Was bedeutet es, in einer Welt der Vorurteile und des Hasses gefangen zu sein? Diese tiefgründige Analyse einer Videoaufnahme von Max Frischs "Andorra" im Vergleich zum Buch enthüllt schonungslos, wie gesellschaftliche Stereotypen und blinde Akzeptanz von Vorurteilen das Leben eines Einzelnen zerstören können. Die Kritik beleuchtet die fatalen Konsequenzen von Rassismus und die erschütternde Macht der öffentlichen Meinung, indem sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Bühneninszenierung und der literarischen Vorlage herausarbeitet. Im Fokus steht die tragische Figur des Andri, der durch die ihm zugeschriebene Rolle des vermeintlichen Juden zunehmend entmenschlicht wird und an dem gesellschaftlichen Druck zerbricht. Die Auseinandersetzung mit der Inszenierung wirft kritische Fragen auf: Wie authentisch wird die Verwandlung Andris dargestellt? Inwieweit gelingt es der Verfilmung, die subtilen Nuancen der Charaktere und die komplexen Beziehungen zwischen ihnen einzufangen? Die detaillierte Gegenüberstellung von Buch und Film offenbart nicht nur die Stärken und Schwächen der jeweiligen Interpretationen, sondern regt auch zur Reflexion über die eigene Rolle in einer Gesellschaft an, die allzu oft von Vorverurteilungen geprägt ist. Leser erwartet eine tiefschürfende Untersuchung der Themen Schuld, Verantwortung und die zerstörerische Kraft der Vorurteile, die zum Nachdenken anregt und die Aktualität von Frischs Werk in der heutigen Zeit unterstreicht. Die Analyse geht über eine bloße Gegenüberstellung hinaus und wird so zu einem Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Toleranz, indem sie die Mechanismen der Ausgrenzung und Diskriminierung aufzeigt und zur kritischen Hinterfragung eigener Denkmuster auffordert. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Natur auseinandersetzen und einen Beitrag zu einer gerechteren Welt leisten wollen. Welche Version vermag es besser, die subtile Grausamkeit der Ausgrenzung zu inszenieren und die tiefenpsychologischen Abgründe der Charaktere zu beleuchten?
Kritik zur Videoaufnahme einer Theateraufführung des Stückes „Andorra“
(Im Vergleich zu dem Stück als Buch)
Marie Schlenstedt
Max Frisch möchte mit seinem Werk dem Leser verdeutlichen, wie schlimm es ist, sich von einem Menschen ein Bild zu machen. Er zeigt deutlich die Probleme des Rassismus und der Vorurteile gegenüber Minderheiten.
Nach dem 2. Weltkrieg haben viele Menschen geglaubt, dass alle Deutschen Nationalsozialisten seien. Nach dem Angriff auf das World Trade Center waren viele Menschen der Meinung, dass alle Araber Terroristen seien. Als Ergebnis von diesen Vorurteilen wurde ein Domino Effekt hervorgerufen von Hass und Macht.
Frisch lässt Andri als angeblichen Juden auftreten und zeigt dem Leser, wie die gesellschaftlichen anti-semitistischen Vorurteile Andri zu Fall bringen. Andri entwickelt sich von einem fröhlichen, glücklichen Jungen mit Hoffnung zu einem hasserfüllten Jungen, der nicht mehr an sich glaubt.
Frisch möchte verdeutlichen, dass Menschen sich keine Bildnisse machen sollen. Durch Bildnisse werden Personen in Rollen gedrängt, die nicht der Wahrheit und ihrem Wesen entsprechen.
Hätte ich das Buch nicht gelesen, fände ich den Film durchaus gut. Im Hinblick auf den Vergleich zum Buch jedoch finde ich den Film nicht sehr gut gelungen. Die Gründe für diese Wertung werde ich im Verlauf des Aufsatzes erläutern. Erwähnen muss ich aber auch, dass ich einige Stellen doch sehr gelungen fand.
(Bild 1) Peider, der Soldat, isst einen Apfel. Er tänzelt ein bisschen herum, dann hält er den Apfel vor Barblins Mund, jedoch zieht er den Apfel schnell weg und steckt ihn sich mit einer großen Geste in den Mund. Nach dieser lächerlichen Szene lacht Barblin. In dem Buch wird es nach meiner Meinung so dargestellt, dass Barblin überhaupt nichts von Peider wissen möchte. Der erste Dialog wird von ihr angefangen, in dem sie ihm gleich sagt, dass sie kein gutes Bild von ihm hat, außerdem sei sie verlobt.
