Was verbirgt sich hinter Georg Büchners düsteren Dramen und revolutionären Schriften? Diese tiefgründige Analyse enthüllt die verborgene Naturphilosophie des Dichters, Wissenschaftlers und Revolutionärs. Entdecken Sie, wie Büchners naturwissenschaftliche Forschung, insbesondere seine Studien über die Schädelnerven der Barben, seine radikale Ablehnung teleologischer Weltbilder formte. Stattdessen entwickelte er ein Konzept, das die Wirkung über den Zweck stellte, ein Urgesetz, das allem Materiellen zugrunde liegt. Erfahren Sie, wie Büchner in seinen Werken wie "Woyzeck" die Philosophie seiner Zeit genüsslich seziert und parodiert, indem er die Sinnsuche des Menschen und die vermeintliche Göttlichkeit hinterfragt. Der Vergleich mit Goethe offenbart überraschende Parallelen in ihrer Naturauffassung, während Büchners materialistische Weltsicht einen faszinierenden Kontrast bildet. Tauchen Sie ein in Büchners Kritik am Idealismus, seine Ablehnung eines transzendenten Wesens und seine Vision einer Welt, in der Materie selbst zur Weltursache wird. Diese einzigartige Studie ergründet Büchners komplexes Denken und bietet neue Einblicke in sein literarisches Schaffen. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für deutsche Literatur, Philosophiegeschichte und die revolutionären Ideen des 19. Jahrhunderts interessieren. Erforschen Sie Büchners Weltbild und entdecken Sie die Aktualität seiner Gedanken für die moderne Gesellschaft. Lassen Sie sich von Büchners scharfer Beobachtungsgabe, seinem unerbittlichen Freiheitsstreben und seinem tiefen Verständnis der menschlichen Natur fesseln. Dieses Buch ist eine Einladung, Büchners Werk neu zu entdecken und die philosophischen Wurzeln seiner literarischen Meisterwerke zu verstehen. Verpassen Sie nicht diese Gelegenheit, einen der bedeutendsten Denker und Dichter Deutschlands in einem neuen Licht zu sehen. Eine Reise durch die Welt von "Woyzeck", "Dantons Tod" und einer revolutionären Naturphilosophie erwartet Sie.
1. Einleitung
Beschäftigt man sich mit Georg Büchners Naturauffassung, so findet man in seiner Naturwissenschaftlichen Tätigkeit einen ersten Ansatzpunkt. Seine Beschäftigung mit den Schädelnerven der Barben, einer Karpfenart, liefert neben den Sektionsergebnissen auch naturphilosophische Gedanken. Um Büchners Naturbegriff allerdings wirklich auf den Grund zu gehen, bleibt es natürlich nicht aus, sich auch mit seinen literarischen Werken zu beschäftigen.
2. Probevorlesung „Über Schädelnerven“
Die Probevorlesung, gehalten 1836 im Rahmen seiner Promotion vor der philosophischen Fakultät der Universität Zürich, ist eines von zwei erhaltenen Dokumenten über Büchners naturwissenschaftliche Tätigkeit. Das Zweite, seine Doktorarbeit „Sur le systeme nerveux des barbes“ soll hier keine Rolle spielen, seine Ergebnisse sind ohnehin widerlegt.
In der Probevorlesung stellt Büchner gleich zu Anfang die teleologische und die philosophische Naturbetrachtung einander gegenüber, wobei er sich als Anhänger der letzteren bezeichnet. Daraus geht der Grundgedanke seiner Naturphilosophie: Die Teleologie, die alle Dinge durch deren Zweck definiert genügt Büchner nicht, er stellt dem Prinzip der Zwecklehre die Definition der Dinge durch deren Wirkung gegenüber. Mittels dieser philosophischen Betrachtungsweise führt er alles Materielle auf einen gemeinsamen, möglichst einfachen Urtyp zurück.
Um dies bezüglich der Schädelnerven anhand von Experimenten verdeutlichen zu können, beschäftigt er sich mit Fischen, als der niedrigsten Entwicklungsstufe der Wirbeltiere. Damit folgt er der Logik, daß das am wenigsten entwickelte Tier dem Urtyp am nächsten sein muß. Auch unter den Schädelnerven versucht er einen „type primitif“ erkennbar zu machen.
Im weiteren Verlauf stellt Büchner die Ansätze der Naturforscher Carus und Oken dar, denen er weitgehend zustimmt. Anschließend eröffnet er seine eigenen Interpretationen, wobei er darauf bedacht ist, ein möglich einfaches Ergebnis zu erhalten.
