1. Ursprung und Entwicklung der Standardtänze
Das Bedürfnis des Menschen, sich zu Melodie und/oder Rhythmus zu bewegen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Die Geburtsstunde unserer heutigen Standardtänze jedoch schlug Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Akzeptanz des Wiener Walzers durch die gute Gesellschaft. Zum ersten Mal war es in diesen Gesellschaftskreisen erlaubt, dass der Herr mit seiner rechten Hand - der Führungshand - den Körper der Dame an- und umfasste. Die linke Hand blieb bis heute (bei einer "korrekten Tanzhaltung") eine Kontakthand zur rechten Hand der Dame, nicht zu ihrem Körper.
Die weitere Evolution der heutigen Standardtänze wurde, wie bei jeder Tanzform, durch die Musik und die Umsetzung in Bewegung derselben durch gute Tänzer vorgegeben. Vor dem Ersten Weltkrieg 1914 - 1918 galt die damalige Diplomatenhochburg Paris als Zentrum der schönen Künste (u.a. des Tanzes) in Europa. Von dort kam der grösste Teil der Neuigkeiten. Dort wurde auch ca. 1912 der ursprüngliche Tango, aus Argentinien kommend, eingeführt.
Kriegszeiten waren früher immer eher Durststrecken für Tanzvergnügen. So ist es nicht verwunderlich, dass nach dem Krieg ein Nachholbedarf festzustellen war. Daher waren die "Wilden 20-er"-Jahre die Entstehungszeit allerlei verschiedener Bewegungsformen. Auf der einen Seite machte sich der Einfluss des Jazz bemerkbar, was sich beim Charlestone, Ragtime, Hiawatha, Shimmy, Black Bottom, Cake Walk usw. niederschlug, auf der anderen Seite entwuchs dem Vorkriegs-"Marsch"- oder "Schieber" der Quickstep oder der Slowfoxtrot (im Ursprungsland England nur "Foxtrot" genannt). Die Engländer gebrauchen das Wort "Marsch" praktisch nie in Verbindung mit Tanz. Für sie ist es immer ein "Step" oder ein "Walk". Somit hiess der englische Marsch "One-Step".
In die gleiche Zeitspanne fiel die Entwicklung des 3/4-Walzertaktes: Zuerst als "Valse Boston" (heute in England als "Oldfashioned Waltz" bekannt) und Ende der 20-er-Jahre der English Waltz (in England natürlich nur Waltz genannt).
Somit stehen seit Anfang der 30-er-Jahre die Standardtänze fest, und zu diesem Zeitpunkt wurde auch das Analysieren der "Performance" der guten Tänzer und eine Festlegung der Technik von den Engländern in Angriff genommen.
Die Musik selbst hat sich nicht sehr verändert. Die Bewegungsart jedoch, trotz gegebener technischer Basis, enorm. Dies ist auch zu begrüssen, denn wenn sich etwas nicht mehr entwickelt, stirbt es ab.
Heute, Ende der 80-er-Jahre, wo das Pendel analog zur Frauenbefreiungsbewegung den extremen Ausschlag zur Discowelle mit seiner "self-expression" überwunden hat, ist eine Tendenz zurück zum Körperkontakt (Tango, Walzer) sowie zum Führen und Geführtwerden allgemein feststellbar. So hat sich, was die Standardtänze betrifft, der Kreis vorderhand wieder geschlossen.
2. Ursprung und Entwicklung der lateinamerikanischen Tänze verfasst von Waldemar Santi
2.1 Einleitung
Frau Dr. Katherine Dunham, Tänzerin, Forscherin und Leiterin einer Ballettshow von Schwarzen berichtete, dass Eingeborene der Insel Martinique unter dem Einfluss rhythmischer Trommelschläge in Ekstase geraten und sich buchstäblich zu Tode tanzen. Wer lateinamerikanische Tanzturniere verfolgt, dem wird es schwer fallen, einen Zusammenhang zwischen den beiden Anlässen zu vermuten. Und doch, wie wir noch sehen werden, besteht eine grundlegende Verbindung. Der Umfang und die Vielschichtigkeit unseres Themas erlaubt im Rahmen dieses Artikels nur eine skizzenhafte, unvollständige Darstellung.
