Ist das EU-Mercosur Free Trade Agreement ein gutes Abkommen?
Diese Frage wird in dieser Forschungsarbeit objektiv und wissenschaftlich beantwortet. Interviews anerkannter Experten in diesem Bereich bilden den Kern des methodischen Teils.
Freihandelsabkommen sind in Zeiten globaler Allianzen und Wirtschaftskriege hochaktuell. Sie verändern unter anderem die Marktbedingungen ihrer Beteiligten und so prägen sie in ihrer Gesamtheit auch maßgeblich die weltweite Wirtschaftsordnung. Das historische EU-Mercosur Freihandelsabkommen steht nach 20 Jahren Entwicklung und unzähligen Verhandlungsrunden nun kurz vor dem Abschluss. Trotz einer solchen Relevanz des Themas besteht dazu in der Wissenschaft eine Forschungslücke in Form einer objektiven, ganzheitlichen und wissenschaftsübergreifenden Diskussion zur Qualität dieses Abkommens. Oft beherrschen instrumentalisierte Fürsprecher an der einen Front und absolute Freihandelsgegner an der anderen Front diese verhärtete, oft ideologisch geführte Diskussion.
Ziel dieser Arbeit ist die objektive Beantwortung der zentralen Forschungsfrage: Ist das EU-Mercosur Freihandelsabkommen ein gutes Abkommen?
Hierzu werden im theoretischen Teil die Anforderungen an ein sogenanntes „gutes Handelsabkommen“ aus einer umfangreichen Auslese von Fachliteratur erarbeitet und dabei auch bisherige Abkommen analysiert. Im praktischen Teil werden die vom Autor, über das aktuelle EU-Mercosur Abkommen, geführten Experteninterviews kodiert und auf bestehende Grundtendenzen bei den Experten hin analysiert, welche dann mit den zuvor definierten Anforderungen abgeglichen werden.
Die Interviews mit den Experten wurden offen geführt. Dabei waren ihnen, sowohl die hier definierten Anforderungen, als auch der hier verwendete Auswertungsprozess, gänzlich unbekannt. Im Ergebnis bestätigen sie die Erfüllung von fast allen Anforderungen an ein gutes Abkommen.
Dieses Forschungsprojekt gelangt somit zur Erkenntnis, dass das EU-Mercosur Freihandelsabkommen einem guten Abkommen entspricht und beantwortet so die Forschungsfrage positiv. Auf dieser Grundlage ist es für die Beteiligten empfehlenswert dieses Abkommen abzuschließen.
Inhaltsverzeichnis
Besondere Zeichen und Abkürzungen
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Problemstellung
1.1 Die EU-Absatzstrategie mit den USA unter Donald Trump
1.2 Weltweiter Ressourcen- und Handelsstreit
2 Aufbau der Arbeit
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Handelstheorie und Konsequenzen einer Handelsliberalisierung
3.2 Volkswirtschaftlicher Nutzen von Freihandelsabkommen
3.3 Negative Effekte von Freihandel auf Umwelt und Soziales
3.4 Das Nachhaltigkeitskapitel
3.5 Auswirkungen auf die Gruppe der Least Developed Countries
4 Der Rahmen eines guten Handelsabkommens
4.1 Theoretische Anforderungen an ein gutes Handelsabkommen
4.2 Zusammenfassung der konkreten Anforderungen
5 Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen
5.1 Profile und Rahmenbedingungen beider Volkswirtschaften
5.1.1 Die Europäische Union
5.1.2 Der Mercosur
5.2 Aktuelle Ausgangssituation der Handelsbeziehungen
5.3 Gemeinsame Ziele
5.4 Entwicklungshistorie des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens
6 Experteninterviews
6.1 Vergleich der Interviews nach Kategorien und Kodierungen
6.2 Auswertung
6.3 Abgleich mit den theoretischen Anforderungen
6.4 Ergebniszusammenfassung
7 Kritische Reflexion des eigenen Vorgehens
8 Abschlussfazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
Anhang
Besondere Zeichen und Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: BIP in jeweiligen Preisen von Jahr 1980 bis 2018 in China
Abb. 2: FK-Index der Ausfuhrähnlichkeit zwischen Mercosur und LDCs
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Die 47 am wenigsten entwickelten Länder der Welt (LDC)
Tab. 2: Anforderungen an ein gutes Freihandelsabkommen
Tab. 3: Aktueller Fortschritt des Abkommens
Tab. 4: Stand des Handels beider Vertragspartner
Tab. 5: Aktueller Stand der Nachhaltigkeit
Tab. 6: Handelsströme
Tab. 7: Marktzugang und öffentliche Ausschreibungen
Tab. 8: Umweltschutz
Tab. 9: Soziale Standards
Tab. 10: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
Tab. 11: Besondere Vorteile
Tab. 12: Entwicklung beteiligter Länder
Tab. 13: Risiken in der Umsetzung
Tab. 14: Risiken beim Scheitern des Abkommens
Tab. 15: Öffentliche Debatte TTIP
Tab. 16: Öffentliche Debatte EU-Mercosur Abkommen
Tab. 17: Persönliche Meinung der Experten
1 Problemstellung
1.1 Die EU-Absatzstrategie mit den USA unter Donald Trump
Als Stipendiat der Bundesregierung wurde ich im Rahmen der Teilnahme an der Studienkonferenz im Wissenschaftszentrum Bonn am 4.November 2017 ausgewählt, die Podiumsdiskussion zum Thema: „Amerikas neuer Weg - Bestandsaufnahme und Perspektiven für Amerika und Europa ein Jahr nach der Wahl“ aktiv mitzugestalten. Schon damals wurde neben dersehrkritischen Haltung der europäischen Vertreter im Hinblick auf die Wirtschafts- und Außenpolitik Donald Trumps ersichtlich, dass auch in den eigenen Reihen amerikanische Amtsträger und Anwesenden Personen (US- Generalkonsul in Düsseldorf, Direktor Transatlantic Networks, Leiter Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht des Deutschen Industrie- und Handelskammertags in Berlin) Kritik an dem 45. Präsidenten und seiner scheinbaren täglichen Unberechenbarkeit hochkocht. Diese offene Diskussion über handelsbezogene Veränderungen und zukünftige wirtschaftliche Perspektiven von Europa und Nordamerika war nicht zuletzt auch deshalb möglich, weil die Konferenz unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Presseausschluss stattfand. Außerdem waren jedem Teilnehmer jegliche Bild- und Tonaufnahmen untersagt. Die abschließende Aufforderung