Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Parlament und Regierung
3. Parteien und ihre Rolle im politischen Alltag Spaniens
3.1. Entwicklung der Parteien
3.2. Gesellschafliche Verflechtung der Parteien
3.3. Das Wahlsystem
3.4. Das Wählerverhalten
4. Auswirkungen auf die Struktur des Kongresses
5. Resümee und Ausblick
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Welche Auswirkungen haben das Wahlsystem, das Parteiensystem und damit einhergehend das Wählerverhalten auf die Zusammensetzung, sowie die Funktions- und Arbeitsweise des spanischen Parlamentes (Cortes Generales)?
Dieser Frage werde ich in dieser Arbeit nachgehen. Den Schwerpunkt lege ich auf die erste Kammer, das Abgeordnetenhaus (Congreso de los Deputatos). Aus dem Grund, daß in dieser Kammer mehr politische Kompetenzen und größere Macht enthalten ist, als im Senat (Senado). Ganz ausgeklammert kann der Senat aber nicht werden, da auch eine Reihe verschiedener Konstellationen dessen Rolle im politischen Spiel Spaniens beeinflussen können. Außerdem wird seit einigen Jahren über eine Reform dieses Hauses diskutiert, welche dessen Position, wenn auch nicht erheblich aufwerten, so doch verändern würde.
Um zu der angestrebten Frage zu gelangen, werde ich als erstes die Struktur von Parlament und Regierung in ihren Grundzügen darlegen. Im weiteren Verlauf meiner Arbeit wird das Parteiensystem charakterisiert, dessen historische Entwicklung, die Struktur und die Rolle der Parteien im gesellschaftlichen Alltag. Schließlich werde ich noch auf die Faktoren Wahlsystem und Wählerverhalten eingehen, bevor ich zu der Behandlung meiner Hauptfrage komme. Besonders bei der Frage des Wählerverhaltens viel es schwer, aktuelle Daten einzubeziehen. Zum einen liegt dies am allgemeinen Mangel an dahingehenden Untersuchungen und zum anderen sind nur sehr wenige Daten in deutscher oder englischer Sprache publiziert. Dies gilt auch für die Analyse über Netzwerke zwischen Interessengruppen/ Verbänden und Parteien bzw. Fraktionen. Die letzte repräsentative Erhebung diesbezüglich stammt aus dem Jahr 1982 (vgl. Liebert, S. 307). Die von mir in diesem Zusammenhang herangezogenen Aussagen stützen sich auf Liebert 1995 und die von ihm geführten Interviews mit spanischen Kongreßabgeordneten und Vertretern der verschiedenen Verbände.
Auch bei der Frage der Cleavages zwischen Parteien und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen existiert dieses Problem. Es liegen zwar Daten bis 1996 vor, aber nicht in dem Umfang, daß verschiedene Erhebungen oder Untersuchungen miteinander verglichen werden können. Hier habe ich die Daten von Montero zugrunde gelegt und auch auf die Ausführungen von Müller zurückgegriffen, auch wenn diese nur bis 1982 gelten.
Dennoch werde ich den Einfluß der drei Faktoren, Wahlsystem, Parteisystem, Wählerverhalten auf den Cortes Generales, im Rahmen der zur Verfügung stehenden Daten untersuchen. Dabei sollen auch Vergleiche mit anderen westeuropäischen Systemen gezogen werden. In erster Linie werden dies Deutschland und Großbritannien sein. Dies begründe ich damit, daß es sich bei dem britischen Westminstermodell um den Idealtyp der Konkurrenzdemokratie handelt. Hier soll das Augenmerk darauf gerichtet sein, inwieweit sich das spanische System an diesem Modelltyp orientiert. Deutschland ist nach meinem dafürhalten einen interessanten Vergleich wert, da in der Literatur immer wieder zu lesen war, daß sich während des spanischen Demokratisierungsprozesses und der damit verbundenen Verfassungsgebung sich in vielen Bereichen am deutschen Grundgesetz orientiert wurde. Im einzelnen werde ich aber die Systeme Großbritanniens und Deutschlands nicht darlegen, nur die jeweiligen Besonderheiten oder Parallelen hervorheben.
Ob ein deutliches Bild über eine kontinuierliche Entwicklung und Etablierung des spanischen Systems, seiner Institutionen und Prozesse abgegeben werden kann, ist nicht klar zu sagen, da die spanische Demokratie erst seit relativ kurzer Zeit existiert, und damit verbunden die Auswahl des aktuellen zur Verfügung stehenden Datenmaterials, wie bereits erwähnt, begrenzt ist. In den meisten Fällen fehlt es daher an Vergleichsmöglichkeiten anhand weiterer Daten.
2. Parlament und Regierung
Spanien ist eine noch relativ junge Demokratie, bei der es sich um eine parlamentarische Monarchie handelt. Erst Mitte der siebziger Jahre konnte sich Spanien vom Franco-Regime hin zur Demokratie bewegen. Dieser Demokratisierungsprozeß resultierte nicht aus einer revolutionären Bewegung, sondern aus den politischen Institutionen des Regimes heraus. Dies geschah einmal durch Druck von außen (Forderung des europäischen Auslandes nach Demokratisierung) und zum anderen durch Druck von innen (Wirtschaftseliten, König).
Der Demokratisierungsprozeß wird in zwei Phasen eingeteilt. Die erste beginnt mit der Ernennung der Regierung von Adolfo Suarez (3.7.1976) und erreicht ihren Höhepunkt in der Verabschiedung des Gesetzes zur politischen Reform (18.11.1976), welches unter anderem freie Parlamentswahlen vorsah. Mit der ersten freien Wahl zum zweikammrigen Cortes Generales am 15.6.1977 wurde die zweite Phase der Demokratisierung eingeleitet. Die Demokratisierung endete formal mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung, durch den Cortes Generales und deren Annahme durch das Volk, in einem Referendum, am 7.12. 1978. Das Parlament (Cortes Generales) setzt sich aus zwei Kammern zusammen, dem Kongreß (Camera de los Disputados) und dem Senat (Senado).
Die weitaus größere Macht liegt bei der ersten Kammer, dem Kongreß. Dessen Vertreter werden durch Verhältniswahlen nach der Methode d`Hondt, in 52 Wahlkreisen ermittelt. Die so gewählte Mehrheit im Abgeordnetenhaus, stellt in der Regel den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Dieser setzt dann in eigener Verantwortlichkeit seine Minister ein. Die Regierung wird durch die parlamentarische Mehrheit ins Amt gehoben, dort gehalten und wie in allen konkurrenzdemokratischen Systemen besteht die Möglichkeit der Regierungsabwahl durch das Parlament. Dafür ist in der spanischen Verfassung das konstruktive Mißtrauensvotum vorgesehen. Mit der Abwahl des Ministerpräsidenten muß also gleichzeitig die Wahl eines Amtsnachfolgers verbunden sein, was die Position des Regierungschefs stärkt, da sich die verschiedenen parlamentarischen Gruppen auf eine gemeinsamen Kandidaten verständigen müssen. Die Position des Ministerpräsidenten wird durch das Recht zur Parlamentsauflösung (außer bei laufendem Mißtrauensvotum) noch zusätzlich gestärkt. Ein weiteres Merkmal für die starke Rolle der Regierung Spaniens ist, daß von ihr eingebrachte Gesetzesvorlagen, bei der Behandlung im Plenum immer Vorrang genießen.
Wie, z. B. auch in Deutschland und Großbritannien, wird in Spanien also auch von einem positiven Parlamentarismus nach dem Westminstermodell ausgegangen, wo die Regierung durch eine parlamentarische Mehrheit getragen wird. Auch wenn in der spanischen Praxis durchaus auch andere Konstellationen möglich sind, worauf ich aber erst später eingehen werde. Mit der Regierungsernennung und dem konstruktiven Mißtrauensvotum existieren markante Ähnlichkeiten zum Deutschen Bundestag.
Allerdings gibt es auch einige wichtige Unterschiede. So findet die Wahl des Premierministers erst nach der offiziellen Präsentation seines Regierungsprogrammes statt, sodaß gleichzeitig auch über dessen politisches Programm abgestimmt wird, was aber sicher nur theoretische Auswirkungen hat, da die Fraktionsdisziplin in Spanien sehr stark ausgeprägt ist. Dagegen stellt der deutsche Bundeskanzler sein Regierungsprogramm erst nach seiner Wahl und der Ernennung seiner Minister offiziell im Plenum vor.
Zudem ist bei der Wahl des spanischen Regierungschefs nur im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit der Stimmen nötig, wird diese verfehlt, genügt im zweiten Wahlgang die einfache Mehrheit.
Ein weiterer Unterschied besteht im Recht der Parlamentsauflösung durch den Premierminister, welches der deutsche Bundeskanzler nur in wenigen Ausnahmefällen besitzt. Hier orientierten sich die Verfassungsväter am Ideal des Westminstermodells. „Der Senat ist die Kammer der territorialen Repräsentation.“, so lautet die Definition der Verfassung in Art. 69 (1). Die Repräsentation basiert auf den Autonomen Gemeinschaften und den Provinzen. Jede Provinz stellt 4 Senatoren, welche nach Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Außerdem bestellt jede Autonome Gemeinschaft einen Senator plus je einen pro 1 Mio. Einwohner. Diese werden durch die Regionalparlamente ernannt.