2.2 Sklavenhandel
Die Entdeckung der Neuen Welt durch Kolumbus und deren Erschliessung durch Abenteurer im Dienste der Europäischen Mächte bildeten den Auftakt der Kolonialherrschaft der Weissen in Amerika. Die eroberten Gebiete wurden in jeder Hinsicht skrupellos ausgebeutet. Plantagen, Bergwerke u.a.m. benötigten billige Arbeitskräfte, die trotz Urwaldklima einen harten Einsatz ertrugen. Auf dem gegenüberliegenden Erdteil Afrika fand man sie, die sogenannten Neger, die nun gewaltsam in die Kolonien verschleppt wurden. Im Zeitraum von ca. 1500 bis 1900 blühte der Sklavenhandel von Afrika nach der Neuen Welt. Die Zahl der geraubten Sklaven wird auf ca. 12 Millionen geschätzt.
2.3 Kulturen in Afrika
Zu jener Zeit existierten in Afrika verschiedenartige Kulturstufen; sie reichten von der primitiven Form der Buschmänner bis zur hochentwickelten der Kongoneger.
Durch den Raub der Sklaven verpflanzte man auch ihr ganzes Kulturspektrum, Religion, Magie und Mythologie in den neuen Lebensraum. Dort fand eine gegenseitige Beeinflussung, ja sogar Verschmelzung der Kulturen aller Bevölkerungsteile, bestehend aus Indios, Schwarzen und Weissen, statt. Ein Prozess, der bis auf den heutigen Tag fortdauert.
2.4 Anfänge der LA-Tänze
In der fremden Welt huldigten die Schwarzen, im Rahmen ihres Spielraumes, weiterhin ihren überlieferten Bräuchen und Tänzen. Als Begleitung bedienten sie sich verschiedenartiger Trommeln; die typischen Rhythmusinstrumente der Primitiven.
Diese religiösen Tänze wurden und werden heute noch in Gruppen oder Solo getanzt. Anlässlich der profanen Feste, im Beisammensein aller Bevölkerungs-kreise, fand ein gegenseitiger Austausch der Bräuche statt. Im Motivfeld Frau-Mann gewann der Paartanz an Bedeutung. Bereits in Afrika waren die sogenannten Nabeltänze zwischen Mann-Frau bekannt; sie werden in Brasilien Umbigada und in Kuba Vacunao genannt.
Auch in der Musik führte die Synthese von Melodiestrukturen der Weissen mit polyrhythmischen Perkussionsmustern der Schwarzen zu einem Reichtum an Musikpotenz mit weltweit ausstrahlender Faszination. Durch die Schöpfung des Habanera-M usikstiles auf Kuba wurde eine kreative Entwicklung eingeleitet. Sie bildet die Wurzel, aus der unter anderem die uns mehr bekannten Arten wie Tango, Rumba, Son-Bolero, Merengue, Mambo, Cha-cha-cha und Salsa, entstanden sind.
Höchst interessant sind historische Berichte von Augenzeugen, die Rumbatänze beschreiben: "Ein obszöner Paartanz, der offen oder eng umschlungen ausgeführt wird, wobei der ganze Körper in Bewegung bleibt. Der Schwerpunkt des Ausdruckes bilden wellenartige Verdrehungen des Beckens in Verbindung mit wolllüstigen, harmonischen Hüftbewegungen. Die Rumba ist die Geschichte der Eroberung des Weibes ohne höfliche Verbeugung und müssige Umschweife."
Auf Haiti münden die Voudou-Zeremonien in Solotänze voller Sex-Besessenheit.
In Brasilien ist aus dem Tanz "batuque" der Bantuneger, nach anderer Version aus dem Tanz "Semba" der Sambesi aus dem Kongo, die Samba entstanden. Nach weiterer Quelle wird die Samba auch aus einem afrikanischen Tanz der Kriegerweihe, zwischen Glasscherben und Fackeln mit platzsuchenden Fussbewegungen, abgeleitet.
