass es aufgrund von Veränderungen im Umfeld zu sinkenden Skalenerträgen kommt, wodurch die Hürden für einen Pfadwechsel kleiner werden (Beyer 2005: 13-18).
Allerdings ist auch der eher historisch-institutionalistische Ansatz von Pierson nicht frei von Kritik. Eine zentrale Schwäche seines Ansatzes, ist die fehlende Erklärung von Pfadtreue in einem Bereich bei gleichzeitiger Pfadabkehr in einem anderen Bereich. Diese Möglichkeit betont unter anderem Birgit Pfau-Effinger, die Prozesse der Pfadabkehr insbesondere in konservativen Wohlfahrtsstaaten für möglich hält (Pfau-Effinger 2008: 1-2). Weiterhin weist Piersons Ansatz Schwächen auf, da er keine radikalen Veränderungen im Bereich von Institutionen erklären kann und stattdessen deren langfristige Stabilität betont. Dadurch ist es nicht möglich mit Piersons Konzept Veränderungen im Institutionengefüge zu erklären, die auf exogene Schocks, wie etwa eine Krise oder ein Krieg zurückgehen. Aus diesem Grund lässt sich mit Piersons Konzept auch nur bei gleichzeitiger Betrachtung eines langen Untersuchungszeitraumes argumentieren, wie ich es auch in dieser Arbeit mache, um nicht Gefahr zu laufen, ein verfälschtes Ergebnis bei Betrachtung eines zu kurzen Untersuchungszeitraumes zu erhalten, wenn in diesen ein Ereignis fällt, das einen exogenen Schock darstellen könnte. Zudem kann sein stärkerer Fokus auf die Notwendigkeit des Auftretens von Increasing Returns kritisiert werden, da andere Konzepte durchaus Wege aufzeigen, wie Pfadabhängigkeit auch ohne Increasing Returns auftreten kann (vgl. Page 2006).
Einen anderen Weg haben wiederum Sydow et al. (2009) gewählt die Pfadabhängigkeit in drei Phasen einteilen. Dabei ist auch dieses Konzept nicht frei von Schwächen. Zu den Nachteilen des Ansatzes zählt unter anderem, dass die vier Effekte (Coordination Effect, Complementary Effect, Learning Effect und Adaptive-Expectations-Effect) eher allgemein formuliert sind, was die Frage aufwirft, wie diese Effekte durch Critical-Juncture-Ereignisse in Gang gesetzt werden. Eine weitere Schwäche des Ansatzes geht aus dem Rückbezug des Ansatzes auf die ursprüngliche Definition von Pfadabhängigkeit zurück, wodurch Sydow et al. (2009) dem Vorwurf ausgesetzt sind, Kritik an der Idee der Increasing Returns sowie die Möglichkeit der Pfadabkehr unbeachtet zu lassen, anstatt diese zu widerlegen. (Beyer 2015: 160-161).
Ein letzter Kritikpunkt bezieht sich auf Douglass North und die von ihm betonte Verschränkung von Institutionen innerhalb der institutionellen Matrix als Grundlage von Persistenz. Hall und Soskice (2001) greifen diese Idee ebenfalls auf, sprechen jedoch von institutionellen Komplementaritäten, die in liberalen und koordinierten Marktwirtschaften zu pfadabhängigen Prozessen führen. In beiden Fällen ist jedoch die Möglichkeit von Pfadabweichung ausgeschlossen. Kritisiert wird hieran vor allem, dass Institutionen durchaus Komplementaritäten aufweisen können, mit denen sie sich gegenseitig festigen, dies jedoch langfristigen Wandel und Prozesse der Pfadabweichung nicht ausschließen muss. Dieser Wandel wird dabei jedoch keineswegs durch exogene Schocks, sondern vielmehr durch kleine Veränderungen der inneren Struktur pfadabhängiger Prozesse hervorgerufen (Werle 2007: 126128). Streeck und Thelen (2005: 31) unterscheiden dabei fünf Arten von Wandel die langfristig zu institutionellen Veränderungen führen:
- Layering - allmähliche Veränderung der institutionellen Struktur, durch einzelne neue Elemente die hinzukommen.
- Displacement - Bedeutungsgewinn von untergeordneten Institutionen.
- Conversion - Ältere Institutionen dienen nun neuen Zwecken.
- Drift - Vernachlässigung von bestimmten institutionellen Elementen.
- Exhaustion - Institutionen verlieren an Bedeutung.
Insgesamt zeigt sich also, dass sich in der Diskussion um Pfadabhängigkeit nicht eine Erklärung final durchgesetzt hat, was allein schon daran deutlich wird, dass es keine Einigkeit über die Notwendigkeit von Increasing Returns für pfadabhängige Prozesse gibt. Die neoklassiche Ökonomie geht sogar noch weiter und stellt die grundsätzliche Existenz pfadabhängiger Prozesse in Frage. Dieser Theorieansatz geht stattdessen von Konvergenz zwischen den Staaten aus, ausgelöst durch die Liberalisierung des Welthandels, sowie den freien Kapital- und Personenverkehr (Grömling et al. 2016: 3-6). Allerdings muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dies ein rein wirtschaftswissenschaftliches Konzept von Konvergenz darstellt und schon Pierson zurecht auf die Unterschiede zwischen Wirtschaft und Politik hingewiesen hat (vgl. Pierson 2000a), welche eine begrenzte Aussagekraft dieser allein wirtschaftswissenschaftlichen Definition von Konvergenz für den Bereich der Politik implizieren. Dennoch sind aber konvergente Prozesse auch durchaus im Bereich der Politik- und Sozialwissenschaften beobachtbar. Insbesondere die Wohlfahrtsstaatsforschung beschäftigt sich dabei mit konvergenten Prozessen. Die Ursachen für diese werden hier im wirtschaftlichen Strukturwandel gesehen, der in den einzelnen Staaten zu ähnlichen Problemlagen führt, die jedoch von jedem Staat autonom bekämpft werden. In der neuen Forschung zu Konvergenz stehen dabei vor allem auch die Probleme und Folgen der Deindustrialisierung im Vordergrund wie die zunehmende Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse oder der demographische Wandel (Obinger/Starke 2007: 471-472). Daher werde ich im Folgenden nun noch etwas ausführlicher auf Konvergenz in den Sozialwissenschaften eingehen.
3.0 Konvergenz
3.1 Konvergenz. Eine Einordnung des Begriffes
Der Begriff der Konvergenz stammt ursprünglich aus den Naturwissenschaften und bezeichnet eine zunehmende Angleichung ursprünglich unterschiedlicher Erscheinungen wie zum Beispiel die ähnliche Entwicklung von Organismen aufgrund von ähnlichen Lebensbedingungen (Bolz 1972: 149). In den Sozialwissenschaften wird Konvergenz ähnlich definiert. Der Fokus in den Sozialwissenschaften ist dabei jedoch ein anderer als in den Naturwissenschaften, denn Konvergenz in den Sozialwissenschaften wird definiert als “the tendency of societies to grow more alike, to develop similarities in structures, processes and performances” (Kerr 1983: 3) Diese zunehmenden Ähnlichkeiten in Strukturen und Prozessen finden statt vor dem Hintergrund zunehmender wirtschaftlicher und ökonomischer Verflechtungen zwischen den Staaten. Allerdings zeigt sich Konvergenz auch in einem immer größeren Grad an politischer Interdependenz (Holzinger et al. 2007: 11-12).
In der Literatur lassen sich einige mögliche Ursachen für Konvergenz finden. Die funktionalistischen Theorien betonten dabei, dass Staaten mit ähnlichen Problemen, wie den Herausforderungen durch den demographischen Wandel, auch ähnlich auf diese Probleme reagieren. Daneben wird auch auf die Rolle von Lernprozessen bei der Übernahme einzelner Politiken durch andere Staaten hingewiesen. Zudem kann eine zunehmende Ähnlichkeit auf rechtliche Verpflichtungen der Staaten zurückzuführen sein (Holzinger et al. 2007: 12). Ein Beispiel hierfür sind unter anderem die verschiedene EU-Gesetze im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Hier hat sich die EU unter anderem verpflichtet, bis 2030 die Treibhausgasemissionen verglichen mit dem Jahr 1990 um 40% zu reduzieren (Mayr 2024). Die EU-Staaten haben also ein gemeinsames Ziel, welches erreicht werden muss und so ähneln sich möglicherweise dann auch die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Weiterhin kann eine zunehmende Anpassung auch durch den Zwang durch internationale Organisationen oder andere Staaten hervorgerufen werden. Denkbar wäre in diesem Kontext unter anderem ein Anpassungszwang, der sich aus dem Wettbewerb zwischen den Staaten ergibt, der diese wiederum dazu bringt, ihre Politik zu neu zu bewerten. Auch dieser Wettbewerb entspringt einer funktionalistischen Logik. Staaten reagieren auf den Wettbewerb mit anderen Staaten, indem sie Standards senken, Handelsbarrieren abbauen und Steuern senken um attraktiver für Investments zu werden und so die anderen Staaten auszustechen. Hierzu passt wiederum die bereits angesprochene Race-to-the-Bottom-Hypothese, die von konvergenten Prozessen in der Entwicklung von Staaten ausgeht. Jedoch werden sich die Staaten dabei nicht einfach ähnlicher, sondern passen sich dem Land mit den niedrigsten Standards an (Holzinger/Knill 2007: 85-86; Kuitto et al. 2012: 7-9). Das Konzept der Konvergenz unterscheidet zwischen vier verschiedenen Arten der Konvergenz: Sigmar-Konvergenz, Beta(ß)-Konvergenz, Gamma(Y)-Konvergenz und Delta(ö)-Konvergenz . Im Folgenden werde ich nun auf die einzelnen Konvergenztypen näher eingehen.