gegen Ende der Konferenz bezog sich auf eine deutliche Erhöhung deutscher Verteidigungsausgaben für die NATO von 2% des BIP, was fast einer Verdopplung entspricht und im Nachgang in der BRD politischen und gesellschaftlichen Gegenwind bekam. Weiterhin ist im selben Jahr 2017 das Außenhandelsdefizit zwischen der EU und den USA im Warenhandel ohne Dienstleistungen mit insgesamt 151 Milliarden Dollar zu Gunsten der EU auf dem zweiten Platz direkt hinter China. Somit rückte die EU, als Partner einer ursprünglich verlässlichen Handelsbeziehung, immer mehr in den Fokus von Trumps aggressiver Außenpolitik.1 Neben dem schwelenden Streit des US-Riesen Boeing und des EU- Riesen Airbus als Hauptkonkurrenten im weltweiten Flugzeugbau erfolgte die Rekordübernahme des US-Agrochemiekonzerns Monsanto durch die deutsche Bayer AG für rund 66 Milliarden US-Dollar. Dies ist die zweitgrößte Übernahme eines Unternehmens die es in der Geschichte je gegeben hat und macht dabei die Bayer AG mit Abstand zum weltgrößten Anbieter für Agrochemie2. Unter Trump werden Wettbewerbskonflikte und Marktmachtverschiebungen in solchen Dimensionen offensichtlich mit aggressiver Handelspolitik bestraft. Das bisherige Ergebnis des Handelsstreits mit Nordamerika ergibt sich einerseits durch gegen die EU verhängte Restriktionen, wie z.B. die zukünftige Zulassung von Klagen vor US-Gerichten gegen ausländische Unternehmen, die in Kuba tätig sind. Die Trump-Regierung setzt sich damit über scharfe Warnungen aus der EU hinweg, denn europäische Firmen sind in dem Karibikstaat erheblich engagiert und die meisten Investitionen kommen aus Frankreich, Italien und Spanien.3 Andererseits wurde auch der Handel direkt eingeschränkt und erschwert, denn die USA erhöhten im Frühjahr 2020 die Strafzölle auf Airbus-Flugzeuge von derzeit zehn auf fünfzehn Prozent.4
1.2 Weltweiter Ressourcen- und Handelsstreit
Im Gegensatz zu den Zöllen auf Stahl und Aluminium aus Europa, welche US- Präsident Trump bereits verhängt hat, sind die neuen Strafzölle offiziell von der WTO genehmigt. Diese nun von der WTO gegen die EU genehmigten Strafzölle umfassen ein Volumen von 7,5 Milliarden US-Dollar. Laut Süddeutscher Zeitung hat der US- Präsident gedroht, dass alle europäischen Autos mit einem speziellen Strafzoll von bis zu 25% belegt werden. Das würde besonders die deutsche Industrie treffen. 2018 verkaufte Europa Pkws für fast 40 Milliarden Euro in die USA. In Fachkreisen wird spekuliert, dass die US-Kunden eine Preissteigerung von rund 20% nicht schlucken würden, sondern zur Konkurrenz abwandern würden.5 Diese Drohung scheint nach aktuellem Stand wohl vorerst vom Tisch zu sein, sie hinterlässt allerdings ihre Spuren der Verunsicherung. Durch die global organisierten Wertschöpfungsketten geht auch der weltweite Handelskrieg der großen Volkswirtschaften, zum Beispiel der USA mit China, an der EU nicht spurlos vorbei. Vor allem nicht an Deutschland mit seiner exportorientierten Wirtschaft als eines der wichtigsten Länder der EU. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) äußert sich in einer aktuellen Analyse dazu wie folgt: „Die protektionistische Handelspolitik der USA, der Brexit und der eskalierende Handelskrieg der US-Amerikaner mit China belasten die Konjunktur in Deutschland immer stärker“ und rechnet deshalb mit einem konjunkturellen Stillstand.6 Auch aufgrund der weiterhin ungestillten Nachfrage der EU nach Primärerzeugnissen und Rohstoffen aller Art, steht der vergleichsweise unberührte südamerikanische Kontinent als volles Rohstofflager der Welt hier besonders im Fokus. Gleichzeitig ist die wachsende Wirtschaft der Schwellenländer in Südamerika im Aufschwung und auf der ständigen Suche nach Handelspartnern und Vertiefung von Handelsbeziehungen mit großen Industrien rund um den Globus. Im Interview mit Paul Krugmann, der als volkswirtschaftlicher Experte gilt, wurde aus einer geostrategischen Perspektive nach einer ökonomischen Ratio dahinter folgendes gefragt: Die sog. „Neue Handelstheorie", die auf Sie selbst zurückgeht, dreht sich darum, dass Unternehmen Größenvorteile realisieren und Konsumenten zwischen vielen verschiedenen Produkten wählen können. Sie beinhaltet im Grunde auch die Botschaft, dass es gut ist, selbst schlicht und einfach der größte Markt zu sein - zum Beispiel auch, um Druck ausüben zu können, wenn das der Wunsch ist? Krugmann antwortete: Es gibt tatsächlich eine mögliche Rationalisierung, das stimmt. Zugleich allerdings wird häufig deutlich überschätzt, welchen Hebel wir wirklich haben. China ist dabei, seinen Handel mit anderen Ländern zu liberalisieren, um den Streit mit Washington auszugleichen. Und wenn es nicht um Amerika gegen China, sondern auch jeden anderen geht, dann sind die Vereinigten Staaten tatsächlich der kleinere Spieler. Ich denke allerdings nicht, dass unsere Verantwortlichen all das im Hinterkopf haben. Für mich scheint das einfach eine persönliche Obsession Trumps zu sein, die vielleicht verschwindet, wenn er aus dem Amt scheidet - und nicht die zukünftige Handelspolitik Amerikas.7 Die europäische Wirtschaft ist nun offensichtlich gezwungen den drohenden Einbrüchen, durch den veränderten Welthandel, entgegenzutreten. Mit strategischer Weitsicht und Agilität als bedeutender Teilnehmer am Welthandel bieten sich dazu neue Allianzen und Abkommen mit geeigneten Volkswirtschaften an verschiedener Stelle auf der Welt an. Durch diese diplomatischen Lösungen können Zölle und andere Handelsbarrieren reduziert werden und dadurch bestehende Positionen ausgebaut, sowie vor Ort neue Märkte erschlossen werden. Neben vielen weiteren Abkommen steht das EU- Mercosur-Freihandelsabkommen nun kurz vor dem Abschluss. Doch ist dies ein gutes Freihandelsabkommen?