2.5 Siegeszug der LA-Tänze
Durch Verfeinerung ihrer primitiven Eigenarten stiegen die LA-Tänze, auch für die Begriffe der Weissen, zu einer gesellschaftlichen Attraktion empor und hielten Einzug in ihre eleganten Salons. Im Zeitalter des Rundfunkes, Tonfilms und Fernsehens verbreiteten sich die LA-Musik und Tänze über die ganze Welt. Berühmte Orchester, Theatergruppen und Revuen, zum Beispiel das Rumbaorchester Don Azpiazu (1930), Lecuona-Cuban-Boys oder Josephine Baker (Charlestone 1925) bereisen Europa und bringen uns die neuartigen, faszinierenden Elemente der LA-Kultur näher.
Die Alte Welt beginnt sich mit der Kultur der Neuen Welt auseinanderzusetzen. In breiten Kreisen wächst der Wunsch nach Teilnahme an dieser exotischen Kulturform.
Vor allem Filme wie "Dirty Dancing", "Salsa" und "Lambada" haben eine nachhaltige Begeisterung ausgelöst und das Phänomen "Salsa", als Sammelbegriff einer Subkultur der Latinos, ins Rampenlicht der breiten Öffentlichkeit gerückt.
Ursprünglich wurde der Begriff "Salsa picante" für heisse LA-Musik benutzt. Er umfasst einen breitgefächerten Sektor afrokubanisch-karibischer Musikrhythmen. Infolge intensiver Kontakte zwischen Kuba-Karibik-Amerika wurden Jazz-elemente und Tanzformen der amerikanischen Kulturszene im kubanisch-karibischen Kulturkreis und umgekehrt aufgenommen. Die kubanische Salsa-Tanzvariante heisst Casino.
2.6 Turniertänze
Tanzschulen unternahmen von Anfang an den Versuch, die LA-Tänze für unsere Bedürfnisse und Möglichkeiten zu adaptieren.
Vor allem Pierre aus London gilt als Pionier der modernen LA-Tanztechnik. Zusammen mit seiner Partnerin Doris Lavelle bereiste er ab 1950 Kuba, Brasilien und Amerika. Sie filmten von einheimischen Experten ausgeführte Tanzfiguren und schrieben sie anschliessend in einem Technikbuch nieder. Bekannte Tänzer und Lehrer, z.B. Walter Laird, haben substantielle Beiträge zur Entwicklung beigesteuert. Entsprechend unserer Lebensart wurde das LA-Tanzprodukt analysiert. Unter Einbezug neuer Impulse aus dem Jazz-Ballett, Flamencotanz und anderer Sparten wurde freudig experimentiert. Das Resultat ist augenfällig: interessante Choreographien, kühne Körperlinien, raffinierte Tricks, exakte Paarkoordination u.a.m. treten markant in Erscheinung.
Dieses technische Instrumentarium wird nun mit Effizienz im Bereich Turnier-Tanzsport -Show eingesetzt.
Interessant ist, wie der amerikanische Psychologe Dr. Rubin diese Entwicklung kommentiert: "Der Erfolgszwang in unserer Kultur, die immer höher geschraubten Forderungen unserer Leistungsgesellschaft führen in einen Teufelskreis von Frustrationen.
Ich für meinen Teil sehe in Wettkampfsportarten in erster Linie Überreste symbolischer Rituale, deren Wurzeln bis in frühe, noch unter dem Diktat des Überlebensinstinktes stehende Zeiten zurückreichen."
2.7 Schlussbetrachtungen
Aus dem Völkergemisch von Schwarzen, Indios und Weissen hat sich in der Neuen Welt ein Schmelztiegel von Kulturformen gebildet, die sich in der transformierten Form auch in der Alten Welt ausbreiten. Dies betrifft ganz besonders die Musik- und Tanzformen.
Die populären Tänze werden nun standardisiert und durch die Tanzschulen einem breiten Publikumskreis unterrichtet.
Die Hochzüchtung des Turnierstils und des Showtanzes führt bei den hervorragenden Spitzenpaaren zu einer beeindruckenden Ausstrahlung.
