Die Arbeit setzt sich mit der #Dorfkinder-Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auseinander. Dabei sind folgende Fragen aus der Sozialgeographie relevant: Welche Implikationen bringt der Raum als solches für unser Handeln überhaupt mit sich? Welche Räume erlangen wie und unter welchen Voraussetzungen Bedeutung? Wie sind die vielfältigen Informationsflüsse, denen wir ausgesetzt sind, daran beteiligt?
Wir leben in einer globalisierten und vernetzten Welt, in der unser alltägliches Handeln in vielen Lebensbereichen immer weniger Notwendigkeit an unsere unmittelbare, räumliche Umwelt geknüpft ist, zum Beispiel durch moderne Kommunikations- oder Transportmöglichkeiten. Regionale Traditionen verlieren an Bedeutung und wir sind durch viele Alltagspraktiken in Globalisierungsprozesse eingebunden, was vermuten lassen könnte, dass Räumlichkeit, zumindest lokal, durch ihre scheinbare Überwindbarkeit an Bedeutung verliert. Gleichzeitig ist es uns aber wie nie zuvor möglich unterschiedlichste Weltbilder oder Bezüge zu unserer Umwelt zu schaffen.
I Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen
3 Informativ-signifikative Regionalisierungen
3.1 Geographien der Information
3.2 Geographien symbolischer Aneignungen
4. #Dorfkinder - so stärkt das BMEL das Leben auf dem Land
5. #Dorfkinder-Kampagne als Forschungsgegenstand der Geographien der Information und Geographien symbolischer Aneignung
5.1 #Dorfkinder - Geographien der Informationn
5.2 #Dorfkinder - Geographien symbolischer Aneignungen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
II Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Tweet von Julia Klöckner stellvertretend für das BMEL (Twitter 2022)
Abbildung 2: Julia Klöckner auf der Eröffnung des Zukunftsforums „Ländliche Entwicklung“ vor Bildern, die später auf den sozialen Netzwerken verbreitet wurden (BMEL 2022)
1. Einleitung
Wir leben in einer globalisierten und vernetzten Welt, in der unser alltägliches Handeln in vielen Lebensbereichen immer weniger Notwendigkeit an unsere unmittelbare, räumliche Umwelt geknüpft ist, zum Beispiel durch moderne Kommunikations- oder Transportmöglichkeiten. Regionale Traditionen verlieren an Bedeutung und wir sind durch viele Alltagspraktiken in Globalisierungsprozesse eingebunden, was vermuten lassen könnte, dass Räumlichkeit, zumindest lokal, durch ihre scheinbare Überwindbarkeit an Bedeutung verliert. Gleichzeitig ist es uns aber wie nie zuvor möglich unterschiedlichste Weltbilder oder Bezüge zu unserer Umwelt zu schaffen. Daher stellt sich zum einen die Frage welche Implikationen der Raum als solches für unser Handeln überhaupt mit sich bringt. Eine weitere Frage wäre, welche Räume wie und unter welchen Voraussetzungen Bedeutung erlangen und wie die vielfältigen Informationsflüsse, denen wir ausgesetzt sind, daran beteiligt sind.
Unter anderem wegen dieser Fragen erkannte Benno Werlen die Notwendigkeit dieses Perspektivenwechsels in der Sozialgeographie und gab in seiner 1994 erschienen Habilitationsschrift „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung“ mit der Prämisse, dass man täglich analog zum "Geschichte machen" auch Geographien macht als einer der ersten deutschen Humangeographen dem Subjekt und seinen Handlungen den Vorrang gegenüber den räumlichen Verhältnissen (Spektrum 2022). Werlens Theorie war eine bedeutende Wende in der Humangeographie und gewann, nachdem Kritik am herkömmlichen wissenschaftlichen Standpunkt zunächst ignoriert wurde, im Laufe der Jahre zunehmend an Bedeutung (WER- LEN 2017, S.9).