2 Aufbau der Arbeit
Der Beginn dieser Arbeit startet mit obiger Ausführung aktueller Problemstellungen in Bezug auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur. Danach werden die theoretischen Grundlagen eines Handelsabkommens mittels wissenschaftlicher Literatur erarbeitet, was vor allem die allgemeine Handelstheorie, sowie die Konsequenzen einer Handelsliberalisierung, umfasst. Dazu werden nachweisliche, positive und negative Effekte mittels vorliegender, bereits geschlossener Freihandelsabkommen, besonders im Hinblick auf den volkswirtschaftlichen Nutzen, analysiert. Unter Berücksichtigung der Bereiche Umwelt und Soziales werden dann Rahmenbedingungen und Anforderungen an ein gutes Handelsabkommen ausgearbeitet. Dieser besonders aktuelle Fokus auf die Nachhaltigkeit mündet im Anschluss in einem eigenen Nachhaltigkeitskapitel. Im fünften Kapitel wird das EU-Mercosur-Abkommen selbst, dessen Entwicklungshistorie und die Profile beider Volkswirtschaften vorgestellt. Das sechste Kapitel stellt den praktischen Teil des Projekts dar. Hier werden die wesentlichen Aussagen aus den transkribierten Experteninterviews zusammengefasst, gegenübergestellt und ausgewertet. Dies mündet im Vergleich mit den theoretischen Grundlagen in einer Diskussion mit Ergebnis. Im siebten Kapitel wird das eigene Vorgehen kritisch reflektiert. Danach folgt das letzte Kapitel mit dem Abschlussfazit zur Forschungsfrage und einem zukünftigen Ausblick.
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Handelstheorieund Konsequenzen einer Handelsliberalisierung
Bereits in der Antike fand ein intensiver Austausch von Gütern über Landesgrenzen statt, z.B. zwischen China und Persien oder zwischen Ägypten, Griechenland und Italien. Seit Jahrtausenden ist internationaler Handel wichtiger Teil der menschlichen Wirtschaftstätigkeit. Im Jahre 1820 setze infolge der industriellen Revolution die ganz große Globalisierungswelle ein. Bis 1910 erreichte der internationale Güterhandel seinen vorläufigen Höhepunkt. Durch zwei Weltkriege erfolgte die große Depression in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ab den 1960er Jahren wuchs der Welthandel stärker als die Produktion. Mitte der 1980er Jahre ist ein Strukturbruch erkennbar, das Exportvolumen wächst seitdem schneller als die Produktion. Ab dem Jahr 2000 wurde diese Rate sogar nochmals gesteigert und damit war die zweite Welle der Globalisierung eingeläutet. Selbst der im Jahr 2007 durch die globale Finanzkrise verursachte Einbruch des Welthandels mutet in der historischen Perspektive bescheiden an und wurde relativ zügig wettgemacht. Für den starken Aufschwung des Welthandels waren nicht zuletzt Abbau politischer Handelsbarrieren, Innovationen im Güterverkehr, rückläufige Transportkosten und die zunehmende Fragmentierung der Produktionsprozesse in globalen Wertschöpfungsketten, verantwortlich. Das beeindruckendste Fallbeispiel findet sich unter den asiatischen Ländern: China. Mitte der 1980er Jahre unterhielt China kaum nennenswerte Handelsbeziehungen mit der westlichen Welt. Durch deren Reformpolitik änderte sich dies schlagartig. Getragen durch ein massives Produktivitätswachstum und deutlich verbesserter Marktzugangsbedingungen, die sich aus dem Beitritt zur WTO im Jahr 2001 ergaben, wuchs der Anteil Chinas am gesamten Welthandel zwischen 1985 und 2014 von praktisch 0 auf über 20% und bildet heute noch vor den USA die größte Volkswirtschaft der Welt.8 Das sog. Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf gilt in der Wissenschaft als messbarer Wohlstandsindikator. Selbstverständlich ist dies nicht der ultimative Messwert des Wohlstands, da bei dessen Berechnung auch nicht direkt wohlstandsfördernde Wirtschaftsleistungen, wie bsw. die Beseitigung von entstandenen Umweltschäden, monetarisiert werden und qualitative Aspekte von Wohlstand völlig außer Acht gelassen werden. Allerdings liegen für keinen anderen Wohlstandsindikator so zahlreich Daten vor, welche eine weltweite Vergleichbarkeit möglich machen und somitdessen Eignung in diesem Fall unterstreichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: BIP in jeweiligen Preisen von Jahr 1980 bis 2018 in China9
Der Graph in der Abbildung 1 zeigt das Wachstum des BIP in jeweiligen Preisen zwischen den Jahren 1980 und 2018 in der Volkswirtschaft China. Vom Jahr 1985 (312,62 Mrd. US-Dollar) bis zum Jahr 2018 (13368,07 Mrd. US-Dollar) ist dasBIP fast 43fach gewachsen. Vor allem durch eine exportorientierte Wirtschaft und dank internationalen Handels mit seinen zusätzlichen Absatzmöglichkeiten, kann das Bruttoinlandsprodukt einer kleinen Volkswirtschaft, z.B. durch höhere Produktion, gesteigert werden. Das gestiegene BIP steht laut wissenschaftlicher Literatur in Korrelation mit einem gestiegenen Wohlstand.