Der Teil, in welchem Peider die Existenz von Barblins Verlobten anzweifelt, wird ausgelassen. Ich finde diesen Teil wichtig, da es zeigt, dass Peider keinen Respekt vor Barblin hat.
Nachdem der Tischler Prader sich über das Trinkgeldgeben beschwert und daraufhin geht, lacht Jemand. In dem Buch wird nicht einmal erwähnt, dass der Jemand anwesend sei. Da ich es für überflüssig halte, „Jemand“ in die Szene einzubauen, da er nur von dem Hauptgeschehen ablenkt, ist es im Buch besser dargestellt.
Nachdem Peider sagt: „Also, du magst mich nicht?“, „begrabscht“ er sie. Als sie sich von ihm losreißt, kommt der Pater in die Szenerie. In dem Buch sagt sie: „Nein“. (S.9) und der Soldat antwortet: „Das hat schon manch eine gesagt, aber bekommen hab' ich sie doch, wenn mir ihre Waden gefallen und ihr Haar.“ Diese Szene, welche ich für wichtig halte, da es Peiders Arroganz zeigt, wird im Film ausgelassen. Außerdem wird durch sie deutlich, dass Peider nicht an Barblins Charakter, sondern nur an ihrem Aussehen interessiert ist.
Ich kann nicht nachvollziehen, dass Barblin die ganze Zeit über lacht, als sie über den spekulierten Angriff von den Schwarzen redet. Es geht doch letztendlich um ihr Land, sie sollte ernsthaft darüber reden.
Als Andri erfährt, dass er Tischler wird, schreit er vor Freude, er sollte flüstern, damit er die Prozession nicht stört.
In der Szene, wo Peider von dem Wirt rausgeworfen wird und Peider einen Monolog führt, ist „der Idiot“ anwesend. „Der Idiot“ ärgert Peider, indem er immer wieder auf Peiders Trommel schlägt. Dieser Teil soll wahrscheinlich das Geschehen auf der Bühne interessanter gestalten, ich jedoch finde es überflüssig.
Als Andri hinzukommt, möchte er sich auf den Stuhl neben Peider setzen, doch Peider tritt ihm den Stuhl weg, so dass Andri hinfällt. Jedoch gibt es keinen Grund, warum sich Andri zu Peider setzen will. In dem Buch stellt Peider Andri einfach das Bein.
In der Verfilmung fehlt, dass Peider zu Andri sagt, dass dieser sich beliebt machen will und dass Andri Peider beleidigt. Damit beweist er, dass er sich nicht beliebt machen möchte.
(Bild 4) In einer bestimmten Szene, wo die Mutter auch anwesend ist, redet der Doktor darüber, wie der „Jud“ sei, Andri geht einfach aus dem Zimmer, ohne dass der Doktor es merkt. Was ich komisch finde, ist, dass die Mutter nichtmal am Anfang (zum Beispiel zur Begrüßung) freundlich zu dem Doktor ist. Sie kennt ihn nicht und sollte eigentlich höflich sein.
Nachdem Andri um Barblins Hand anhält und der Vater die Szene verlässt fände ich es besser, wenn Andri in die andere Richtung geht, damit die Mutter, wie im Buch, sagen kann: „ Jetzt sind sie alle auseinander.“ ( Seite 48) Dieser Satz der Mutter zeigt das zerbrochene Verhältnis der Familie.
( Bild 6) Während Andri vor Barblins Kammer isst und einen Monolog führt, kommt der Vater in die Szene. Als der Vater gehen will, zieht Andri ihn zurück, nur um ihm zu sagen, dass er reich werden muss. (Aufgrund seines „Jud“ seien). In dem Buch fließt dieses Thema einfach in das Gespräch ein. Wahrscheinlich wollten sie ein bisschen Bewegung auf die Bühne bringen, aber ich finde, an dieser Stelle macht es einfach keinen Sinn.
In dem Buch fragt der Vater „du hassest mich?“ am Ende der Szene (Seite 56). Andri antwortet nicht darauf. Ich finde, dass sollte auch auf der Bühne geschehen, weil dies die Verzweiflung des Vaters und die Abneigung Andris zeigt.