Im nächsten Kapitel werden die „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung“ und speziell den Haupttypen der informativ-signifikativen Regionalisierungen erläutert, da im Bereich der Informationsübermittlung die größten Unterschiede zwischen traditionellen und spät-modernen Gesellschaften zu erkennen sind und die übrigen Typen von Regionalisierungen für das Beispiel von geringer Relevanz sind (ebd., S.347). Anschließend werden anhand dieses Typen von Regionalisierung beispielhaft untersucht, wie sehr mit Hilfe sozialer Medien Einfluss auf die Bedeutungskonstitution von Räumen genommen werden kann, wie die Empfänger auf die Informationsflüsse Bezug nehmen und welche Konsequenzen, die darauf aufbauenden symbolische Bezüge haben. Das Beispiel, welches herangezogen wird, ist die Medienkampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft „#Dorfkinder - so stärkt das BMEL das Leben auf dem Land“ aus dem Januar 2020. Außerdem soll die Frage beantwortet werden, inwiefern sich Werlens Konzept der Wiederverankerung, welche durch Regionalisierungen ausgedrückt werden, im Beispiel wiederfinden lässt. Als Quellen dienen hierfür die vom BMEL gesendeten Kurznachrichten über den Kurznachrichtendienst Twitter. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung in einem Fazit zusammengefasst, und eine Antwort auf die Frage gegeben, inwiefern im Beispiel Wiederverankerungen zu erkennen sind.
2. Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung
Benno Werlens Theorie der „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung“ kann als radikaler Gegenentwurf zur raumzentrierten Geographie verstanden werden. Indem er im Gegensatz zu den traditionellen Vorstellungen von „Raum“ und „Gesellschaft“ eine phänomenologische Sichtweise dieser Dinge einführt, welche für seine Theorie grundlegend ist und dafür sorgt, dass der Raum als Objekt an sich nicht mehr existiert (Werlen 2009, S.100). Dementsprechend stehen die Handlungen von Subjekten im Zentrum der Forschung eingeführt, welche nicht bloß Gesellschaft, sondern auch Raum konstituieren (WERLEN 2017, S. 31). Außerdem wird der Begriff der Regionalisierung als eine Praxis, mit der sich einzelne Akteure auf die Welt beziehen, kurz gesagt als Form der „Welt-Bindung“, neu konzeptualisiert (ebd., S.14 ff). Mit seiner Idee des Geographie-Machens bezieht Werlen sich auf die Theorien von Wolfang Hartke, der Werlens Meinung nach eine „kopernikanische Wende der geographischen Perspektive“ vollbrachte, da er erstmals nicht mehr „Raum“ und „Landschaft“ als Forschungsgegenstand sah, sondern die „menschlichen Aktivitäten und ihre[n] sozio-kulturellen Hintergründe“ (ebd., S. 41). Werlen zu Folge seien Hartkes Theorien jedoch noch zu Raumzentriert, die Analysekriterien für die Beschreibung sozialer Wirklichkeiten zu undifferenziert und bezögen sich unzureichender Weise auf raum-zeitlich verankerte Gesellschaften (ebd. S.45ff).
Werlens Theorie hingegen soll auch auf moderne Gesellschaften zu beziehen sein, weshalb er die Konzepte der Verankerung, Entankerung und Wiederverankerung und damit zwei Idealtypen von Gesellschaften und deren Verhältnis zu den raum-zeitlichen Verhältnissen entwirft. Dies sind auf der Seite die räumlichzeitlich verankerten, traditionellen Lebensformen und auf der anderen Seite die entankerten, spätmodernen Lebensformen (WERLEN 2009, S. 104).
Verankerte Lebensformen verändern sich im Laufe der Zeit aufgrund eines hohen Stellenwertes von Traditionen und geringerer sozialer Mobilität wenig und sind wegen gering entwickelter Transport- und Kommunikationsmittel räumlich abgegrenzt (ebd., S. 105 ff). Entankerte Lebensformen sind dagegen sozial mobil und individualistisch und es ist keine in Traditionen begründete zeitliche Stabilität mehr vorhanden (ebd., S. 106). Ebenfalls sind die räumlichen Begrenzungen für diese Lebensformen aufgehoben, was an der hohen Mobilität durch moderne Fortbewegungsmittel liegt während Fortbewegungs- und Niederlassungsfreiheit, dafür sorgen, dass auf verschiedene Kulturen lokal zusammeneben, die dies vorher nicht taten und Kommunikation global möglich ist (ebd., S. 106 ff). Unter „Wiederverankerung“ versteht man die bereits erwähnten „Welt-Bindungen“, welche die einzelnen Subjekte unter „prinzipiell entankerten Lebensbedingungen“ vollziehen (WERLEN 2017, S. 202).