Handel erzeugt Wohlfahrtsgewinne - und zwar für alle beteiligten Länder. So lautet zumindest die zentrale These eines Hauptvertreters der klassischen Nationalökonomie. Bis heute wird dieses Credo in der Wirtschaftswissenschaft vermittelt und Freihandel gilt als Garant des Wohlstands westlicher Industrienationen. Dennoch wächst gerade in diesen Industrienationen eine Abneigung gegenüber freien Märkten. Die Akzeptanz des Freihandels variiert mit den wahrgenommenen Verteilungseffekten innerhalb eines Landes. Dem Meinungsforschungsinstitut Pew zufolge sind z.B. in den USA lediglich 17 % der Bevölkerung davon überzeugt, dass durch den globalen Handel die Löhne steigen. In China wiederum glauben dies ganze 61%. Umgekehrt meint ca. die Hälfte aller Amerikaner, der freie Handel zerstöre Jobs, während dies in China nur 11% der Menschen denken. In Deutschland hat der Freihandel einen nicht ganz so schlechten Ruf. Hierzulande sind 43% der Bevölkerung der Meinung, dass Freihandel Arbeitsplätze schafft. Viele fragen sich, ob der Siegeszug der Globalisierung mittlerweile beendet ist - aber auch welche Rollen die EU, China, USA und andere Staaten zukünftig bei der Gestaltung des Welthandels spielen werden. Nachdem die EU bereits im Juli 2017 eine Grundsatzeinigung über das angestrebte Freihandelsabkommen mit Japan erzielen konnte, steht sie nun kurz vor dem Abschluss der vor 20 Jahren begonnenen Verhandlungen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur.10
3.2 Volkswirtschaftlicher Nutzen vonFreihandelsabkommen
Unzählige Studien von Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), belegen: Die Öffnung der Märkte hat in den vergangenen Jahrzehnten vielen Menschen und den meisten Ländern genützt. Sie brachte mehr Wohlstand, mehr Jobs und vor allem mehr Wachstum. Es wurde dabei erwiesen, dass Länder die ihre Märkte geöffnet haben auch wirtschaftlich in den meisten Fällen schneller gewachsen sind, als die Abgeschotteten. Außerdem gilt als erwiesen, dass die Lebensqualität vieler Bürger höher war. Die offeneren Volkswirtschaften sind die Reicheren. In den vergangenen Jahrzehnten nahm das globale Handelsvolumen schneller zu als die Weltwirtschaft. Von 1993 bis 2013 betrug das Wachstum des Handelsvolumens durchschnittlich 5,3%. Das Wachstum der Weltwirtschaft lag jedoch nur halb so hoch. Logischerweise konnten Länder,die mehr exportierten, tendenziell ein besseres Geschäft machen als der Rest. Beispielsweise Deutschland ist einer der großen Gewinner, denn kein anderes Land hat so davon profitiert, dass es immer leichter wurde, Maschinen, Medizin, Chemie und Autos weltweit zu verkaufenund, dass andere Volkswirtschaften ihre Zölle senkten und die Bezeichnung Made in Germany als Garantie für Qualität und Sicherheit akzeptierten. Laut Statistischem Bundesamt hatte die deutsche Wirtschaft schon im Jahr 2014 Waren im Wert von 1133,6 Mrd. Euro ausgeführt, das war schon damals ein Rekordwert. Laut McKinsey ist Deutschland nicht nur im Verkauf gut, sondern auch das weltweit am stärksten vernetzte Land. Deutschland, so könnte man auch sagen, ist der Gewinner der Globalisierung und damit im Allgemeinen auch des Freihandels.11 Eine Studie, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Tübingen und dem ifo Zentrum für Außenwirtschaft in München, bestätigt die positiven Auswirkungen der Marktöffnung 1990 bis 2014 in Deutschland. In dieser Zeitspanne hat sich der Anteil der Exporte am BIP auf nunmehr 44% verdoppelt. Ebenfalls hat sich die Anzahl der vom Export abhängigen Beschäftigungsverhältnisse auf 13,5 Millionen Jobs verdoppelt. Es wurde ein Siebtel des Wachstums des realen Pro-Kopf-Einkommens zwischen 1995 und 2011 direkt auf die verstärkte internationale Arbeitsteilung zurückgeführt. Außerdem zeigt eine mikroökonometrische Analyse beeindruckend, dass schon die jährliche Erhöhung von 10% der Exportquote gleichzeitig die jährliche Zuwachsrate der betrieblichen Beschäftigung in deutschen Betrieben um durchschnittlich 0,06% erhöht. Da die durchschnittlichen jährlichen Zuwachsraten der Beschäftigung ohnehin im Promillebereich liegen, ist dies ein ökonomisch bedeutender Effekt. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt findet freier Handel seinen Niederschlag. International tätige Betriebe bezahlen zwischen 10% und 15% höhere Löhne für gleiche Qualifikationen als rein heimische Betriebe. Im Durchschnitt wurde hier auch eine höhere Jobsicherheit gemessen. International aktive Firmen bieten also bessere Arbeitsplätze und die Erhöhung ihres Anteils erlaubt mehr Arbeitnehmern, in den Genuss dieser Vorteile zu kommen. Ab den Jahren 2008 und 2009 ist jedoch, in Mengenindizes gerechnet, die Offenheit Deutschlands stagniert und auch durch den Beitritt Chinas in die WHO sind die Welthandelsbarrieren nur sehr geringfügig gesunken. Deutschlands bisherige Erfahrungen mit der Handelsliberalisierung sind sehr gut, weshalb es sich auch für die Außenpolitik empfiehlt den Zugang deutscher Unternehmen auf internationale Märkte zu verbessern und dieser eingetretenen Vernachlässigung des freien Handels umgehend Einhalt zu gebieten.
Beispiele von positiven Effekten von Freihandelsabkommen sind die EU- Osterweiterung, die Freihandelsabkommen mit der Türkei, Südafrika, Südkorea und die WTO-Beitritte von China und Vietnam. Schon seit den 1990er Jahren ist der Handel mit den ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas stark gestiegen. Ab 2002, also noch vor dem Erweiterungsjahr 2004, ergab sich jedoch nochmals eine deutliche Zunahme des Handelswachstums. Die Europa-Abkommen zeigten also schon eine deutliche Wirkung, die ab 2002 relevant werdende Beitrittsperspektive hat den Handel aber nochmal deutlich beflügelt. Gleichzeitig sind die deutschen Auslandsdirektinvestitionen in den osteuropäischen Beitrittsländern im Dienstleistungsbereich sehr bedeutend und stärker als anderswo im technologieintensiven verarbeitenden Gewerbe konzentriert. Insgesamt zeigt die mikroökonomische Analyse der Effekte auf die Beschäftigung im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU einen signifikant positiven Effekt.
Das EU-Südafrika Freihandelsabkommen, welches seit 01.01.2000 in Kraft ist, umfasst ausschließlich den Güterhandel zwischen den beiden Partnern. Dieses Handelsabkommen hat zu durchschnittlich 26% zusätzlichem Handel Deutschlands in diesem Land geführt. Nur auf das reale deutsche Pro-Kopf-Einkommen gerechnet implizieren diese Handelsgewinne positive Effekte von 0,01 bis 0,02%, d.h. zwischen 4 und 17 Euro pro Jahr und Kopf.
Seit 01.01.1996 ist die Türkei Mitglied der europäischen Zollunion. Dieses Abkommen umfasst ausschließlich den Handel mit industriellen Gütern und hat den deutschen Handel mit der Türkei, im Vergleich zu einer Welt ohne dieses Abkommen, um durchschnittlich 24% erhöht. Auf das reale deutsche Pro-Kopf-Einkommen gerechnet implizieren diese Handelsgewinne positive Effekte von 0,05 bis 0,08%, d.h. zwischen 17 und 30 Euro pro Jahr und Kopf.
Das EU-Marokko Freihandelsabkommen, das seit 01.03.2000 besteht, umfasst ebenfalls nur den Güterhandel und hat nachweislich die Einbindung Marokkos in die europäischen Wertschöpfungsketten gestärkt. Leider lässt sich keine Belebung des deutschen Handels durch dieses Abkommen nachweisen. Auf beiden Seiten der Partner ist man deshalb um eine Erweiterung bemüht.