( Bild 9) Es gibt eine Szene in dem Buch, wo die Mutter mit dem Vater über die Senora und darüber dass Andri kein Jude ist, spricht, in der Verfilmung redet die Mutter darüber mit dem Vater. Ich finde, sie sollte auch im Film mit dem Vater sprechen, da ich Sätze wie: „ [...]Du hast sie geliebt, aber mich hast du geheiratet, weil ich eine Andorranerin bin [...]“ (Seite 82) sehr wichtig finde, um mehr über die Geschichte der Familie zu erfahren.
Es wird in der nächsten Szene ausgelassen, dass der Pater zu Andri sagt: „Ich sage und schwöre beim Heil meiner Seele, Andri: Du bist sein Sohn, unser Sohn, und von Jud kann nicht die Rede seien.“ (Seite 85) Dieser Teil sollte im Film berücksichtigt werden, da man merkt, dass der Pater Andri erst richtig annimmt, als er weiß, dass Andri kein Jude ist.
(Bild 12) „Der Idiot“ wird als Einziger von den Andorranern nicht vermummt. Er läuft herum, bis ihm gesagt wird „Hau Ab!“ „Der Idiot“ lenkt wieder von dem Hauptgeschehen ab und lässt die Szene ein bisschen lächerlich wirken.
In der Verfilmung wird Andris Finger nur gebrochen, um den Ring der Senora zu bekommen. Es ist viel eindrucksvoller und die Andorraner wirken bestimmter, wenn sie ihm, wie im Buch, den Finger abhacken.
An dieser Stelle möchte ich die Szenen aufführen, die ich im Allgemeinen sehr gut dargestellt finde.
(Bild 4) Eine sehr gute Geste ist, als sich der Lehrer aufregt und nachdem er Andri lautstark erklärt, dass er sich auf alle Fälle für ihn einsetzt, klettert er auf den Tisch. Dies gefällt mir, weil es seine Bestimmtheit zeigt.
(Bild 6) Peider schleicht sich gut an Barblins Kammer an, er ist sehr geschickt, da er, um kein Lärm zu machen, seine Jacke als Untergrund benutzt.
Andri lässt seinen Monolog sehr echt wirken.
Als der Soldat Andri sagt, dass er weg gehen möchte hat es eine schlimmere Wirkung als im Buch, weil Barblin noch im Hintergrund steht.
(Bild 10) Auf dem Platz von Andorra sagt Andri dem Lehrer, dass er ihn allein lassen soll, danach spuckt Andri dem Vater ins Gesicht. Dies zeigt die Verachtung, die Andri seinem Vater gegenüber aufweist.
(Bild 11) Andri möchte wissen, ob Barblin öfters mit dem Soldaten geschlafen hat. Als sie nicht antwortet, schlägt er sie und sie schlägt zurück. Sie sind sehr enttäuscht voneinander.
Danach ist eine Reihe von schnellen Geschehnissen: Barblin möchte ihm etwas erklären, doch er lässt ihr keine Zeit. Er spukt ihr sogar ins Gesicht. Daraufhin verdeckt er sein Gesicht und lehnt sich an die Wand. Er wendet sich wieder zu ihr und streichelt ihr übers Haar, dann zieht er ihr an den Haaren und schreit sie an: „Ich habe zu lange auf dich gewartet...“ Kurz darauf fängt er an zu weinen und hält sich an ihr fest, dann wendet er sich wieder ab. Das alles zeigt, dass Andri vollkommen durcheinander und verzweifelt ist.
Ausgerechnet Peider führt Andri ab und beleidigt Barblin als „Judenhure“. Hiermit zeigt Peider, wie wenig Barblin ihm bedeutet.
(Bild 12) „Jemand“ wird gezwungen zu lachen, es wirkt wirklich sehr echt, man sieht ihm richtig die Angst im Gesicht an. Nachdem Barblin Peider fragt, wo ihr Bruder sei, bemalt sie ihn mit weißer Farbe. Als sie anfängt, die Tische von dem Wirt zu bemalen, sagt dieser: „Hey, lass das, das sind meine Tische!“ Kurzum bemalt sie ihn und den „Jemand“ auch mit weißer Farbe. Alle verlassen die Szene, außer Barblin, „der Idiot“ und der Pater. Als der Pater nochmals versucht mit ihr zu reden, malt sie ihn an und sagt: „Weiß, Mörder, Schneeweiß, ein schneeweißes Andorra, weiß, Schneeweiß.“ Im übertragenden Sinne bedeutet diese Geste die Mitschuld der Andorraner an dem Tod Andris, trotz ihres Nichtbekennens ihrer Schuld.