Beide Kammern haben das Recht zur Gesetzesinitiative und wirken am Gesetzgebungsprozeß mit. Gesetzesvorlagen müssen beide Kammern passieren, bevor sie verabschiedet werden. Dabei hat der Senat bei, vom Kongreß bereits verabschiedeten Gesetzesvorlagen allerdings nur ein suspensives Vetorecht, welches mit absoluter Mehrheit im Abgeordnetenhaus überstimmt werden kann. Wenn diese bei der ersten Abstimmung nicht erreicht wird, reicht nach Ablauf von 2 Monaten auch eine einfache Mehrheit des Kongresses. Bei Verfassungsänderungen spielt die zweite Kammer eine größere Rolle. Hier muß sie mit einer 3/5 Mehrheit der geplanten Änderung zustimmen. Die gleiche Mehrheit muß auch im Abgeordnetenhaus erreicht werden, wenn eine Verfassungsänderung angestrebt wird. Lehnt der Senat die Änderung ab, wird ein Schlichtungsausschuß eingesetzt, welcher aus Senatoren und Mitgliedern des Kongresses besteht. Der Sinn dieses Ausschusses ist es, in strittigen Fragen einen Konsens zu finden. Gelingt dies nicht, reicht für die geplante Verfassungsänderung im Kongreß eine absolute und im Senat eine 2/3 Mehrheit, um sie zu verabschieden. 1/10 der Mitglieder aus einer der beiden Kammern kann zusätzlich fordern, daß die Verfassungsänderung einer Volksabstimmung unterzogen wird. Am Beispiel der Verfassungsänderung zeigt sich, daß auch in Spanien, wie etwa in Deutschland darauf geachtet wird, diesen Prozeß einen möglichst breiten Konsens unterzuordnen. Bei der Einsetzung des Schlichtungsausschusses können durchaus Parallelen zu dem Vermittlungsausschuß gezogen werden, wie er in Deutschland existiert. Der Unterschied ist, daß in Spanien dieser ausschließlich bei Verfassungsänderungen eingesetzt wird, während in Deutschland dieser immer bei der Ablehnung zustimmungspflichtiger Gesetzte durch den Bundesrat, zum Zuge kommt. Dies liegt in der unterschiedlichen Kompetenzverteilung von Bundesrat in Deutschland und Senat in Spanien begründet. Obwohl in der Verfassung festgehalten, ist der Senat keine reine Kammer der terretorialen Repräsentation. Es handelt sich um keine dem Senats- oder Bundesratsmodell vergleichbare Kammer. Weder bei der Zusammensetzung und Bestellung seiner Mitglieder, noch bei der Kompetenzverteilung kann der Senat eindeutig einem dieser Modell zugeordnet werden. Während bei dem Bundesratsmodell die Mitglieder der Länderkammer von den einzelnen Landesparlamenten delegiert, und die Senatoren im Senatsmodell direkt gewählt werden, ist beim spanischen Senat, wie bereits erwähnt, beides der Fall. Ein Teil der Senatoren wird gewählt und ein Teil delegiert. Des weiteren ist im reinen Senatsmodell die zweite Kammer gegenüber der ersten gleichberechtigt. Im Bundesratsmodell ist ihr Mitspracherecht zwar eingeschränkt, aber es sind klare Kompetenzen definiert, in welchen Bereichen die Kompetenzen der jeweiligen Kammer liegen. Auch dies ist in Spanien nicht der Fall. Der Senat spielt also eine eher untergeordnete Rolle im politischen Systems Spaniens. Auch wenn in den vergangenen Jahren verstärkt über eine Reform diskutiert wurde.
3.Parteien und ihre Rolle im politischen Alltag Spaniens
3.1.Entwicklung der Parteien
Mit dem Übergang vom Franco-Regime zur Demokratie, wurde den spanischen Parteien ebenfalls wieder neues Leben eingehaucht. Wie in Deutschland, wurde auch in Spanien in der Verfassung den Parteien eine institutionelle Garantie zugesprochen und deren Aufgaben festgelegt (Art.6): „Die politischen Parteien sind Ausdruck des politischen Pluralismus; sie wirken bei der Bildung und Äußerung des Volkswillen mit und sind das Hauptinstrument der politischen Beteiligung. Ihre Gründung und die Ausübung ihrer Tätigkeit sind im Rahmen der Achtung der Verfassung und des Gesetzes frei. Ihre innere Struktur und ihre Arbeitsweise müssen demokratisch sein.“ (Kimmel, S.523).
Während die linken Parteien in der Tradition der II. Republik (1931 - 1936) wiedergegründet wurden (Sozialisten: PSOE, Kommunisten: PCE), formierten sich im Mitte-Rechts-Spektrum neue Kräfte. So die UCD, welche einen Koalition aus verschiedenen konservativen Kräften, in erster Linie aus liberalen Technokraten des Franco-Regimes und gemäßigten Oppositionellen der Diktatur, darstellte.
Kennzeichnend für das Parteisystem ist eine verhältnismäßig große Instabilität. Die meisten großen Parteien durchliefen seit ihrer Wieder-/Neugründung Phasen von Fusionen, Koalitionen, Auflösungen oder Zersplitterungen. Daraus resultierten etwa Resignation (Auflösung der UCD 1983) oder häufige Imageumorientierungen, vor allem der Mitte-Rechts- Parteien. Dies lag in Legitimationsproblemen begründet, welche im Zusammenhang mit der unrühmlichen Vergangenheit des rechten Spektrums und der damit verbundenen fehlenden demokratischen Glaubwürdigkeit standen. Auch die linke PSOE durchlief eine solche Phase der Neudefinition, indem sie nicht mehr den sozialistischen Gedanken in den Vordergrund ihrer Politik stellte, sondern die (sozial) gerechte Verwaltung des Staates. Der Tiefpunkt der Parteieninstabilität wurde 1982 erreicht. Die bis dahin regierende UCD hatte sich an internen Grabenkämpfen, der Abspaltung verschiedener Parteiflügel und massiven Parteiaustritten aufgerieben und mußte 1982 bei den Wahlen eine verheerende Niederlage einstecken (von 35% 1979 auf 6,5% 1982). Ein Jahr später folgte dann die Auflösung der UCD. In den folgenden Jahren blieben die Versuche, eine Mitte-Rechts-Partei als ernstzunehmende politische Kraft gegenüber der seit 1982 mit absoluter Mehrheit regierenden PSOE zu etablieren, lange erfolglos. Mit der bereits erwähnten Umorientierung, gelang es der PP nach 1989, sich als konservative Kraft zu etablieren. Dies drückte sich in steigenden Wahlergebnissen aus, so verlor 1993 die PSOE ihr absolute Mehrheit und stellte in den folgenden 3 Jahren eine Minderheitsregierung. 1996 schließlich fand dieser Trend seinen vorläufigen Höhepunkt, in der Übernahme der Regierungsmehrheit durch die konservative PP, wenn auch nur mit einer Minderheitsregierung. Bei den Parlamentswahlen 2000 gelang es der PP sogar die absolute Mehrheit zu gewinnen und dies mit einem überraschend deutlichen Ergebnis.
Dieser zweite Regierungswechsel in der jungen spanischen Demokratie fand aber nicht so erdrutschartig wie der von 1982 statt. Die PSOE verlor im Zeitraum von 1989 bis 1996 nur 2,4 % der Wählerstimmen und formierte sich als konstruktive oppositionelle Kraft neu, ohne in eine Krise zu schlittern. Auch die deutliche Niederlage bei den letzten Parlamentswahlen muß nicht eine existenzbedrohenden Krise für die Partei bedeuten. Es handelt sich dabei eher um die Folgen der erfolgreichen Regierungsarbeit der PP und den Mangel an durch die PSOE gebotenen Alternativen. Die Etablierung als Oppositionskraft, ohne größere parteiinterne Krisen, kann durchaus als Ausdruck einer gefestigten Struktur dieser Partei interpretiert werden. Andere Linksparteien, spielten im Kongreß immer eine untergeordnete Rolle. Sie waren auch durch häufige Krisen, wie Auflösungen, Zersplitterungen oder Umbenennungen und damit verbundenen Imageumorientierungen geprägt (1987 PCE in IU).