Seit 01.03.2003 regelt das EU-Chile Freihandelsabkommen den Güterhandel, seit 01.03.2005 auch den Dienstleistungshandel. Der deutsche Handel mit Chile wird von Rohstoffen dominiert, deren Preise sehr schwanken, was dessen Analyse innerhalb der Studien erschwerte. Ohne Rohstoffe wurde ein Handelsschaffungseffekt von ca. 26% nachgewiesen. Durch die geringe Handelsvolumina ist allerdings der rein nominale Effekt auf das Pro-Kopf-Einkommen vernachlässigbar.
Eines der umfassendsten Handelsabkommen der EU stellt das seit 2011 vorläufig in Kraft getretene EU-Südkorea Freihandelsabkommen dar. Deutliche Zuwächse sind vor allem im Dienstleistungsbereich feststellbar, außerdem bestätigen Studien einen Zuwachs für deutsche Handelspaare von ca. 23%.12
Auf multilateraler Ebene schlugen vor allem der Abschluss der sog. Uruguay-Runde im Jahr 1994 und die nach der Jahrtausendwende erfolgten WTO-Beitritte von China, Vietnam und Russland positiv zu Buche. Das Ergebnis der Studie zeigt ein im Durchschnitt um ein Drittel höheren Güterhandel Deutschlands mit WTO-Mitgliedern im Vergleich zu Nicht-Mitgliedern. Besonders ausgeprägt sind die handelsschaffenden Effekte der WTO-Mitgliedschaft im Bereich differenzierter Güter. All dies entspricht einem positiven Effekt auf das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 2,9% und 4,8%, d.h. 970 bis 1720 Euro pro Jahr und Kopf. Aufgeschlüsselt für die einzelnen Beitrittsländer bedeutet das konkret: Durch Chinas WTO-Beitritt erfolgte ein Anstieg des realen ProKopf-Einkommens von 0,4% bis 0,7%, was 130 bis 230 Euro pro Jahr entspricht, mit gleichzeitigem Importanstieg von chinesischen Gütern um 39%. Der WTO-Beitritt Vietnams im Jahr 2007 hat die deutschen Exporte bis 2012 um ca. 30% und die Importe um ca. 38% steigen lassen. Gleichzeitig ist durch den Beitritt Vietnams das Pro-Kopf-Einkommen um 0,01% bis 0,03%, was 5 bis 9 Euro im Jahr entspricht, gestiegen. Ausnahme ist der Beitritt Russlands. Der eigentliche Beitritt im August 2012 ist nicht mit nachweislichen Anstiegen verbunden. Dennoch hat der Beitritt zur WTO im Vorfeld zu positiven Handelseffekten bei WTO-Mitgliedern geführt.13 Man kann beobachten, dass ein Abkommen, welches handelsbezogene Barrieren senkt, das Potenzial hat die Güterversorgung zu verbessern. Eine verbesserte Versorgung der Konsumenten mit Gütern impliziert gleichzeitig eine Wohlstandsverbesserung.
3.3 Negative Effekte von Freihandel auf Umwelt und Soziales
Laut dem WTO-Jahresbericht 2015 heißt es: „Dabei zu helfen, dass Handelsströme so frei wie möglich fließen können, ist das alles überragende Prinzip unseres Systems“. Handel um jeden Preis hat allerdings heftige Nach- und Nebenwirkungen. Der Umwelt schadet das nachweislich immer mehr, denn jedes Freihandelsabkommen hat,durch seine oben positiv herausgearbeiteten Wachstumseffekte, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxid weiter steigen lassen. Neben wirtschaftlichen Faktoren stehen also bei zeitgemäßen Handelsabkommen vor allem Auswirkungen auf die Umwelt und soziale Auswirkungen im Fokus, da über diese Bereiche Protest und vermehrt Widerstände gegen Handelsabkommen aufgebaut werden. „Niemals zuvor gab es in Deutschland so viel Unsicherheit, so viel Protest wegen eines geplanten Freihandelsabkommens wie heute. Seit die EU das TTIP-Abkommen mit den USA verhandelt, versiegt bei vielen Bürgern der naive Glaube, das, was in der Vergangenheit richtig war auch für die Zukunft gilt.“14 Verantwortliche eines Handelsabkommens können es sich heute also definitiv nicht mehr leisten, zentrale Themen auszuklammern da diese offensichtlich mitverantwortlich für das Zustandekommen eines Abkommens sind. Dennoch werden diese Themen, die ein Handelsabkommen zu einem fair wahrgenommenen Handelsabkommen machen und gesellschaftlichen Sprengstoff innehaben, unzureichend aufgegriffen. Politiker, Ökonomen und Unternehmer wiederholen gern in immer neuen Varianten Sätze, die man zu Recht nicht in Frage stellt. Es heißt Handel mache reich und erhöhe den Wohlstand. Aus sozialer Perspektive stellt sich die Frage: Wen genau macht der Handel reich und wer trägt die Kosten? Die Bürger, die Unternehmer, die Arbeitnehmer, die Verbraucher, die Privatwirtschaft oder die Kinder?15 Dani Rodrik, Professor an der Universität in Princeton wurde zu einem Vortrag an die Harvard University eingeladen und machte hierzu mit den Studenten, von denen 90% den Freihandel befürworten, folgendes Experiment: Er suchte zwei Freiwillige, Nicholas und John, und erklärte er beherrsche einen magischen Trick. Er könne 200 Dollar von Nicholas‘ Konto verschwinden lassen und im gleichen Moment 300 Dollar auf Johns Konto erscheinen lassen. Zusammen seien beide also 100 Dollar reicher als zuvor. Viele zögerten, die meisten waren schließlich dagegen. Die Operation widersprach ihrem Gerechtigkeitsgefühl, immerhin würde ja einer willkürlich ärmer und der andere reicher. Als Professor Rodrik dann behauptete, genau dies geschehe durch den Abschluss neuer Freihandelsabkommen, auch sie verteilen Einkommen mitunter willkürlich um, fanden die Studenten das wenig glaubhaft. Wie die meisten Ökonomen und Politiker hatten auch sie noch nie darüber nachgedacht. Ganz lässig sagte die EU- Handelskommissarin Cecilia Malmström 2015 in einem Interview in der ZEIT über das geplante Freihandelsabkommen TTIP: „Die exportorientierten Branchen werden stärker profitieren und manche EU-Länder werden mehr von TTIP haben als andere. Deutschland wird wahrscheinlich zu den Gewinnern gehören.