3.2 Typen von Konvegenz
Sigma(o)-Konvergenz: Die Sigma(o)-Konvergenz entspricht wahrscheinlich am ehesten unserem grundsätzlichen Verständnis von Konvergenz, als Zunahme von „Ähnlichkeit“ im Zeitverlauf. Wissenschaftlich ausgedrückt bedeutet diese Form von Konvergenz die Abnahme von Variation im Verlauf der Zeit. Die Unterschiede zwischen einzelnen Policies , gesetzlichen Standards oder anderen Indikatoren werden also mit der Zeit geringer (Holzinger et al. 2007: 18).
Beta(ß)-Konvergenz: Im Gegensatz zur Sigma(a)-Konvergen z, die eine Abnahme der Variation und damit eine Zunahme von Ähnlichkeit im Zeitverlauf darstellt, bezieht sich die Beta(ß)- Konvergenz eher auf das Verhältnis einzelner Länder in einem Sample zueinander. Beta(ß)- Konvergenz gilt in der Ökonomie als das zentrale Konvergenzkonzept. Es wird dabei sowohl das Ausmaß als auch die Richtung der Mobilität einer Ländergruppe im Sample untersucht. Diese Mobilität kann sich sowohl in Gestalt von Catch-up-Prozessen als auch in Gestalt von Catch-down-Prozessen darstellen. Ersteres meint das Aufholen von Ländern mit einem niedrigen Ausgangsniveau in einem bestimmten Policy-Indikator und die zunehmende Anpassung an Länder mit höherem Startniveau, während zweites das Gegenteil meint, also ein zunehmendes Zurückfallen von Ländern mit hohem Ausgangsniveau über die Zeit. Um Beta(ß)-Konvergenz nachzuweisen, ist es möglich, den Zusammenhang zwischen dem Startwert eines bestimmten Policy-Indikators und seiner Veränderungsrate in einem bestimmten Zeitraum mit einer linearen Regression darzustellen. Wenn es dabei einen negativen, also inversen Zusammenhang gibt, deutet dies auf Beta(ß)-Konvergenz hin (Holzinger et al. 2007: 19; Holzinger Knill 2007: 87). Dabei ist Beta(ß)-Konvergenz jedoch nur eine hinreichenden, j edoch keine notwendige Bedingung für Sigma(o)-Konvergenz, denn selbst wenn es zu Catch-up-Prozessen kommt und einige Länder auf andere aufholen, kann die Ungleichheit zwischen ihnen dennoch zunehmen (Hirte/Neumann 2008: 98).
Gamma(Y)-Konvergenz: Gamma(Y)-Konvergenz bezeichnet eine Veränderung im Länderrranking. Man spricht von Konvergenz, wenn die Länder aus den vorderen Reihen des Rankings zurückfallen oder andere Länder im Ranking weiter nach oben wandern. Zur Erfassung der Mobilität werden dabei Zusammenhangsmaße wie Kendalls Tau und Gamma verwendet. Die Gamma(Y)-Konvergenz ist dabei umso größer, je kleiner der Zusammenhang des Rankings zu unterschiedlichen Zeitpunkten ist. Im Gegensatz zur Beta(ß)-Konvergenz ist es dabei allerdings nicht möglich eine Richtung anzugeben (Holzinger et al. 2007: 19).
Delta(ö)-Konvergenz: Delta(6)-Konvergenz meint die zunehmende Ähnlichkeit mit einem bestimmten Politikmodell. Delta Konvergenz geht dabei oft zusammen mit Sigma(o)- Konvergenz einher, denn wenn bestimmte Staaten ein Politikmodell übernehmen, bedeutet dies auch eine Abnahme von Varianz. Dabei muss Delta(ö)-Konvergenz aber nicht notwendigerweise mit Sigmar-Konvergenz einhergehen, denn zwei oder mehr Policies können durchaus einem anderen Politikmodell ähnlicher werden, ohne sich untereinander ähnlicher zu werden. Das Konzept der Delta(ö)-Konvergenz lässt sich insbesondere in der Wohlfahrtsstaatsforschung gut anwenden, weil sich mit diesem Konzept gut untersuchen lässt, inwieweit man von einem Race-to-the-bottom sprechen kann (Holzinger et al. 2007: 19).
Insgesamt steht das Konzept der Konvergenz dabei in einem zentralen Gegensatz zur Theorie der Pfadabhängigkeit. Während erstere die Stabilität politischer Systeme betont, indem bestimmte Pfade eingeschlagen werden, die später nicht oder nur schwer wieder verlassen werden können, geht das Konzept der Konvergenz von Anpassungsprozessen und Veränderungen in der Entwicklung von Staaten aus. Daher erscheint es besonders lohnenswert, die Theorie der Konvergenz auch empirisch zu überprüfen, um herauszufinden, ob westliche Sozialstaaten seit dem Ende des Golden Age wirklich von Pfadabhängigkeit geprägt waren, oder ob sich doch auch Hinweise auf Konvergenz finden lassen. Im hierauf folgenden Abschnitt dieser Arbeit möchte ich nun zunächst die Methodik meiner empirischen Analyse der Entwicklung der Sozialstaaten erläutern.
4.0 Methodik
In diesem Abschnitt soll zunächst kurz auf die zu überprüfenden Hypothesen eingegangen werden. Dies ist zum einen die Hypothese der Pfadabhängigkeit in der Entwicklung der OECD- Gründungsstaaten seit der Zeit des Golden Age. Diese Hypothese schließt dabei zwei weitere mit ein. Zum einen ist dies die Annahme von dauerhaften Differenzen zwischen den Sozialstaaten und zum anderen die Annahme, dass Wandel im Bereich der Wohlfahrtsstaaten nur inkrementell und über einen langen Zeitraum erfolgen kann und es nicht zu einem sogenannten Race-to-the-Bottom kommt. Die drei Hypothesen stützen sich dabei auf das Pfadabhängigkeitskonzept von Paul Pierson (2000a), auf welches ich in Kapitel 2.4 dieser Arbeit ausführlich eingegangen bin.
Zur Überprüfung dieser Hypothesen arbeite ich quantitativ und deduktiv indem ich überprüfe, ob es in der Entwicklung der westlichen Wohlfahrtsstaaten seit 1980 zu konvergenten Prozessen gekommen ist, die der These der Pfadabhängigkeit entgegenstehen würden. Hierfür 22 verwende ich Daten zu den 20 Gründungsmitgliedern der OECD (OECD 2023). Die Auswahl dieser Länder ist dabei praktisch begründet, denn die Datenlage im Bezug auf Sozialausgaben und Lohnersatzraten für die Gründungsmitglieder der OECD ist deutlich umfangreicher und ergiebiger als für andere Länder. Vor allem im Bereich der Lohnersatzraten war es mir kaum möglich, Daten zu Ländern zu finden, die nicht der OECD angehören. Zudem gehören auch alle 20 Gründungsmitglieder der OECD zu den „westlichen“ Wohlfahrtsstaaten und damit zu der Gruppe von Staaten, die ich in dieser Arbeit untersuchen möchte. Gerade weil Pierson in seinem Pfadabhängigkeitskonzept begründet darlegt, dass Wandel nur über einen langen Zeitraum und inkrementell erfolgen kann (vgl. Pierson 2000b, 76), ist es auch für meine Forschung elementar wichtig, einen langen Untersuchungszeitraum abzudecken. Daher untersuche ich Veränderungen in den Jahren 1980 bis 2015/19.
In der Analyse untersuche ich dann zunächst im Bereich der Sozialausgaben die Jahre 1980 und 2019. Das Jahr 1980 als Ausgangspunkt habe ich gewählt, da um das Jahr 1980 das Golden Age der Wohlfahrtsstaatlichkeit vorbei war und die Wohlfahrtsstaaten vor neue Herausforderungen gestellt wurden wie etwa der Zwang zur Kostenreduzierung, Deregulierung und der demographische Wandel, auf welche die Wohlfahrtsstaaten wiederum reagieren mussten (Nullmeier 2019: 4; Ostner et al. 2001: 9-13). Das Jahr 2019 als Endpunkt habe ich gewählt, da ich zwar auf der einen Seite mit meiner Analyse möglichst nah an die Gegenwart herankommen möchte, auf der anderen Seite so aber nicht Gefahr laufe, Daten zu analysieren, die durch die großen Umbrüche, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, möglicherweise beeinflusst worden sind. So hat die Corona-Pandemie die Sozialausgaben in Deutschland beispielsweise auf den höchsten Stand aller Zeiten gebracht (Creutzburg 2021), was sich bei einer Betrachtung der Jahre der Corona-Pandemie auch auf meine Datengrundlage und damit letztendlich auch auf die Ergebnisse ausgewirkt hätte. Bei den Lohnersatzraten habe ich allerdings aufgrund der begrenzten Datenlage den Zeitraum 1980 bis 2015 wählen müssen. Zudem war es nicht möglich, Daten für die Türkei, Island und Luxemburg vor dem Jahr 2005 zu erhalten, weshalb alle drei Länder in diesem Teil der Analyse nicht mehr enthalten sind und sich daher die Analyse der Lohnersatzraten auf 17 Länder beschränkt. Im Bereich der Sozialausgaben ließen sich ebenfalls keine Daten für Island im Jahr 1980 finden, weshalb ich für dieses Land die ältesten verfügbaren Daten aus dem Jahr 1990 verwende.