Auf der Basis von Anthony Giddens Strukturationstheorie geht Werlens Theorie davon aus, dass die soziale Welt von einzelnen Subjekten ebenso wie Raum konstituiert und reproduziert werden (ebd., S.132). Es handelt sich bei der „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen“ nicht um eine handlungsorientierte Raumwissenschaft, sondern um eine raumorientierte Handlungswissenschaft (Spektrum 2022). Bezüglich des Handelns von Subjekten, dem in der Theorie eine zentrale Bedeutung zugemessen wird, werden mit dem zweckrationalen, dem normorientierten und dem verständigungsorientierten Handeln drei verschiedene Orientierungsrahmen unterschieden (WERLEN 2017, S.239). Dies führt zu den drei Haupttypen von Regionalisierungen. Produktiv-konsumtive Regionalisierungen lassen sich aus dem zweckrationalen Handeln, normativ-politische Regionalisierungen aus normorientiertem Handeln und informativ-signifikative Regionalisierungen aus verständigungsorientiertem Handeln ableiten (ebd., S.245f).
3. Informativ-signifikative Regionalisierungen
3.1. Geographien der Information
Der Typ der informativ-signifikative Regionalisierungen werden in Werlens Theorie in die Forschungsbereiche der „Geographien der Information“ und die „Geographien symbolischer Aneignung“ aufgeteilt. Beide Bereiche werden sowohl in deskriptiv-analytischer als auch in explikativer Hinsicht erforscht. Der Bereich der Geographien der Information befasst sich mit informativen Regionalisierungen und stellt die Frage danach, was die Voraussetzungen für subjektive Bedeutungskonstitutionen sind, wie diese entstehen und wie sie kontrolliert werden (Werlen 2017, S.350). Genauer wird die Frage danach gestellt wie das Wissen der Subjekte über spät-moderne Informationsmedien und -kanäle konstituiert wird, welches die Basis für Bedeutungszuweisungen bildet (ebd., S.350f). In „deskriptiv-analytischer Hinsicht“ werden die „die materiellen Einrichtungen der Information und Informationsübermittlung“ nach unterschiedlichen Arten der Kommunikation in räumlicher Dimension dargestellt (ebd., S.354f). Auf der Seite der Informationsempfänger Auf der Empfängerseite wird außerdem analysiert wie die Subjekte einzelne Informationen aus dem Feld potenzieller Informationen herauslösen und rezipieren (ebd., S.357). Subjektiv vorhandenes Wissen ist das Ergebnis dieses Prozesses, welcher als „informationsmäßige[n] Welt-Bindungen bzw. informationsmäßigen Wiederverankerung“ verstanden wird (ebd., S.357).
In explikativer Hinsicht werden die Möglichkeiten dieser Art von Wiederverankerung erläutert, die durch Verfügungsverhältnisse auf der Empfängerseite begrenzt sind (ebd., S.355). Außerdem werden die Besitz- und Kontrollverhältnisse über diese Informationsmedien auf der Senderseite geklärt, welche als allokative Ressourcen zu verstehen sind (ebd., S.355). Als allokative Ressourcen sind hier die Zusammensetzung und Besitzverhältnisse sowie und politische Einflussnahme der Informationsmedien von Interesse (ebd., S.357).
3.2. Geographien symbolischer Aneignungen
Im Zentrum des Forschungsbereiches der Geographien symbolischer Aneignung stehen die subjektiven Bedeutungszuweisungen zu erdräumlichen Ausschnitten sowie deren praktische Konsequenzen insbesondere in sozialer und politischer Hinsicht (ebd., S.350f). Diese sollen nicht in ihrer räumlichen, sondern ihrer kommunikativen Dimension rekonstruiert werden, sind in ihrer Betrachtung jedoch immer verknüpft mit Handlungen, welche die gesellschaftliche Wirklichkeit herstellen (ebd., S.369). In deskriptiv-analytischer Hinsicht werden die vielfältigen Arten von symbolischen Geographien rekonstruiert (ebd., S.369f). Häufig handelt es sich hierbei um die Vergegenständlichung sozialer Verhältnisse, die in der Kommunikation zu räumlichen Verhältnissen werden (ebd., S.369f). Grundlage für die Rekonstruktion sind Annahmen darüber für welche Sinnfelder die Symbolisierungen stehen (ebd., S.355ff).
Dies ist auch für die Betrachtung in explikativer Hinsicht relevant, da sich hier mit den Kontexten und Diskursen befasst wird, in welche die Geographien symbolischer Aneignung eingebunden sind, die durchaus ideologisch geprägt sein können (ebd., S.370). Wichtig ist zu klären, warum wie, von wem und mit welchem Einfluss diese in kommunikative Kontexte eingebracht werden (ebd., S.370). Die Geographien symbolischer Aneignung sind dadurch, dass sie in kommunikativen Zusammenhängen auf der Basis von Symboliken physischen Räumen Bedeutungen zuweisen ohne dass sie diesem immanent sind, als Form der Wiederverankerung zu verstehen (ebd., S.370).