3.2. Gesellschaftliche Verflechtung der Parteien
Die oben angesprochene Instabilität der Parteien hat verschiedene Gründe. In erster Linie ist sie auf deren Gründungsumstände zurückzuführen. Während der Gründungsphase existierte noch kein institutioneller Rahmen, in welchem sich die Parteien hätten entwickeln können. Sie stellten künstliche, elitäre Gruppierungen dar, ohne Basis in der Bevölkerung und damit von Mitgliedern. Dies wird darauf zurückgeführt, daß die traditionellen sozialen, religiösen oder regionalen Verbindungen zwischen Bevölkerung und Parteien in Spanien mehr oder weniger schwach ausgeprägt waren und sind. Bedingt durch die verhältnismäßig hohe ökonomische Entwicklung fiel die soziale Bindung an eine bestimmte Partei zum großen Teil sehr schwer. Dies galt in den Anfangsjahren der Demokratie in erster Linie für die beiden großen Parteien PSOE/UCD. Lediglich bei den Wählern kleinerer Randparteien (PCE und IU links und AP/CD rechts) war die Intension des Klassen-Cleavage in den ersten Jahren noch deutlich ausgeprägt. Die Wähler der kommunistischen PCE standen vor allem dem kapitalistischen Gesellschaftssystem ablehnend gegenüber. Dagegen die Anhänger der AP/CD begrüßten dies in hohem Maß. In den letzten Jahren wurde diesen radikaleren Einstellungen, vor allem auf der linken Seite deutlich der Boden entzogen. Ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung und eine damit verbundene wachsende Zustimmung zu dem existierenden Wirtschaftssystem ließen das Klassen-Cleavage immer mehr an Bedeutung verlieren.
Der religiösen Bindung wurde die Grundlage genommen, da die Parteien von Anfang an darum bemüht waren, der katholischen Kirche politischen Einfluß zu entziehen und deshalb auch religiöse Themen bewußt vermieden, um unnötiges Spannungspotential während der Demokratisierung zu umgehen. Damit soll nicht ausgedrückt werden, daß die Rolle der Religion in Spanien gänzlich verloren gegangen ist. Nur die stark polarisierende Wirkung in der Politik wurde zurückgedrängt. Die religiöse Ausrichtung und Differenz zwischen den Parteien ist sehr verschwommen. Eine Partei, welche bereits durch ihren Namen die Orientierung auf christliche Grundwerte zu erkenne gibt, wie dies in Deutschland bei der CDU und CSU der Fall ist, gibt es nicht. Damit verbunden ist auch die Polarisierung der Wähler in diesem Zusammenhang nicht stark ausgeprägt. Wenn auch festgehalten werden muß, daß die religiöse Ausrichtung der Wähler rechter Parteien sich von der linker Parteien unterscheidet. Besonders bei den ersten drei Wahlen konnte diese Trennung deutlich beobachtet werden: „Das Religions-Cleavage zeigt hingegen noch eine deutliche Aufteilung der spanischen Wähler in bezug auf ihre Parteipräferenz: Je nach Grad der Religiosität und der prokirchlichen Einstellungen neigt die Wählerschaft zu annähernd gleichen Teilen entweder den beiden linken oder den beiden rechten Parteien zu.“ ( Müller, S. 169). Diese Trennung setzte sich auch in den folgenden Jahren fort. Religiöse Menschen neigten im stärkeren Maße dazu sich zu einer rechten/konservativen Partei zu bekennen, als nicht religiöse, welche sich eher an den ‘Linken’ orientierten. Montero hat dies bis 1993 beobachtet und ist auch zu diesem Zeitpunkt noch zu dem Ergebnis gekommen, daß „ ... all the parties still have a characteristic trademark in terms af religious composion of their electorates, reflecting the relative continuity in the differences between leftists and conservatives in this respect.“ (Montero, S. 67). Diese religiöse Trennung zwischen den beiden Blöcken ist aber nicht so stark entwickelt, daß sie einen ausschließlichen Grund bildet, eine bestimmt Partei zu wählen.
Schließlich wäre zu erwähnen, daß regionale Bindungen an eine Partei in Spanien zwar recht hoch ausgeprägt sind, besonders im Baskenland, Katalonien und Gallizien, diese sich aber fast ausschließlich bei Regionalparteien niederschlagen und kaum bei gesamtstaatlich agierenden Parteien.
Ein weiterer Grund für die geringe gesellschaftliche Verflechtung der Parteien ist darin zu sehen, daß die Parteien sich in den ersten Jahren nicht klar genug voneinander abgrenzten. Vor allem die Konsensorientierung während der Demokratisierung und Verfassungsgebung waren dafür verantwortlich. Für den Außenstehenden war es schwer nachvollziehbar, wer welchen Standpunkt vertrat und für welche Entscheidung verantwortlich war. Ebenso spielten in diesem Kontext die engen persönlichen Beziehungen der Parteiführer untereinander, teils noch aus gemeinsamen Oppositionstagen, eine entscheidende Rolle dafür, daß nur wenig Polarisierung in der Parteienlandschaft entstand. Das erhöhte natürlich auch die Schwierigkeit Mitglieder zu rekrutieren oder ein gewisses Stammwählerpotential an sich zu binden. Hinzu kam das Mißtrauen des spanischen Volkes gegenüber Parteien, welches seine Wurzeln noch in der Anti-Parteien-Propaganda des Franco-Regimes hatte. Auch der Hang der Spanier ihre Stimme eher starken, charismatischen Führerpersönlichkeiten als Parteiprogrammen zu geben, kann, teilweise auf die Personenbezogenheit der Franco-Ära zurückgeführt werden. Dieses Wahlverhalten der Spanier trug auch einen Teil dazu bei, daß die interne Parteidiskussion sich mehr um Personalfragen, als um Inhalte dreht und ihre Strategie sich darauf beschränken kann, „... in ihrem jeweiligen politischen Bereich eine Hegonomieposition zu erlangen. Diese Strategie zeugt nur wenig von der Bereitschaft, auf Forderungen und Erwartungen der Wähler einzugehen ...“ (Arias-Salgado, S.377).
Die schwache gesellschaftliche Basis der Parteien wurde auch durch die Tatsache unterstützt, daß bereits der erste Wahlkampf über das Fernsehen geführt werden konnte, wodurch leicht eine Menge Wähler erreicht wurden und Parteiarbeit vor Ort meist nur eine untergeordnete Rolle spielte. Es brauchten nur imagebezogene Medienkampagnen geführt werden. Die Überbewertung des Parteiführers hatte eine „Elitisierung und Zentralisierung des Parteienwettbewerbs“ zur Folge (Arias-Salgado, S. 387).
Festzuhalten bleibt also, daß aus dem Übergang zu Demokratie gesellschaftlich schwache Parteien hervorgingen, mit „stark oligarchischer Struktur“, gekennzeichnet „durch formelle und exzessiv strenge interne Disziplin, ... bedingungslose und daher eher unaufrichtige Unterordnung des einzelnen Parteimitglieds, durch das Fehlen einer wirklichen internen Diskussion, durch die Distanz zur Gesellschaft sowie durch einen Typ politischer Integration, der nicht geeignet war, die Interessenaggregation zu bewerkstelligen ...“ (Arias-Salgado, S. 381).
Einen weiteren entscheidende Einfluß auf das Parteiensystem hat der Typus des Wahlsystems. Dies soll nun in seinen Grundzügen kurz dargestellt werden.
3.3 Das Wahlsystem
In Spanien wurde bereits 1868 allgemeines, freies Wahlrecht, auch für Frauen eingeführt, aber auch nach 20 Jahren bereits wieder aufgehoben. In der Folgezeit waren Wahlen in Spanien geprägt von Korruption, Betrug und Mißbrauch. Erst in der Zeit der II. Republik gab es dann wieder drei freie Wahlen, charakterisiert durch extreme Wählerpolarisation und politische Instabilität. Der u. a. daraus resultierende Zusammenbruch der Demokratie führte in den Bürgerkrieg und die darauf folgende Franco-Diktatur. In dieser herrschte ein System der indirekten Wahl, mit einer großen Anzahl ernannter Mandatsträger und stark kooptativer Kandidatenaufstellung.
Mit dem Übergang zu Demokratie, waren auch wieder freie Wahlen verbunden. Das dafür eingeführte Wahlsystem, sollte mehr politische Stabilität garantieren, als dies in der II. Republik der Fall war. So entschieden sich die Verfassungsväter für das Verhältniswahlrecht im Falle des Kongresses und für das Mehrheitswahlrecht für den Senat. Für beide Systeme wurden Verbesserungen erlassen, um bei den Verhältniswahlen einer extremen Parteienzersplitterung entgegenzuwirken und zu einem gemäßigtem Pluralismus zu finden. Bei den Mehrheitswahlen sollte eine einseitige Überrepräsentation einer Partei im Senat vermieden werden.
Zu diesem Zweck wurde dem reinen Verhältniswahlrecht eine Sperrklausel von 3 % hinzugefügt, welche die Partei insgesamt in den Wahlkreisen überspringen muß, in denen sie kandidiert. Weiterhin wurden die Provinzen als Wahlkreise festgelegt und jeder Provinz eine Mindestzahl von Kongreßsitzen garantiert (span. Verf. Art. 68 (2)). Die Wahlkreisgrößen sind sehr unterschiedlich.
Zu den Wahlen zum Senat wurde festgelegt, daß jede Provinz 4 Senatoren stellt, Ausnahmen sind in Artikel 69 (3) der Verfassung genannt. Weiterhin existieren bei den Senatswahlen freie Listen zur Kandidatenaufstellung, wodurch auch Minderheiten mit einer bestimmten Basis von Anhängern die Möglichkeit haben, Senatoren zu entsenden.
Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus finden aller 4 Jahre statt. Jeder Wähler hat eine Stimme. Es werden mind. 300 aber nicht mehr als 400 Abgeordnete in 52 Wahlkreisen, nach starren Listen gewählt. In der Praxis hat sich eine durchschnittliche Abgeordnetenzahl von 350 durchgesetzt. Jeder Wahlkreis erhält zwei Sitze (Melilla und Ceuta je einen) Die übrigen 248 Mandate werden proportional nach der Bevölkerungszahl auf die Provinzen verteilt. Durch die unterschiedlichen Wahlkreisgrößen werden die großen Parteien in diesem System bevorteilt, da es in kleineren Wahlkreisen einfacher ist, ein Mandat zu gewinnen. Beispielsweise werden in der Provinz Soria lediglich 26 143 Stimmen für ein Mandat benötigt, demgegenüber in Barcelona 124 678. In einigen Wahlkreisen, wo nur ein oder zwei Abgeordnete gewählt werden, wie in Ceuta oder Soria, existiert demzufolge eher ein Mehrheitswahlsystem. Auch das Verrechnungssystem nach der Methode d´Hondt begünstigt größere Parteien. Es wurden also, um einer ausgeprägten Fragmentierung entgegen zu wirken, natürliche Hürden (Wahlkreisgrößen) mit künstlichen (Sperrklausel) kombiniert. Auf die Auswirkungen, welches das Wahlsystem auf die Parteienlandschaft und die Zusammensetzung des Kongresses hat, werde ich später noch einmal genauer eingehen.
3.4. Das Wählerverhalten
Nach der Demokratisierung wurde in Spanien einerseits eine starke Polarisierung der Wähler und damit verbunden eine starke Fragmentierung der Parteien in der Tradition der II. Republik erwartet (vgl. Barrios, S. 370). Es gab aber auch Befürchtungen, „daß die neuen südeuropäischen Demokratien im Wahlverhalten besonders durch ein hohes Potential an Wechselwählern gekennzeichnet sind und dies einen verstärkten Parteienwettbewerb mit sich bringt, was unweigerlich die Stabilisierung der jungen Demokratien behindert (vgl. Mair, S. 174). Das in Spanien weder das Eine noch das Andere eingetreten ist, das Wahlverhalten sogar zur Stabilisierung der Demokratie und ihrer Institutionen beigetragen hat, werde ich jetzt darlegen.
Die ersten freien, demokratischen Wahlen nach 40 Jahren Diktatur stellten ein besonderes Ereignis für die Spanier dar: „only bull-fighting arouses more passions than elections“ (Montero, S. 53). Durch eine Flut von Wahlen in den folgenden Jahren, zu beiden Kammern, den Regionalparlamenten, den Kommunalvertretungen und Volksabstimmungen kehrten aber bald Normalität und Routine ein. Heute wird die Wahlbeteiligung, im westeuropäischen Vergleich nur von der in Großbritannien und der Schweiz unterboten. Bei den Parlamentswahlen liegt die Nichtwählerquote bei durchschnittlich 26,7%, das liegt ca. 7% über dem europäischen Durchschnitt. Interessant dabei ist allerdings, daß bei der Höhe der Wahlenthaltung von zwei verschiedenen Tendenzen ausgegangen wird. Zum einen in solche Wahlen, welche von einer relativ geringen Wahlenthaltung gekennzeichnet sind, wie z. B. 1977, 1982, 1993, 1996. In diesen Jahren lag die Zahl der Nichtwähler zwischen 20% und 23%. Dagegen blieben 1979, 1986, 1989 und 2000 etwa 30% der Wahlberechtigten den Wahllokalen fern. Diese Entwicklung versuchte Montero zu erklären, indem er die spanischen Parlamentswahlen in „außergewöhnliche“ und „normale“ Wahlen einteilte (vgl. Oeing, S. 68). „Außergewöhnliche“ Wahlen finden in Zeiten mit bedeutenden politischen, sozialen oder ökonomischen Veränderungen statt. Wenn etwa ein brisantes Ereignis im Vorfeld stattfand, wie 1977 die Demokratisierung und damit verbunden die ersten freien Wahlen oder 1982 der erst ein Jahr zuvor gescheiterte Putschversuch. Ein zu erwartender Regierungswechsel oder ein wahrscheinlich knappes Wahlergebnis (1993, 1996) können auch zu dieser Wählermobilisierung beitragen. Ist eines dieser Kriterien vorhanden gewesen, war die Wahlbeteiligung, wie oben zu sehen höher, als in den anderen, „normalen“ Wahljahren. Erklärt wird dies, mit dem steigenden Bewußtsein der Spanier in solchen Fällen, daß jede einzelne Stimme wichtig ist, für die weitere Entwicklung. Demzufolge finden oder fanden „normale“ Wahlen in Zeiten statt, in dessen Umfeld keine gravierenden Veränderugen geschahen oder der klare Sieg der amtierenden Regierungspartei zu erwarten war, wie dies 1979, 1986, 1989 und 2000 zweifelsohne der Fall war. Generell wird vermutet, daß sich die Nichtwählerquote auch in Zukunft zwischen 20% und 30% einpegeln wird: „ ... ,daß sie sich auch künftig in einem Korridor von 20-30% bewegen wird.“ (Oeing, S.70). Die großen Schwankungen in der Wahlbeteiligung sind in dieser Form ein rein spanisches Phänomen. In Frankreich und Portugal sind zwar sporadisch ähnliche Schwankungen zu beobachten, dort werden sie aber auf die demoralisierend wirkenden Präsidentschaftswahlen, welche im Vorfeld stattfanden, zurückgeführt. In Spanien scheinen solche Schwankungen aber eher die Regel zu sein, zumal hier keine Präsidenten gewählt werden. Auch der kurze Zeitraum der Demokratie kann nicht unbedingt für diese Entwicklung verantwortlich gemacht werden, da in einer anderen jungen Demokratie - Griechenland - die mittlere Abweichung der Wahlbeteiligung bei konstant 1,7% liegt. Die Kategorien „außergewöhnlich“ und „normal“ scheinen für die Erklärung dieses Phänomens durchaus geeignet.
Im internationalen Vergleich liegt, wie bereits erwähnt die Wahlenthaltung in Spanien an der europäischen Spitze. Allerdings ist auch in den letzten Jahren in anderen westeuropäischen Staaten eine steigende Zahl von Nichtwählern zu beobachten. Nach Ansicht einiger Wahlforscher hat Spanien diesbezüglich nur eine allgemeine Tendenz vorweggenommen: „..., daß das Land durch das späte Zustandekommen seiner Demokratie nur eine Entwicklung vorweggenommen hat, die jetzt auch andere Länder mit einer längeren demokratischen Tradition durchlaufen ...“ (Oeing, S. 75). Dabei spielt in erster Linie sicher die geringe Parteibindungen in der spanischen Gesellschaft eine Rolle, ebenso wie die fehlenden sozialen, religiösen oder regionalen Cleavages zwischen Bevölkerung und Parteien. Eine dahingehende Entwicklung ist in Deutschland auch zu verzeichnen, was nicht zuletzt an den sogenannten Protestwählern auszumachen ist. Das Phänomen der Protestwähler spielt in Spanien dagegen keine Rolle.
Sicher spielt bei dieser geringen Wahlbeteiligung die fehlende Gesellschaftsnähe der Parteien in Spanien eine Rolle, da die Wähler so ihre Interessen nicht vertreten fühlen. Wenn man sich das Profil der Nichtwähler anschaut, so ist auffällig, daß nicht, wie ursprünglich erwartet, steigender sozialer Wohlstand und wirtschaftlicher Fortschritt zu einer höheren Wahlbeteiligung führten. „Dies widerspricht der klassischen linearen Interpretation, derzufolge die Modernisierung der Wirtschaft mit der Abnahme der Wahlenthaltung verbunden ist.“ (Oeing, S. 83). Dies zeigt sich vor allem an der Tendenz, daß in den eher ländlichen Regionen, wo der Fortschritt noch nicht so weit gediehen ist, die Wahlbeteiligung durchschnittlich über der in den Metropolen liegt. Allgemein ist mit zunehmender Bevölkerungsdichte auch eine steigende Nichtwählerzahl zu beobachten. Da in den letzten Jahren mit der Urbanisierung auch ein kultureller und ökonomischer Fortschritt verbunden war, zeigt sich bestätigt, daß steigender Wohlstand nicht mit wachsendem politischen Interesse verbunden ist. In anderen Ländern mit relativ hoher Wahlenthaltung ist dies auch der Fall, wie in der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und in zunehmenden Maße auch Deutschland, welche wohl alle nicht zu den Armenhäusern Europas zu zählen sind. Auch am Beispiel der letzten spanischen Parlamentswahlen im März 2000 setzt sich dieses Bild fort. Seit 1996 hat Spanien mit dem größten Wirtschaftswachstum Europas einen enormen konjunkturellen Aufschwung erlebt, die Arbeitslosenquote sank von 22% auf 15% und dennoch blieben bei der letzten Wahl ca. 1/3 der Wahlberechtigten der Wahlurne fern. Diese Zahl scheint auch die Vermutung zu bekräftigen, daß die spanische Wahlbeteiligung von der Wichtigkeit der Wahl abhängt, ob es sich um eine ‘normale’ oder ‘außergewöhnliche’ handelt. Denn vor den letzten Wahlen war weder die politische Situation im Land angespannt, noch wurde ernsthaft ein enges Wahlergebnis oder gar einen Regierungswechsel erwartet.