Zur Auswahl meiner Daten lässt sich sagen, dass ich auf der einen Seite die Sozialausgaben in Prozent am BIP insgesamt, und aufgeteilt in die drei Bereiche Alterssicherung, Gesundheit und Arbeitslosigkeit untersuchen werde, aber auch die Lohnersatzraten für die Bereiche Rente, 23 Krankheit und Arbeitslosigkeit. Die Lohnersatzraten beziehen sich dabei im Fall von Arbeitslosigkeit und Krankheit auf die durchschnittliche 26-Wochen Lohnersatzrate für eine alleinstehende Person und im Fall der Rente auf die durchschnittliche Ersatzrate für eine alleinstehende Person. Die Analyse von Sozialausgaben hat dabei in der Wohlfahrtsstaatsforschung lange Tradition. Vor allem frühe Studien im Bereich der Sozialpolitik und Sozialstaatsforschung haben häufig auf Daten zu Sozialausgaben zurückgegriffen als Maß der Generosität von Wohlfahrtsstaaten. Die Vorteile dieser Daten sind zum einen die einfache Verfügbarkeit und das auch über lange Zeitreihen und zum anderen die politische Sichtbarkeit dieser Daten. Probleme dieser Form von Daten liegen darin begründet, dass sich auf der einen Seite Reformen oft erst mit Zeitverzug in der Ausgabenhöhe zeigen und auf der anderen Seite die Sozialausgaben oft in Relation zum BIP angegeben werden, wodurch Schwankungen in der Wirtschaftsleistung die Ausgabendaten stark verändern können (Häusermann 2015: 595-598). Daher verlasse auch ich mich in meiner Analyse nicht allein auf Daten zu den Sozialausgaben, sondern auch auf die Analyse von Lohnersatzraten, die ein detaillierteres Bild auf Wohlfahrtsstaatlichkeit bieten. Allerdings bringen auch Lohnersatzraten Probleme mit sich. Zum einen ist die Berechnungsgrundlage häufig so kompliziert, dass eine genaue Bestimmung der Lohnersatzraten häufig schwierig ist. Zum anderen werden Lohnersatzraten für sehr spezifische Beispielfälle berechnet, wie z.B. ein Arbeiter mit zwei Kindern und erwerbsloser Frau, was Menschen mit anderen Biografien nicht miteinschließt (Häusermann 2015: 595-598). Dennoch erlauben beiden Arten von Daten einen Blick auf die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten der OECD seit dem Jahr 1980, wenngleich man sich aber den Problemen dieser Daten bewusst sein sollte.
In der Analyse selbst werde ich untersuchen, ob sich in den Daten im Zeitverlauf Hinweise für Konvergenz finden lassen, die nicht mit Piersons Pfadabhängigkeitskonzept (Pierson 2000a) vereinbar wären. Ich beschränke mich dabei auf die Untersuchung von Sigma(o)- und Beta(ß)- Konvergenz. Bei der Durchführung der Analyse orientiere ich mich an Starke et al. (2008) sowie Obinger/Starke (2007), die ebenfalls unter anderem die Sozialausgaben und Lohnersatzraten auf Sigma(o)- und Beta(ß)-Konvergenz untersucht haben, jedoch im Zeitraum 1980 bis 2002, wohingegen ich diesen Zeitraum bis zum Jahr 2015/2019 ausdehne.
Um Sigma(o)-Konvergenz nachzuweisen, werde ich dabei, wie auch Starke et al. (2008) und Obinger/Starke (2007), besonderes Augenmerk auf die Varianzen bei den Sozialausgaben und Lohnersatzraten und die Veränderung dieser im Zeitraum 1980 bis 2019 bzw. 2015 legen und diese mit Hilfe des Levene -Tests zudem auf Varianzhomogenität überprüfen. Für den Nachweis von Beta(ß)-Konvergenz werde ich zunächst die Veränderungsrate für den Zeitraum 1980 bis 2019 berechnen. Anschließend werde ich die Korrelation (Pearsons R) zwischen den Ausganswerten und der Veränderungsrate berechnen und diese mit Hilfe eines t -Tests auf Signifikanz überprüfen. Für die Sozialausgaben und Lohnersatzraten werde ich zudem noch eine lineare Regression berechnen, um zu bestimmen, wie groß der Teil der Varianz der abhängigen Variable Veränderungsrate ist, der durch die unabhängige Variable Sozialausgaben/Lohnersatzrate erklärt wird, um damit eine Aussage über die Stärke des linearen Zusammenhangs treffen zu können. Dies werde ich anschließend zudem grafisch darstellen. Für die statistischen Analysen habe ich dabei sowohl mit Excel als auch mit R gearbeitet. R habe ich dabei für die linearen Regressionen, die Prüfung der Regressionsannahmen und die Aufarbeitung der Daten verwendet, Excel für die Inhalte der Tabellen und Grafiken sowie die Levene -Tests. Als Datenquelle für die Analyse dienen mir an dieser Stelle für die Sozialausgaben zum einen die Social Expenditure Database (SOCX) der OECD (OECD 2023), aber auch der Social Insurance Entitlements Dataset (Nelson et al. 2020) des Swedish Institute for Social Research für die Lohnersatzraten. Im Bereich der Lohnersatzraten gibt es mit dem Comparative Welfare Entitelments Dataset (Scruggs et al. 2017) auch noch einen weiteren relevanten Datensatz. Diesen Datensatz habe ich jedoch für meine Analyse nicht verwendet, da er nur Daten bis zum Jahr 2011 enthält.
5.0 Empirische Analyse
5.1 Sozialausgaben
Schauen wir uns die Entwicklung der Sozialausgaben zwischen den Jahren 1980 und 2019 an, so können wir zunächst feststellen, dass der Sozialstaat nicht auf dem Rückzug ist. Es ist eher das Gegenteil der Fall, denn die Sozialausgaben in Prozent des BIP sind in allen Ländern außer den Niederlanden und Irland gestiegen. Tabelle 1 zeigt, dass es im Zeitraum von 1980-2019 einen durchschnittlichen Anstieg in der Höhe der Sozialausgaben von 5,9% gab. Der Anstieg im Bereich der Sozialausgaben ging dabei jedoch nicht mit Sigma(o ) -Konvergenz einher. Dies lässt sich anhand der statistischen Dispersionsmaße Variationskoeffizient (im Folgenden VarK) und Standardabweichung (im Folgenden SD) feststellen, die in Anbetracht des langen Zeitraumes von 39 Jahren eher konstant geblieben sind bzw. nur geringere Veränderungen von -0,1 für den VarK und -0,3 für die SD aufweisen, was an dieser Stelle eher für Persistenz sprechen würde und damit eher ein Indiz für Pfadabhängigkeit sein könnte. Auch der Levene - Test zeigt keine signifikanten Unterschiede in den Varianzen im Zeitverlauf, was bedeutet, dass die Nullhypothese, die von Varianzhomogenität ausgeht, nicht verworfen werden muss. Dieser Befund gilt auch für alle anderen Variablen in dieser Arbeit, sofern in den Tabellen nichts anderes angegeben ist.
Tabelle 1: Sozialausgaben in Prozent des BIP in 20 Ländern, 1980-2019
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung: * = Signifikanzniveau < 0,05; Daten für Island aus den Jahren 1990, 2000 und 2019.
Quelle: OECD (2023), eigene Darstellung.
Allerdings lässt sich, bei einem Blick in die unterste Zeile der Tabelle 1, zwischen den Ausgangswerten der Sozialausgaben für das Jahr 1980 und der Veränderungsrate für die Jahre 1980 bis 2019 eine Korrelation (Catch-up) von -0,5 feststellen, was auf einen mittelstarken bis starken Zusammenhang dieser beiden Variablen hindeutet (vgl. Bohndick 2014). Der t -Test für den Korrelationskoeffizienten zeigt zudem, dass dieser Zusammenhang bei einem angenommenen Alpha(a)- Niveau von 0,05 durchaus signifikant ist, weshalb die Nullhypothese, die davon ausgeht, dass keine Korrelation zwischen den beiden Variablen vorhanden ist, verworfen werden muss. Durch das negative Vorzeichen des Korrelationskoeffizienten im unteren Teil der Tabelle 1 haben wir außerdem einen ersten Hinweis auf Beta(ß ) -Konvergenz. Zudem zeigt uns eine einfache lineare Regression7 mit den Ausgangswerten der Sozialausgaben als unabhängige Variable und der Veränderungsrate zwischen 1980 und 2019 als abhängige Variable einen inversen Zusammenhang (ß = -0,47; t = -2,51; p = 0,02: R = 0,26). Dies ist auch in Abb. 2 noch einmal grafisch dargestellt. Einschränkend muss hier allerdings gesagt werden, dass dieses Modell mit einem Determinationskoeffizienten von 0,26 nur 26% der Varianz der abhängigen Variable durch die unabhängige Variable erklären kann, was wiederum die Aussagekraft dieses Modells schmälert.