4. #Dorfkinder - so stärkt das BMEL das Leben auf dem Land
Die #Dorfkinder-Kampagne ist eine vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Januar 2020 im Zuge der Eröffnung des Zukunftsforums „Ländliche Entwicklung“ in Berlin gestartete Medienkampagne. Sie sollte laut Website des Ministeriums „den Blick auf die Menschen, die Tag für Tag daran mitwirken, die Dörfer und Landgemeinden voranzubringen“ lenken (BMEL 2022). Geschehen sollte dies durch die Verbreitung des Hashtags „#Dorfkinder“ sowie durch mit Texten versehene Bilder im Stil einer Werbeanzeige auf verschiedenen sozialen Netzwerken.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Tweet von Julia Klöckner stellvertretend für das BMEL (Twitter 2022)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Julia Klöckner auf der Eröffnung des Zukunftsforums „Ländliche Entwicklung“ vor Bildern, die später auf den sozialen Netzwerken verbreitet wurden (BMEL 2022)
5. #Dorfkinder-Kampagne als Forschungsgegenstand der Geographien der Information und Geographien symbolischer Aneignung
5.1. #Dorfkinder - Geographien der Information
Im Folgenden soll herausgefunden werden inwiefern sich im Kontext der Kampagne Informativ-signifikative Regionalisierungen und damit Wiederverankerungen unter spät-modernen Lebensformen wiederfinden lassen. Dafür werden die oben in Abbildung 1 und 2 gezeigten Kurznachrichten sowie die Informationsmedien, die diese übermitteln, zuerst hinsichtlich der Geographien der Information und anschließend der Geographien symbolischer Aneignung untersucht.
Bei der Übermittlung von Kurznachrichten über sozialen Medien handelt es sich um eine elektronisch mediatisierte Kommunikationsform, mit der Besonderheit, dass nicht nur unabhängig von der räumlichen Entfernung zum Sender Informationen ohne zeitliche Verzögerung aufgenommen werden können, sondern auch unmittelbar auf die Nachricht reagiert werden kann (Werlen 2017, S.365). Der Kommunikationsbereich, welcher in den Geographien der Information analysiert wird, hat eine normative und eine räumliche Komponente (ebd., S.365). In normativer Betrachtung lässt sich sagen, dass zumindest im Bundesgebiets Deutschlands, auf das sich die Kampagne bezieht, theoretisch niemand vom Zugang zu den übermittelten Informationen ausgeschlossen wird, da die genutzten Plattformen frei zugänglich sind und bis auf wenige Gebiete flächendeckend Internetzugang herrscht. Da laut ARD/ZDF-Onlinestudien eine deutliche Mehrheit der Nutzer von Twitter, Instagram und Facebook 2020 jedoch unter 49 Jahren alt war, lässt gab es bei der Informationsverbreitung keine geographische, aber dafür eine demographische Abstufung der Empfänger hinsichtlich des Alters (ARD-Werbung 2022). Diese Abstufungen gelten auch für allokativen Ressourcen auf der Empfängerseite in explikativer Hinsicht.
Der nächste deskriptiv-analytische Schritt ist auf den Prozess des sich Informierens auf Subjektseite gerichtet. Das Herausheben einer Information aus dem Feld von Informationen einfach zu vollziehen, da das Informationsfeld durch die Eindrücklichkeit der Bilder, die Kürze und Prägnanz der Aussagen eingegrenzt wird. Dies ist sehr wahrscheinlich Absicht des Senders gewesen. Die biographischen Wissensvorräte, die wesentlich am Prozess des sich Informierens beteiligt gehen hier potenziell jedoch weit auseinander. Zum Beispiel könnten die Informationen mit Vorwissen über die öffentliche Debatte über strukturell benachteiligte ländliche Räume und als abgehängt geltende Regionen verknüpft werden, welches hauptsächlich mechanisch oder elektronisch mediatisiert erworben wird, es kann aber genauso gut Wissen sein, welches durch Face-to-Face-Situationen erworben wurde. Dies ist wahrscheinlich am ehesten der Fall bei Empfängern, die selbst „Dorfkinder“ waren oder sind.