Bei dem aktiven Wählerpotential läßt sich aber, trotz der geringen Parteienidentifikation und der Instabilität der Parteien, ein durchaus stabiles Wahlverhalten feststellen. Diese Stabilität resultiert aus der ideologischen Bindung an eine bestimmte politische Richtung. Die Wähler ordnen sich auf dem Links-Rechts-Spektrum einer Seite zu und treffen ihre Wahlentscheidungen dann zwischen den Parteien, die ihrem Spektrum zuzuordnen sind: „Voters’ ideological identification with the Left or Right space serves a substitute mechanism for party anchorage when socio- structural or psychological factors are weak“ (Montero, S. 70). Inter-Block Wechselwähler sind äußerst selten, so daß die Parteien die Wechselwähler innerhalb ihres ‘Blockes’ ausreizen müssen. Selbst als 1982 die UCD fast 30% ihrer Wähler verlor, wechselten die wenigsten von diesen zu einer linken Partei. Der Großteil wählte die AP, welche 24% gegenüber 1979 zulegen konnte. Die Anzahl jener, welche 1982 den Block wechselte lag lt. Montero bei 6,7%. Dagegen sieht Müller diese Zahl viel höher. Für sie ist die Wahl von 1982 eine deutliche Ausnahme im Blockwahlverhalten. Sie ermittelte, daß 20% der früheren UCD Wähler zur PSOE wechselten. Es fand demnach damals eine Aufspaltung der UCD Wähler auf die AP/ PP und die PSOE statt. Müller sieht in dem Niedergang der UCD sogar erst den Grund für die Aufspaltung der Wähler in zwei relativ homogene Blöcke. “Durch den Verlust einer mittleren Partei zwischen der PSOE und AP/ PDP teilte sich das religiöse, gemäßigt konservative Wählerspektrum, das sozialpolitischen Forderungen aufgeschlossen gegenüberstand, auf diese beiden Parteien auf.“(Müller, S. 224). Deutlich wird die Blockbindung der Wähler auch an der oben angesprochenen Rolle der Religion. Das Verhältnis der Spanier zur Religion bindet sie nicht an eine konkrete Partei, sondern, wenn überhaupt, an den linken oder rechten Block. Vor dem Hintergrund des catch- all Anspruches und der zentripedalen Orientierung der Parteien, ist dieses Blockwahlverhalten recht erstaunlich ist. Zum anderen steht auch die „ideologische Selbsteinschätzung der Wähler auf einer Zehner-Skala 1981 wie 1991 bei 4,8, also geringfügig links von der Mitte“ (Barrios, S.571) im Kontrast zu diesem starren Blockwahlverhalten. Andererseits kann durch die ideologische Selbsteinschätzung der Wähler und der zentripedalen Ausrichtung der Parteien auch erklärt werden, daß seit den ersten Wahlen 1977 die beiden großen Massenparteien (UCD/PA/PP und PSOE) zusammen nie weniger als 80% der Mandate im Kongreß inne hatten. Dabei spielt aber auch die Neigung der Spanier, zu sinnvoller, nützlicher Stimmenabgabe eine Rolle. Da die Befürchtung besteht, seine Stimme zu verschwenden, wenn sie einem Außenseiter gegeben wird. Hier unterscheiden sich die Spanier nur wenig von den meisten ihrer europäischen Mitbürger.
4. Auswirkungen auf die Struktur des Kongresses
In den ersten beiden Legislaturperioden wurden von den Wählern zwei starke Parteien (UCD, PSOE) und noch jeweils eine extremere Randpartei (PCE links, AP rechts), sowie die CiU und PNN als regional-nationalistische Parteien in den Kongreß gewählt. Montero charakterisierte diese Konstellation als ein „moderate multi-parties system characterised by intense competition between the two main parties“ (Montero, S.56).
Ab 1982 prägte die Alleinregierung der PSOE mit absoluter Mehrheit die Zusammensetzung der ersten Kammer. Mit dem Verlust der absoluten Mehrheit 1993 wurde diese Dominanz einer Partei im Plenum wieder durch ein moderates Mehrparteiensystem ersetzt, mit zwei etwa gleich starken Parteien und einigen Randparteien.
Die konstant relativ geringe Anzahl von gesamtstaatlichen Parteien im Kongreß (durchschnittlich 4) kann durch die zweckorientierte Stimmvergabe der Wähler und durch das Wahlsytem erklärt werden. Welches es den großen Parteien leichter macht mehr Parlamentssitze zu erreichen, als ihnen nach den tatsächlich erreichten Wählerstimmen zustehen würden, da die Partei mit den meisten Stimmen in einer Provinz auch noch die Reststimmen der Verlierer kumulieren. Dadurch ist die 3% Hürde, vor allem in den kleineren Wahlkreisen, in der Praxis erheblich höher. Die Folge ist eine große Diskrepanz zwischen der Zahl der sich zur Wahl stellenden Parteien und der im Parlament vertretenen, was in etwa mit den Verhältnissen in Deutschland oder Österreich verglichen werden kann und nur gering über denen Großbritanniens liegt. 1988 gab es in Spanien 506 politische Parteien und Organisationen, davon 203 gesamtstaatliche. Diese Zahl macht die erwähnt große Diskrepanz sehr deutlich. Verzerrt wird dieses Bild durch die hohe Anzahl von Regionalparteien im Abgeordnetenhaus. Diese werden von den Ungleichgewichten des Wahlsystemes kaum in Mitleidenschaft gezogen, da sie nur in einigen Provinzen antreten und dort ein starkes Potential an Stammwähler existiert. Das Item „regionale Bindung an eine Partei“ spielt vor allem für die in den traditionellen Regionen, wie dem Baskenland, Katalonien oder Gallizien, agierenden Regionalparteien eine erheblich größere Rolle, als für die gesamtstaatlichen Massenparteien.
Effektiv setzt sich die erste Kammer also aus einer relativ großen Zahl von Parteien zusammen, aber mit nur wenigen gesamtstaatlichen Parteien. Durch diese Zusammensetzung des Kongresses wird die Möglichkeit der Bildung von Minderheitsregierungen begünstigt. Durch einfache Mehrheit im zweiten Wahlgang ins Amt gehoben, ist es für die Opposition aus den verschiedenen politischen Lagern und mit unterschiedlichen regionalen Interessen schwer, sich, im Falle eines konstruktiven Mißtrauensvotums, auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Die sehr partiellen Interessen der Regionalparteien begünstigen außerdem die Funktionsweise der Minderheitsregierungen, da durch Zugeständnisse und Zusagen in bestimmten regionalen Punkten an diese Parteien leicht ad hoc Mehrheiten für, z. B. Gesetzesverabschiedungen gebildet werden können. Dazu auch Montero: „ single-party minority governments, kept in power by the more or less formal parliamentary support provided by nationalist parties ... the nationalist parties are the only source off support for minority ...“ (Montero, S. 58). Dies zeigt, daß trotz des formalen Bekenntnisses zum positiven Parlamentarismus der Typus der Minderheitsregierung sich in Spanien durchaus etablieren konnte. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die schwache Position des Senates, als Vertretung der Regionalinteressen. Vor allem die Regionalparteien der traditionellen Autonomen Gemeinschaften (Gallizien, Baskenland, Katalonien) bevorzugen bilaterale Kooperation mit den Regierungsparteien, um ihren Interessen Ausdruck zu verleihen. Besonders erfolgversprechend ist dies, wie erwähnt, in Zeiten von Minderheitsregierungen. Aus diesem Grund sträubten sich auch die Autonomen Gemeinschaften Baskenland, Katalolien und Gallizien gegen eine Reform des Senates, welche zu dessen Aufwertung geführt hätte. Sie befürchteten den Verlust ihrer besonderen Stellung gegenüber den anderen, „künstlichen“ Autonomen Gemeinschaften. Ob sie diese Haltung beibehalten, wird die Zukunft zeigen. Mit dem Erreichen der absoluten Mehrheit der Abgeordnetensitze im Kongreß, ist die PP nicht mehr auf die Unterstützung einer Regionalpartei angewiesen, was die Position dieser Parteien im Kongreß erheblich schwächen könnte. Die seit 1995 diskutierte, und nicht zuletzt wegen der ablehnenden Haltung der drei historischen Autonomen Gemeinschaften sehr schleppend verlaufende Reform des Senates, könnte in dieser Konstellation u. U. wieder neuen Schwung kommen. Bei einer möglichen Reform des Senates, soll, nach einem Vorschlag des berichterstattenden Ausschusses zu dieser Angelegenheit, der Titel VII der spanischen Verfassung (terretoriale Gliederung des Landes) unberührt bleiben. Lediglich der Artikel III (Cortes Generales) soll davon berührt werden. Demzufolge wird angestrebt, daß der Senat weiterhin eine Kammer des Cortes Generales bleibt, also kein dem Bundesrat entsprechendes Organ wird. Die Vormachtstellung des Abgeordnetenhauses soll ebenfalls erhalten bleiben.