Durch die signifikante Korrelation (r) gibt es also durchaus Hinweise auf Beta(ß)-Konvergenz, aber es wäre wahrscheinlich ein größeres Ländersample nötig, um auch durch die lineare Regression wirklich aussagekräftige Hinweise auf Beta(ß)-Konvergenz zu erhalten. Durch den negativen Zusammenhang in der linearen Regression in Kombination mit der negativen Korrelation lässt sich aber trotzdem durchaus sagen, dass es hier im Zeitraum 1980-2019 wahrscheinlich zu Catch-up- Prozessen gekommen ist. Catch-up bedeutet dabei ein Aufholen von Ländern mit niedrigerem Ausgangsniveau bei den Sozialausgaben im Jahr 1980 auf Länder mit höherem Ausgangsniveau im Jahr 1980 über den Zeitraum 1980 bis 2019 hinweg. Dargestellt ist dies auch noch einmal in Abbildung 2, die uns zeigt, dass die Länder mit niedrigerem Ausgangsniveau im Jahr 1980 ein stärkeres Wachstum im Bereich der Sozialausgaben zu verzeichnen hatten als die Länder, die höhere Ausgangswerte im Jahr 1980 hatten.
Abb. 2: Durchschnittliches Wachstum der Sozialausgaben in % des BIP in 20 Ländern, 1980-2019
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2023); eigene Darstellung.
5.2 Sozialausgaben in verschiedenen Bereichen
Wenn wir uns nun noch einmal die Sozialausgaben differenziert in die drei Ausgabenbereiche Alters Sicherung, Gesundheit und Arbeitslosigkeit anschauen, gewinnen wir einen noch detaillierteren Blick auf die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten der OECD. Tabelle 2 zeigt dabei die Ausgaben in den drei Bereichen in Prozent des BIP für die Jahre 1980 und 2019, sowie die Veränderungsrate in diesem Zeitraum. Die Bereiche Alterssicherung und Gesundheit habe ich dabei aufgrund ihrer Größe ausgewählt, da ein Großteil sozialstaatlicher Ausgaben in diese Bereiche fließt, während ich den Bereich der Ausgaben für Arbeitslosigkeit gewählt habe, weil einige Autoren gerade in diesem Bereich ein Race-to-the-Bottom sehen, da es in diesem Bereich schwieriger sein kann die öffentliche Meinung gegen Kürzungen zu mobilisieren (vgl. Starke et al. 2008: 988). Die Untersuchung eines solchen Race-to-the-Bottom ist für meine Analyse besonders relevant, da Pierson in seiner Pfadabhängigkeitstheorie nicht von einem solchen abwärts verlaufenden Prozess ausgeht (Starke et al. 2008: 379-380). Auch hier hat der Levene -Test keinen Nachweis signifikanter Unterschiede in den Varianzen erbracht, weshalb die Nullhypothese nicht verworfen werden muss.
Tabelle 2: Sozialausgaben aufgeteilt in drei Bereiche in Prozent de BIP in 20 Ländern. 1980-2019
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung: * = Signifikanzniveau < 0,05; Daten für Island aus den Jahren 1990, 2000 und 2019.
Quelle: OECD (2023), eigene Darstellung.
Wenn wir uns nun die Ergebnisse im Detail anschauen, fällt auf, dass wir nur für den Bereich der Ausgaben für Arbeitslosigkeit Hinweise auf Sigma(o ) -Konvergenz verzeichnen können, was sich daran feststellen lässt, dass alle statistischen Dispersionmaße (VarK und SD) hier kleiner werden im Zeitraum von 1980 bis 2019, was auf eine Abnahme der Varianz hindeutet und, wie bereits in Kapitel 3 erläutert, das zentrale Merkmal von Sigma(o ) -Konvergenz darstellt. Für die Bereiche Alterssicherung und Gesundheit lässt sich im Gegensatz zu den Ausgaben für den Bereich Arbeitslosigkeit jedoch kein Hinweis auf Sigma(o)-Konvergenz finden. Während hier der VarK konstant bleibt, wird die SD größer und wenn wir uns die Werte für die Quartile im unteren Teil der Tabelle 2 anschauen, wird deutlich, dass auch der Abstand zwischen erstem und drittem Quartil gewachsen ist, was an dieser Stelle eher für Divergenz und nicht für Konvergenz sprechen würde, weil wir eine Zunahme der Varianz zu verzeichnen haben. In beiden Bereichen lässt sich weiterhin auch kein Anzeichen für Beta(ß ) -Konvergenz finden, denn wir haben hier nur eine geringe negative Korrelation, was bedeutet, dass wir hier wahrscheinlich keine nennenswerten Catch-up -Prozesse haben. Der t- Test ergibt zudem, dass sowohl die Korrelation für die Werte im Bereich Alterssicherung als auch die Korrelation für die Werte im Bereich Gesundheit bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 nicht signifikant ist (Alterssicherung: p -Wert = -0,99, Gesundheit: p -Wert =-1,37; kritischer Wert = -1,96/1,96). Eine lineare Regression mit den Ausgangswerten für das Jahr 1980 als unabhängige Variable und der Veränderungsrate im Zeitraum 1980-2019 als abhängige Variable für die Bereiche Gesundheit und Alterssicherung liefert auch keine Hinweise auf Beta(ß ) -Konvergenz (Gesundheit: ß = -0,43; t = -1,64; p = 0,12: R = 0,13; Alterssicherung: ß = -0,33; t = -1,19; p = 0,25: R[2] = 0,07). Die Modelle sind jeweils nur in der Lage einen einstelligen Prozentsatz der Streuung zu erklären und sind damit nicht gut an die Daten angepasst. Sie zeigen zwar einen inversen Zusammenhang, der auf Beta(ß ) -Konvergenz hindeuten könnte, was sich an den negativen Regressionskoeffizienten ß erkennen lässt, jedoch sind die R[2] Werte zu klein, um mit diesen Modellen für signifikante Beta(ß ) -Konvergenz argumentieren zu können. Daher lässt sich für die beiden Bereiche Gesundheit und Alterssicherung abschließend nur sagen, dass sich keine signifikanten Hinweise auf Sigma(o ) - oder Beta(ß ) -Konvergenz finden lassen, sondern die Daten eher auf Divergenz und damit ein Auseinanderdriften der Sozialstaaten hindeuten.
Abb. 3: Durchschnittliches Wachstum der Ausgaben für Arbeitslosigkeit in % des BIP in 20 Ländern, 1980-2019
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2023); eigene Darstellung.
Anders sieht es im Bereich der Ausgaben für Arbeitslosigkeit aus. Hier haben wir nicht nur, wie bereits beschrieben, den Hinweis auf Sigma(o ) -Konvergenz, sondern haben auch eine starke Korrelation von -0,74 zwischen den Ausgaben für Arbeitslosigkeit im Jahr 1980 und der Veränderungsrate für den Zeitraun 1980 bis 2019, was auf einen starken inversen linearen Zusannenhang zwischen den Variablen hindeutet. Der t -Test ergibt zuden, dass diese Korrelation signifikant ist bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 (p- Wert = -2,52; kritischer Wert = -1,96/1,96) was an dieser Stelle auf einen Zusammenhang und damit Beta(ß)-Konvergenz hindeutet. Auch die lineare Regression8 zeigt einen starken inversen Zusammenhang und das Modell ist dabei in der Lage 61% der Varianz der abhängigen Variable mit der unabhängigen Variable zu erklären (ß = -0,68; t = -5,3; p = 0,00: R[2] = 0,61). Insgesamt haben wir also durchaus Hinweise auf Beta(ß)-Konvergenz und damit auf Catch-up- Prozesse einzelner Länder auf andere Länder, die in Abb. 3 für das Modell auch noch einmal grafisch veranschaulicht werden. Hier sehen wir, dass die Länder mit niedrigerem Ausgangsniveau im Jahr 1980 im Durchschnitt stärkere Wachstumsraten verzeichneten als die Länder mit höheren Ausgangswerten. Auffallend ist jedoch die Anordnung der Datenpunkte in Abb. 3. Wir sehen hier im Diagramm oben links, dass eine Mehrzahl der Länder offenbar ein niedriges Ausgangsniveau im Jahr 1980 und eine positive Veränderungsrate zwischen 1980 und 2019 aufweist. Gleichzeitig gibt es eine andere etwas verstreutere Gruppe von Ländern, die höhere Ausgangsniveaus für das Jahr 1980 aber eine negative Veränderungsrate aufweisen.