In explikativer Hinsicht werden den Empfängern in diesem Fall eine besondere Verfügungsmacht zuteil, da sie je nachdem wie sie auf die Posts reagieren beziehungsweise das Hashtag “#Dorkinder“ verbreiten für eine größere Reichweite dieser sorgen. Die allokativen Ressourcen auf der Senderseite sind zumindest in Bezug auf die relativ wenigen Abonnenten beziehungsweise Follower nicht sehr stark ausgeprägt, die Reichweite wächst jedoch dadurch, wenn es viele Reaktionen von anderen Informationsmedien gibt, so wie es beim Beispiel der Fall war. Im Hinblick auf die autoritativen Ressourcen sind politische Kontrollmöglichkeiten dadurch, dass die Nachrichten vom BMEL stammen, zumindest für die Kampagne selbst unmittelbar gegeben.
5.2. #Dorfkinder - Geographien symbolischer Aneignung
Auf allen ausgewählten Bildern sind vermeintlich charakterisierende Situationen für das Leben auf dem Land und deren Bewohner, mit denen nicht nur Kinder gemeint sind, zu sehen. Auf zweien der Bilder wird behauptet, dass „Dorfkinder das ganze Team im Blick haben“ sowie „gemeinsam Früchte ihrer Arbeit“ ernteten und „da zur Stelle sind, wo man sie braucht“. Das gleichberechtigte Leben in Gemeinschaft und wechselseitigem Beistand, welches hier suggeriert wird ist laut Werner Bätzing eines der zentralen Elemente, die das Dorf als „Ort des guten Lebens“ als einen Gegenentwurf zur „dynamischen, quirligen, multikultigeprägten Großstadt industrieller Prägung“ und in diesem Fall speziell zu seiner Anonymität konstruieren, ist (Bätzing 2007, S.104). Ein weiteres Element spiegelt sich darin wider, dass „Dorkinder neues Leben in alte Mauern“ brächten, was zum Ausdruck bringt, dass hier natürliche Harmonie, die sich auch in der bebauten Umwelt ausdrückt, im Gegensatz zur Stadt beibehalten wird (ebd., S.104). So wie bei den vorangehenden Symboliken die Interpretation für das städtische Leben durch die „Dualität der Struktur erzwungen“ wird, können die im Bild mit der windbetriebenen Lampe symbolisierten praktischen Fähigkeiten einen Gegenentwurf zu den theoretischen, idealtypisch in der Stadt angesiedelten Tätigkeiten des tertiären und quartären Sektors darstellen.
Es ist also anzunehmen, dass durch die Kampagne der spät-moderne Mythos des Dorfes als „Ort des guten Lebens“ reproduziert werden soll. Dass es sich hierbei um eine rein konstruierte Realität handelt, zeigt sich daran, dass mittlerweile erwiesen ist, dass der Wohnsitz keine Auf Werte oder das Sozialleben gibt und die beiden Idealtypen von Stadt und Land kaum noch existieren (Helbrecht 2014, S. 173). Zudem widerspricht diese Auffassung der Annahme Werlens, dass entankerte Lebensformen mit zunehmender Häufigkeit vorzufinden sind (Werlen 2017, S.22).
Der wichtigste kommunikative Kontext, in den die Kampagne eingebunden ist, von der das BMEL behauptet, dass sie das Leben auf dem Land stärke, ist wohl die öffentliche Debatte über strukturschwache ländliche Regionen. Durch die „institutionelle Reflexivität“ der Medien könnte diese jedoch durch Berichte über „abgehängte Regionen“ genauso Konstitution sozialer Wirklichkeiten Teil haben, indem sie ein Gefühl des „abgehängt Seins“ vermitteln (ebd., S.349). Genauso besitzt die #Dorfkinder-Kampagne zumindest theoretisch dieses Potenzial. Ideologisch ist der Diskurs, in den diese sich einreiht, insofern als in diesem Zusammenhang auch immer zunehmende regionalistische oder nationalistische Tendenzen in jenen Regionen befürchtet werden. Ein mögliches Interesse der Kampagne könnte einem artikulierten oder praktizierten Regionalismus als Form der Wiederverankerung durch „regional spezifizierte emotionale Bezüge von symbolischen Aneignungen“, welche weniger drastische Formen der Wiederverankerungen darstellen, zuvorzukommen (Werlen 2017, S.338).
[...]
- Quote paper
- Sebastian Brandt (Author), 2022, Informativ-signifikative Regionalisierungen. Die #Dorfkinder-Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1285457