Aber der Senat soll bei Gesetzen längere Beratungszeiten erhalten und bei Diskrepanzen mit dem Kongreß soll in jedem Fall ein Schlichtungsausschuß einberufen werden, um mehr Konsens zu erreichen. Damit verbunden soll ein Veto des Senates nur noch mit einer absoluten Mehrheit der ersten Kammer überstimmt werden können. Die Zweimonatsfrist würde damit entfallen. Ob sich eine Mehrheit für diese Reform finden läßt, bleibt abzuwarten, zumal es sich dabei um eine Verfassungsänderung handelt und dafür in beiden Häusern eine 3/5 Mehrheit benötigt wird. Damit hängt also auch viel von dem Willen der regierenden PP ab.
Diese Tatsache, daß sich der Typus der Minderheitsregierung in den letzten Jahren durchaus etablieren konnte, zeigt eine gewachsene institutionelle Stabilität, was die Vermutung nahe legt, daß die unter 3.3. genannten Ziele der Verfassungsgeber, bei der Einführung des Verhältniswahlrechtes, durchaus erreicht worden sind. Es gibt keine starke, sich negativ auswirkende Fragmentierung im Kongreß, Minderheiten, vor allem regionale, können sich in den Entscheidungsprozeß einbringen und daraus resultierend herrscht eine relativ stabile Regierung. Den großen, wenn auch nicht alleinigen Anteil, welches das Wahlsystem hat, trägt auch Nohlen Rechnung, indem er dessen Leistungen heraushebt: „ Integration durch einen Pluralismus, der den zentrifugalen regional-nationalistischen politischen Kräften eine Vertretung gibt (proportionaler Effekt) und Integration über einen politischen Willensbildungsprozeß hin zu einer Alternative zwischen zwei großen Parteien (Mehrheitseffekt)“ (Nohlen, zitiert von Barrios, S. 569).
Das Wahlsystem wirkt sich aber auch auf die politischen Strategien, der im Parlament vertretenen Parteien aus. Je nach Wahlergebnis oder Wahlprognose und den dadurch zu erwartenden Mehrheitsverhältnissen, können diese mehr auf Konsens und Zusammenarbeit oder auf Konfrontation ausgerichtet sein. Die jeweils eingeschlagene Richtung hat dann direkten Einfluß auf die Struktur des Plenums, „ um entweder einen gemäßigten Pluralismus oder ein Zweiparteiensystem oder aber das Fortbestehen eines Systems mit dominierender Partei zu begünstigen.“(Arias-Salgado, S. 387). Während etwa 1977 bis 1982 der gemäßigte Pluralismus mit zwei gleich starken Parteien einen breiten Konsens erforderte, konnte die PSOE während ihrer Alleinregierung in den 80er Jahren gänzlich darauf verzichten. So bekam Arbeitsweise stark konkurrenzdemokratische Züge. Das „Mehrparteiensystem mit duopolitischer Grundstruktur“ (Jost, S. 301) kann also je nach Wahlausgang und politischer Wetterlage ganz verschiedene Strukturen im Parlament annehmen. Durch die Entwicklung seit 1982, mit einer Alleinregierung, die über eine absolute Mehrheit verfügte und später einer Minderheitsregierung, welche allenfalls zu phasenweiser Zusammenarbeit mit einer Regionalpartei bereit war und daher nicht auf dauerhaften Koalitionskompromiß angewiesen war, wurde die breite Konsensorientierung aus den Anfangsjahren der Demokratie immer mehr zurückgedrängt. Heute herrschen in erster Linie konkurrenzdemokratische Strukturen: “Die Entwicklung der Parteien beziehungsweise der Mehrheitsverhältnisse in den Cortes begünstigt in der Verfassungspraxis eine Regierungsweise weitgehend entsprechend dem Westminster-Modell.“ (Nohlen, S.366). Dies trifft in dieser Konsequenz wohl in erster Linie für Regierungen mit absoluter Mehrheit zu, wie dies bis 1993 der Fall war. Minderheitsregierungen werden in höherem Maße auf Konsens angewiesen sein, auch wenn nicht immer mit einem festen Koalitionspartner, sondern je nach Sachgebiet eine sich „anbietende“ Partei als Partner gefunden werden muß. Abzuwarten bleibt, wie die von der PP in den letzten Wahlen gewonnene absolute Mehrheit verwendet wird. Jetzt besteht durchaus wieder die Möglichkeit, sich den konkurrenzdemokratischen Strukturen des Westminstermodelles zu nähern.
Bei der Betrachtung von Netzwerken zwischen Verbänden/Interessengruppen und den Parteien, bzw. Fraktionen kommt wieder die gering ausgeprägte gesellschaftliche Bindung der Parteien zu Ausdruck. Gab es in der ersten Legislaturperiode noch enge Parantelbeziehungen zwischen Unternehmerinteressen und der UCD/AP oder den Gewerkschaften (bes. UGT) und der PSOE, ließen diese im Laufe der Zeit deutlich nach. In den Anfangsjahren äußerte diese Beziehung sich u. a. in einem großen Maße von Direktrepräsentanz der Verbändevertreter in den Parteien und damit im Parlament, ähnlich wie dies auch heute noch im Deutschen Bundestag bei der engen Beziehung zwischen, z. B. Gewerkschaften und der SPD der Fall ist. Nach 1982 veränderte sich dieses Bild in Spanien drastisch. Die Krise der Mitte-Rechts- Parteien trug einen Teil dazu bei. Ein weiterer Grund war die deutliche Imageumorientierung der linken PSOE nach der Regierungsübernahme. Danach scherte die PSOE aus dem gemeinsam mit den Gewerkschaften entwickelten „Programm des sozialen Fortschritts“ aus. In diesem Programm war als Strategie enthalten, daß soziale Gerechtigkeit und die Abschaffung kapitalistischer Strukturen an erster Stelle stehen sollte. Statt dessen entschloß sich die PSOE dazu, eine Politik der Verwaltung des Kapitalismus zu verfolgen und dabei der wirtschaftlichen Sanierung Priorität einzuräumen, auch wenn dies zu sozialen Belastungen führt. Auch die extrem ausgeprägte Fraktionsdisziplin trug zu einem Bruch zwischen Partei und Gewerkschaftern bei. Da so das vorrangige Ziel der Gewerkschafter - die Repräsentanz der Arbeiterklasse im Parlament zu stärken und damit deren Stimme mehr Gewicht zu verleihen - nicht oder nur im begrenzten Maße durchzusetzen war. Der Fraktionsführer entschied die Richtung und die Fraktionsmitglieder mußten folgen. 1987 kam es schließlich zum offenen Bruch. Gewerkschaftsmitglieder, welche in der PSOE Fraktion vertreten waren, versagten ihrer Regierung die Zustimmung zu den Haushaltsplänen. Eine Reihe jener Gewerkschafter legte ihr Mandat nieder und trat aus der Partei aus. Umgekehrt traten auch PSOE Abgeordnete aus Gewerkschaften aus. Mit dieser Entwicklung verbunden war auch eine steigende Zusammenarbeit von PSOE mit den Unternehmerverbänden, welche traditionell eher den Parteien des Mitte-Rechts-Spektrums verbunden waren. Das Verhältnis von PSOE Abgeordneten, welche auch Mitglieder eines Verbandes sind, ist seitdem nicht mehr einseitig auf Gewerkschaften ausgerichtet. Wie das Verhältnis derzeit aussieht kann nicht sicher gesagt werden, da die letzten erhobenen Daten aus dem Jahr 1982 stammen.
In der Regel folgen heute die Kontakte zwischen Verbänden und Fraktionen dem Gang der Gesetzgebung. Verabschiedet der Ministerrat ein Gesetzesvorhaben, wird dieses veröffentlicht und die verschiedenen Interessengruppen haben innerhalb einer festgesetzten Frist die Möglichkeit, Änderungsvorschläge einzubringen. Sie nehmen in diesem Zusammenhang Kontakt zu den Fraktionen auf, was in den meisten Fällen über den Fraktionsvorsitzenden geschieht. Auch hier zeigt sich dessen hervorgehoben Rolle, was mit der Orientierung der spanischen Parteien auf Führerpersönlichkeiten zusammenhängt. Die Fraktionsvorsitzenden werden um eine Stellungnahme oder ein Treffen gebeten. Interessant dabei ist, daß während der Regierungszeit der PSOE nie Änderungsanträge ins Plenum eingebracht wurden, welche aus dem Unternehmer- oder Bankenlager kamen. Diese Interessengruppen nahmen i. d. R. den Weg über die Oppositionsparteien. Wurde über diese ein solcher Vorschlag in die Debatte eingebracht, mußte die Regierung öffentlich Stellung nehmen, warum sie diesen ablehnt, was in den ‘vier Wänden’, während informeller Gespräche nicht nötig wäre. Dabei wird von „antagonistischer Kooperation“ gesprochen (vgl. Liebert, S.310). Auch die Opposition brachte Änderungsanträge aus diesem Interessenlager nicht gerne ein. Diese allgemein ablehnende Haltung begründet sich in der Strategie der großen Parteien, die Interessen der Schwachen und Armen zu vertreten: „Niemand in dieser Kammer hat jemals öffentlich gesagt, daß er die Interessen der Kaufleute, der Bankiers etc. vertritt. Das wird schlecht angesehen.“ (Liebert, S. 310). Die Vorschläge der Unternehmer werden nicht direkt von der Regierung reproduziert, aber oft durchaus aufgenommen und in den Ministerien beraten, geändert und unter anderem Namen eingebracht.
