„The Medium ist the Message“ - diese zentrale These des Medientheoretikers Marshall McLuhan meint, dass die weltgestaltende Kraft des Mediums im Medium selbst, nicht in der vom Medium übermittelten Botschaft liegt. Nicht die aus dem Inhalt zu entschlüsselnde Botschaft ist für eine Medientheorie relevant, sondern die aus dem Medium entstehende Wirkung. Diesen Aussagen ist ein sehr weit gefasster Medienbegriff grundgelegt. Fast jeder Gegenstand hat mediale Eigenschaften. Demnach ist das Buch ebenso ein Medium wie die Eisenbahn. Jedes Medium wirkt sich auf das menschliche Zusammenleben aus.
In der vorliegenden Arbeit wird zunächst einmal kurz die Geschichte der Medien wiedergeben, wie sie Marshall McLuhan auf dem Fundament seiner Grundaussagen entwickelt. Im Anschluss an diesen historischen Aufriss geht es darum, ein Werk McLuhans, die „Gutenberg-Galaxis“, in seinem Aufbau vorzustellen. Aus der Fülle an Informationsmaterial, die das Buch bietet, werden einige Momente herausgearbeitet, die die Medienentwicklung bis hin zur Gutenberg-Galaxis bestimmen. Zunächst geht es um die Vorstufe zum Zeitalter der Gutenberg-Galaxis, die in der literalen Schriftkultur besteht. Im Weiteren geht es um die Gutenberg-Galaxis selbst und ihre gesellschaftsrelevanten Auswirkungen. Dann geht es noch um eine kritische Anfrage an McLuhans zentrale These und um die Frage nach der Gegenwarts- und Zukunftsrelevanz der Visionen, die McLuhan vor allem im Kontext des vierten Medienzeitalters, des „elektronischen“, entwickelt; Zuletzt stelle ich eine sehr kurz gefasst theologische Assoziation vor, die sich bei mir in der Auseinandersetzung mit McLuhans Medientheorie entwickelt hat.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die vier Medienzeitalter und McLuhans Gutenberg-Galaxis
2.1 Die vier Zeitalter
2.2 McLuhans Buch „Die Gutenberg-Galaxis“
3 Das phonetische Alphabet und die literale Manuskriptkultur
3.1 Distanzierung zur wahrgenommenen Welt
3.2 Das vom Sehen beeinflusste Denken verabschiedet sich vom Handeln
3.3 Das vom Sehen beeinflusste Denken wird „neutraler“
3.4 Politische Dimension
3.5 Entsakralisierung
3.6 Manuskriptkultur und lautes Lesen
4 Die Gutenberg-Galaxis
4.1 Verschärfung des Primats des Sehens und starrer Gesichtspunkt
4.2 Biblischer Fundamentalismus und Pluralismus
4.3 Das Alphabet als Grundlage des Buchdrucks
4.4 Sprache als transportables Konsumgut
4.5 Neue gesellschaftliche Ausformungen: Markt, Anklage, Nationalismus, Individualismus, Außenseitertum, Sprachregulierung