3. Büchners Naturphilosophie
Die Naturphilosophie Georg Büchners entsteht zunächst nicht aus eigener Naturbetrachtung, sondern aus seiner Kritik an der Teleologie. Georg Büchner akzeptiert den Ausgangspunkt nicht, daß alles seiende nur über den Zweck, den es zu erfüllen hat, definiert. Diese Zwecke verneint er zwar nicht, Büchner erkennt aber die Schwäche einer solchen Sichtweise: Es kann keinen letzten Zweck geben, da dieser sich auch wieder über eine nach außen gerichtete Funktion definieren müßte. Büchner ist der Ansicht, daß alles was ist, sich selbst genug ist. Dem Zweck setzt er die Wirkung gegenüber: „wir haben nicht Hände, damit wir greifen können, sondern wir greifen, weil wir Hände haben.“
Wenn sich alle Dinge selbst genug sind, so wirkt dies auf den ersten Blick recht trivial. Es scheint, als sei damit alles Streben im Leben von vornherein sinnlos: Warum soll ein Mensch irgendwelche Aufgaben erfüllen, wenn er sich doch schon von seinem Wesen her selbst genug ist? Ähnliche Ansichten sind auch bei den Epikureern und Hedonisten im Altertum, sowie bei den Utilitaristen zu erkennen. Im Utilitarismus gilt beispielsweise eine höhere Existenz als die des Menschen als ausgeschlossen und damit das Streben des Einzelnen nach dem größtmöglichen Glück als der einzige Lebensinhalt. Für viele, die diese Gedanken im 19. Jahrhundert zu trivial verstanden haben, war solch ein Gedankengut ein Freibrief, soziales Elend im Gegensatz zu persönlichem Reichtum zu erklären und in Kauf zu nehmen. Eine ähnliche philosophische Grundhaltung erscheint im Zusammenhang mit Georg Büchners Biographie völlig ausgeschlossen.
So entsteht aus Büchners Grundgedanken auch keine Sinnlosigkeit, sondern die Ansicht, das alle Existierende auf ein höheres Konzept zurückzuführen ist. Büchner nennt dies das Grundgesetz. Es bestimmt für alles Materielle einen Urtyp, der sich verschiedenartig weiterentwickelt. Das zweckmäßige Zusammenwirken ist somit „die nothwendige Harmonie eines und desselben Gesetzes.[1] “ Alle Dinge sind Manifestationen eines und desselben Urgesetzes, verschiedenartige Entwicklungsstufen des aus diesem Gesetz hervorgehenden Urtyps. Für den menschlichen Fötus gilt so nach Büchner, daß er im Mutterleib alle Entwicklungsstufen durchläuft und sich somit zur Höchsten Stufe emporarbeitet: dem Mensch (in bezug auf die Wirbeltiere gilt der Fisch wie bereits erwähnt als die niedrigste Stufe). Streng genommen ist somit der Prozeß der Menschwerdung erst im Moment der Geburt vollzogen. Dies wäre zumindest in bezug auf Abtreibungs-problematik eine diskussionswürdige Sichtweise; ob Büchner dies jedoch im Hinterkopf hatte ist fraglich.
Das Urgesetz gibt weiterhin eine Weltursache vor, aus der alles Leben hervorgeht; das Leben ist die Manifestation des Urgesetzes und somit auch der Weltursache. Diese Weltursache wird von Büchner nicht weiter definiert und erhält somit einen dogmatischen Charakter, etwas das er sonst gerade im Hinblick auf die Religion kritisierte.
Außerdem spricht Büchner vom Urgesetz als einem Gesetz der Schönheit, das besagt, daß alles, was harmonisch und zweckmäßig zueinander ist, schön sei. Alles Leben ist somit schön. Inwiefern er mit dem zweckmäßigen Zusammenwirken Abnormitäten ausschließt ist nicht klar. Sollte ein zweckmäßiges Zusammenwirken in bezug auf den Menschen die Fortpflanzung bedeuten, so hieße dies, daß Georg Büchner homosexuelle Beziehungen ablehnte. Dies erscheint unvereinbar mit dem Freiheitsstreben, das ansonsten das Leben des Schriftstellers durchzog.