“ Ihre Sätze wurden so formuliert als müsse man dieses Ergebnis einfach schicksalsergeben hinnehmen. Weil es fair sei. So, als ob willkürliche Umverteilung das gleiche Resultat eines gerechten Prozesses sei, bei dem eben die Besseren gewinnen. Oberflächlich betrachtet scheint es wohl so. Rodrik fragte seine Studenten was wäre, wenn John um 300 Dollar reicher würde, weil er härter gearbeitet und besser investiert hat und deswegen die besseren Produkte als die Konkurrenz anbieten könne. Nicholas würde dann, so die Annahme, um 200 Dollar ärmer, weil er weniger verkaufen könnte. Alle Studenten fanden das in Ordnung, sogar der arme Nicholas. Nun brachte Rodrik den globalisierten Welthandel ins Spiel. Was wäre, wenn John nur deshalb besser anbieten könnte, weil er seine Produktion nach Bangladesch verlagert, wo Näherinnen kaum Rechte haben und für einen Hungerlohn arbeiten? Oder weil er indirekt in Vietnam Kinder beschäftigt? „Um beurteilen zu können, ob wir Umverteilung fair finden, müssen wir die Bedingungen kennen, unter denen sie möglich wurde“, so Rodrik. Wir fänden es ziemlich in Ordnung, wenn Leute reich würden, weil sie etwas Neues erfunden haben. Wenn aber gegen ethische Prinzipien verstoßen wird, sind wir sensibel. Das interessiert und berührt uns, selbst dann, wenn es nicht im eigenen Land passiert. Am Ende des Vortrags war allen Studenten eines klar: Welthandel ist nicht automatisch fair. Er verteilt Einkommen um. Er sorgt an einer Stelle für mehr Wohlstand und macht andere arm. Ob man dies in Ordnung findet hängt sehr stark von den Umständen und Regeln ab. Die Aussage der EU-Kommissarin Malmström, Deutschland werde durch TTIP reicher, war deshalb ziemlich oberflächlich. Deutschland ist ein ziemlich großes Wort. Sie sollte wissen wer in Deutschland reicher wird, wer in Europa und vor allem wo die Verlierer wohnen.16 Der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz hat sich lange und sehr konkret mit der Frage beschäftigt was für die Entwicklung eines Landes wichtig ist. Er war Chefökonom der Weltbank, kündigte jedoch in den 90er Jahren als die Bank von Entwicklungsländern verlangte den klassischen Neoliberalismus umzusetzen und zwar in Form von Privatisierung, Abbau von sozialem Schutz und radikaler Kürzung der Staatshaushalte mit einhergehender Schließung von Schulen und Krankenhäusern. Stiglitz fand, das sei genau der falsche Weg und legte seine Schlussfolgerung später in dem Buch „Fair Trade“ vor: Liberalisierung nützt demnach vor allem denen, die vorne sind. Einfach gesagt konnten und können es sich Industrieländer, durch technologischen Vorsprung, früher als andere leisten, den Schutz für die heimische Wirtschaft abzubauen. Die heimische Wirtschaft wurde und wird dann durch die Konkurrenz sogar stärker und gewinnt zugleich Kunden auf der ganzen Welt. Ha-Joon Chang, der an der Cambridge University lehrt behauptet sogar, dass Regierungen dieses Modell mittels internationaler Organisationen als allgemeingültig vermarkten und Entwicklungsländer dazu drängen sich zu öffnen und damit auf den Schutz der heimischen Industrie zu verzichten - auch wenn diese noch nicht reif dafür ist.17 Das Ganze erinnert wiederum an den Begriff „Handelskrieg“, aus der obigen Problemstellung im Rahmen der Einleitung dieser Arbeit, bei dem es eigentlich eher um die Schaffung von Zöllen, Einschränkungen und Barrieren im Bereich des Handels ging. Zum sozialen Effekt von Freihandel auf die Gleichberechtigung der Frau herrschen unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte. Während Darity zeigt, dass der Anstieg der Exporte zu einem Rückgang der unbezahlten Arbeitszeit von Frauen führt, argumentieren Fontana und Wood, dass der Anstieg der bezahlten Beschäftigung von Frauen im Exportsektor auf Kosten der Freizeit dieser Frauen geht, und das, insgesamt wiederum mehr als bei Männern. Erturk und Cagatay zeigen, dass die Arbeitsintensität innerhalb der Privathaushalte umgekehrt mit dem Haushaltseinkommen korreliert, die Feminisierung der Erwerbsbevölkerung jedoch positiv mit dem BIP-Wachstum korreliert. Zusammenfassend kann man also sagen, dass Effekte der Handelsliberalisierung die unbezahlte Arbeitszeit von Frauen positiv reduzieren und gleichzeitig das BIP-Wachstum steigern können.18
3.4 Das Nachhaltigkeitskapitel
„Nachhaltigkeit, also die Etablierung dauerhaft und global-grenzüberschreitend durchhaltbarer Lebens- und Wirtschaftsweisen, ist die möglicherweise größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Wenn Milliarden Menschen im globalen Süden das westliche Wohlstandsmodell kopieren, entsteht in unserer bereits durch die Konsumwünsche der Industriestaaten und der oberen Mittelschichten in den Schwellenländern überforderten Welt massiver Handlungsbedarf.“19 In Bezug auf die Anforderungen und Rahmenbedingungen eines globalen Handelsabkommens wird der Begriff der Nachhaltigkeit, auf Grund aktueller Präsenz und Wichtigkeit, hier als Unterpunkt gesondert herausgearbeitet. Bzgl. der globalen Institutionalisierung der Nachhaltigkeit steht vor allem das Thema einer globalen Klima- und Ressourcenpolitik im Fokus. Es stellt sich die Frage nach einer politischen Einrahmung des globalen freien Spiels der Kräfte, wobei sich aber die generelle Debatte über Freihandel und Nachhaltigkeit allzu schnell auf nationale Handelsbeschränkungen fokussiert. Aus Sicht der Entwicklungsländer sind diese Beschränkungen nicht erstrebenswert, da diese ja gerade am internationalen Markt partizipieren wollen. Doch auch den Industriestaaten helfen einseitige Handelsbeschränkungen nur bedingt auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Wenn z.B. die EU die USA durch Handelsbeschränkungen zu nachhaltigkeitspolitischen Maßnahmen zwingt, bleiben exportorientierte europäische Staaten im Wettbewerb um die niedrigsten Standards gefangen und das Problem räumlicher Verlagerungseffekte bleibt ungelöst. Denn wenn z.B. US-Unternehmen auf die EU-Handelsbeschränkungen hin ihre Waren in andere Länder exportieren, dann verlieren die EU-Unternehmen dort ihre Marktanteile, wenn sie die europäischen Regierungen nicht zu niedrigeren, kostensparenderen Umweltstandards überreden. Zwar liegt die nachhaltigkeitsbezogene Wirkung der WTO auch in Zulassungsregeln für nationale Handelsbeschränkungen, aber doch mehr darin, dass sie überhaupt einen internationalen Wettbewerb schafft, der dieses Dumpingproblem und damit die globale politische Einrahmungserfordernis auf die politische Tagesordnung setzt. In der klassischen Theorie des Freihandels ist der Sinn jeglicher, handelsbeschränkender Maßnahmen tendenziell negativ zu beantworten. Trotzdem ist auf die Erkenntnis, dass der reine freie Wettbewerb zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen nicht taugt, zurückzugreifen, denn Problemlagen und Güter die sich wie das Globalklima nicht in einem Marktpreis niederschlagen, werden am freien Markt kalt ignoriert.20 Gleichzeitig bietet der Freihandel, bzw. der Weg dorthin mittels eines Handelsabkommens die einzigartige Möglichkeit vertragliche Vereinbarungen in Bezug auf Nachhaltigkeit unter Verhandlungspartnern zu treffen und deren Umsetzung tatsächlich zu kontrollieren. Globaler Handel bietet somit die Chance Träger von Nachhaltigkeit zu sein. Um als Freihandelspartner neue Märkte mit Konsumenten und neuen Kunden zu erschließen, braucht es zu allererst solch