5 Ist das „Medium“ wirklich die „Message“?
5.1 Das „Inhalte-Loch“
5.2 Marshall McLuhans „globales Dorf“ – doch nicht so rosig und doch schön
5.3 Theologische Assoziationen
6 Herbert Marshall McLuhan
7 Literatur
1 Einleitung
„The Medium ist the Message“ - diese zentrale These des Medientheoretikers Marshall McLuhans meint, dass die weltgestaltende Kraft des Mediums im Medium selbst, nicht in dem vom Medium übermittelten Inhalt liegt. Nicht die aus dem Inhalt zu entschlüsselnde Botschaft ist für eine Medientheorie relevant, sondern die aus dem Medium entstehende Wirkung. Diesen Aussagen ist ein sehr weit gefasster Medienbegriff grundgelegt. Fast jeder Gegenstand hat mediale Eigenschaften. Demnach ist das Buch ebenso ein Medium wie die Eisenbahn. Jedes Medium wirkt sich auf das menschliche Zusammenleben aus.1
Veränderungen in der Medientechnologie sind die wesentliche Ursache für soziale Veränderungen: „Die Botschaft jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.“2 Gleichzeitig wirken sich Medien auf das eigene Selbstverständnis aus. Sie sind Ausweitungen des menschlichen Körpers, Ausweitungen der menschlichen Sinnesorgane, die das menschliche Handeln optimieren bzw. ersetzen. Es verändert sich dabei vor allem das Verhältnis der menschlichen Sinne. Die Wirkung eines Mediums liegt in der Art, wie es sinnlich wahrgenommen wird. Eine so weit gefasste Medientheorie ist deshalb auch eine Wahrnehmungstheorie. Zum Zeitpunkt, wo ein neues Medium sich etabliert, nimmt der Mensch jedoch nicht bewusst wahr, dass er in einer verwandelten Welt ist. Die Wandlung ist unsichtbar, es gibt – lt. Mc Luhan – eine Art Betäubungsmechanismus, der durch die Medien wirkt.3 Einzig der Künstler ist laut McLuhan fähig, die gerade anstehenden Veränderungen wahrzunehmen, „weil er der einzige Mensch ist, der sich der Natur der Gegenwart bewusst ist.“4
Eine wichtige Unterscheidung in McLuhan’s Medientheorie ist jene zwischen „heißen“ und „kalten“ Medien. „Ein ,heißes’ Medium ist eines, das nur einen der Sinne allein erweitert, und zwar solange, bis etwas ,detailreich’ ist. Detailreichtum ist der Zustand, der viele Daten oder Einzelheiten aufweist. Eine Fotografie ist optisch ,detailreich’. Eine Karikatur ist ,detailarm’, und zwar einfach, weil wenig optisches Informationsmaterial zur Verfügung steht. […] Und die Sprache ist ein kühles, in geringem Maße definiertes Medium, weil so wenig geboten wird und so viel vom Zuhörer ergänzt werden muss. Andrerseits fordern heiße Medien vom Publikum eine geringe Beteiligung oder Vervollständigung. Heiße Medien verlangen daher nur in geringem Maße persönliche Beteiligung, aber kühle Medien in hohem Grade persönliche Beteiligung oder Vervollständigung durch das Publikum.“5
Zur Vorgangsweise in dieser Seminararbeit: Ich möchte im zweiten Punkt zunächst einmal kurz die Geschichte der Medien wiedergeben, wie sie Marshall McLuhan auf dem Fundament seiner Grundaussagen entwickelt. McLuhan unterscheidet vier Medienzeitalter. Im Anschluss an diesen sehr kurzen historischen Aufriss geht es darum, das von mir gewählte Werk McLuhans, die „Gutenberg-Galaxis“ in seinem formalen Aufbau vorzustellen.
Vom dritten Punkt an geht es um die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Werk. Ich habe versucht, aus der Fülle von Informationsmaterial, die das Buch bietet, einige Momente herauszuarbeiten, die die Medienentwicklung bis hin zur Gutenberg-Galaxis bestimmen. In Punkt drei geht es deshalb um die Vorstufe zum Zeitalter der Gutenberg-Galaxis, die in der literalen Schriftkultur besteht. In Punkt drei geht es dann um die Gutenberg-Galaxis selbst und ihre gesellschaftsrelevanten Auswirkungen. Im vierten Punkt geht es mir dann noch um eine kritische Anfrage an McLuhans zentrale These; dann um die Frage nach der Gegenwarts- und Zukunftsrelevanz der Visionen, die McLuhan vor allem im Kontext des vierten Medienzeitalters, des „elektronischen“, entwickelt; und zuletzt um eine sehr kurz gefasst theologische Assoziation, die sich bei mir in der Auseinandersetzung mit McLuhans Medientheorie entwickelt hat.
McLuhan entwickelt auf dem Hintergrund seiner Überlegungen eine Geschichte der Medien und damit auch eine Kulturgeschichte, die er in vier große Zeitalter einteilt, die jeweils von einem Leitmedium geprägt sind. Die Einteilung in die vier Zeitalter gibt vor allem die Entwicklung wieder, die sich in der europäischen Kultur vollzogen und sich in der westlichen Kultur ausgebreitet hat. Wenn sich daneben in anderen Erdteilen und sogar in der westlichen Kultur selbst auch ältere Kulturformen durchgehalten haben, dann ist dies auf das nach wie vor maßgebliche Wirken älterer Leitmedien bzw. auf das gleichzeitige Wirken älterer Leitmedien zurückzuführen.