4. Vergleich mit Goethe
Diese Naturauffassung ist der Goetheschen sehr ähnlich. Auch er lehnt die Teleologie ab und führt alles Materielle auf ein gemeinsames Grundgesetz zurück. Somit scheint Büchners Naturphilosophie im Gegensatz zu seiner materialistisch-deterministischen Weltsicht zu stehen. Seine Kritik am Idealismus legt nahe, daß er auch die Natur-philosophie der Idealisten ablehnt, aber wie die Analogie zu Goethe zeigt, ist dies nicht der Fall.
Ein Widerspruch an sich ist dies aber nicht, da für Büchner nicht ein transzendentes Wesen zur Weltursache wird, sondern die Materie selbst. Er spricht nicht vom Geist oder von Gott, sondern vom Urtyp, als erster Manifestation eines Grundgesetzes. Dieses Gesetz ist auch das Determinierende, das den freien Willen negiert.
Ferner versucht er nicht, gesellschaftliche Dinge anhand von natürlichen Gegebenheiten zu erklären, wie dies dem Darwinismus widerfahren ist. Der daraus resultierende Sozial-darwinsmus verklärte die besitzende Bevölkerungsschicht dahingehend, daß sie sich als die Stärkeren durchgesetzt haben und es ihr gutes recht sei, die ärmere Bevölkerung auszubeuten. Soziale Belange und Naturwissenschaft wurden vermischt. Die beiden Gebiete trennt Büchner streng voneinander ab, was der Versuchung vorbeugt, seinen Naturidealismus auf seine gesamte Weltsicht zu übertragen.
5. „Woyzeck“ in bezug auf Büchners Philosophie
Im „Woyzeck“ finden sich viele Beispiele für Philosophiekritik und somit auch Hinweise auf seine eigene Überzeugung. Die Textbeispiele sind meistens parodistischer Natur, so etwa die Szene 16 „Der Hof des Doktors“, in der der Doktor über die Objekt/Subjekt-Beziehung spricht. Hier wird die Apologetik des Idealismus parodiert. Der Doktor spricht von der „organischen Selbstaffirmation des Göttlichen“, was auf die Problematik hinweist, wie die Idealisten in allem nicht nur ein Ding oder ein Wesen sahen, sondern es als Manifestation des Göttlichen rechtfertigten. Es ist anzunehmen, daß Büchner sich besonders daran stieß, daß jeder Mensch zwar Göttlich sei, die Armen aber unterdrückt und ausgebeutet wurden.
Die Kritik an der Teleologie wird besonders in Szene 12 „Wirtshaus“ deutlich, wo ein Handwerksbursche den Existenzgrund des Menschen zu erklären versucht. Er gibt dazu folgende Logik vor:
„Warum ist der Mensch? – Aber wahrlich ich sage euch, von was hätte der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte?“[2]
Genau wie in Büchners Augen die Teleologie den wahren Seinsgrund nicht anhand von Zweckorientierung findet, so verstrickt sich auch dieser Handwerksbursche in eine Kausalkette, die nie ein Ende haben kann.
Im Hinblick auf Büchners materialistische Weltsicht ist die gestrichene Szene 10 „Ein Wirtshaus“ interessant. Dort heißt es: „Was ist der Mensch? - Knochen! Staub, Sand, Dreck. Was ist die Natur? Staub, Sand, Dreck!“[3] Die Existenz etwas Göttlichem wird hier eindeutig negiert, was die Grundlage aller materialistischer Philosophie ist. Ferner Wird die Trennung von Mensch und Natur aufgehoben: Wenn der Mensch genau wie die Natur nur Staub, Sand und Dreck ist, dann sind sie Teil desselben Ganzen. Dies deckt sich mit Büchners Naturphilosophie, genau wie mit der Goetheschen, der aber als Vertreter des Idealismus nicht mit der Nicht - Existenz des Göttlichen übereinstimmen würde.
Es liegt nahe, daß hier zwar keine Parodie vorliegt, wie in den beiden vorangegangenen Beispielen, aber die Simplizität des Ausspruches deutet trotzdem darauf hin, daß auch keine tiefschürfende Erkenntnis eröffnet wird. Das ist typisch für Büchners Schreibstil, für seinen Humor.
Generell läßt sich aber sagen, daß der gesamte Text des Woyzeck mit Philosophiekritik, häufig in Form von Parodie durchzogen ist. Dies gilt allerdings auch für „Dantons Tod“ und „Leonce und Lena“, wobei der Woyzeck die beiden Werke diesbezüglich wohl noch an Intensität übertrifft.