5.4 Lohnersatzraten
In einem zweiten Schritt folgt nun noch die Analyse der Lohnersatzraten für Arbeitslosigkeit, Krankheit und Rente, um auch hier Hinweise auf mögliche konvergente Prozesse zu finden. Tabelle 3 zeigt dabei die Lohnersatzraten für Arbeitslosigkeit, Krankheit und Rente. Auch hier hat der Levene -Test ergeben, dass wir die Nullhypothese Varianzhomogenität nicht verwerfen müssen. Wenn wir uns nun zunächst die Lohnersatzrate für Rente anschauen, dann stellen wir fest, dass die statistischen Dispersionsmaße VarK und SD von 1980 bis 2015 kleiner geworden sind, was auf Sigma(o ) -Konvergenz hindeutet. Wenn wir uns nun aber zusätzlich noch die Werte für die Quartile anschauen sehen wir, dass diese Werte in Anbetracht des langen Untersuchungszeitraumes von 34 Jahren sehr konstant geblieben sind, was wiederum eher für Persistenz sprechen würde, weshalb man insgesamt davon sprechen kann, dass es sich hier eher um vergleichsweise schwache Sigma(o ) -Konvergenz handelt. Für Beta(ß)-Konvergenz ließen sich dagegen keine Hinweise finden. Zwar haben wir eine Korrelation zwischen den Ausgangswerten und der Veränderungsrate von -0,45, allerdings hat sich diese nach der Prüfung mittels t -Test bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 als nicht statistisch signifikant erwiesen (p -Wert = -1,59; kritischer Wert = -1,96/1,96. Auch die Überprüfung durch eine lineare Regression konnte keinen aussagekräftigen Hinweis für Beta(ß)-Konvergenz liefern (ß = -0,21; t = -1,94; p = 0,07: R = 0,15). Das Modell zeigt zwar einen inversen Zusammenhang der auf Beta(ß ) -Konvergenz hindeuten könnte, jedoch ist der R Wert zu klein, um mit diesem Modell für Beta(ß ) -Konvergenz argumentieren zu können, weshalb wir auch hier davon sprechen können, dass es wohl keine signifikanten Catch-up - oder Catch-down -Prozesse im Bereich der Lohnersatzraten für Rente gab, sondern wir auch hier vermutlich eher von Persistenz ausgehen müssen.
Tabelle 3: Lohnersatzraten in 17 Ländern, 1980-2015
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung: * = Signifikanzniveau < 0,05
Quelle: Nelson et al. (2020), eigene Darstellung.
Auch bei der Entwicklung der Lohnersatzrate bei Krankheit lassen sich keine Hinweise auf Sigma(o)- oder Beta(ß)-Konvergenz finden. Wenn wir hier die statistischen Dispersionsmaße VarK und SD näher betrachten, stellen wir fest, dass die SD nahezu unverändert geblieben ist, während der VarK größer geworden ist. Ersteres würde dabei eher für Persistenz, zweites eher für Divergenz sprechen, jedoch in beiden Fällen nicht für Konvergenz. Auch die Korrelation zwischen den Ausgangswerten und der Veränderungsrate ist mit einem Wert von -0,34 eher schwach und zudem bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 auch nicht statistisch signifikant (p - Wert = -1,25; kritischer Wert = -1,96/1,96) was darauf hindeutet, dass es vermutlich auch keine signifikante Beta(ß)-Konvergenz gibt. Auch eine durchgeführte lineare Regression konnte keinen signifikanten Hinweis auf Beta(ß)-Konvergenz erbringen (ß = -0,21; t = -1,4; p = 0,18: R = 0,12). Das Modell zeigt zwar einen inversen Zusammenhang der auf Beta(ß ) -Konvergenz hindeuten könnte, jedoch ist auch hier wiederum der R Wert zu klein, um mit diesem Modell für Beta(ß ) -Konvergenz argumentieren zu können Als letztes schauen wir uns nun noch die Lohnersatzrate bei Arbeitslosigkeit an. Hier lässt sich zunächst feststellen, dass die statistischen Dispersionsmaße VarK und SD zwischen 1990 und 2015 deutlich kleiner werden, was für Sigma(o)-Konvergenz spricht. Zwischen den Ausgangswerten des Jahres 1980 und der Veränderungsrate für den Zeitraum zwischen 1980 und 2015 gibt es zudem eine starke Korrelation von -0,75. Der t -Test für den Korrelationskoeffizienten ergibt zudem, dass diese Korrelation bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 auch signifikant ist (p -Wert = -2,32; kritischer Wert = -1,96/1,96), was zusammen mit dem negativen Vorzeichen ein Hinweis auf Beta(ß)-Konvergenz ist, da wir durch das negative Vorzeichen von einem inversen Zusammenhang zwischen den Ausgangswerten für das Jahr 1980 und der Veränderungsrate für den Zeitraum 1980 bis 2015 ausgehen können. Die lineare Regression9 mit der unabhängigen Variable Ausgangswerte 1980 und der abhängigen Variable Veränderungsrate 1980-2019 zeigt auch diesen inversen Zusammenhang, dargestellt in Abb. 4. Das Modell ist dabei in der Lage 57% der Varianz der abhängigen Variable mit der unabhängigen Variable zu erklären (ß = -0,76; t = -4,44; p = 0,00: R = 0,57). Zwar lassen sich auch für dieses Modell bei Betrachtung der studentisierten Residuen keine Ausreißer feststellen, jedoch fallen trotzdem die Datenpunkte für Portugal und Italien auf, die sehr weit entfernt von den übrigen Datenpunkten aber nahe an der Regressionsgeraden liegen, weshalb es sich bei diesen Werten möglicherweise um Hebelwerte (Leverage) handelt, was sich bei Betrachtung des Outlier and Leverage Plots (siehe Anhang 2) auch bestätigt. Leverage -Effekte können ein Problem darstellen, da sie die Steigung der Regressionsgeraden beeinflussen. Wenn wir diese Punkte nun ausschließen und die lineare Regression erneut berechnen, ergibt sich nur noch ein R[2] von 0,08 (ß = -0,19; t = -1,05; p = 0,31: R[2] = 0,08; Darstellung hierzu siehe Anhang 3). Dieses Modell ist also nicht gut geeignet einen inversen linearen Zusammenhang zwischen Ausgangswerten und Veränderungsrate darzustellen. Dies wirkt sich natürlich auch auf die Korrelation aus, die ohne die beiden Leverage -Werte bei 0,52 liegt und bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 auch nicht mehr signifikant ist (p- Wert = -1,79; kritischer Wert = -1,96/1,96). Insgesamt gibt es für die Lohnersatzrate bei Arbeitslosigkeit also durchaus signifikante Hinweise auf konvergente Prozesse im Bezug auf Sigma(o)-Konvergenz, jedoch nicht im Bezug auf Beta(ß)-Konvergenz.
Abb. 4: Durchschnittliches Wachstum der Lohnersatzrate für Arbeitslosigkeit in 17 Ländern, 1980-2015
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nelson et al. (2020); eigene Darstellung.
Insgesamt zeigt sich für die Lohnersatzraten also kein einheitliches Bild. Während der Nachweis von Sigma(o)-Konvergenz für die Lohnersatzrate bei Arbeitslosigkeit zwar gelingt, ist der Befund für den Bereich der Renten und bei Krankheit nicht so eindeutig. Hier lässt sich für die Lohnersatzrate der Rente nur ein schwacher Hinweis auf mögliches Sigma(o)- Konvergenz finden, aufgrund der im Zeitverlauf minimal kleiner werdenden Dispersionsmaße. Zudem gibt es keine signifikanten Hinweise auf Beta(ß)-Konvergenz. Für die Lohnersatzrate im Bereich Krankheit zeigt sich im Gegenteil sogar das Bild von Persistenz und möglicherweise sogar leichter Divergenz.
5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle also sagen, dass es durchaus Hinweise für konvergente Prozesse in der Entwicklung westlicher Sozialstaaten im Zeitraum 1980-2015/19 gegeben hat, sich dieser Befund jedoch nicht in allen Bereichen feststellen ließ. Im Bereich der gesamten Sozialausgaben in Prozent des BIP haben wir dabei Hinweise auf Sigma(o)- Konvergenz und Beta(ß)-Konvergenz, was sich anhand der im Zeitverlauf kleiner werdenden statistischen Dispersionsmaße und der signifikanten Korrelation zwischen den Ausgangswerten 1980 und der Veränderungsrate im Zeitraum 1980-2019 feststellen lässt, wenngleich wir auch mit der linearen Regression nur 26% der Streuung erklären können, was die Aussagekraft dieses Modells schmälert. Im Bereich der Sozialausgaben haben wir für den Teilbereich 35 Arbeitslosigkeit ebenfalls Hinweise auf Sigma(o)-und Beta(ß)-Konvergenz, aufgrund der im Zeitverlauf kleiner werdenden statistischen Dispersionsmaße und dem negativen catch-up Indikator (Korrelationskoeffizient). Mit der linearen Regression ließen sich hier 61% der Streuung erklären. Für die Bereiche Alterssicherung und Gesundheit ließ sich dieser Befund jedoch nicht bestätigen. Hier haben wir keine Hinweise auf Sigma(o)- oder Beta(ß)- Konvergenz, aufgrund des im Zeitverlauf stabilen VarK, der größer werdenden SD und der nicht signifikanten Korrelation zwischen den Ausgangswerten und der Veränderungsrate. Allerdings spricht gerade die größer werdende Standardabweichung für mögliche divergente Prozesse.
