Im Seminar zur „Einführung in die Soziologie im WS 2008 / 2009“ an der Leibniz Universität Hannover diskutierten wir einen Auszug aus Webers 1905 publiziertem Aufsatz „Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ aus „Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung.“ Weber setzte sich in diesem mit der Frage nach der Entstehung des Kapitalismus im Okzident, also in Europa und den Vereinigten Staaten, auseinander. Ich werde versuchen, in diesem Essay zu erörtern, welche Bedeutung Weber hierbei dem Protestantismus bei der Herausbildung des Kapitalismus zumisst. Ich werde behaupten, dass zwischen einer Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung und der heutigen Finanzkrise, ein Zusammenhang besteht. Bevor ich mit Weber beginne möchte einleitend erwähnen, dass von Werner Sombart „ ‚Der moderne Kapitalismus“, in dem dieser die Wirkungen des Calvinismus […] auf die Entwicklung des Kapitalismus behandelt hatte“ 1902 erschienen ist. Weber hatte „an der Abhandlung über die protestantische Ethik begonnen [...] vor seiner Reise in die Vereinigten Staaten im Sommer 1904 und nach seiner Rückkehr von dort“. Außerdem fand zeitgleich eine „deutsche Diskussion über die Zusammenhänge zwischen religiösen und ökonomischen Entwicklungen“ statt, die Weber zu diesem Thema angeregt haben könnten. Diese Diskussionen fanden in Form von Aufsätzen statt, die zunächst in Zeitschriften gedruckt wurden: Weber antwortete auf diese Aufsätze mit Aufsehen erregenden Aufsätzen. Diese „führten zu einer Kette von Aufsätzen, auf die Max Weber teilweise mit ‚Repliken’ reagierte“.
Leibniz Universität Hannover
Institut für Soziologie und Sozialpsychologie
WS 2008 / 2009
Seminar: Einführung in die Soziologie
Studentin: Sabine Müller
Im Seminar zur „Einführung in die Soziologie im WS 2008 / 2009“ an der Leibniz Universität Hannover diskutierten wir einen Auszug aus Webers 1905 publiziertem Aufsatz „ Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ aus „Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung.“1 Weber setzte sich in diesem mit der Frage nach der Entstehung des Kapitalismus im Okzident, also in Europa und den Vereinigten Staaten, auseinander. Ich werde versuchen, in diesem Essay zu erörtern, welche Bedeutung Weber hierbei dem Protestantismus bei der Herausbildung des Kapitalismus zumisst. Ich werde behaupten, dass zwischen einer Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung und der heutigen Finanzkrise, ein Zusammenhang besteht.
Bevor ich mit Weber beginne möchte einleitend erwähnen, dass von Werner Sombart „ ‚Der moderne Kapitalismus“, in dem dieser die Wirkungen des Calvinismus […] auf die Entwicklung des Kapitalismus behandelt hatte“ 1902 erschienen ist. Weber hatte „an der Abhandlung über die protestantische Ethik begonnen [...] vor seiner Reise in die Vereinigten Staaten im Sommer 1904 und nach seiner Rückkehr von dort“2. Außerdem fand zeitgleich eine „deutsche Diskussion über die Zusammenhänge zwischen religiösen und ökonomischen Entwicklungen“ statt, die Weber zu diesem Thema angeregt haben könnten. Diese Diskussionen fanden in Form von Aufsätzen statt, die zunächst in Zeitschriften gedruckt wurden: Weber antwortete auf diese Aufsätze mit Aufsehen erregenden Aufsätzen. Diese „führten zu einer Kette von Aufsätzen, auf die Max Weber teilweise mit ‚Repliken’ reagierte“.3
Im Aufsatz „ Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ diskutiert Weber zuerst die sich erhöhende Dichte „vom Anfang des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts“ der „okzidentalen Bevölkerung“, die man als einen Grund zur Bildung des Kapitalismus betrachten könnte. Er lehnt dies als einzigen Grund ab, indem er interkulturell vergleichend China als ein Land nennt, dass „in der gleichen Zeit […] eine Bevölkerungsvermehrung von mindestens gleicher Stärke […] erlebt, […] was ungefähr der Zunahme im Okzident entspricht“. Die chinesische Gesellschaft hat sich innerhalb anderer Schichten entwickelt und auch „sonst nirgends“, wo ein Anwachsen der Bevölkerungsdichte stattgefunden hat, ist der Kapitalismus entstanden.“ Weber schreibt, um mit Sombart zu sprechen, dass „Edelmetallzufluß nicht als einzige Entstehungsursache des Kapitalismus angesehen werden“ darf.4 Weber widerlegt diese Andeutung Sombarts, indem er darauf hinweist, dass schon „während der Zeit des römischen Imperiums ein ungeheurer Betrag an Edelmetall […] im Austausch abgeflossen“ ist, „gegen indische Waren. […] Der größte Teil des Edelmetalls“ verblieb „in den Horten der Rajahs“, stand somit der damaligen Wirtschaft nicht zur Verfügung und wurde weder in Bargeld, noch in „rationale kapitalistische Unternehmungen“, wie z. B. in Arbeitsproduktionsmitteln umgewandelt.5 Danach befasst sich Weber mit der geographischen Situation Europas. Während Europa Binnenmeercharakter besitzt, schon in der Antike Küstenkultur ausbildete und heute noch reger Handel auf den Binnenmeeren betrieben wird, müssen sich andere Länder mit schwerer und teurer Beschaffung von Ressourcen befassen. Weber schreibt weiter, dass „in den binnenländischen Gewerbestädten […] der Kapitalismus geboren“ wurde.