Literaturverzeichnis:
Knapp, Gerhard P. (Hrsg.).
Georg Büchner – Gesammelte Werke.
Augsburg, 1998.
Glebke, Michael.
Büchners Philosophie.
Marburg, 1995.
[...]
[1] Büchner, Georg. Probevorlesung „Über Schädelnerven“. In: Georg Büchner -Gesammelte Werke. Augsburg, 1998.
[2] Büchner, Georg. Woyzeck. In: Georg Büchner - Gesammelte Werke. Augsburg, 1998.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in Georg Büchners Naturauffassung?
Die Analyse von Georg Büchners Naturauffassung beginnt mit seiner naturwissenschaftlichen Tätigkeit, insbesondere seiner Arbeit über die Schädelnerven der Barben. Um sein Verständnis von Natur umfassend zu erfassen, ist es jedoch unerlässlich, auch seine literarischen Werke zu berücksichtigen.
Was ist der Inhalt der Probevorlesung „Über Schädelnerven“?
In seiner Probevorlesung aus dem Jahr 1836 stellt Büchner die teleologische und philosophische Naturbetrachtung gegenüber. Er bevorzugt die philosophische Betrachtungsweise und definiert Dinge durch ihre Wirkung, anstatt durch ihren Zweck. Er reduziert alles Materielle auf einen gemeinsamen Urtyp und betrachtet Fische als die niedrigste Entwicklungsstufe der Wirbeltiere, um seine Experimente zu veranschaulichen.
Was sind die Kernelemente von Büchners Naturphilosophie?
Büchners Naturphilosophie entstand aus seiner Kritik an der Teleologie. Er lehnt die Definition von allem Seienden über seinen Zweck ab und argumentiert, dass alles, was existiert, sich selbst genug ist. Er führt alles Existierende auf ein höheres Konzept zurück, das er als Grundgesetz bezeichnet, welches für alles Materielle einen Urtyp bestimmt.
Wie ähnelt Büchners Naturauffassung der von Goethe?
Büchners Naturauffassung ähnelt der von Goethe, da auch er die Teleologie ablehnt und alles Materielle auf ein gemeinsames Grundgesetz zurückführt. Dies scheint im Gegensatz zu Büchners materialistisch-deterministischer Weltsicht zu stehen.
Wie spiegelt sich Büchners Philosophie im "Woyzeck" wider?
Im "Woyzeck" finden sich zahlreiche Beispiele für Philosophiekritik, die Hinweise auf Büchners eigene Überzeugung geben. Insbesondere werden die Apologetik des Idealismus und die Kritik an der Teleologie parodiert. Auch die materialistische Weltsicht Büchners findet sich in Dialogen wieder, die die Trennung von Mensch und Natur aufheben.
Welche Rolle spielt das Urgesetz in Büchners Naturphilosophie?
Das Urgesetz bestimmt für alles Materielle einen Urtyp und gibt eine Weltursache vor, aus der alles Leben hervorgeht. Büchner definiert diese Weltursache jedoch nicht weiter, wodurch sie einen dogmatischen Charakter erhält.
Wie verhält sich Büchners Naturphilosophie zu seinem Freiheitsstreben?
Büchner spricht vom Urgesetz als einem Gesetz der Schönheit, das besagt, dass alles, was harmonisch und zweckmäßig zueinander ist, schön sei. Es bleibt unklar, inwiefern er mit dem zweckmäßigen Zusammenwirken Abnormitäten ausschließt. Dies erscheint potenziell unvereinbar mit dem Freiheitsstreben, das sein Leben ansonsten durchzog.
Welche Kritik übt Büchner an der Teleologie im "Woyzeck"?
Die Kritik an der Teleologie wird in der Szene "Wirtshaus" deutlich, in der ein Handwerksbursche den Existenzgrund des Menschen zu erklären versucht. Er verstrickt sich in eine Kausalkette, die nie ein Ende haben kann, was Büchners Kritik an der zweckorientierten Sichtweise widerspiegelt.
Welche Bedeutung hat die gestrichene Szene 10 "Ein Wirtshaus" im Hinblick auf Büchners Materialismus?
Die gestrichene Szene 10 "Ein Wirtshaus" negiert die Existenz etwas Göttlichem und hebt die Trennung von Mensch und Natur auf, was die Grundlage aller materialistischer Philosophie ist. Dies deckt sich mit Büchners Naturphilosophie.
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- Guido Scholl (Author), 2001, Büchners Naturbegriff, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/109620