2.1 Die vier Zeitalter
1) Die orale Stammeskultur
Diese erste Stufe der menschlichen „Medienkultur“ ist ganz geprägt vom Medium des gesprochenen Wortes. Die schriftunkundige Landbevölkerung lebt laut McLuhan „weitgehend in einer Welt des Ohres, im Gegensatz zu den Westeuropäern, die vorwiegend in einer Welt des Auges leben.6 Diese Welt des Ohres ist eine Welt, die einen nicht auf Distanz gehen lässt, sondern unmittelbar in das Geschehen hineinzieht. Es ist eine magische Welt, der man nicht entkommen kann. Sowohl die nomadisierenden Jäger als auch die sesshaften Ackerbauern leben als Schriftunkundige „in einem geheiligten Kosmos […] und haben teil an einer Weltheiligkeit, die sich ebenso in der Tierwelt wie in der Pflanzenwelt manifestiert.“7 Das gesprochene Wort breitet sich über den ganzen Raum aus und erfüllt ihn. Dies prägt die Vorstellung vom Raum, der nicht, wie wir dies heute tun, in starre Segmente unterteilt werden kann: „Töne sind in einem gewissen Sinne dynamisch oder wenigstens immer Anzeichen von dynamischen Dingen.“8
2) Die literale Manuskriptkultur
„Das phonetische Alphabet ist der konkurrenzlose Wegbereiter des Menschen aus der abgeschlossenen Echokammer der Stammesgemeinschaft hinaus zur neutralen optischen Welt linearer Organisation.“9 Das im Rahmen einer phonetischen Schrift niedergeschriebene Wort wird zum Leitmedium eines neuen Zeitalters, der literalen Manuskriptkulur. „Mit der Erfindung der Schrift und vor allem des phonetischen Alphabets, das das gesprochene Wort in abstrakte, visuell bedeutungslose Symbole von abstrakten, bedeutungslosen Klangkörpern übersetzte, war der primitive Zauber des gesprochenen Wortes, das im besonderen Klang des Sprechers eine beinahe greifbare Realität heraufbeschwor, für immer gebrochen. Das Wort wurde zu einem bloßen Zeichen oder Etikett. Die Menschen traten in eine Art psychische Distanz zu ihren Sinneswahrnehmungen, und letzten Endes ermöglichte erst das phonetische Alphabet solche Phänomene wie logische Analyse oder die Errichtung ganzer Bürokratien.“10 Was McLuhan zu diesem Zeitalter zu sagen hat, möchte ich weiter unten unter Punkt 4 noch weiter ausführen.
3) Die Gutenberg-Galaxis
„Gutenbergs Erfindung verstärkte diese Tendenz. In McLuhans Worten: ,Das phonetische Alphabet traf den Menschen der Stammeskultur wie eine Bombe, die Druckerpresse aber wie eine 100-Megatonnen-Wasserstoffbombe.’ Die Erfindung der Druckpresse war in jeder Hinsicht ein grandioser Sieg des Abstrakten, Mechanischen und Visuellen – mit ihrem Produktionsprozess, bei dem zum ersten Mal ein Fließband zur Anwendung kam, durch Einführung der Massenproduktion in einem traditionellen Handwerk und mit einem Produkt, das uniform, hoch sequentiell und noch stärker losgelöst von der Welt des Hörens war als das Manuskript. Es brachte die Menschen auf eine gewisse Distanz zur unmittelbar durchlebten Umwelt in einem engen Stammesverband. In ,Kultur ohne Schrift’ kam McLuhan [allerdings; Anm. ] zu dem Schluss, dass die Druckmedien immer noch eine hypnotische Herrschaft über uns ausübten.“11 Dem Zeitalter des Buchdrucks, das mit Gutenbergs Erfindung um 1450 begann, widme ich unter Punkt 5 meine Aufmerksamkeit.