Die Szenen in der Verfilmung werden durch die Schauspieler zwar sehr gut dargestellt, jedoch kann der Beobachter sich durch das Buch einen besseren Eindruck verschaffen, da eine genauere Beschreibung erfolgt.
In dem Buch gibt es vor jedem Bild einen „Vordergrund“, eine Szene an der Zeugenschranke. In dieser kurzen Szene spricht entweder der Tischler, Jemand, der Wirt, der Geselle, der Soldat oder der Pater über die Mitschuld des Mordes an Andri. Alle, außer der Pater, weisen jegliche Schuld von sich. Nach meiner Meinung fehlen diese „Vordergründe“ in der Verfilmung, dies ist auch ein Grund weshalb ich das Buch besser als den Film finde.
Auch wenn es sehr gut dargestellte Szenen in der Verfilmung gibt, würde ich das Buch in jedem Falle eher empfehlen.
Häufig gestellte Fragen zu "Kritik zur Videoaufnahme einer Theateraufführung des Stückes „Andorra“"
Worum geht es in diesem Aufsatz?
Der Aufsatz ist eine Kritik zur Videoaufnahme einer Theateraufführung des Stückes „Andorra“ von Max Frisch, im Vergleich zum Stück als Buch. Die Autorin, Marie Schlenstedt, vergleicht die filmische Umsetzung mit dem Originaltext und analysiert die Unterschiede und deren Auswirkungen.
Was ist die Hauptaussage des Aufsatzes?
Die Autorin findet die Videoaufnahme im Vergleich zum Buch nicht sehr gelungen. Sie argumentiert, dass die Verfilmung wichtige Details und Nuancen aus dem Buch auslässt, die für das Verständnis der Charaktere und der Thematik entscheidend sind.
Welche Aspekte der Verfilmung werden kritisiert?
Die Kritikpunkte umfassen: Veränderungen in Dialogen und Szenen, die die Charaktere anders darstellen (z.B. Barblins Verhalten gegenüber Peider), das Hinzufügen unnötiger Figuren (z.B. "Jemand"), das Auslassen wichtiger Momente (z.B. Peiders arrogante Äußerungen), und eine veränderte Darstellung von Andris Charakter.
Welche Szenen der Verfilmung werden positiv hervorgehoben?
Einige Szenen werden als gut gelungen betrachtet, darunter der Lehrer, der sich für Andri einsetzt, Peiders Anschleichen an Barblins Kammer, Andris Monolog und Andris Verhalten gegenüber seinem Vater am Platz von Andorra sowie Andris Auseinandersetzung mit Barblin.
Was kritisiert die Autorin an der Darstellung von "Der Idiot"?
Die Autorin kritisiert, dass "Der Idiot" in mehreren Szenen anwesend ist und vom Hauptgeschehen ablenkt. Sie findet, dass seine Einbindung die Szenen lächerlich wirken lässt und für die eigentliche Geschichte überflüssig ist.
Warum empfiehlt die Autorin eher das Buch als die Verfilmung?
Die Autorin argumentiert, dass das Buch eine detailliertere Beschreibung der Charaktere und Ereignisse bietet. Außerdem fehlen in der Verfilmung die "Vordergründe" – die kurzen Szenen an der Zeugenschranke, in denen verschiedene Charaktere ihre Mitschuld an Andris Tod kommentieren. Diese Szenen sind ihrer Meinung nach entscheidend für das Verständnis der Thematik.
Was ist die Hauptthematik von Max Frischs "Andorra"?
Max Frisch möchte mit seinem Werk dem Leser verdeutlichen, wie schlimm es ist, sich von einem Menschen ein Bild zu machen. Er zeigt deutlich die Probleme des Rassismus und der Vorurteile gegenüber Minderheiten. Frisch lässt Andri als angeblichen Juden auftreten und zeigt dem Leser, wie die gesellschaftlichen anti-semitistischen Vorurteile Andri zu Fall bringen.
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- Marie Schlenstedt (Autor:in), 2003, Frisch, Max - Andorra - Kritik zur Videoaufnahme einer Theateraufführung des Stücks, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/108370