potenzielle Kunden. Diktatorische Korruption, die eine nahezu mittellose Gesellschaft beinhaltet, verhindert einen großen attraktiven Markt den es für Handelspartner zu erschließen gilt. Dies kann nicht im Interesse derer sein, die einen großen Markt erschließen oder schaffen möchten. In Entwicklungs- und Schwellenländern können durch vertragliche Vereinbarungen mit Industrieländern soziale und umweltbezogene Standards verbessert werden. Somit kann an Nachhaltigkeit gebundener Handel auch auf diesem Weg nochmals weltweiten Wohlstand fördern und erhöhen. Nicht zuletzt auch auf Grund von starkem öffentlichem Druck und der Akzeptanz von Handelsabkommen gehört es innerhalb eines guten Freihandelsabkommens zu den Anforderungen als globaler Träger nachhaltigkeitsbezogener Aspekte zu fungieren. Diese Aspekte sind z.B. in Form eines eigenen Kapitels zum Thema Nachhaltigkeit innerhalb des Freihandelsabkommens aufzusetzen und deren Umsetzung gleichwertig zu den anderen vertraglichen Vereinbarungen zu kontrollieren. Nach Untersuchung der umweltbezogenen Vorschriften im Vertragswerk der Nordamerikanischen Freihandelszone im Vergleich zu WTO/GATT sieht der NAFTA- Vertrag z.B. zwei Instrumentarien zum Schutz der Umwelt vor. Zum einen wird die Harmonisierung bzw. Angleichung der umweltschutzbezogenen Produkt- und Produktionsstandards auf einem hohen Niveau zum Schutz der Umwelt auf internationaler Ebene angestrebt. Darüber hinaus können divergierende nationale Umweltschutzinteressen mit Blick auf Produkt- und Produktionsstandards unter bestimmten Voraussetzungen auf der Grundlage entsprechender vertraglicher Umweltschutzklauseln über handelsbeschränkende Maßnahmen verfolgt und durchgesetzt werden. Unter die sog. nichttarifären Handelshemmnisse aus Gründen des Umwelt- und Konsumentenschutz fallen nationale technische Regelungen bzgl. Standards bei Produktion und Produkten, sowie sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen. Im Gegensatz zur Präambel des FTA (Canada-United States Free Trade Agreement) und des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) sehen die Präambel von NAFTA, sowie auch die des Übereinkommens über die WTO, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt als eigenständigen Programmsatz vor. Die Mitgliedstaaten der WTO und die der NAFTA sind angehalten den internationalen Handel so zu betreiben, dass die natürlichen Ressourcen nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung dem sog. „Sustainable Development“ genutzt und eine dauerhaft umweltverträgliche Wirtschafts- und Lebensweise erreicht werden. Allerdings kommt den in der Präambel niedergelegten Programmsätzen bei genauer Analyse keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit und Durchsetzbarkeit zu. Einen interessanten Ansatz, im Hinblick auf regionale Freihandelsabkommen, hält das NAAEC (North American Agreement on Environmental Cooperation) bereit, da es sich im Schwerpunkt um die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur effektiven Durchsetzung ihres nationalen Umweltrechts dreht und auch tatsächlich spürbare Sanktionsmechanismen vorsieht, wenn ein Staat gegen diese vertragliche Verpflichtung verstößt. Wenn man bedenkt, dass die staatliche Durchsetzung umweltrechtlicher Vorschriften ein unverzichtbares Instrument der Implementierung umweltschutzbezogener Strategien darstellt und die größten Umweltbeeinträchtigungen bei der Herstellung, dem Gebrauch und der Entsorgung der Güter und viel weniger durch den Handel selbst entstehen, stellt die gegenseitige Kontrolle der staatlichen Durchsetzung hier ein sinnvolles Mittel dar.21 Gefragt sind Maßnahmen, die förderlich auf die Bewahrung der biologischen Vielfalt im Amazonas- Regenwald und die Sicherung des Schutzgebietsnetzes wirken. Hierzu bedarf es eines positiven Anreizsystems in Form von Umweltfonds und Finanzierungsinstrumenten, die eine solche Politik für die brasilianische Politik und Gesellschaft attraktiv machen. Amazonas-Schutz wird weder von Brasilien noch von den anderen Anrainerstaaten des Amazonas zum Nulltarif zu bekommen sein, die internationale Gemeinschaft wird dafür geeignete Ausgleichsmechanismen anbieten müssen. Dies haben auch die sieben Regierungschefs der betroffenen Länder (Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Surinam) im Pacto de Leticia festgehalten, den sie am 6. September 2019 bei einem Gipfeltreffen zum Schutz des Amazonas unterzeichnet haben. Ausgelöst durch aktuelle ermahnende Drohgebärden von EU-Politikern zum Thema Amazonasschutz in Richtung des neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro wurden unter anderem finanzielle Unterstützungen für Umweltschutz gekürzt, was die bisherige Hebelwirkung der EU zum Schutz des Amazonas immer mehr entgleiten lässt. Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein gutes Instrument, das sich nutzen lässt, um den Amazonas zu schützen. Es geht darum, mit den Ländern der Region zusammenzuwirken, sie aber nicht durch Bestrafung mit Handelssanktionen oder gar einer Verweigerung des gesamten Abkommens zu isolieren. Es geht nicht darum politisch gegeneinander zuarbeiten denn schlussendlich ist für den Amazonas-Schutz Zusammenarbeit auf vielen verschiedenen Ebenen erforderlich.22
3.5 Auswirkungen auf die Gruppe der Least Developed Countries
Laut der aktuellen Oxfam Studie hat die Ungleichheit in der Welt zugenommen. Doch der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank widerspricht der Darstellung, welche Oxfam von der sozialen Ungleichheit auf der Welt zeichnet. Auch laut Weltbank und Ungleichheitsforscher Branko Milanovic sieht die Tatsache anders aus. Laut Hank sei beim weiteren Vorgehen gegen die weltweite Armut „etwas abzugeben“ - wie es bsw. bei der Entwicklungshilfe geschehe -„eher eine schlechte“ Vorgehensweise. Menschen würden vielmehr zu Wohlstand kommen, indem sie selber etwas aufbauten und Handel trieben, so Hank. „Das ist das Modell Asien. Asien hat wenig Entwicklungshilfe bekommen, hat sich aber geöffnet für die Marktwirtschaft.“23 Zur Frage, ob das Abkommen zwischen EU und Mercosur auch Auswirkungen auf die ärmsten Länder unserer Welt hat gibt es in Studien bejahende Antworten. Laut den Vereinten Nationen und der Weltbank gelten die in folgender Tabelle zusammengefassten 47 Länder als die am wenigsten entwickelten Länder der Welt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Die 47 am wenigsten entwickelten Länder der Welt (LDC)24.