Auch bei der Netzwerkstruktur läßt sich in Spanien ein Unterschied zwischen ländlichen Gegenden und Städten feststellen. In den ländlichen Regionen sind die Kontakte von Interessengruppen eher mit den Fraktionen ausgeprägt. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß die Mentalität des Spaniers dort so ist, daß sich mit Problemen direkt an den Abgeordneten gewandt wird, da die Bindung oder Identifikation mit den Parteien so gering ausfällt. Für die Städte trifft dies in diesem Maße nicht zu. Dort stehen die Beziehungen zwischen Verbänden und den Parteien mehr im Vordergrund. Es wird sich an die Partei gewandt, welche den jeweiligen Interessen näher zu stehen scheint. Bei der Gewerkschaft ist das in erster Linie die PSOE und den Unternehmerverbänden die PP. Nur bei Streitigkeiten mit der Parteibasis werden die Fraktionen konsultiert. Diese Zusammenarbeit mit den Parteien begründet sich aber nicht in einer steigenden gesellschaftlichen Anerkennung dieser in den Städten. Der Unterschied gegenüber den ländlichen Gegenden ist, daß in der Stadt die Abgeordneten nicht persönliche Bekannte sind, welche notfalls auch in bei einem privaten Treffen konsultiert werden können.
Im Vergleich zu Deutschland ist also die Parantelbeziehung zwischen Interessengruppen und den Fraktionen im Parlament eher schwach ausgeprägt. Was auch damit zusammenhängt, daß in Spanien die klassischen Cleavages zwischen Parteien und sozialen Klassen nicht so ausgeprägt sind wie in der Bundesrepublik, wo etwa die SPD für die Arbeiterklasse stand und die CDU/CSU mehr für die Mittelschicht. Dies wirkte sich auch auf die Netzwerke zwischen Parteien und Verbänden aus. Lediglich der Punkt der regionalen Interessenvertretung in landesweit agierenden Parteien hat in Spanien einen größeren Stellenwert: „ ... im Unterschied zu denen des Bundestages, haben sich die parlamentarischen Gruppen des spanischen Kongresses bislang intern horizontal nicht ausdifferenziert. Es gibt also kein institutionalisiertes System von fachlich spezialisierten Arbeitsgruppen oder Arbeitskreisen innerhalb der Fraktionen Von größerer Bedeutung sind die regionalen Gruppierungen innerhalb der Fraktionen staatsweiter Parteien, die eine organisatorische Autonomie besitzen.“ (Liebert, S. 270).
Einen eher negativen Einfluß auf die Willensbildung im parlamentarischen Arbeitsprozeß hat die Kandidatenaufstellung durch starre Listen. Dies beeinträchtigt die Rolle des einzelnen Abgeordneten erheblich und stärkt die des Partei-/Fraktionsführers. Die Fraktionsdisziplin ist in Spanien in extremen Maße ausgeprägt. Was und wie entschieden wird, legt der Fraktionsführer fest. Eine interne Diskussion findet in der Regel nicht statt, was wieder die elitäre Struktur der Parteien unterstreicht. Durch die Abhängigkeit des Abgeordneten, von seiner Parteiführung bei den nächsten Wahlen wieder auf die Kandidatenliste gesetzt zu werden, sinkt seine Möglichkeit sich aktiv und kritisch am Willensbildungsprozeß zu beteiligen. Seine Wiederwahl hängt damit weniger vom Wähler als von seiner Parteiführung ab. Das gleiche Problem kennen auch wenigstens die Hälfte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Nämlich jene, welche über die Landeslisten gewählt werden:„ ... müssen nicht ihrer Wiederwahl wegen einen Wahlkreis pflegen, sie müssen sich nicht immer wieder persönlich ihren Wählern stellen. Sie hängen bezüglich ihrer Wiederaufstellung und Wiederwahl nicht vom Wähler ab, sondern von ihrem jeweiligen Parteiapperat sowie von innerparteilichen Cliquen und Seilschaften.“(Schmidt, S. 74).
Die ausschließliche Kandidatenaufstellung über starre Listen behindert eine größere Meinungsvielfalt innerhalb der Fraktionen und Parteien und stärkt die Position der Parteiführung, was sich mit dem Bild der führerorientierten Parteien und den daraus resultierenden personengebundenen Wahlentscheidungen der Spanier deckt. Die Rolle des einzelnen Abgeordneten im Kongreß ist ohnehin sehr klein. So müssen individuelle Änderungsanträge vom Fraktionsführer abgesegnet und von mindestens 14 Fraktionskollegen unterstützt werden. Weiterhin dürfen alternative Gesetzesvorschläge nur von Fraktionen eingebracht werden. Die, in der Regel offenen, Abstimmungsverfahren tragen auch dazu bei, Fraktionsmitglieder auf Kurs zu halten und zu disziplinieren.
5. Resümee und Ausblick
Auffällig sind in Spanien vor allem die starken Schwankungen im Parteiensystem und die dem gegenüberstehende Stabilität im Wählerverhalten und den politischen Institutionen Regierung/Parlament.
Die Instabilität der Parteien ist Folge der äußeren Umstände während ihrer Gründungsphase
- soziale, religiöse, regionale Bindungen fehlten als Basis,
- Konsenspolitik der Parteien während der Verfassungsgebung à wenig Polarisierung
- fehlender institutioneller Rahmen
- Elitenorientierung bei Parteien und Wählern
Dem gegenüber stehen ein konstantes Wahlverhalten und die Etablierung und Festigung der Institutionen und Prozesse im politischen Alltag.
Einen Beitrag dazu leistete u. a. das Wahlsystem, durch welches eine starke Fragmentierung und Polarisierung in der Parteienlandschaft und vor allem der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses verhindert wurde, etwa durch die 3% Sperrklausel oder die Einteilung der Wahlkreise entsprechend der Provinzen, mit der Garantie auf Repräsentation jeder Provinz im Abgeordnetenhaus mit mind. 4 Sitzen.
Positiv wirkt sich auch das Wahlverhalten aus, welches einmal keine großen ideologischen Schwankungen aufweist und zum anderen in erster Linie die beiden großen Parteien gewählt werden, um nicht die Stimme an Außenseiter zu verschwenden. So werden Schwankungen, mit extrem wechselnden Mehrheiten vermieden, was sich für die Stabilisierung der jungen Demokratie durchaus positiv ausgewirkt haben könnte.
Vielleicht ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis es den Parteien gelingt sich zu stabilisieren. Indizien dafür sind, daß die meisten Parteikrisen auf die Anfangsjahre der Demokratie vielen und daß die PSOE ihre Wahlniederlage von 1996 ohne großen Schaden überstand und sich als oppositionelle Kraft im Kongreß etablierte. Ohne dabei allerdings soviel Erfolg gehabt zu haben, daß die Wahlen von 2000 hätten gewonnen werden können, obwohl das Wahlbündnis mit der Vereinigten Linken (IU) die Wähler des linken Blockes vereinen sollte. Dies gelang nicht, im Gegenteil, die PSOE und die IU verloren zusammen 29 Mandate im Kongreß. In erster Linie ist das sicher auf den Erfolg der regierenden PP zurückzuführen, den erreichten wirtschaftlichen Aufschwung. In diesem Punkt schien das Blockwahlverhalten nicht zuzutreffen. Viele linke Wähler gingen nicht zur Wahl, gerade aus dem Grund, daß sie dieses Bündnis ablehnten. Den Anhängern der sozialistischen IU war die PSOE als Partner nicht links genug und umgekehrt war die3 IU den PSOE Anhängern zu weit links. Hier könnte vermutet werden, daß die Bindungen an eine bestimmte Partei doch nicht so gering ausfallen, wie immer angenommen. Interessant wäre, ob die relativ großen Verluste der Linken und die gleichzeitigen großen Zugewinne der PP auf eine größere Zahl von Interblockwechselwählern zurückgeführt werden kann. Da die ebenfalls eher konservativen Regionalparteien aus dem Baskenland oder Katalonien keine nennenswerten Verluste hinnehmen mußten und die PP erstmals auch in dem traditionellen „roten Industriegürtel um Madrid“ die absolute Stimmenmehrheit gewinnen konnte, könnten Indizien für ein verändertes Wählerverhalten sein. Durch das linke Bündnis und dem damit verbundenen Linksruck der PSOE gab sie viel Boden bei der hart umkämpften Mitte preis, was sich die PP zunutze machte. Das Aufbrechen der starren Blöcke könnte auch durch die Orientierung der Neuwähler begünstigt werden. Diese Generation ist die erste, welche nach dem Putschversuch von 1981 geboren wurde. Aufgewachsen in einer wie gesehen sich festigenden Demokratie und geprägt von neuen Werten, wie Wohlstand und Konsum besteht durchaus die Möglichkeit, daß die Begriffe ‘rechts’ und ‘links’ für sie an Bedeutung verloren haben und die Partei wählen, von welcher sie sich den meisten Erfolg versprechen, ohne auf die zentrale politische Ausrichtung Wert zu legen.