Als dem Kapitalismus hemmende Wirkung sieht er das verhaften an alten Traditionen. Beamte, Kaufleute in Europas Mittelalter sahen ihre Existenz bedroht und gingen keine finanziellen Wagnisse oder Veränderungen ein, „regelmäßig versteck[t]en sich Pfründeninteressen dahinter“. Er stellt weitere Beispiele für ein dem Rationalismus hemmendes Verhalten gegenüber: das Beamtensystem in China und die Kasten in Indien um 1900. In China war es das fehlende Interesse der Beamten, die an keinen Neuordnungen interessiert waren, in Indien wurden Menschen in eine Kaste hineingeboren. Die hinduistische Religion drängt heute immer noch Menschen in bestimmte soziale hierarchische Positionen: bestimmte Berufe dürfen nur von bestimmten Kasten ausgeübt werden, Frauen und Mädchen werden diskriminiert.6 So ein Handeln ist für den Kapitalismus nicht förderlich:
Zwar schuf die indische Regierung das Kastensystem in den 1950er Jahren ab, trotzdem liegt die Analphabetenrate der Frauen dort immer noch bei über 60 %, da traditionell eher in die Bildung der Söhne investiert wird.7
Ich habe die in Deutschland diskutierten Bedingungen, die ein Herausbilden des Kapitalismus verursacht haben könnten, genannt. Weber hat anhand seiner Beispiele bewiesen, dass diese Bedingungen nicht nur im Okzident des 20. Jahrhunderts vorliegen, sondern auch schon zu früheren Zeiten und in nicht okzidentalen Ländern vorkommen. Sie alleine reichen für ihn somit nicht aus, um eine kapitalistische Gesinnung zu entfalten.
In der Einleitung habe ich geschildert, dass Weber, bevor er in die Vereinigten Staaten reiste, schon an einer Abhandlung über die protestantische Ethik, arbeitete. Ich spekuliere, dass er dorthin reiste, um sich dort ein Bild von der amerikanischen Gesellschaft machen zu können. Er befasste sich dort mit Benjamin Franklins Rat an die Kaufleute. Derjenige beinhaltet, dass ein guter Kaufmann eine gesittete innere Einstellung, also Ethos, besitzen sollte.8 Nebenbei beschäftigte er sich mit den stark calvinistisch geprägten sittenstreng-asketisch lebenden Puritanern, die im beginnenden 17jh. von England nach Amerika auswanderten. „Nach M. Weber war es für die Entfaltung des modernen Kapitalismus entscheidend, dass die innerweltliche Askese der Puritaner in einer bürgerlichen, ökonom. rationalen Lebensführung zum Ausdruck kam.“9 Calvinistisch geprägt, sagt aus „dass der einzelne Mensch durch Gott zur ewigen Seligkeit oder Verdammnis vorherbestimmt“ sei. Um sich selbst Gott am nächsten zu sein, sah man es als bestes Mittel an, seinen von Gott gegebenen 8 Heinz Hillmann (2007): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 718 Beruf, der nach Weber durch die protestantische Gedankenwelt und Bibelübersetzung entstanden ist, rastlos zu tätigen.10
[...]
1 Weber, Max (1984 [1904]): Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, S. 358-374
2 Käsler, Dirk (1995): Max Weber: eine Einführung in Leben Werk und Wirkung, Frankfurt / Main; New York: Campus Verlag , S. 99
3 Käsler, Dirk (1995): Max Weber: eine Einführung in Leben Werk und Wirkung, Frankfurt / Main; New York: Campus Verlag, S. 100
4 Weber, Max (1984 [1904]): Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, S. 358
5 Ebd., S. 359
6 Vgl. Weber, Max (1984 [1904]): Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, S. 361,362, vgl. hierzu Heinz Hillmann (2007): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag
7 Vgl. hierzu Sen, Amartya (1999), Ökonomie für den Menschen. Wege zur Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft , Tab 4.1, München: dtv Taschenbuch
8 Vgl. hierzu Käsler, Dirk (1995): Max Weber: eine Einführung in Leben Werk und Wirkung, Frankfurt / Main; New York: Campus Verlag
9 Heinz Hillmann (2007): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 718
10 Vgl. Heinz Hillmann (2007): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag und vgl. Weber, Max (1984 [1904]): Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
- Quote paper
- Sabine Müller (Author), 2009, Welche Bedeutung misst Weber dem Protestantismus bei der Herausbildung des Kapitalismus zu?, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/125847