Um nun wahrscheinliche Auswirkungen eines Handelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur auf diese am wenigsten entwickelten Länder der Welt (sog. Least Developed Countries bzw. LDC) zu identifizieren, wurde innerhalb der im folgenden behandelten Studie der sog. Finger-Kreinin-Indizes (FK) berechnet. Diese Studie wurde von der Europäischen Kommission beauftragt und von LSE Enterprise Limited, sowie der London School of Economics and Political Science im Jahr 2018 durchgeführt und trägt den Titel: „Sustainability Impact Assessment in support of association agreement negotiations between the European Union and Mercosur“. Sie identifiziert für den Zeitraum 2004 bis 2016 Handelsüberschneidungen zwischen Mercosur- und LDC-Ausfuhren in die EU, um so vorläufige Informationen über die potenziellen Auswirkungen des Handelsabkommens auf die am wenigsten entwickelten Länder der Welt zu gewinnen. Es wurde hierzu erst der gesamte EU- Mercosur Handel nach breiten Produktgruppen analysiert und festgestellt, dass Lebensmittel, lebende Tiere und Rohstoffe im Schnitt tatsächlich 70% der EU- Einfuhren aus dem Mercosur ausmachen. Es wurden weiterhin die Top 20 der EU- Importe aus den Mercosur Ländern und die Top 20 der EU-Importe aus den oben definierten 47 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt als Datengrundlage verwendet.Zusätzlich wurdeinnerhalb der LSE-Studiedurch spezielle Bezeichnungen den komparativen Vorteil des Mercosur angegeben. Für eine relevante Schlussfolgerung innerhalb dieser Arbeit ist eine solche Komplexität bei der Berechnung allerdings nicht zweckdienlich und wird deshalb auch nicht mehr gesondert aufgeführt. Für den Finger-Kreinin Index FKt wurde folgende Formel verwendet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
S gibt den Anteil der Erzeugnisse k an den Gesamtausfuhren der Mercosur-Länder und der oben definierten Ländergruppe der am wenigsten entwickelten Länder der Welt im Jahr t an. Bei absoluter Unterschiedlichkeit der Exportstrukturen beider Ländergruppen nimmt der Finger-Kreinin Index einen Wert von Null an. Wenn die Exportstrukturen dagegen absolut identisch sind, liegt der FK-Wert bei 100.25 Wie der folgende Graph in Abbildung 2 zeigt, ist der FK-Index im Stichprobenzeitraum 2004 bis 2016 mit Werten zwischen 10 und 16 relativ stabil.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: FK-Index der Ausfuhrähnlichkeit zwischen Mercosur und LDCs.26
[...]
1 Vgl. Kaiser, A.: https://www.manager-magazin.de, (05.11.2019).
2 Vgl. Süddeutsche Zeitung: https://advertorial.sueddeutsche.de, (05.11.2019).
3 Vgl. Kleine Zeitung: https://www.kleinezeitung.at, (06.11.2019).
4 Vgl. Airliners.de: https://www.airliners.de, (17.02.2020).
5 Vgl. Hakelüken, A.: https://www.sueddeutsche.de, (15.10.2019).
6 Vgl. KHT Media GmbH: https://wirtschaft.com, (23.10.2019).
7 Vgl. Krugmann, P.: (2018), S. 24.
8 Vgl. Südekum, J.: (2018), S. 4-6.
9 Eigene Darstellung in Anlehnung an Statistisches Bundesamt: https://de.statista.com, (08.11.2019).
10 Vgl. APuZ: Abu Ayyash, L.: (2018), S. 3.
11 Vgl. Pinzler, P.: (2015), S. 19-20.
12 Vgl. Felbermayr, G. et. al.: (2018), S. 206-207.
13 Vgl. Felbermayr, G. et. al.: (2018), S. 208-209.
14 Pinzler, P.: (2015), S. 11-12.
15 Vgl. Pinzler, P.: (2015), S. 11.
16 Vgl. Pinzler, P.: (2015), S. 16-18.
17 Vgl. Pinzler, P.: (2015), S. 24.
18 Vgl. LSE Consulting: (2018), S. 88-89.
19 Ekardt, F.: (2016), S. 5.
20 Vgl. Ekardt, F.: (2016), S. 602-604.
21 Vgl. Sander, F.: (2001), S. 182-193.
22 Vgl. LSE Consulting: (2018), S.40-41.
23 Eigene Darstellung in Anlehnung an Vgl. LSE Consulting: (2018), S. 41.
24 Eigene Darstellung in Anlehnung an Vereinte Nationen: https://www.un.org; (23.01.2020).
25 Vgl. LSE Consulting: (2018), S.40-41.
26 Eigene Darstellung in Anlehnung an Vgl. LSE Consulting: (2018), S. 41.
- Quote paper
- Justus Willems (Author), 2021, EU-Mercosur Free Trade Agreement. Ein gutes Abkommen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1351060