Im Bereich der Lohnersatzraten ließen sich zunächst ebenfalls nur für den Bereich der Arbeitslosigkeit Hinweise auf Sigma(o)- und Beta(ß)-Konvergenz finden, aufgrund der abnehmenden statistischen Dispersionsmaße und der starken und signifikanten negativen Korrelation. Zudem ließ sich mit einer linearen Regression 57% der Streuung erklären. Ohne die beiden Leverage -Werte ließ sich jedoch die Annahme von signifikanter Beta(ß)- Konvergenz nicht länger halten. In den anderen beiden Bereichen Krankheit und Rente gab es diesen Befund nicht. Hier ließ sich zwar im Bereich der Rente, aufgrund der abnehmenden statististischen Dispersionsmaße noch ein Hinweis auf mögliche Sigma(o)-Konvergenz finden, jedoch aufgrund der geringen und nicht signifikanten Korrelation zwischen den Ausgangswerten und der Veränderungsrate kein Hinweis auf Beta(ß)-Konvergenz. Im Bereich der Lohnersatzrate bei Krankheit ließ sich weder ein Hinweis auf Sigma(o)- noch auf Beta(ß)- Konvergenz finden. Stattdessen müssen wir hier aufgrund der Konstanz des VarK im Zeitverlauf und der größer werdenden SD eher von Persistenz, möglicherweise sogar Divergenz ausgehen.
6.0 Diskussion
6.1 Einordnung der Ergebnisse
Das zentrale Ziel dieser Arbeit ist zu klären, ob es in der Entwicklung der westlichen Wohlfahrtsstaaten bzw. der Gründungsmitglieder der OECD seit der Zeit des Golden Age zu pfadabhängigen Prozessen gekommen ist. Tatsächlich ließen sich hierfür zwar Anzeichen finden, jedoch gab es auch Hinweise auf konvergente Prozesse in der Entwicklung der OECD- Gründungsmitglieder. Für die These der Pfadabhängigkeit spricht, dass sich im Bereich der Sozialausgaben für Gesundheit und Alterssicherung keine Hinweise auf Konvergenz finden ließen und die Entwicklung der Sozialstaaten in diesen Bereichen eher von Persistenz geprägt war. Ähnliche Befunde gab es auch im Bereich der Lohnersatzraten für Rente und bei Krankheit, wo sich ebenfalls keine Hinweise auf Konvergenz finden ließen, was ebenfalls eher auf persistente und pfadabhängige Prozesse hindeutet. Im Bereich der Lohnersatzraten bei Krankheit ließen sich sogar Anzeichen für leichte Divergenz finden, was bedeutet, dass hier der Unterschied zwischen den Staaten im Zeitverlauf größer geworden ist. Anders sieht der Befund hingegen für die Sozialausgaben insgesamt, die Sozialausgaben im Bereich Arbeitslosigkeit und die Lohnersatzrate bei Arbeitslosigkeit aus. Hier ließen sich Anzeichen für Sigma(a)- und Beta(ß)-Konvergenz finden. Im Bereich der Lohnersatzraten bei Arbeitslosigkeit gab es jedoch nach Ausschluss der Leverage-Werte keinen signifikanten Hinweis mehr auf Beta(ß)- Konvergenz. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen dabei auch Starke et al. (2008), die in ihrer Studie ebenfalls Sigma(a)- und Beta(ß)-Konvergenz im Bereich der Sozialausagben insgesamt und bei den Ausgaben für Arbeitslosigkeit, sowie bei den Lohnersatzraten bei Arbeitslosigkeit gefunden haben. Starke et al. (2008) haben dabei jedoch einen kürzeren Zeithorizont von 22 Jahren zwischen 1980 und 2002 untersucht und auch ein etwas anderes Ländersample verwendet, das unter anderem die als Antipoden klassifizierten Staaten Australien und Neuseeland miteinschließt. Dieser Befund steht im Gegensatz zu dem, was die Pfadabhängigkeitstheorie nach Pierson postuliert. Pierson geht zwar durchaus davon aus, dass Wandel langfristig, inkrementell und damit limitiert möglich ist (Pierson 2000b: 76), jedoch schließt dies das Auftreten konvergenter Prozesse aus.
Auf der anderen Seite lässt sich wiederum die Stagnation oder Persistenz in der Entwicklung der Sozialausgaben für Gesundheit und Rente sowie im Bereich der Lohnersatzraten für Rente und bei Krankheit durchaus mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit erklären. So spricht Ebbinghaus bei der Beschreibung seines Scheideweg-Modells davon, dass sich Staaten im Verlauf eines pfadabhängigen Prozesses an einem bestimmten Punkt final für einen Weg entscheiden müssen, den sie weitergehen wollen und der später nicht mehr verändert werden kann (Ebbinghaus 2005: 15-17). Hieraus ergeben sich in der Folge genau die dauerhaften Differenzen zwischen den Wohlfahrtsstaaten, die auch in meiner Analyse in den genannten Bereichen sichtbar wurden. Die Ursache dieser dauerhaften Differenzen und damit der Pfadabhängigkeit in diesen Bereichen lässt sich in der Grundidee der Pfadabhängigkeitsdiskussion finden , die von einem Einfluss vergangener Prozesse und Ereignisse auf die Gegenwart ausgeht (vgl. Beyer 2015: 149). Im Bereich der westlichen Wohlfahrtsstaaten führte in diesem Kontext beispielsweise die frühe Wahl bestimmter Sozialpolitiken zur Ausbildung von Pfaden. So wurden in Deutschland, Österreich und
Dänemark schon vor 1900 die ersten sozialen Sicherungssysteme geschaffen, die Schutz im Falle von Arbeitsunfällen, Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter garantierten. Diese Systeme blieben dabei trotz großer Umbrüche und zwei Weltkriegen bis heute weitestgehend stabil (Obinger/Petersen 2019: 11-12), was darauf hindeutet, dass die Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten in mehreren Phasen, zu Lock-in-Effekten geführt hat, die es den westlichen Wohlfahrtsstaaten heute quasi unmöglich machen sich allzu stark zu verändern. Diese Lock-in - Effekte und ihre Auswirkungen auf die Pfadentwicklung beschreiben, wie bereits in Kapitel 2.6 erläutert, auch Sydow et al. (2009).
In der ersten Phase der Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten, der Konsolidierungsphase wurden dabei zuerst Sozialgesetze zur Bekämpfung der negativen Folgen des Kapitalismus verabschiedet und erste Sozialversicherungen eingeführt. In der Zwischenkriegszeit folgte dann durch die Bewältigung der Kriegsfolgen eine große Expansion bis zur großen Depression und in der Zeit des Golden Age wurden die bestehenden Programme schließlich massiv ausgeweitet auf einen größeren Personenkreis und die Leistungen insgesamt erhöht (Obinger/Petersen 2019: 13-25). All diese Veränderungen müssen in der Folge zu einer hohen Institutionendichte in Form von Gesetzen im Bereich des Wohlfahrtsstaates geführt10 haben, was die Entwicklung dieser nach Pierson (2000a: 259) wiederum anfällig für Increasing Returns und damit Pfadabhängigkeit macht und damit eine mögliche Erklärung für die von mir festgestellte Persistenz in der Entwicklung einiger Bereiche darstellt. Eine weitere Erklärung liegt in der Kollektivität der Politik, denn alle Entscheidungen in der Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten konnten, da es sich bei diesen Ländern um Demokratien handelt, nicht von einer Person allein, sondern nur kollektiv entschieden werden. Pierson (2000a: 257-258) legt dabei dar, wie genau diese Kollektivität wiederum die Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten anfällig für Increasing Returns und damit auch für pfadabhängige Prozesse macht. Es ist also nicht verwunderlich, dass ich in einigen Bereichen und für einige Indikatoren keine nennenswerten Veränderungen feststellen konnte. Dies liegt vermutlich in der pfadabhängigen Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten begründet.
Spannender ist allerdings die Frage, warum ich trotz dieser pfadabhängigen Entwicklung konvergente Prozesse (Sigma(a)- und Beta(ß)-Konvergenz) im Bereich der Sozialausgaben insgesamt, im Bereich der Ausgaben für Arbeitslosigkeit und bei der Lohnersatzrate für Arbeitslosigkeit (signifikant nur wenn die Leverage-Werte in der Analyse enthalten sind) finden konnte. Dies passt nicht zur Annahme der Pfadabhängigkeit wie Pierson (2000a) sie definiert. Eine mögliche Erklärung liefert Silja Häusermann die beschreibt, dass Sozialausgaben in Prozent des BIP als Indikator sehr anfällig für Wirtschaftsschwankungen sind (Häusermann 2015: 595-599) und in meinem Untersuchungszeitraum liegen sowohl Phasen des Aufschwungs wie die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Fall der Berliner Mauer die einen globalen Wirtschaftsboom auslösten als auch wirtschaftlich schwierige Phasen wie die Finanzkrise ab 2008 (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2019), was möglicherweise die Werte der Sozialausgaben insgesamt und der Ausgaben für Arbeitslosigkeit beeinflusst hat.