Ob dagegen das von Walter Tauber in „Die Woche“ vom 17.03.2000 ausgerufene Ende der Bedeutung von charismatischen Führern für Wählausgänge tatsächlich eingetreten ist, müßte wohl anhand von weiteren Wahlen überprüft werden. Denn bei den letzten Wahlen hatten beide Parteien wenig charismatische Spitzenkandidaten. Der Erfolg Aznars ist, wie bereits erwähnt, weniger auf sein Erscheinungsbild, als auf die Ergebnisse der Arbeit seiner Regierung zurückzuführen. Der Wähler hat einfach Bilanz gezogen. Der PSOE fehlte es unter diesen Bedingungen sicher nicht nur an einem starken Führer, sondern auch an überzeugenden Argumenten, warum gegen die Regierung des Wirtschaftsaufschwunges gestimmt werden solle. Von diesem Blickwinkel aus könnte auch vermutet werden, daß der Hang zu charismatischen Führern in Zeiten von weniger Wohlstand stärker ausgeprägt ist. In diesem Punkt wäre der Spanier sicher keine Ausnahme im Vergleich mit den Wählern rund um die Welt. Auch ist die Führerorientierung in der gesamten Struktur der spanischen Parteien verankert, verbunden mit der gering ausgeprägten Fähigkeit sich auf Programminhalte zu konzentrieren. Dieses Manko wirkte sich sicher auch auf die deutlichen Verluste der PSOE bei den letzten Wahlen aus.
Deutlich wird anhand des Wahlergebnisses in meinen Augen auch, daß die Konservativen endgültig sich von der Last ihrer rechten Vergangenheit befreien konnten und zu einer breiten Anerkennung in der Bevölkerung gelangten.
Wie in den kommenden Jahren die Entwicklung in Arbeitsweise und Struktur des Cortes Generales aussehen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten. Anzunehmen ist eine konkurrenzdemokratisch geprägte relativ uneingeschränkte Regierungsweise der PP, begünstigt durch ihre absolute Mehrheit im Kongreß. Ein gewisser Grad an Konsensorientierung in Bezug auf die Interessen der Regionalparteien wird aber sicher auch in Zukunft bestehen, auch wenn diese nicht mehr für die Schaffung einer Mehrheit benötigt wird. Aber unnötige Spannungen mit diesen Autonomen Gemeinschaften, durch eine ignorante Politik sind wohl nicht im Interesse der Regierung Aznar. So kündigte Ministerpräsident Aznar bereits in der Wahlnacht an, auch weiterhin mit der CiU zusammenzuarbeiten, auch wenn er auf deren Stimmen nicht mehr angewiesen ist. Vielleicht wird auch die Gelegenheit genutzt, die geplante Senatsreform voranzutreiben und so den Regionalinteressen eine bessere Plattform zu geben.
Ob sich die gesellschaftliche Verflechtung der Parteien allerdings grundlegend verbessert möchte ich bezweifeln. In den meisten europäischen Ländern sinken die Bindungen und das Vertrauen gegenüber Parteien, warum sollten da gerade die Spanier ihre Tradition aufgeben und diesem Trend entgegenlaufen? Vor allem da in Abschnitt 3.4. deutlich wurde, daß in dieser Beziehung die Spanier scheinbar eine allgemeine europäische Entwicklung vorweg genommen haben.
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Literatur- und Quellenverzeichnisverzeichnis
Arias-Salgado, R. Entstehung und Struktur des spanischen Parteiensystemes. In Z Parl.19. S. 377 - 391
Barrios, H. Das politische System Spaniens. In: Ismayr, W. (Hrsg.). Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 1997, S. 549 - 589
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Liebert, U. Modelle demokratischer Konsolidierung, Opladen 1995
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Oeing, D. Wahlenthaltung: Profil und Motive der spanischen Nichtwähler. In:
Bernecker, W. L./Discherl, K. (Hrsg.). Spanien heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt/M. 1998
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dieser Arbeit über Spanien?
Diese Arbeit untersucht die Auswirkungen des Wahlsystems, des Parteiensystems und des Wählerverhaltens auf die Zusammensetzung, Funktions- und Arbeitsweise des spanischen Parlaments (Cortes Generales), insbesondere des Abgeordnetenhauses (Congreso de los Deputatos).
Welche Aspekte des spanischen politischen Systems werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Struktur von Parlament und Regierung, das Parteiensystem, dessen historische Entwicklung, die Struktur und die Rolle der Parteien im gesellschaftlichen Alltag, das Wahlsystem und das Wählerverhalten.
Welche Schwierigkeiten gab es bei der Datenerhebung?
Es war schwierig, aktuelle Daten zum Wählerverhalten und zu Netzwerken zwischen Interessengruppen/Verbänden und Parteien bzw. Fraktionen zu finden, insbesondere in deutscher oder englischer Sprache.
Welche Länder dienen als Vergleichspunkte?
Deutschland und Großbritannien dienen als Vergleichspunkte. Das britische Westminstermodell wird als Idealtyp der Konkurrenzdemokratie betrachtet, während Deutschland interessant ist, da sich die spanische Verfassung in vielen Bereichen am deutschen Grundgesetz orientiert hat.
Wie wird der Demokratisierungsprozess in Spanien beschrieben?
Der Demokratisierungsprozess wird in zwei Phasen eingeteilt, beginnend mit der Regierung von Adolfo Suarez und endend mit der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 1978.
Welche Rolle spielt der Senat (Senado)?
Der Senat hat im Vergleich zum Kongress eine untergeordnete Rolle, obwohl seit einigen Jahren über eine Reform diskutiert wird, die seine Position verändern würde. Er hat ein suspensives Vetorecht bei Gesetzesvorlagen, welches vom Abgeordnetenhaus überstimmt werden kann.
Wie ist das spanische Wahlsystem aufgebaut?
Das Wahlsystem zum Kongress basiert auf Verhältniswahlrecht mit einer Sperrklausel von 3%. Die Provinzen sind als Wahlkreise festgelegt, und jeder Provinz wird eine Mindestzahl von Kongresssitzen garantiert. Der Senat wird nach Mehrheitswahlrecht gewählt, wobei jede Provinz vier Senatoren stellt.
Welche Faktoren beeinflussen das Wählerverhalten in Spanien?
Das Wählerverhalten wird durch ideologische Bindungen an eine bestimmte politische Richtung (Links-Rechts-Spektrum) beeinflusst. Inter-Block-Wechselwähler sind selten, und die Parteien müssen die Wechselwähler innerhalb ihres Blocks ausreizen.
Wie ist die gesellschaftliche Verflechtung der Parteien in Spanien?
Die gesellschaftliche Verflechtung der Parteien ist relativ gering. Traditionelle soziale, religiöse oder regionale Verbindungen zwischen Bevölkerung und Parteien sind schwach ausgeprägt. Die Parteien grenzten sich in den ersten Jahren nicht klar genug voneinander ab, was die Rekrutierung von Mitgliedern erschwerte.
Welchen Einfluss hat das Wahlsystem auf die Struktur des Kongresses?
Das Wahlsystem begünstigt größere Parteien und verhindert eine extreme Parteienzersplitterung im Kongress. Es fördert die Bildung von Minderheitsregierungen, da die unterschiedlichen politischen Lager und regionalen Interessen es der Opposition erschweren, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für ein Misstrauensvotum zu einigen.
Wie sehen die Netzwerke zwischen Verbänden/Interessengruppen und Parteien aus?
Die Parantelbeziehung zwischen Interessengruppen und den Fraktionen im Parlament ist eher schwach ausgeprägt. Die Kontakte folgen in der Regel dem Gang der Gesetzgebung, wobei die Interessengruppen Änderungsvorschläge einbringen und Kontakt zu den Fraktionen aufnehmen.
Was sind die wichtigsten Schlussfolgerungen der Arbeit?
Auffällig sind die starken Schwankungen im Parteiensystem und die dem gegenüberstehende Stabilität im Wählerverhalten und den politischen Institutionen. Das Wahlsystem und das Wählerverhalten haben zur Stabilisierung der jungen Demokratie beigetragen.
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- Uwe Schneider (Author), 1999, Das Parteiensystem Spaniens, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/105062