4) Das Elektronische Zeitalter
Während die literale Manuskriptkultur und das Zeitalter der Gutenberg-Galaxis eine Distanz zur Umwelt mit sich brachte, ist es zunächst überraschend, dass „unsere neue elektrische Zivilisation unser Leben wieder auf die Basis einer neuen Stammeskultur stellt.“12 „Statt sich auf eine riesige alexandrinische Bibliothek hinzubewegen, ist die Welt ein Computer geworden, ein elektronisches Gehirn, wie wir das in einem kindischen Zukunftsroman lesen können.“13 Der Eindruck einer neuen globalen Stammeskultur wird vor allem deshalb erweckt, weil wir durch die unterschiedlichen neuen Medien, die unterschiedliche Sinne verlängern, sozusagen „zusammenwachsen“. Die frühere „spezialisierte und atomisierte Zivilisation vom Zentrum- Peripherie-Typus erlebt nun plötzlich, wie alle ihre Maschinenteilchen auf der Stelle zu einem organischen Ganzen neu zusammengesetzt werden. Das ist die Welt des globalen Dorfes.“14 Die neuen Medien wirken so massiv auf uns ein, dass sie uns nicht unbeeinflusst lassen und – ähnlich wie im Dorf der oralen Stammeskultur – uns selbst in das Geschehen mit hineinziehen: „So wie unsere Sinne sich nach außen begeben haben, so dringt der große Bruder in uns ein. Folglich werden wir, wenn wir uns dieser Dynamik nicht bewusst sind, schlagartig in eine Phase panischer Schrecken hineingeraten, was genau zu unserer kleinen, von Stammestrommeln widerhallenden Welt, zu unserer völligen Interdependez und aufgezwungenen Koexistenz passt.“15 Das elektronische Zeitalter ist es aber auch, das uns das erste Mal zu Fähigkeiten ermöglicht, die zuvor – laut McLuhan – nur Künstlern (siehe oben) eigen waren: Das „von elektronischen Medien ermöglichte Verständnis für große Zusammenhänge erlaubt, ja erzwingt es, uns bewusst zu machen und zu erkennen, dass Technologien Ausweitungen unserer eigenen Körper sind. Heute vollziehen sich die Veränderungen zum ersten Mal so schnell, dass ihre Grundstruktur auch für den Großteil der Gesellschaft wahrnehmbar wird.“16
2.2 McLuhans Buch „Die Gutenberg-Galaxis“
Der Begriff der Gutenberg Galaxy stammt aus McLuhan’s mit dem gleichnamigen Titel versehenen Buch (“The Gutenberg Galaxy. The Making of Typographic Man” (1962)17). Darin beschreibt er unter anderem eine Zeitspanne, die – wie oben beschrieben – ganz vom gedruckten Buch als Leitmedium geprägt ist. Ihr liegt eine neue Technik zugrunde, die durch den Buchdruck, die „Typographie“ ermöglicht wird. Das Buch McLuhans ist in viele kleine Abschnitte unterteilt, die jeweils nicht mit einer klassischen Überschrift, sondern mit der „zentralen These“ des Abschnitts übertitelt ist. Dabei ist es schwierig, hinter den Einzelabschnitten ein sich langsam entwickelndes Gesamtkonzept zu erkennen. Es ist vielmehr so, dass McLuhan in den einzelnen Abschnitten mit unterschiedlichen Assoziationen um einen Themenkomplex kreist, der zum einen die Gutenberg-Galaxis selbst, aber auch die vor- und nachfolgenden Zeitalter im Visier hat. Eine gewisse Tendenz zur chronologischen Darstellung der Mediengeschichte ist teilweise in diesem Buch wahrzunehmen, allerdings tritt oft auch der Bezug zur Gegenwartsproblematik stark in den Vordergrund.
[...]
1 Vgl.: McLuhan 1995, 21-23.
2 McLuhan 1995, 22f.
3 Vgl.: McLuhan 1995, 107.
4 Vgl.: McLuhan 1995, 109.
5 McLuhan 1995, 44f.
6 McLuhan 1968, 30.
7 McLuhan 1968, 100.
8 McLuhan 1968, 30.
9 McLuhan 1995, 145.
10 Marchand 2002, 89f.
11 Marchand 2002, 90.
12 McLuhan 1968, 47.
13 McLuhan 1968, 48.
14 McLuhan 1995, 146.
15 McLuhan 1968, 48.
16 McLuhan 2002, 8
17 Dt. Ausgabe: McLuhan 1968.
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- Dr.theol. Stefan Huber (Author), 2005, Marshall McLuhan und die Gutenberg-Galaxis, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/120001