Zusätzlich zu diesen Befunden ließen auch keine Anzeichen für ein Race-to-the-Bottom finden, denn die Sozialausgaben insgesamt sind seit dem Jahr 1980 um durchschnittlich 5,9% auf 22,3% des BIP angestiegen. Dieser Anstieg ist jedoch allein auf die Ausgabenbereiche Gesundheit und Rente zurückzuführen, denn die durchschnittlichen Ausgaben für Arbeitslosigkeit sind in diesem Zeitraum konstant geblieben bzw. leicht um 0,1% gesunken. Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass es in diesem Bereich im Gegensatz zu den anderen beiden Bereichen keinen Ausbau der Leistungen gab, sondern kann auch in einer geringeren Anzahl an arbeitslosen Personen begründet sein. Hierfür gibt es durchaus Hinweise, denn in der Eurozone, zu der auch die Mehrzahl der Länder in meiner Untersuchung gehört, war die Arbeitslosigkeit mit 6.5% im Jahr 2023 auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren (Eurostat 2023), was sich in der Folge auch auf die Ausgaben für den Bereich Arbeitslosigkeit auswirkt und eine mögliche Erklärung für die Konstanz der Ausgabenhöhe darstellt.
Alles in allem zeigt sich also, dass wir sowohl Anzeichen für Pfadtreue und Pfadabhängigkeit in einigen Bereichen als auch Anzeichen für Pfadabkehr in Form von Konvergenz in anderen Bereichen finden konnte. Die Möglichkeit des gleichzeitigen Auftretens von Pfadtreue und Pfadabkehr sieht Pierson in seinem Pfadabhängigkeitskonzept (Pierson 2000a) zwar nicht vor, jedoch betont Pfau-Effinger die grundsätzliche Möglichkeit des gleichzeitigen Auftretens beider Prozesse. Anzeichen für Pfadabkehr wurden dabei vor allem im Bereich der Familienpolitik in konservativen Wohlfahrtsstaaten gefunden (Pfau-Effinger 2008: 1-2). Auch Ebbinghaus (2005: 18-20) betont die Möglichkeit von Pfadabkehr, bei ihm Path Departure genannt. Er geht davon aus, dass einige Wohlfahrtsstaaten trotz einer allgemein pfadabhängigen Entwicklung in der Lage waren, einzelne Reformen durchzuführen, was eine Erklärung für auftretende konvergente Prozesse sein kann.
6.2 Herausforderungen und Grenzen
Zwar ist es mir in dieser Arbeit durchaus gelungen, die grundsätzliche Existenz pfadabhängiger und konvergenter Prozesse zu untersuchen, jedoch war es mir noch nicht vollumfänglich möglich, stichhaltige Aussagen über die Ursachen dieser Befunde zu treffen, die über den Grad Hypothesen hinausgehen würden. Zwar habe ich im Theorieteil grundsätzlich beschrieben, welche Ursachen für die jeweiligen Prozesse in Frage kommen und habe dies auch in der Diskussion wieder aufgegriffen, habe mich in der Analyse aber darauf beschränkt, Hinweise für die Existenz konvergenter und persistenter Prozesse zu finden. Die Annahme pfadabhängiger Prozesse in der Entwicklung der OECD-Gründungsmitglieder wurde so eher zu einer „Ausschlussdiagnose“. Pierson sagt hierzu: „Without careful attention to the identification of the mechanisms at work, analyses of path dependence can easily become descriptions of what happened rather than explanations for why it happened“ (Pierson 2004: 49). Allerdings war es auch nicht das Ziel dieser Arbeit, die Ursachen für pfadabhängige und konvergente Prozesse zu untersuchen. Es ist aber dennoch wichtig darauf hinzuweisen, dass an dieser Stelle noch weitere Forschung nötig wäre, um gesicherte Aussagen über die Ursachen pfadabhängiger und konvergenter Prozesse in der Entwicklung der OECD- Gründungsmitglieder seit 1980 treffen zu können.
Weiterhin gab es eine Eingrenzung meiner Forschung im Bezug auf die verwendeten Daten. Da ich ausschließlich Daten zu Sozialausgaben und Lohnersatzraten analysiert habe, kann ich auch nur Aussagen über Pfadabhängigkeit und Konvergenz in diesen beiden Bereichen treffen. Es wäre sicher auch möglich gewesen, neben diesen beiden Indikatoren noch weitere Indikatoren wie etwa den Grad der Dekommodifizierung hinzuzunehmen, jedoch hätte dies den Rahmen der Arbeit gesprengt und möglicherweise dazu geführt, dass ich die Sozialausgaben und Lohnersatzraten nicht so detailliert hätte beleuchten können. Die Reduzierung auf nur diese beiden Indikatoren schmälert jedoch nicht die Aussagekraft meiner Arbeit, weil beides gängige und häufig genutzte Indikatoren in der Wohlfahrtsstaatsforschung sind (vgl. Häusermann 2015: 595-596). Wichtig ist weiterhin anzumerken, dass ich für die Lohnersatzraten nur Daten bis zum Jahr 2015 gefunden habe, während ich für die Sozialausgaben Daten bis zum Jahr 2019 verwende. Es hätte zwar auch Daten zu den Lohnersatzraten für das Jahr 2020 gegeben, jedoch habe ich mich, um einen Einfluss von Veränderungen durch die Corona-Pandemie zu vermeiden, wie bereits in Kapitel 4.0 erläutert, gegen die Nutzung dieser Daten entschiedne
6.3 Ausblick
Aufbauend auf meiner Arbeit wäre es für zukünftige Forschung im Bereich wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung sicher interessant, die genauen Ursachen für pfadabhängige und konvergente Prozesse herauszufinden und Erklärungen zu finden, warum es gerade im Bereich von Arbeitslosigkeit zu Konvergenz kam, jedoch nicht in den anderen Bereichen. Auch wäre es von Relevanz, meine Ergebnisse auch für andere Indikatoren in der Wohlfahrtsstaatsforschung wie etwa den Grad der Dekommodifizierung oder den Grad der Stratifizierung zu überprüfen und auf Abweichungen zu untersuchen. Da ich in meiner Arbeit, wie bereits in Kapitel 4.0 erläutert, ganz bewusst die Zeit der Corona-Pandemie ausgelassen habe, um langfristige Effekte zu untersuchen, die nicht von der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen beeinflusst wurden, wäre es zudem äußert interessant, genau diese Zeit in einer weiteren Arbeit zu untersuchen und herauszuarbeiten, inwieweit sich die Corona-Pandemie und die mit ihr einhergehenden Veränderungen auf pfadabhängige oder konvergente Prozesse ausgewirkt haben. Interessant wäre zudem zu überprüfen, inwieweit das Phasenmodell von Sydow et al. (2009) auf die Entwicklung der westlichen Wohlfahrtsstaaten anwenden lässt, denn sowohl das Phasenmodell als auch die Entwicklung westlicher Wohlfahrtsstaaten lassen sich in drei Phasen gliedern.
7.0 Fazit
Zusammenfassend lässt sich die eingangs formulierte Forschungsfrage, ob Pierson mit seinem Pfadabhängigkeitskonzept falsch liegt mit nein beantworten, da es in den Ergebnissen im empirischen Teil dieser Arbeit durchaus Anzeichen für Persistenz gibt, die auf eine pfadabhängige Entwicklung der OECD-Gründungsmitglieder seit 1980 hindeutet. Diese Persistenz zeigt sich vor allem im Bereich der Sozialausgaben für Gesundheit und Rente und im Bereich der Lohnersatzraten bei Krankheit und Renten. Zudem ließen sich keine Anzeichen für ein generelles Race-to-the-Bottom im Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte seit 1980 feststellen, die Sozialausgaben steigen im Gegenteil sogar an außer im Bereich der Ausgaben für Arbeitslosigkeit, jedoch muss auch dies wie in Kapitel 6.1 beschrieben, nicht zwangsläufig auf ein Race-to-the-Bottom in diesem Ausgabenbereich hindeuten. Dies steht ebenfalls im Einklang mit Piersons Konzept von Pfadabhängigkeit, denn auch Pierson geht, wie in Kapitel 2.4 beschrieben, nicht von einem Race-to-the-Bottom aus, sondern betont, dass Staaten sich langsam und inkrementell über einen langen Zeitraum verändern, was sich so ebenfalls durch meine Ergebnisse bestätigen lässt, da es, wenn man sich die einzelnen Politikbereiche anschaut nur bei den Ausgaben und Lohnersatzraten im Bereich Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 1980 zu Veränderungen kam, die auf Konvergenz hindeuten (bei den Lohnersatzraten jedoch nur, wenn die Leverage-Werte in der Analyse enthalten sind), jedoch nicht in den Bereichen Gesundheit/Krankheit und Renten, was dafür spricht, dass sich die westlichen Wohlfahrtsstaaten seit dem Jahr 1980 insgesamt nicht radikal oder grundlegend verändert haben. Dies stützt wiederum Piersons Pfadabhängigkeitstheorie, die solche radikalen Veränderungen ausschließt (vgl. Pierson 2000a). Da es jedoch diese Hinweise auf eine konvergente Entwicklung auch bei Betrachtung der Sozialausgaben insgesamt gibt, wenn auch auf einem statistisch nicht signifikanten Niveau, muss die Forschungsfrage, ob es in der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung seit der Zeit des Golden Age zu pfadabhängigen oder zu konvergenten Prozessen gekommen ist am Ende mit sowohl als auch beantwortet werden. Diese Möglichkeit von gleichzeitiger Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel in Form von Konvergenz sieht Piersons Theorie, wie in Kapitel 2.4 beschrieben, so zwar nicht vor, jedoch betont Pfau- Effinger (2008) die grundsätzliche Möglichkeit des gleichzeitigen Auftretens beider Prozesse. Letztendlich sind in dieser Arbeit auch noch einige Fragen offengeblieben, wie die Frage nach den genauen Ursachen für die gefundenen pfadabhängigen und konvergenten Prozesse und die Frage, ob sich die Ergebnisse dieser Arbeit auch mit anderen Indikatoren wie dem Grad der Dekommodifizierung, dem Grad der Stratifizierung oder der Art der Finanzierung von Wohlfahrtsstaatlichkeit reproduzieren lassen. An dieser Stelle ist also noch weitere Forschung notwendig, die in dieser Arbeit noch nicht realisiert werden konnte.