Aufgrund unserer andersgearteten Lebenseinstellung sind die Urelemente der LA-Tänze in den Hintergrund verdrängt worden.
Die elementaren Trieb- und Seelenkräfte, die den Schwarzen zur Besessenheit treiben, beherrschen nicht minder auch den Weissen hinter der Fassade der Zivilisation.
Dies ist wohl die Hauptursache, dass die LA-Musik und Tänze die ganze Welt erobert haben.
Das Motiv, das den genuinen LA-Tänzer beherrscht, ist der urelementare Drang des Menschen nach Bewegung, Spiel und Freude; denn das sind seine Lebensenergien.
Ein kubanisches Sprichwort fasst dies kurz und bündig folgendermassen zusammen: "Musik und Tanz sind Lebensmittel."
QUELLE:
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Ursprung der Standardtänze?
Die Standardtänze entwickelten sich Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Akzeptanz des Wiener Walzers. Es war das erste Mal, dass ein Herr den Körper der Dame anfassen durfte. Paris war vor dem Ersten Weltkrieg das Zentrum der Tanzkünste und brachte den Tango hervor. Nach dem Krieg entstanden in den "Wilden 20ern" verschiedene Bewegungsformen, darunter Quickstep und Slowfoxtrot. Auch der English Waltz entstand in dieser Zeit. Seit den 30er Jahren sind die Standardtänze etabliert, und die Engländer begannen, die Technik zu analysieren.
Wie haben sich die Standardtänze entwickelt?
Die Entwicklung der Standardtänze wurde durch Musik und deren Umsetzung in Bewegung beeinflusst. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es einen Nachholbedarf, und in den "Wilden 20ern" entstanden neue Tanzformen unter dem Einfluss von Jazz. Die Musik hat sich nicht stark verändert, aber die Bewegungsart hat sich enorm weiterentwickelt.
Welche Einflüsse hatten Auswirkungen auf die lateinamerikanischen Tänze?
Lateinamerikanische Tänze haben ihren Ursprung im Sklavenhandel und der Vermischung von afrikanischen, indigenen und europäischen Kulturen in der Neuen Welt. Afrikanische Sklaven brachten ihre Religion, Magie, Mythologie und Tänze mit, die sich mit den Bräuchen der anderen Bevölkerungsgruppen vermischten. Der Paartanz gewann an Bedeutung, und die Synthese von Melodien der Weißen mit Perkussionsmustern der Schwarzen führte zu einer reichen Musikkultur.
Wie verbreiteten sich die lateinamerikanischen Tänze?
Die lateinamerikanischen Tänze wurden durch Verfeinerung ihrer primitiven Eigenarten gesellschaftsfähig und gelangten in die Salons der Weißen. Im Zeitalter von Rundfunk, Film und Fernsehen verbreiteten sie sich über die ganze Welt. Filme wie "Dirty Dancing" und "Salsa" trugen zur Popularität der Salsa als Subkultur der Latinos bei.
Was sind die Grundlagen der Entwicklung der lateinamerikanischen Turniertänze?
Tanzschulen adaptierten die LA-Tänze, und Pierre aus London gilt als Pionier der modernen LA-Tanztechnik. Er filmte Tänze von einheimischen Experten und schrieb sie in einem Technikbuch nieder. Das LA-Tanzprodukt wurde analysiert und unter Einbezug von Jazz-Ballett und Flamencotanz weiterentwickelt. Dies führte zu interessanten Choreographien und exakter Paarkoordination.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Entwicklung der lateinamerikanischen Tänze ziehen?
Die lateinamerikanischen Tänze haben sich in der Neuen Welt aus einem Völkergemisch entwickelt und verbreiten sich nun in transformierter Form auch in der Alten Welt. Die populären Tänze werden standardisiert und durch Tanzschulen einem breiten Publikum unterrichtet. Die Urelemente der LA-Tänze sind aufgrund unserer Lebenseinstellung in den Hintergrund getreten, aber der Drang nach Bewegung, Spiel und Freude ist die Hauptursache für die weltweite Eroberung der LA-Musik und Tänze.
- Quote paper
- seda markhoff (Author), 2001, Standardtänze, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/100931