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Anhang
Anhang 1: Studentisierte Residuen
Anhang 1.1: Studentisierte Residuen Sozialausgaben
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2023); eigene Darstellung
Anhang 1.2: Studentisierte Residuen Sozialausgaben Arbeitslosigkeit
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2023); eigene Darstellung
Anhang 1.3: Studentisierte Residuen Lohnersatzrate Arbeitslosigkeit
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nelson et al. (2020); eigene Darstellung
Anhang 2: Leverage-Effekte Lohnersatzrate Arbeitslosigkeit
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nelson et al. (2020); eigene Darstellung
Anhang 3: Lineare Regression ohne Leverage
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nelson et al. (2020); eigene Darstellung
[...]
1 Mit Golden Age ist die Zeit ab den 1950er Jahren bis ca. 1980 gemeint, in der die sozialen Leistungen massiv ausgebaut und die soziale Sicherung auf größere Bevölkerungsschichten ausgeweitet wurde (Nullmeier 2019: 4). Zusätzlich kam es in dieser Zeit zur Ausdifferenzierung von mindestens drei Typen von Sozialstaaten. Zum einen der konservative Sozialstaatstyp, den man vor allem in Kontinental- und Südeuropa vorfindet, dann der sozialdemokratische Typ, der vor allem in Nordeuropa auftritt und als drittes den liberalen Typ, zu dem unter anderem die Vereinigten Staaten zählen (vgl. Esping-Andersen 1990).
2 OECD: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
3 Politikwissenschaftler an der University of California, Berkeley (University of California 2024).
4 Das BIP (Bruttoinlandsprodukt) ist der Wert aller Dienstleistungen und Güter, die innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden (Statistisches Bundesamt 2024)
5 Institutionen in den Sozialwissenschaften lassen sich als kollektiv vereinbarte Regeln, Normen und Routinen definieren, die innerhalb von Gesellschaften oder größeren Gruppen im allgemeinen Stabilität und soziale Identität schaffen. Institutionen können beispielsweise die Ehe, der Arbeitsmarkt und soziale Ungleichheit sein (Pries 2010: 119).
6 Siehe Kapitel 2.2 in dieser Arbeit
7 Die Regressionsannahmen Homoskedastizität, Normalverteilung der Residuen und Linearität wurden mit statistischen Tests überprüft (vgl. Regorz 2021). Dabei waren sowohl der Prob > Chi2- Wert des Breusch-Pagan - Test für Homoskedastizität (Prob > Chi2 = 0,62) als auch die p -Werte des Shapiro-Wilk -Tests für Normalverteilung (p = 0,16) und der Rainbow-Tes t für Linearität (p = 0,72) bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 nicht signifikant, weshalb die jeweiligen Nullhypothesen nicht verworfen werden müssen, und die Regressionsannahmen erfüllt sind. Zudem lassen sich bei Betrachtung der studentisierten Residuen keine Ausreißer feststellen (siehe Anhang 1.1).
8 Es waren sowohl der Prob > Chi2- Wert des Breusch-Pagan -Test für Homoskedastizität (Prob > Chi2 = 0,4) als auch die p -Werte des Shapiro-Wilk -Tests für Normalverteilung (p = 0,67) und der Rainbow-Tes t für Linearität (p = 0,12) bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 nicht signifikant, weshalb die jeweiligen Nullhypothesen nicht verworfen werden müssen, und die Regressionsannahmen erfüllt sind. Zudem lassen sich bei Betrachtung der studentisierten Residuen keine Ausreißer feststellen (siehe Anhang 1.2).
9 Es waren sowohl der Prob > Chi2- Wert des Breusch-Pagan -Test für Homoskedastizität (Prob > Chi2 = 0,052) als auch die p -Werte des Shapiro-Wilk -Tests für Normalverteilung (p = 0,89) und der Rainbow-Tes t für Linearität (p = 0,83) bei einem Alpha(a)- Niveau von 0,05 nicht signifikant, weshalb die jeweiligen Nullhypothesen nicht verworfen werden müssen, und die Regressionsannahmen erfüllt sind. Zudem lassen sich bei Betrachtung der studentisierten Residuen keine Ausreißer feststellen (siehe Anhang 1.3).
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Ziel dieser Arbeit?
Das zentrale Ziel dieser Arbeit ist zu klären, ob es in der Entwicklung der westlichen Wohlfahrtsstaaten bzw. der Gründungsmitglieder der OECD seit der Zeit des Golden Age zu pfadabhängigen Prozessen gekommen ist, und dies empirisch zu untersuchen.
Was sind die zentralen Konzepte, die in dieser Arbeit untersucht werden?
Die Arbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit den Konzepten der Pfadabhängigkeit und der Konvergenz in der Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten. Pfadabhängigkeit wird dabei vor allem nach dem Konzept von Paul Pierson betrachtet.
Welchen Zeitraum untersucht die Arbeit?
Die Arbeit untersucht Veränderungen in den Jahren 1980 bis 2015/19, wobei das Jahr 1980 als Ausgangspunkt und 2019 bzw. 2015 als Endpunkt gewählt wurden, je nach Verfügbarkeit der Daten.
Welche Länder werden in der Analyse berücksichtigt?
Die Analyse bezieht sich auf die 20 Gründungsmitglieder der OECD.
Welche Daten werden für die Analyse verwendet?
Die Analyse verwendet Daten zu Sozialausgaben (insgesamt und aufgeteilt in die Bereiche Alterssicherung, Gesundheit, Arbeitslosigkeit) in Prozent des BIP sowie Daten zu Lohnersatzraten (für Rente, Krankheit, Arbeitslosigkeit).
Welche Arten von Konvergenz werden untersucht?
Die Arbeit beschränkt sich auf die Untersuchung von Sigma(σ)- und Beta(β)-Konvergenz.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Analyse?
Die Analyse zeigt, dass es sowohl Anzeichen für Pfadtreue und Pfadabhängigkeit in einigen Bereichen als auch Anzeichen für Pfadabkehr in Form von Konvergenz in anderen Bereichen gibt. Es lassen sich vor allem im Bereich der Sozialausgaben für Gesundheit und Alterssicherung persistente Entwicklungen feststellen, während im Bereich der Ausgaben für Arbeitslosigkeit auch konvergente Prozesse erkennbar sind. Bezüglich eines Race-to-the-Bottom gibt es keine bestätigenden Anzeichen.
Welche Kritik gibt es an den verwendeten Konzepten?
Es wird darauf hingewiesen, dass die modelltheoretischen Ansätze zur Erklärung von Pfadabhängigkeit eine begrenzte Anwendbarkeit in der Realität haben und dass die Ergebnisse im Bereich der Sozialausgaben auch durch konjunkturelle Schwankungen beeinflusst werden können.
Welche Einschränkungen gibt es bei der Interpretation der Ergebnisse?
Da die Arbeit sich ausschließlich auf die Analyse von Sozialausgaben und Lohnersatzraten stützt, sind die Aussagen auch nur auf diese Bereiche beschränkt. Eine breitere Datenbasis könnte hier noch weitere Einblicke liefern. Eine tiefere Analyse der Ursachen für die aufgetretenen konvergenten und persistenten Prozesse ist notwendig.
Welche weiterführenden Forschungsfragen werden vorgeschlagen?
Für zukünftige Forschung wird vorgeschlagen, die Ursachen für pfadabhängige und konvergente Prozesse genauer zu untersuchen, die Ergebnisse auch mit anderen Indikatoren zu überprüfen und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates zu analysieren.
- Quote paper
- Niels Köneke (Author), 2024, Liegt Pierson falsch? Wohlfahrtsstaatlichkeit in OECD-Ländern zwischen Pfadabhängigkeit und Konvergenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1472926